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Nimm lieber einen Klassiker... oder auch nicht: die Gothic-Reihe

Dreimal Ja, einmal 'Höchstens mit 40 Fieber'.

Ach, Gothic *Herzchen*

Keine Spielreihe wird von deutschen Fans so innig geliebt für ihre goldenen Zeiten und so brutal durch den Wolf gedreht fürs Ende derselben. Was leider bis heute anhält. Selbst die Risen-Reihe, immer wieder im romantisierenden Rückblick ausgerufen zum Nachfolger im Geiste, vom selben Entwickler noch dazu, ist kaum mehr als ein herzliches, bemühtes und sehr sympathisches Verglühen dieser alten Stärken.

„Tja, dann nimm halt den Klassiker, spiel Gothic", könnte man sagen und würde auf Anhieb bestimmt viele Unterstützer für diesen Vorschlag finden. Aber kann man diesen rüden, hartknochigen und mitunter umständlichen Kanten heute noch jemandem empfehlen, der damals Besseres zu tun hatte? Schauen wir mal.


Gothic

Gothic hatte eine besondere Malocher-Atmosphäre. Man kam sich vor wie ein kleines Steinchen, nicht wie der große Macker.

Was es mal war: eine bis heute gern vorgezeigte und an der Ehrenwand eingerahmte Momentaufnahme deutscher Rollenspielkunst. Ein Klassiker auf vielen Ebenen, erschaffen aus einer Laune heraus, so vernimmt man es, nicht weil irgendwer etwas am Reißbrett der Marktforschung zusammenfantasierte. Diese Schlitzohrigkeit und Unbekümmertheit merkt man dem Spiel an, das seinen Vibe des Bekannten - Goblins, Magier, Orks und so weiter - zerstreute inmitten einer in den frühen 2000ern Maßstäbe setzenden 3D-Welt. Ein hoher, benommen aus dem Grau herausstarrender Himmel; Waldstücke, die Leichtsinnige ebenso fraßen, wie es die Wölfe darin taten; traurig Wache haltende Turmruinen mit morschen Kisten voller Beute, alles überdacht von einer magischen, niemanden rauslassenden Kuppel. Gothic hatte eine leicht depressive Stimmung und doch ein entscheidendes Fünkchen Hoffnung.

Was noch geht: erstaunlich viel, wenn man Grafik und die Hürden der Steuerung überwunden hat. Ich war überrascht, wie lange das geplante „Mal-eben-für-diesen-Text-hier-Reinschauen" dauerte. Wir schlugen damals bereits die Hände über dem Kopf zusammen angesichts der Steuerung, also will ich nicht wissen, wie es einem kompletten Neuling heutzutage hierbei geht. Der Fluss der Zeit spülte Dinge an, die heute als Standard gelten, und das nicht umsonst. Aber wenn die Handhabung erst mal sitzt, bekommt man ein Rollenspiel, das wusste, wohin es wollte, ohne Umwege. Und diese Richtung ist in Zeiten von Alleskönnern der Marke Two Worlds, Amalur oder Skyrim - eben all der Welten, die alles haben, alles liefern müssen - eine sehr spannende. Hier wird man Zeuge des harten, einfachen Malocherlebens, ist nicht der strahlende Ankömmling, auf den alle warteten, weil er Drachen erschlägt - das erst später - und den Rest eint, sondern jemand mit einem üblen Faustabdruck in der Fresse. Wenn Gothic heute noch eines hat, dann die Nachricht: „Du bist nichts, mein Freund, bis du es dir verdient hast". Leben und Sterben, daraus lernen und besser werden, das war der Kreislauf in der Gefangenenkolonie. Meistens eher Sterben. Es waren gefährliche Zeiten.

Als 3D-Grafik ganz trampelig das Laufen lernte: Gothic hat sich weniger gut gehalten als zeitlosere RPGs wie Baldur's Gate oder Fallout mit ihrem 2D-Artwork.

Was keiner mehr will: diese Steuerung! Jede Interaktion mit der Welt erfordert einen Mausklick plus einen Druck auf die Pfeiltaste. Maussteuerung der Menüs? Nope. Ich erinnere mich ziemlich genau, wie ich damals durch die graue Einöde eierte und nicht mal eine Kiste öffnen oder eine Waffe aufheben konnte. Das Spiel sollte ja sehr verbuggt gewesen sein, hörte man damals - ich glaubte es sofort. Bis mir ein Kumpel sagte, wie das funktioniert. Fühlte sich trotzdem an wie ein Bug, also die gesamte Menüführung und Interaktion.

Unbedarfte Spielbarkeit 2014 jenseits des historischen Interesses: noch immer ganz gut. Natürlich kann man nicht so locker und ohne aneckende Kanten durch die Welt cruisen, wie das in modernen Spielen der Fall ist, aber genau das sollte den Reiz ausmachen für jeden, der so etwas heute vermisst und Gothic damals verpasste. Abgesehen vom Offensichtlichen - der Optik - würde mir wenig einfallen, wieso man jemanden nicht zumindest zum Ausprobieren ermuntern sollte.


Gothic 2

Was es mal war: ein hastig entwickelter Nachfolger, entstanden in gerade mal eineinhalb Jahren. Diese kurze Zeit klingt tragisch, hatte aber nur einen Effekt: Fans bekamen sehr schnell mehr von derselben guten Qualität, keinen krankhaft dahingehusteten zweiten Teil. Das Fundament war das im Vorgänger erprobte, aufgestemmt und erweitert nur an wenigen, sorgfältig ausgewählten Stellen. Es entließ uns aus dem Gefängnis in die Welt da draußen, die im ersten Teil nur erahnbar war. Ein Schritt, bei dem sich Piranha Bytes in viel größerem Rahmen vier Jahre später fast den Hals brechen sollte.

Gehe, wohin du willst - das war schon immer irgendwie das Motto. Nur steckten die Monster in der Wildnis eure Grenzen ab. So frei war das Ganze dann doch nicht.

Was noch geht: Die Spielregeln sind ähnlich und erlauben noch heute Abstecher in mitteleuropäische Fantasy-Gefilde voller Fachwerkbauten und tiefer Wälder. Keiner der beiden Teile ist in seinen Crafting- oder Charaktermöglichkeiten ein protziger, breitschultriger Kerl. Vieles bleibt einfach und geerdet, aber das passt zum Spiel und zieht keine dicke Trennlinie zwischen Spieler und Welt, dem eigentlichen Star der Gothic-Abenteuer. Das Rascheln im Unterholz, während man instinktiv die Waffe zückt, funktioniert immer noch als respekteinflößende Maßnahme. Sucht ihr ein Beispiel für geschickten, kompakten und doch mit sehr vielen Geheimnissen gespickten Aufbau einer Spielwelt ohne kilometerlange Langeweile, hier ist es. Man muss nur mit seinen Möglichkeiten umzugehen wissen.

Was keiner mehr will: Drachen! Damals gut und gern gesehene Gäste, als 3D-Spiele sie langsam mit ordentlichen Details darstellen konnten, heute eher so was wie Kiosksäufer, die man nicht mehr loswird. Dragon's Dogma, Skyrim, Dark Souls, The Witcher, Dragon Age... ja, ich weiß, Drachen ziehen im Zweifelsfall immer, aber bitte nicht mehr zu fest, das haben wir inzwischen hinter uns. Und noch einmal die Steuerung. Sie ist zwar nicht mehr so sperrig wie im Vorgänger, jedoch immer noch weit genug weg von guter Bedienbarkeit. Und die Sichtweite. Damals so unglaublich klar, detailfreudig und gefühlt das Beste, was einem auf 256 MB Arbeitsspeicher aufgerüsteten Rechner passieren konnte, in den Folgejahren bestenfalls eine trübe Suppe. Das waren jetzt sehr technische Dinge. Sorry, denn...

Damals grandios, in den Folgejahren nicht mehr so klasse, heute ein Witz: die Sichtweite und die landschaftlichen Details.

Unbedarfte Spielbarkeit 2014 jenseits des historischen Interesses: immer noch mehr als ordentlich. Wer die Hürden erst mal nimmt, steht vor ganz anderen, und zwar der guten Art: einem Spiel, das euch einen Knüppel in die Hand drückt und dann den zerlumpten Arsch verdrischt, weil es euch ohne Vorwarnung in die Wildnis schubst. Wenn ihr aufsteht, haut es euch gleich noch mal die Beine weg. Die Welt war mit ihrem Schwierigkeitsgrad zu Beginn eine erbarmungslose, voller knurrender Wolfsrudel und anderer, dem reinen Fresstrieb verfallener Monster. Doch es ging noch härter, nämlich in...


Gothic 2: Die Nacht des Raben

Was es mal war: Ein Add-on, das zum kompletten Neustart zwang, war es erst einmal installiert, und das aus dem knurrenden, gefährlichen Wolfsrudel eine jeden Anfänger zerfetzende Horde machte. Durchbeißen mussten nicht nur sie sich, auch als Spieler hatte man es nach dem Neustart hart wie sonst was. Unterm Strich erweiterte Die Nacht des Raben Gothic 2 um neue, recht wild zusammengewürfelt wirkende Gebiete und eine nette Nebenhandlung. Kein Wunder: Piranha Bytes kratzte die letzten nicht benutzten Monster und alles, was sich über die Jahre so ansammelte, von der Platte und presste es in dieses eine Add-on. Danach sollte es nie wieder so sein wie vorher...

DNdR hatte einen brachialen Schwierigkeitsgrad und zwang zum kompletten Neustart von Gothic 2.

Was noch geht: Sehen, versuchen und sterben, das besonders. Wer sich heute Hauptspiel und Erweiterung aus historischem Interesse und vielleicht mit einer von der heutigen Open-World-Auffassung verzerrten Perspektive auf den Rechner schaufelt, muss einiges durchstehen. Gothic war nie das angenehme Nebenbei-Questen oder Sammeln oder so. Es steckte die Grenzen des Spielers immer so ab, dass er respektvoll durch den Wald lief - ging gar nicht anders, so gefährlich war es dort -, sich aber durchschlagen konnte. In den letzten Jahren schaffte das für mich am ehesten noch Dragon's Dogma, nur eben in abgewandelter Form. Hach, wie schwierig es ist, auf etwas zu deuten, ohne genau zu wissen, wohin eigentlich...

Was keiner mehr will: Piraten, davon gab's einfach zu viele und vor allem zu viele schlechte. Bei der steilen Werd-gefälligst-besser-Kurve weigere ich mich, sie hier reinzuschreiben. Das gibt es heute kaum noch, egal ob bei The Elder Scrolls, das den Schrecken seines knüppelharten Einstiegs-Dungeons eintauschte gegen alles andere, oder Risen mit... ach, egal.

Hinzu kamen weitere Landstriche, Höhlen, Sümpfe und so ein Kram.

Unbedarfte Spielbarkeit 2014 jenseits des historischen Interesses: ist unumstößlich an Gothic 2 geknüpft, also wird man hier nichts anderes lesen. Mehr von etwas selbst nach über zehn Jahren so Gutem würde ich definitiv auf die Liste „Du, dann hol dir lieber den Klassiker" setzen.


Gothic 3

Sehen wir mal von dem desolaten Zustand ab, in dem Gothic 3 erschien - das Kampfsystem war Murks.

Was es mal war: einer der skandalösesten Haufen, die jemals jemand in die Spielelandschaft setzte. Bugs und Abstürze fühlten sich wohl darin. Was soll ich hierüber noch erzählen, was andere in den letzten acht Jahren nicht deutlich zorniger und wortgewaltiger taten? OK, ziehen wir die fleckige Unterhose bis unter die Achseln und schauen, was Gothic 3 gut machte. Es umrahmte seine Welt großflächig und gab eurem Handeln genug Platz statt einer engen Reihenfolge. Wer einige Ork-Siedlungen befreite, musste halt damit rechnen, dass in der nächsten keiner mehr ein Wort zu sagen hatte. Man konnte innerhalb der vielen Fraktionen an die Seite gedrängt werden, sich kleinere Handlungsstränge verbauen. Man konnte vom mitteleuropäischen Festland in die Wüste schwimmen und dort in alten Tempeln kramen. Gothic 3 war ein lose zusammengehaltenes Abenteuer, zu lose an manchen Ecken vielleicht, aber es hatte eine Ungezwungenheit, für die ich es trotz aller Fehler und Abstürze mochte. Andere Leute hatten viel mehr Pech. Die mochten es weniger. Zu recht.

Was heute noch geht: all das und wahrscheinlich viel mehr. Viele Fans opferten Jahre, um Gothic 3 in mühsamer Arbeit zu flicken und näher heranzurücken an die Vision, die den Entwicklern damals wohl vorschwebte. Ich habe es seit einigen Monaten wieder auf dem Rechner und starte gelegentlich aus Langeweile eine Runde. Keine ernsthafte mit echtem Ziel vor Augen, ich will das hier nicht noch einmal durchspielen Dafür ist das Kampfsystem trotz Community-Patches zu "meh" und meine Zeit zu begrenzt. Aber es macht regelmäßig für eine Stunde Spaß, durch die Gegend und durch Höhlen zu streifen, ein wenig hier zu schauen und dort. In den letzten acht Jahren hat sich nicht so viel getan, weswegen man Gothic 3 nun als wahnsinnig veraltet bezeichnen könnte. Und verdammt, es ruckelt selbst heute noch ein bisschen beim Sprinten. Erklär' mir das mal einer...

Dafür sieht es heute noch klasse aus. Nur der Kerl mit den schlaksigen Armen hier nicht. Den hab ich nur im falschen Moment erwischt.

Was keiner mehr will: niemals nimmermehr ein in so einem Zustand veröffentlichtes Spiel. Das bis in seine Grundpfeiler angeknackste Kampfsystem. Eine Power-Point-Präsentation als Ende, es sei denn, das Spiel heißt Fallout. Und derart von den eigenen Möglichkeiten unterdrückte Ambitionen, wie es hier der Fall war. Wobei das manchmal besser und sympathischer sein kann als blankpolierte Langeweile.

Unbedarfte Spielbarkeit 2014 jenseits des historischen Interesses: Macht ruhig, und sei es nur, um zu sehen, wie selbstlos das biberfleißige Community-Team das Teil flickte. Gothic 3 ist mit seinen acht Jahren nicht alt, gehört aber dazu. Also ja, probiert es bei früherem Auslassen doch einfach mal. Die Landschaften sind selbst heute noch wunderschön. Scheiße finden kann man es aus den offensichtlichen Gründen immer noch.


Arcania: Gothic 4

Was es mal war: ein Schlag ins Gesicht. Außerdem der Untergang für Jowood und das als Entwickler eingesprungene Studio Spellbound. Es gibt Spiele mit besserer Bilanz. Für alle, die in den letzten Jahren unter einem Stein klebten und meinem Geheule über kantige Welten mit Charakter bis hierher folgten: Arcania hatte nichts davon. Zwar trug es den mit einer Vier verzierten Titel „Gothic" vor sich her wie eine Trophäe, das aber eher aus Verlegenheit. Jowood hatte eben die Rechte für diesen einen Teil und packte sie in den Namen. Dumm gelaufen.

Was heute noch geht: eine Grippe und dazu Arcania, das vielleicht. Wenn man gesundheitlich und geistig zu angeschlagen ist für Höheres, kann dieser Sammeltrott aus Blödsinnsdialogen und -Quests ganz brauchbar sein. Was soll ich sagen, außer „Funktioniert, lässt sich spielen, EXP flutschen, Orks grunzen, tut keinem allzu doll weh"? Es ist auf eine verschrobene Art das Netteste, was mir zu einem landschaftlich sehr reizenden, aber inhaltlich furchtbar schrumpeligen Spiel einfällt.

Jowoods Gothic 4 dagegen... das sah nur klasse aus und hatte sonst nicht viel.

Was heute keiner mehr will: diese Dialoge, das Kampfsystem, die sterilen Städte und Persönlichkeiten. Also all das, was einem Rollenspiel im Übermaß den Atem raubt und in Arcania eben in genau dieser Dosierung vorhanden war. Es ist sehr traurig, das über ein Spiel sagen zu müssen, das nicht nur aufgrund seines jungen Alters kein Klassiker ist.

Unbedarfte Spielbarkeit 2014 jenseits des historischen Interesses: Klar, es ist nur kein besonders gutes oder erlebenswertes Spiel. So gut wie alles aus der Skyrim-Generation unterhält besser.

In diesem artikel

Gothic

Xbox, PC

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Sebastian Thor

Freier Redakteur - Eurogamer.de

Steht auf Bier und Bloodsport. Mag weiche Sofas und verliert sich gern in Gedanken an dies und das. Seit 2014 bei Eurogamer dabei, aktuell als freier Redakteur.
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