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Silence: The Whispered World 2 - Die Technik der Adventure-Hoffnung unter der Lupe

3D or not 3D? Wir fragen, Lead Designer Marco Hüllen antwortet.

Dass Daedalic irgendwann mal einen Nachfolger zu The Whispered World, ihrem fantasievollen und eigenständigen Hingucker von 2009, machen würde, ist im Grunde keine große Überraschung. Trotz einiger nicht vollends logischer Rätsel (Sidekick Spot in die glühende Presse stecken? Danke, nein!) und eines Endes, das den Spieler nur scheinbar vor die Wahl stellte, sich dann aber doch nicht traute, ist es für viele bis heute das Vorzeige-Adventure aus Deutschland. Es ist technisch weit ausgereifter als Edna und inhaltlich weniger den Lucas-Arts-Vorreitern verschrieben als Deponia. Kurzum: Es hatte eine Identität, bergeweise eigenen Charakter und war gerade deshalb so liebenswürdig.

Wie gesagt: Es überrascht nicht, dass Daedalic da weitermachen will, wo es mit Sadwicks Abenteuer aufgehört hat. Allerdings war das, was die Hamburger um Autor und Lead-Designer Marco Hüllen Mitte Dezember als Silence: The Whispered World 2 in einem stimmungsvollen Trailer präsentierten, nicht das, was die Meisten erwartet hatten. Statt des bekannten Zeichentrick-Looks mit melancholischem Studio-Ghibli-Flair gab es düstere, dreidimensional wirkende Bilder, die durch eine fast greifbare Plastizität und moderne Effekte verblüfften. Gleichzeitig hatte man den Eindruck, dass immer noch viel mit Pinsel und Stiften gearbeitet wurde. Übliche 3D-Mätzchen wie Kantenflimmern oder eckige Polygonmodelle waren weit und breit nicht zu sehen. Ein dreidimensionales, interaktives Gemälde? Wie hatten sie das gemacht?

Silence: The Whispered World 2 Teaser - Eins, zwei, Zauberei?

Um das herauszufinden, haben wir nach unserem Besuch beim Entwickler Marco Hüllen mit Fragen gepiesackt. Wie sich herausstellt, heißt das Zauberwort "Camera Projection". Hier wird das gemalte Bild perspektivisch auf eine modellierte Landschaft mit vereinzelten 3D-Elementen projiziert. Leichte laterale und vertikale Bewegungen der Spielkamera verstärken dann den Eindruck der Tiefe. "Zu Zeiten des ersten The Whispered World hatten wir bereits etwas Tiefe über das Parallax-Scrolling in die gemalten Kulissen gebracht", erinnert sich Hüllen. "Jedoch waren wir doch immer stark eingeschränkt, und das Ergebnis waren flache Ebenen, die sich voreinander verschoben." Als Inspiration zum Technikkonzept diente schließlich ein Video, in dem jemand eine Szene aus Monkey Island 2 mit dieser Projektionstechnik zeitgemäße Tiefe verpasste, ohne den Look zu verfälschen. "Ehrlich gesagt habe ich mich immer gefragt, warum das vorher niemand gemacht hat, denn die Technologie ist nicht gerade neu. Allerdings ist es ein Riesenhaufen Arbeit."

Hier die Zusammensetzung einer Szene aus 3D-Modell und handgemaltem Bild. Leichte, handkameraartige Perspektivverschiebungen erledigen den Rest.

Am Anfang war das Wort

Und die beginnt, wie sollte es für ausgemachte Erzähler wie Daedalic auch anders sein, bei der Handlung. "Am Anfang steht immer die Geschichte. Sie gibt vor, was in dem Bild geschieht und welche Atmosphäre es versprühen muss. Danach kommt das Game-Design, bestimmte Objekte, die für das Bild wichtig sind und enthalten sein müssen", beschreibt Hüllen den aufwendigen Prozess. "Sobald diese beiden Punkte erfüllt sind, erstelle ich erste Konzeptgrafiken. Wenn das beste Concept gewählt wurde, fängt die Arbeit erst richtig an. Die Ausarbeitung des Bildes mit jeder Menge Details und Ebenen. Wir müssen genau wissen, welche Ebenen einzeln und welche zusammengefügt vorliegen können, damit der 3D-Grafiker am Ende ein Mesh [ein Gittermodell - Anm. d. Autors] davon erstellen kann." Und das dient dann als Projektionsfläche für die handgemalten Umgebungen.

"Wir versuchen, für Adventures typische Systemanforderungen zu erreichen, sodass Fans des Genres nicht aufrüsten müssen."
- Marco Hüllen, Autor und Lead Designer

"Die neue Technologie gibt uns viele neue Möglichkeiten, von atmosphärischen Kameraperspektiven bis zu großen Actionsequenzen", schwärmt Hüllen. "Außerdem können wir mit Leichtigkeit Blätter wehen oder Nebel vorbeiziehen lassen. Dinge, die wir früher noch Frame für Frame malen mussten." Gleichzeitig soll sich der optische Prunk jedoch kaum auf die Hardware-Anforderungen auswirken. "Wir versuchen, für Adventures typische Systemanforderungen zu erreichen, sodass Fans des Genres nicht aufrüsten müssen und das Spiel trotzdem in voller Pracht genießen können - also auch ohne High-End-Rechner. Mit neuester Hardware gibt es allerdings noch ein paar Effekte mehr."

Wir konnten bereits einige Szenen in Bewegung sehen und müssen gestehen, dass das Erscheinungsbild des neuen Whispered World wahnsinnig faszinierend ist, auch wenn Kamerafahrten in Echtzeit die vorgegaukelte Tiefe schnell entlarven würden. Zu vergleichen ist das mit dreidimensionalen Straßenmalereien, die dann nicht mehr funktionieren, wenn man sich ihnen aus einer anderen Richtung nähert. Doch dieses Problem stellt sich für ein Adventure, in dem sich die Kamera nur bewegt, wann und wohin Daedalic es will, natürlich nicht. Es ist einfach ein blendendes Beispiel cleveren Einsatzes vorhandener Technologie, der durchaus Schule machen könnte.

Noah alias Sadwick auf der Suche nach seiner Schwester.

Insgesamt mag der düstere Ton und der Verzicht auf die für Zeichentrick typischen Konturlinien zwar wie ein Schritt weg von der Vorlage wirken. Aber laut Hüllen hätten die schwarzen Umrandungen zum einen wegen der vorgesehenen Kamerazooms nicht so gut ausgesehen. Und zum anderen geht es dieses Mal um einen sehr realen Krieg, der in der Wirklichkeit des mittlerweile zum Teenager herangewachsenen Sadwick - eigentlich "Noah" - tobt. Es musste also etwas dunkler und unheimlicher zugehen, wollte man die Schwere der Geschichte ansprechend vermitteln. Natürlich geht es auch dieses Mal in die aus dem Vorgänger bekannte Flüsterwelt Silence, denn dorthin gelangt - auf welchem Weg auch immer - seine Schwester Renie, die Noah nun zu retten versucht. Beide Charaktere sind spielbar und versprechen mit ihrem bittersüßen Design ein herzzerreißendes Geschwistermärchen.

"Der Stil hat sich zwar geändert, aber der Geist der alten Bilder und deren Atmosphäre wird im neuen Spiel weiterleben", beschreibt Hüllen den angepeilten Effekt. "Wenn man The Whispered World 1 als spielbaren Zeichentrickfilm betrachten würde, wäre Silence - The Whispered World 2 ein spielbarer Animationsfilm."

Es ist ein spielbarer Animationsfilm, für den ich definitiv Eintritt bezahlen würde. Wie steht es mit euch?

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Alexander Bohn-Elias Avatar
Alexander Bohn-Elias: Alex schreibt seit über 20 Jahren über Spiele und war von Beginn an bei Eurogamer.de dabei. Er mag Highsmith-Romane, seinen Amiga 1200 und Tier-Dokus ohne Vögel.
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Silence

PS4, Xbox One, PC, Mac, Nintendo Switch

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