Wenn du auf einen Link klickst und etwas kaufst, können wir eine kleine Provision erhalten. Zu unseren Richtlinien.

Outlast: Whistleblower - Test

Mit ausgeschlagenen Zähnen ist besser pfeifen.

Eine Handvoll Kanadier wollte, was sich von den Großen heute kaum noch einer traut. Sie legten 2011 ihre guten Jobs nieder, winkten den Thief- und Assassin's-Creed-Postern in den Büros ihrer früheren Arbeitgeber zum Abschied und zogen das Horrorgenre am Schopf aus seiner Triple-A-Totenstarre. Es ist eine ganz eigene, sympathische Erfolgsgeschichte, wie sie nur eine Marktnische schreiben kann, die im Big-Player-Gehege als irrelevante Gewinnzone gilt.

Das unbarmherzige Outlast eichte seinen Rahmen auf eine spezielle Spielergruppe, machte das kleine Studio Red Barrels zum Sieger der Herzen und ist nun Grundlage für den gestern erschienenen Whistleblower-DLC. Um allem, was ich gleich über ihn sagen werde, eine deutliche Einfärbung zu geben: Er bleibt hinter dem Hauptspiel zurück, ist letztlich aber ein guter, unterhaltsamer Zusatz, zumindest soweit dieses Prädikat im Umfeld einer Nervenanstalt voller vernarbter Psychos möglich ist.

Doch das blanke Entsetzen des letzten Septembers, es trägt Kratzer davon.

Das mag an der Darreichung als DLC liegen, der keine Verrenkungen in Richtung eines Schauplatzwechsels oder ähnliches unternimmt. Es ist dieselbe Anstalt mit denselben Gängen und Gittertüren, demselben miefigen Geruch stockfleckiger Matratzen und verdorbenen Fleischs, und obwohl man selbstverständlich andere Ecken besucht - wem fällt das schon auf? Der spielbare Charakter mag ein anderer sein - jener Mann, der in der Hauptgeschichte die alles ins Rollen bringende E-Mail sendet -, aber die Art, wie er dem Geschehen beiwohnt, ist es nicht.

Nach wie vor erkundet ihr die Anstalt mit Blick durch eine Handkamera, durchquert Höfe, Keller und Dächer. Alles wie gehabt.

Den Tippgeber Waylon Park, im Mount Massive Asylum als Software-Entwickler angestellt, zerrt das Spiel aus der sicheren Beobachter- in die bitterböse Opferperspektive. Es drückt ihm eine Kamera in die Hand, denn das ist es, worum es in Outlast nun mal geht, und entzieht ihm sämtliche Macht. In den etwa zwei Stunden, die es bis zum Finale braucht, verabreicht es seine reine, bekannte Essenz in vollen Löffeln, ohne große Wagnisse oder Tonwechsel.

Überspitzt gesagt erlebt man das gleiche Spiel noch einmal, nur aus einem anderen Sichtwinkel, und erfährt beispielsweise, wie die Anstalt überrannt wird von denen, die sämtliche Menschlichkeit auf tragische Weise verloren. Whistleblower fügt dieser Ausartung mit seinen wie selbstverständlich verstreuten Schriftstücken etwas viel Krankeres hinzu: die Gedanken der Verantwortlichen für die menschenverachtenden Experimente, ihre Vertuschungsversuche.

"Ein Schaulaufen der Freaks, voller Abgründe und grauenerregender Bilder."

Dazu verstörende Hinterlassenschaften: Ein verstümmelter männlicher Torso, umoperiert zur Frau, mit angenähten Brüsten, die Imitation einer Geburt, ein Mann steht daneben und umklammert die Hand, beide seit Ewigkeiten tot. Im Radio auf dem Tisch läuft "I Want a Girl" von Harry Von Tilzer und William Dillon aus dem Jahre 1911. Zutiefst empfundene Abscheu. Ich möchte nicht zu sehr ins Detail gehen über die Gegenspieler der Geschichte und vermute, Dr. Trager aus dem Hauptspiel dürfte für die Meisten schwer zu toppen sein, aber seicht ist das hier keinesfalls. Ein Schaulaufen der Freaks, voller Abgründe und grauenerregender Bilder. Sie sind krankhaft in ihrer kaputten Welt verwurzelt, und dies in einer mitunter ekelhaften Intensität zu zeigen, ist die große Leistung der Erweiterung.

Wie im Hauptspiel trefft ihr einige kranke, entgleiste Freaks.

Ich habe in all meinen Jahren viel Splatter-Kram gesehen, aber es „am eigenen Leib" zu erfahren, wie Outlast es andeutet, ist schon was anderes. Manche Szenen gehen fies an die Nieren, im wörtlichen und übertragenen Sinn, und das Spiel suhlt sich richtig in dieser Hilflosigkeit. Besonders zum Ende hin schleppt man sich als Wrack voller Fleischfetzen vorwärts, der Knöchel längst verstaucht, lahmend wie ein angefallenes Tier.

"Man hat viele Abläufe bereits in ähnlicher Form erlebt und begegnet ihnen heute mit mehr Routine."

Spielerisch ist der Whistleblower nahezu identisch und da haben wir auch schon den Grund, warum er für mich eine Stufe unter dem Hauptspiel bleibt. Man hat viele Abläufe bereits in ähnlicher Form erlebt und begegnet ihnen heute mit mehr Routine. Da stecken immer noch genug Kaufgründe für ein verlässliches Unterhosenwaschmittel drin. Von einer zahnlosen Geisterbahn wie Amnesia: A Machine for Pigs sind wir weit, sehr weit entfernt, doch man spürt die Abnutzung langsam.

Ihr schlottert euch durch Gänge bis zu einem Hindernis - fehlender Türschlüssel; offene Gasleitung, die abgedreht werden muss -, besorgt euch genau das auf dem verbliebenen Alternativweg und atmet die schaurige, schneidende Atmosphäre. Der Levelverlauf ist an einigen Ecken gefühlt etwas vertikaler, sodass man öfter nach Vorsprüngen oder Luftschächten zum Hochhieven suchen muss. Hin und wieder übersieht man sie zunächst. Sonst ändert sich nicht viel.

Es geht hin und her, mal mit Schlüssel, mal ohne, verfolgt oder nicht, etwa zwei Stunden lang.

Nach wie vor ist die Flucht vor einem Gift und Galle spuckenden Verfolger unheimlich beklemmend; man rennt einfach und pfeift auf alles, Hauptsache weg und in Sicherheit. Gestaucht in zwei Stunden Spielzeit bedeutet das mehr Trial-and-Error, was schon im Hauptspiel eine kleine Problemzone war. Auch Waylons Martyrium führt während der Hetzjagden regelmäßig in Sackgassen, wo man hilflos von einer chirurgischen Säge zerschnippelt wird. Beim nächsten Mal ist man schlauer, nimmt eine andere Route. Und das ist der Punkt, an dem die Panik zu bröckeln beginnt. War damals schon so, besonders im letzten Drittel, wenn man die Methodik durchschaut hat, und wird heute natürlich nicht besser. Whistleblower erschöpft sich zum Glück nicht endlos darin. Insofern sind zwei Stunden genau die richtige Länge, um ebendiese im negativen Sinn gar nicht erst entstehen zu lassen.

Zum Ende kriecht man vielleicht nicht mehr auf den Fetzen durchgekauten Zahnfleischs, wie es Miles Upshur im Hauptspiel tat, dafür ist der Whistleblower zu vertraut in Ablauf und Gestaltung. Aber auch seine Pein ist eine, der man an einigen Stellen nur sehr hibbelig und mit missmutigem Blick beiwohnen kann, so sehr lässt Red Barrels das Geschehen entgleisen. Es ist ein gutes Zeugnis dafür, wie hart und weitestgehend durchdacht Outlast war. Mehr von dieser Qualität ist sicher keine schlechte Sache, auch wenn die Panik heute weniger stark zubeißt. Ich habe deutlich Schlimmeres erlebt, als dass mich das großartig und besonders in diesem Fall stören würde.

7 / 10

In unserer Test-Philosophie findest du mehr darüber, wie wir testen.

Verwandte Themen
Über den Autor
Sebastian Thor Avatar

Sebastian Thor

Freier Redakteur - Eurogamer.de

Steht auf Bier und Bloodsport. Mag weiche Sofas und verliert sich gern in Gedanken an dies und das. Seit 2014 bei Eurogamer dabei, aktuell als freier Redakteur.

Kommentare