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Fünf Minuten Zeit? Boring Man ist euer Spiel (und kostenlos)!

Strichmännchenkrieg zwischen Genie und Wahnsinn.

Ich habe lange einen Bogen darum gemacht, vor allem auch, weil das Free-to-play-Segment mir irgendwie nicht liegt. Dabei sehe ich natürlich ein, dass die Entwickler mit ihrem Werk Geld verdienen wollen und müssen. Es ist einfach nur so, dass mir der Gedanke gegen den Strich geht, ein User zweiter Klasse zu sein, wenn ich mich nicht an der nach oben offenen Spielökonomie beteilige.

Dieses Gefühl mag sehr wohl eine ganz persönliche, subjektive Abneigung sein. Aber sobald ich mehrere verschiedene Spielwährungen oder -ressourcen sehe, die für Güter unterschiedlicher Klassen ein- und manches Mal sogar hin und her getauscht werden müssen, ist für mich jede durch den kostenlosen Spielzugang gewonnene Direktheit wieder dahin. Ich will in meiner Freizeit nicht alle paar Meter mit der wirtschaftlichen Seite meines Hobbys konfrontiert werden, denn genau dort hört der Spaß für mich wieder auf.

Sieht fürchterlich aus, muss aber so.

Boring Man hebt sich insofern davon ab, dass der Entwickler als - so glaube ich zumindest - einziges Free-to-play-Spiel einen optionalen Komplettkauf anbietet. Nennt sich dann "Premium Edition", kostet 4,99 Euro und wird offenbar vom Ein-Mann-Team Spasman als bloßes Trinkgeld begriffen, das ihr springen lasst, wenn euch die krude 2D-Ballerei gefällt. Zum Dank dafür gibt es alles, was Boring Man - Online Tactical Stickman Combat zu bieten hat: einen goldenen Namen im Leaderboard, nach eigenem Wunsch eingefärbte Kugeln, Text-Chat und Schweif für euren Doppelsprung in eurer persönlichen Lieblingsfarbe, zahlreiche Hüte und Frisuren sowie die doppelte Menge an Loadouts. Zwei neue Emotes komplettieren den DLC, tippt sie ins Chatfenster ein, um eure Gegner zu verhöhnen - sofern ihr lebensmüde genug seid, zwei Sekunden lang die Finger von der Maus zu lassen.

Ein großartiges Modell, das wohl nicht Schule machen wird, wenn man sich anschaut, wie viel Geld die "Whales" genannten Free-to-play-High-Roller in ihre Titel investieren. Spasmans Geste schmälert das dennoch nicht. Guter Mann! Doch was ist dieses Spiel mit dem dämlichsten Namen seit Sticky Balls und Booby Kids eigentlich? Beweisstück A, euer Ehren!

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Kapiert? Boring Man ist eine seitwärts scrollende Arena-Ballerorgie mit über 70 fantastisch umgesetzten Waffen und einer durchaus beachtlichen Spieltiefe - in diesem Fall bitte nicht zu verwechseln mit "Komplexität". Boring Man ist einfach und schnell begriffen, belohnt Übung und Geschick aber dank einer wundervollen Balance und einer tollen Handhabung. Recht schnell ahnt man: Der sparsame Strichmännchen-MS-Paint-Look ist nur zum Teil dem mangelnden Talent Spasmans als Grafiker geschuldet. In erster Linie ist er als Scherz gemeint. Und selbst wenn man mit der Sparoptik nicht warm wird, muss man gestehen, dass es sich anfühlt wie der faszinierende Prototyp eines Unreal Tournament aus der Seitenansicht. Für die paar Minuten, die eine Runde dauert, macht dieses solide Grundgerüst viel süchtiger, als es eigentlich sollte.

Alle paar Augenblicke schaltet man im Lotterieverfahren einen neuen Ballerman frei, spielt damit herum, erfreut sich an den Sounds, unterschiedlichen Bullet-Drops und sekundären Effekten (Rocketjumps!), entdeckt in all dem Pixelgemetzel erstaunlich makabere und detaillierte Sterbeanimationen. Die hohe Frequenz, in der gemordet und gestorben wird, berauscht phasenweise. Immer wieder provoziert es heftiges Gelächter, wenn zum Beispiel ein beengtes Duell in einem Raum mit nur einem Zugang nach langem Abtasten in einer beide Spieler verschlingenden Explosion endet. Wie hier goldblonde Pferdeschwanzperücken oder alberne Hüte im hohen Bogen von Strichmanndickschädeln gesprengt werden, um mit dem Klatschen eines nassen Koteletts eine Etage tiefer im Dreck zu landen, das ist große Klasse.

Hier die Schneemission aus Inception in gut.

Die limitierte Technik vergisst man dabei schon nach wenigen Sekunden, profitiert das Spiel doch von der Klarheit seiner Umgebungen. Doppelsprünge, Wandsprünge, das Rutschen selbige hinab, während man jederzeit frei um 360 Grad mit der Maus zielt - das sorgt für temporeiches Baller-Gameplay, bei dem am Ende zuverlässig stets die besten Spieler in den Top-drei landen. Neben dem normalen Deathmatch gibt es noch die viel gespielte Team-Variante sowie ein spaßiges Capture the Flag. Die anderen, ebenfalls in der Mehrzahl gelungenen Modi werden leider noch zu wenig gespielt.

Macht man selbst einen Server auf, findet man mit ein wenig Geduld aber ebenfalls Mitspieler: Zombrains ist ein Survival-Modus, bei dem Zombie-Opfer auf der Seite der Untoten weiterspielen, Weapons Deal ist an Counter-Strikes Gun Game angelehnt und knüpft Kills und Tode an neue Waffen für euer Loadout. Climb ist als einziges nicht so gut gelungen, weil die engen Todeskorridore dieses Hindernislaufs gegen eine Bewegungssteuerung spielen, von der im Rest des Spiels nicht diese millimetergenaue Präzision gefordert wird. So oder so: Es ist ein rundes Paket, das Spasman hier schnürte.

Hier krabbelt meine zerstückelte obere Hälfte gerade ihrem Tod entgegen.

Aber selbst, wenn man Zeit seines Boring-Man-Lebens nur das offene, chaotische und direkt spaßige Deathmatch spielt, ist dieser Titel den einen oder anderen Liebesbrief wert. Er spielt selbst auf der schrumpeligsten Kartoffel noch in Bestform auf und ist einfach nur herzerfrischend albern. Dass hinter all dem zur Schau getragenen technischen und gestalterischen Dilettantismus ein ernst zu nehmendes Spiel steckt, macht der befriedigende Loop aus "Rennen-Töten-Sterben" klar, der in dieser Sogstärke nur die besten Arenaspiele auszeichnet. Die fantastische Waffenauswahl vom fleischfressenden Plasma über einen Uralt-Karabiner, den man erst nachladen kann, wenn mit einem lauten "Pling" der Clip ausgeworfen wird, bis hin zur Giftspritze, die lautstarkes Übergeben auslöst, erzeugt ein nicht zu verachtendes Suchtverhalten. Jeder einzelne Todbringer ist so gut oder zumindest witzig, dass es sich lohnt, ihn einem ausgiebigen Testlauf zu unterziehen.

In Boring Man wechseln sich unübersichtliche Massenschießereien und -sprengungen auf offenem Feld mit intim-verbissenen Zweikämpfen auf wenigen Quadratmetern so fließend ab, dass dieses selbstbewusst-hässliche Entlein überraschend lange frisch bleibt. Nichts, aber auch gar nichts an Boring Man ist langweilig. Und obwohl der Name dämlich ist, diese offenherzige Selbstironie ist in jedem Fall sympathisch. Probiert es aus. Kostet ja nichts.

Über den Autor
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Alexander Bohn-Elias

Stellv. Chefredakteur

Alex schreibt seit über 20 Jahren über Spiele und war von Beginn an bei Eurogamer.de dabei. Er mag Highsmith-Romane, seinen Amiga 1200 und Tier-Dokus ohne Vögel.

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