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Tearaway - Test

Kann Media Molecule auch ohne Sackboy seinen Zauber wirken?

Die Vita bekommt endlich ihr Gesicht: ein etwas fransiges, improvisiertes, aber nichtsdestotrotz endlos liebenswertes.

Sie erwischen einen immer wieder. Selbst wenn man sich mit gedrückter Stimmung an Media Molecules neues Spiel für die PlayStation Vita setzt, bekommen die Engländer es hin, einem regelmäßig zu zeigen: 'Schau her! Alles halb so schlimm!' Vor euch rollt sich auf dem wundervollen Bildschirm des Handhelds eine Welt aus, wie man sie noch nie zu sehen bekam. Ein Reich, dessen Wälder, Täler, Flüsse und Bewohner vollkommen aus Tonpapier bestehen und doch nur so vor drollig realisiertem Leben sprühen, dass einem das Herz aufgeht.

Dass dem so ist, zeigt euch das Spiel in einem vorzüglichen Kniff alle paar Meter aufs Neue: Die Front-Kamera des Geräts fängt nämlich eure Visage ein und projiziert sie als 'Gesicht in der Sonne' in die Welt. Wieder und wieder ertappt euch auf diese Weise dabei, wie ihr als Quell allen Lebens buchstäblich und bildlich gesprochen auf dieses bunte Treiben herab strahlt. Es ist der Fotobeweis, dass man hier gerade eine ausgezeichnete Zeit verlebt, denn ungeachtet aller anderen Umstände ist das Gesicht am Himmel immer ein außerordentlich fröhliches.

Die Reise zum Du

Dieses seltsame Gesicht bezeichnen die gefalteten und beklebten Bewohner von Talfalte als ein 'Du'. Und dieses Wesen kann aus seiner Welt heraus in das Papierreich eingreifen. Gut so, denn der zum Leben erwachte Brief Iota hat eine ganz persönliche Nachricht für das Du. Zusammenarbeit ist also gefragt, wenn Iota euch auch erreichen soll. Ihn steuert ihr wie erwartet in der Manier eines geradlinigen Jump and Runs. Großartige Präzision ist dabei selten gefragt und so ist diese gewisse Lockerheit in der Steuerung und Trägheit Iotas nie ein Problem. In jedem Fall steuert er sich besser als die Sackleute aus LittleBigPlanet. Aber ein Mario ist auch er nicht - will er aber auch nicht sein.

Selten griffen Art-Design und Spielablauf derart passend ineinander.

Immerhin: Schon bald lernt er, sich wie Samus Aran zu einem Ball zusammenzuknüllen, der durch kleine Lücken passt und die gefährlichen Schnipsel, die seit neuestem das Land unsicher machen, auf den Rücken kugelt. Und später bekommt er eine Ziehharmonika mit einem Loch, die Gegenstände einsaugt und wieder ausspuckt, doch ohne das Du wäre jemand so Brennbares auf dem Weg zur Sonne doch ziemlich aufgeschmissen. Iota kann gewisse Hindernisse alleine einfach nicht überwinden. Hilfestellung gebt ihr über die zahlreichen Touch- und Kamera-Features der Vita. Befinden sich in der Welt matte Papierbögen mit PlayStation-Symbolen darauf, könnt ihr durch Klopfen auf der Unterseite des Handhelds die Felle von Trommeln zum schwingen bringen, die in die Luft schleudern, was immer gerade auf ihnen steht. An anderer Stelle stecht ihr durch ähnliche Felder mit einer digitalen Version eures Fingers von unten in die Papierwelt 'hinein', was dank doch recht fotorealistischer Texturen ziemlich überzeugend aussieht. Um den Finger herum seht ihr durch die Fransen des zerrissenen Papiers sogar eure Hose, den Fußboden oder was immer sich gerade unter der Vita befindet.

"Es wird niemals wirklich schwer und nach einem Tod geht es fast ohne Verzögerung oder Raumverlust weiter."

So verschiebt ihr Hindernisse und Stege, zerquetscht Schnipsel oder dreht an einer Stelle sogar einen kompletten Berg. Glänzende und mit Fingerabdrücken versehene Oberflächen manipuliert ihr unterdessen von oben, also mithilfe des Touchscreens. Faltet eine Wand aus dem Weg, legt interaktive Flächen frei oder knibbelt aufgerollte Papierstreifen aus der Seite eines Hügels, um einen Vorsprung zu schaffen, den Iota betreten kann. Viele dieser geschicklichkeitsbasierten Aufgaben - bedenkt, ihr müsst immer noch zusätzlich Iota steuern - kombiniert Tearaway in seinen haarigeren Situationen zu etwas, dass sich alles andere als eine Anhäufung von Gimmicks anfühlt. Es ist eher, wie mit einem Spielzeug zu spielen und als solches doch ziemlich einzigartig. Es wird niemals wirklich schwer und nach einem Tod geht es fast ohne Verzögerung oder Raumverlust weiter. Aber man fühlt sich trotzdem angemessen gefordert und genießt den angenehmen Spielfluss.

Do it yourself

Der Kreativ- und Bastelgedanke der Welt wird vor allem durch eure Interaktionen mit den friedfertigen Bewohnern gut eingefangen. Manche wollen nur ein bestimmtes Foto von euch sehen. Mit der Spielwährung Konfetti kauft ihr entsprechende Filter und Objektive für eure Kamera und freut euch über deren nette Gyroskopsteuerung. Anderen Charakteren wiederum fehlen bestimmte Gegenstände oder Körperteile, die ihr dann 'besorgen' müsst. In dem Fall wechselt die Ansicht auf eine Bastelmatte, über der verschiedene Bögen Tonpapier liegen. Sucht euch die gewünschte Farbe aus, malt mit dem Finger den Gegenstand eurer Wahl und drückt auf das Scherensymbol, um ihn aus dem Blatt auszuschneiden. Dem Eichhörnchenkönig gab ich so seine Krone zurück und einem Warnplakat verpasste ich böse Augen. Die Resultate sind nie so exakt, als hätte man sie mit einem Stylus vorgezeichnet. Und doch passt es doch zum alles andere als auf Symmetrie bedachten Stil der Welt von Tearaway.

Auch Iotas Aussehen gestaltet ihr nach eigenem Gefallen.

Wundervoll ist auch ein Feature, mit dem ihr die Figuren des Spiels selbst nachbauen könnt. Entdeckt ihr in der Landschaft ein Objekt oder 'Lebewesen', das komplett aus weißem Papier besteht, gebt ihr ihm mit einem Foto eurer magischen Kamera seine Farbe zurück. Als Belohnung bekommt ihr über das Menü einen URL unter der ihr euch ein Schnittmuster für das entsprechende Figürchen herunterladen könnt. Mich würde nicht wundern, wenn in einigen Kindergärten bald das eine oder andere würfelige Media Molecule Eichhorn zu finden wäre. Der Sammeltrieb dieser Fotosafari ist auf jeden Fall enorm.

Über den etwas zu gleichförmigen Kämpfen und der fabelhaft umgesetzten Welt steht vor allem die Erkenntnis, wie mächtig Media Molecule einmal mehr den Gute-Laune-Hammer schwingt. Wehrlos erliegt man dem Charme dieser nach Sackboy zweiten echten Ikone des Studios und erkennt: Iota wertet seine Plattform in einem ähnlichen Maße auf, wie es 2008 die Jute-Männchen taten. Es ist ein Spiel, das Barrieren bricht und Herzen schmilzt und hinter jeder Ecke aufs Neue überrascht. In Stil und Ton über jeden Zweifel erhaben, ist es auch technisch ein echtes Kleinod: Ein Spiel, das niemals alt werden und wie Nintendos Wind Waker auch zwei Konsolengenerationen später noch fantastisch aussehen wird.

Natürlich ist Tearaways Tiefgang wie auch im Rest von Media Moleculs Werk weniger spielerischer als emotionaler Natur. Wer jedoch nur einen Blick auf das unendliche Grinsen oben am Firmament dieser fransigen, vollfarbenen Welt wirft, der weiß, was am Ende wichtiger ist.

9 / 10

In unserer Test-Philosophie findest du mehr darüber, wie wir testen.

In diesem artikel

Tearaway

PlayStation Vita

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Über den Autor
Alexander Bohn-Elias Avatar

Alexander Bohn-Elias

Stellv. Chefredakteur

Alex schreibt seit über 20 Jahren über Spiele und war von Beginn an bei Eurogamer.de dabei. Er mag Highsmith-Romane, seinen Amiga 1200 und Tier-Dokus ohne Vögel.

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