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Evolve - Test

Hätte, hätte, Nahrungskette...

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Trotz Schwächen in der Abtastphase: Mit Freunden ist die wilde Schlacht an der Spitze der Nahrungskette immer wieder für eine Runde gut.

Ich weiß jetzt, warum mir bereits in meinem Evolve-Vorabtest vom Veröffentlichungstag der Defend-Modus so ausgezeichnet gefiel: Zwar verkehrt er das Prinzip der Jagd auf ein Monster ins videospielübliche Gegenteil, Menschen halten auf verlorenem Posten dem Ansturm einer blutrünstigen Übermacht stand. Aber er eliminiert jeglichen Leerlauf, der sich schon mal einstellen kann, wenn ein Spieler als Monster seinen Job zuerst zu gut macht und sich dann nicht entscheiden kann, ob er zuerst Frühstück (Medic), Mittagessen (Support), Dinner (Assault) oder Dessert (Trapper) zu sich nehmen soll.

Ich will gar nicht zu viel darüber schwadronieren, ob und wie schlimm es jetzt genau ist, dass der viel beworbene Aspekt der Jagd nicht das absolute Filetstück des Spiels darstellt. Seltsam ist es aber schon, wenn sich in manchen Matches weiterhin ein leichtes Benny-Hill-Syndrom einstellt, bei dem man in Raketenrucksack-Polonaise einem Phantom hinterherjagt, das man im ersten Drittel des Matches mit großer Wahrscheinlichkeit nicht zu sehen bekommt. Nach einer Weile ist man gut genug, in späteren Spielphasen selbst ein flinkes Monster wie den Wraith zwar für den Moment aus den Augen zu verlieren, sich aber nicht komplett abhängen zu lassen. Und so kommt es dann, dass sich einige Matches mutwillig in die Länge ziehen lassen, wenn eine Seite Probleme oder nicht den Willen hat, den Sack zuzumachen.

In den Zeiträumen zwischen den kurzen Scharmützeln, in denen das Monster vor Stufe drei nur versucht, sich wieder abzusetzen, gibt es unterdessen viel Geschleiche (Monster) und Gerenne (Menschlein) um die dem Gegner abgewandte Seite einer Felssäule oder eines Mammutbaumes herum, mehr Geduld forderndes Warten als spannendes Lauern, mehr Gerenne als Gepirsche. Gerade ein Biest wie Wraith - in seinen Fertigkeiten und Bewegungen traumhaft zu spielen - hat schnell genug wieder viele, viele Meter zwischen sich und die Jäger gebracht.

Den maßvollen Grind Evolves halte ich für absolut vertretbar. Das Spiel stellt so sicher, dass die Jäger ihre Rollen auch tatsächlich lernen.

Ergo ist für mich der Jagdmodus nicht immer der spannendste Teil von Evolve, und das fühlt sich irgendwie nicht komplett richtig an - bis es das auf einmal doch tut: wenn ein zuvor mit einem Sender versehenes Tier im Magen des flüchtigen Ungetüms landet, das daraufhin eine ganze Weile durch die Wände hindurchscheint und diese oder ähnliche verräterische Signale zielstrebig zu einigen der explosiveren und spannenderen Kämpfe führen, die ich die letzten zwölf Monate erleben durfte. Dann merkt man, in den robusten Mechanismen stecken so viele waidmännische Nuancen, dass selbst bis dahin verhältnismäßig ereignislose Runden mit hoher Regelmäßigkeit zu einem beachtlich aufgeregten Tauziehen explodieren. Dann ist alles vergeben und vergessen, schließlich heißt das Spiel ja Evolve und nicht Jagdsimulator 2015.

Wer die Beta gespielt hat, kennt das: Auf einmal steht das Match permanent auf der Kippe, jeder muss alles richtig machen, will er nicht auf die ungute Seite dieser Wackelpartie rutschen. Zwischen Sieg und Niederlage liegen oft nur Sekundenentscheidungen, in denen man den falschen Teamkollegen heilte oder im richtigen Moment klug von einer eigentlich sicheren Beute ablässt. In meinen Matches war die Gewinnquote grob 50:50. Ich war sogar überrascht, wie gut einige der späteren Charaktere viele meiner in Alpha und Beta als Monster eingeschliffenen Vermeidetaktiken konterten und wie aufseiten der Jäger die verschiedenen Talentzusammenstellungen die Rollenbilder beeinflussten.

Trapper Abe braucht etwas Zeit, die lokale Fauna zu markieren, was das gesamte Rudel vielleicht zum Anlass nehmen sollte, nicht mehr ganz so sehr vorzupreschen, damit ihr fleißiger Kollege nicht einer Schleichattacke zum Opfer fällt. Als Team ohne Medic Val zu spielen, ist zunächst unglaublich irritierend, weil man sich nicht mehr auf einen rettenden Heilstrahl verlassen kann. Und dann merkt man, wie befreiend es ist, wenn jemand als Lazarus seinen Job gut macht. Denn er kann auch im Angriff noch gut mithelfen, weil er nicht ständig die Medgun bemannen muss und stattdessen auf verlustfreie Wiederbelebung setzt. Es ist ein gutes Regelfundament, das Turtle Rock hier legte und das seit über 40 Stunden vermeidet, dass sich in den Kämpfen eine wie auch immer geartete Langeweile einstellt.

Die Wiederholung des gesamten Matches auf einer Kartenübersicht ist so aufschlussreich wie unterhaltsam.

Man darf zudem nicht den Fehler machen, der einem leicht unterlaufen kann, und Hunt in irgendeiner Art und Weise als zentralen oder gar Hauptmodus von Evolve verstehen. Zwar war es der, der im Vorfeld vornehmlich - wenn nicht sogar ausschließlich - beworben und gezeigt wurde. Tatsächlich gibt es aber noch drei weitere Modi, die bereits erwähnte Verteidigungsvariante ist nur einer davon. Ich verehre fast alle von ihnen mehr als die Jagd, besonders wenn sie der fünf Runden andauernde Evakuierungsmodus entsprechend einer Spielerabstimmung aneinanderreiht. Verteidigung, Nest und Rettung verlangen von beiden Seiten deutlich zielstrebigeres Vorgehen und beugen damit allzu ausufernden Abtastphasen vor. Hier geht es ohne Umschweife ans Eingemachte und man trifft auf engstem (Zeit-)Raum nicht allzu tiefschürfende, aber wichtige Entscheidungen.

Will das Monster in "Nest" eines oder mehrere seiner kostbaren Eier ausbrüten, die die Jäger zerstören müssen? Es bekommt dann zwar einen KI-Kollegen zur Seite gestellt, aber sein Ei geht dadurch verloren. Sollen die Jäger sich trennen, um mehr Eier gleichzeitig bearbeiten zu können? In "Rettung" wird andersherum ein Schuh draus. Hier verarzten die Jäger verletzte Kolonisten und geleiten sie zu einem Evakuierungsteleporter. Auch hier fragt man sich: Lieber zusammen vorgehen oder sich trennen, den Kolonisten Geleitschutz zum Transporter geben, oder sie sich selbst überlassen? Dieser Modus könnte noch ein wenig mehr Balance vertragen, denn gerade als schnelles Monster - Wraith - ist es zu einfach, vor den Jägern bei den gestrandeten Zivilisten zu sein, die dann leichte Beute sind. Ein Patch wird es sicherlich richten.

Und dann ist eben das Prunkstück: Verteidigung. Eine Reihe von Generatoren befeuert Kraftfelder, die den Weg zum nachtankenden Mutterschiff der Kolonisten versperren. Die Jäger müssen die Raumschiff-Tanke eine bestimmte Zeit beschützen, damit der Kreuzer sich aus dem Staub machen kann. Das Monster bekommt in regelmäßigen Abständen zwei Goliaths auf Stufe eins als Creeps an die Seite, die selbsttätig vor allem die Generatoren in Angriff nehmen, während sich der Spieler um automatische Geschütze und Jäger kümmern sollte. Hier kommen die Unterschiede zwischen den Monstern am besten zum Tragen, wenn jedes seine eigene bevorzugte Taktik kennt, um mit den robotischen Kettenmaschinengewehren zu Rande zu kommen und zum Schluss das riesige Raumschiff als fliegende Ruine in die Seite das Planeten stürzen zu sehen.

"Mit jeder Runde des Evakuierungsmodus beeinflusst die siegreiche Partei das Gesicht der folgenden Karte maßgeblich."

Der Defend-Modus hält mich bislang am besten bei Laune.

Mit jeder Runde des Evakuierungsmodus beeinflusst die siegreiche Partei das Gesicht der folgenden Karte maßgeblich. Giftige Dämpfe machen Jägern zu schaffen, manchmal stürzen Satellitenteile tödlich auf die Karte, ein anderes Mal kämpfen NPCs an der Seite der intergalaktischen Großwildenthusiasten. Blockierende Kraftfelder schränken den Bewegungsradius des Monsters ein und zusätzliche automatische Geschütze geben Schützenhilfe. So verändert jede Karten- und Effektkombination ein wenig das Spielerlebnis - und auch, wenn für den Gesamtsieg im Grunde nur zählt, wer die letzte Runde gewinnt, so hat doch der Triumphierende einen deutlich größeren Erfahrungspunktegewinn - und die Gewissheit, dass den Jägern in Runde fünf die Hände so richtig feucht wurden.

Was noch? Nun, muss man bei dieser Sorte Spiel erwähnen, dass es alleine nicht der Rede wert ist und man es unbedingt mit Leuten aus seiner Freundesliste erleben sollte? Falls die nicht ausreichend vorhanden sind: Evolve macht eigentlich einen guten Job darin, alle Spieler so zu erziehen, sich ihrer Rolle gemäß zu verhalten. Findet ihr niemanden, der mit euch redet, wechselt im Matchmaking so lange das Team, bis ihr in einer Runde landet, in der die Leute kommunizieren. Es ist nicht die feine Art, ich weiß, am Ende hat man aber mehr davon.

Darüber hinaus wurde viel über den In-Game-Store mit seinen Mikrotransaktionen gesprochen. Tatsächlich sind diese abseits des Season Pass aber allesamt kosmetischer Natur. Es ist eine Grundsatzfrage, wie sehr einen das stören mag - auch wenn die Preise tatsächlich recht hoch anmuten -, aber sie tangieren auch das Spielerlebnis in keiner Weise. Wie man das findet, soll jeder für sich selbst mit seinem Portemonnaie beantworten. Es ist leicht genug zu ignorieren, da Evolve es einem nicht unter die Nase reibt.

In Sachen Server-Performance und Spielvermittlung gab sich Evolve in unserer Startwoche keine Blöße. Bugs gab es wenige und vor allem keine kritischen.

Ebenso kann man darüber spekulieren, ob das frühe Kommunizieren von DLC-Plänen nicht vielleicht den Eindruck erweckte, von vornherein für 60 Euro nicht das komplette Erlebnis zu erhalten, und dadurch sozusagen den Wert des Produkts indirekt mindert. Tatsächlich ist die Integration der Zusatzinhalte in Evolve aber deutlich inklusiver als in den meisten anderen Online-Spielen, bei denen man häufig genug nicht an Partien teilnehmen kann, weil einem Inhalte fehlen, die ein Teil der Community schon hat. Evolve schließt niemanden aus, die Karten kommen gratis und selbst an der Seite von den DLC-Figuren kann man spielen. Niemand verlangt dafür eine Liebeserklärung an das Konzept DLC. In der Form hier ist es aber eines der entschieden weniger irritierenden.

Was am Ende zählt, ist ohnehin das Spiel. Und das überzeugt in Sachen Technik und mit einem Satz stabiler Beine, die auch die andauernde frühe Ziellosigkeit der Jagd-Matches nicht maßgeblich ins Wanken bringt. Zugegebenermaßen wird Evolve seine Halbwertszeit im Vergleich zu Turtle Rocks Meisterwerk Left 4 Dead wohl deutlich früher erreicht haben. Es fehlt ihm an der Überraschungsdichte von Moment zu Moment, mit der einem das Zombiespiel seinerzeit mit beharrlicher Regelmäßigkeit die eigene Überforderung vor Augen führte. Aber wie will man jemandem ankreiden, dass ihm nicht jedes Mal ein solch zeitloses Spiel gelingt?

In einer zusehends homogenisierten Actionspiellandschaft ist Evolve trotzdem genau zur rechten Zeit am rechten Fleck und steht dort gerade verhältnismäßig alleine da. Ich weiß noch nicht, für wie lange, aber fürs Erste weiche ich nicht von seiner Seite.

In unserer Test-Philosophie findest du mehr darüber, wie wir testen.

In diesem artikel

Evolve

PS4, Xbox One, PC

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Über den Autor
Alexander Bohn-Elias Avatar

Alexander Bohn-Elias

Stellv. Chefredakteur

Alex schreibt seit über 20 Jahren über Spiele und war von Beginn an bei Eurogamer.de dabei. Er mag Highsmith-Romane, seinen Amiga 1200 und Tier-Dokus ohne Vögel.
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