Skip to main content
Wenn du auf einen Link klickst und etwas kaufst, können wir eine kleine Provision erhalten. Zu unseren Richtlinien.

Metal Gear Solid 5: The Phantom Pain - Test

Das wird jetzt eine Weile wehtun.

Eurogamer.de - Herausragend Badge
Irrsinnig groß, verspielt und endlos motivierend, findet Hideo Kojimas bestes Metal Gear all die richtigen Worte für das Ende einer Ära.

Normalerweise ist ja schon das Warten auf den Veröffentlichungstag hart genug. Wie oft hat man das schon mitgemacht? Da kaut man sich seit Jahren wegen eines Spieles die Fingernägel kurz, dann wird's verschoben, kurz vor Release hat der Versandhandel Lieferschwierigkeiten und am Ende geht's auf dem Postweg verloren. Jeder Tag, bevor es endlich eintrifft, ist länger als der davor. Murphys Gesetz scheint bei Spielen wie diesen besonders unbarmherzig zuzuschlagen. Viele von euch haben das dieser Tage mitgemacht, da bin ich sicher.

Diese Sorte vorauseilende Entzugserscheinungen begleitet jeden von uns, seit er sein Herz an das Videospielen verlor. Es sagt viel über Metal Gear Solid 5, dass ich mich in der vergangenen Woche im Endstadium dieses Leidens befand - und das, obwohl ich auf Konamis Review-Event vom 17. Bis zum 20 August bereits praktisch das komplette Spiel gesehen hatte. Nervös rutschte ich die Tage seither auf meinem Stuhl umher, wälzte wieder und wieder die Hintergrundgeschichte dieses Universums, spielte noch mal in die Vorgänger rein und versuchte auch sonst eher verkrampft, mir die Zeit zu vertreiben, bis ich das alles noch einmal von vorne spielen durfte.

Jede Heimkehr zur Mother Base fühlt sich auch wie eine an. Leider sind die Server des Online-Modus noch nicht auf der Höhe, weshalb wir euch darüber erst später aufklären können.

Ich wusste nach jener Testwoche schon, dass mir das Spiel gefiel, sehr sogar, weshalb unser Vorab-Erfahrungsbericht zu Metal Gear Solid 5: the Phantom Pain von letzter Woche in Sachen Spielerischem Gültigkeit behält und durchaus als Begleittext zu dieser abschließenden, aber konziser gefassten Kritik zu verstehen ist. Was ich da aber noch nicht wusste: Ich war dem Spiel eigentlich schon komplett verfallen. Und da kannte ich das wundervolle Ende der Geschichte noch gar nicht, das an 28 Jahre Spielegeschichte eines der schönsten Schleifchen macht, das man je sah, noch dazu auf eine Art, die so niemand erwarten konnte.

Das beginnt und endet nach über 40 Stunden damit, dass das eigentliche Spiel unübersehbar die erste Geige spielt. Nie waren die Zwischensequenzen in einem MGS kürzer und seltener, mit dem Resultat, dass Kojima sein beachtliches kreatives Talent umso mehr in die interaktive Seite investierte. Er beherrschte es schon immer, unzählige nicht gerade übliche, teilweise sogar visionäre Mechanismen auf engem Spielraum zu verdichten. Man erinnere sich nur an die mannigfaltigen Möglichkeiten, die sich schon 2001 alleine auf dem Tanker von MGS2 boten. All die Interaktionen mit Gegnern oder der Umgebung, die nicht durchweg sinnig waren, diesen Orten aber eine Identität verliehen. Die Spielwiese von MGS5 ist um ein Vielfaches größer, aber durch die Mother-Base und eine kluge Spielstruktur dichter miteinander verzahnt als in vergleichbaren Spielen, um einen Loop aus Missionen, Ressourcenbeschaffung und Basenmanagement zu schaffen, der einen auch nach dem Ende nicht loslässt.

Wenn alle Stricke reißen, funktioniert The Phantom Pain auch als Actionspiel ausgezeichnet.

Es gibt so viele Kleinigkeiten, die einem das Spiel nicht auf die Nase bindet. Von speziellen Kassetten, die man finden und dann über die Lautsprecher seines iDroid abspielen kann und die gewisse Effekte erzielen, über Pin-up-Poster, die man an Pappkartons klebt, um feindliche Wachen in Sicherheit zu wiegen, bis hin zur "Hubschraubermusik", die zum Einsatz kommt, wenn man die entsprechenden Helikopter-Lautsprecher erforscht hat. Stellt euch nur vor: Eine stark befestigte sowjetische Stellung, schwer gepanzerte Gegner, alle schießen auf euch. Ihr müsst Luftunterstützung anfordern und seht nach einer halben Minute den Hubschrauber Pequod über den Hügelkamm schrubbern - mit Europes "The Final Countdown" aus schreienden Lautsprechern und gleißenden Raketensalven aus qualmenden Mündungsrohren.

Mit jeder neuen Technologie, die ihr erforscht, verbreitert sich die Bandbreite eurer Möglichkeiten in einem Maße, das ihr oft erst erfasst, wenn ihr sie dann endlich ausprobiert. Und bei der Menge an Dingen, die es freizuschalten und entdecken gibt, wird das eine ganze Weile dauern. Eine unerhört unterhaltsame, auf vertraute Art verspielte Weile, in der ihr alles per Frachtballon zur Basis zurückschickt, was nicht niet- und nagelfest ist. Schafe, Geier, Mörserstellungen, MGs, Jeeps, Laster und schließlich sogar Panzer. Besonders Letzteres ist jedes Mal ein Triumph, nicht nur, weil man eine tonnenschwere Gefahr samt hochrangigem Fahrer aus dem Einsatzgebiet entfernt hat, sondern weil das Kampfgerät auf der Mutterbasis gut aufgehoben ist. Von hier aus entsendet ihr es zusammen mit eurem Kampftrupp auf "externe Aufträge" (man denke an Assassin's Creed Brotherhood) oder lasst es euch per Frachtabwurf in eine besonders knifflige Mission werfen. Unkompliziert und On-the-fly.

Ich weiß, ich weiß, ich soll eigentlich nur die Basis infiltrieren. Mich interessiert aber viel eher, wie ich diese Ohrengeier auf meine Mother Base bekomme.

Dazu eine Reihe grundverschiedener Begleiter, die jeweils ihre eigenen Einsatzgebiete haben und durch ungezählte Anpassungsmöglichkeiten je eine andere Spielweise stützen. In Phantom Pain fühlt man sich tatsächlich als der legendäre Soldat, von dessen Genie seit 28 Jahren alle reden. Und tatsächlich weiß auch dessen Stealth-Repertoire mehr als nur zu überzeugen. Im direkten Vergleich mit Ground Zeroes sind die Übergänge zwischen den Fortbewegungsarten noch einmal deutlich eleganter und feinfühliger. Wenn man sich wie in einer taktischeren Far-Cry-Variante durch ein zuvor ausgespähtes Lager schleicht, sitzt jeder Schritt, jeder Sprung, mit dem Gesicht zuerst in den Dreck, um gerade noch aus dem Sichtfeld einer überraschend auftauchenden Wache zu entkommen, fühlt sich kraftvoll und überlegt an. Jede Beinahe-Entdeckung, wenn man an einem kritischen Punkt in der Mission in einem notdürftigen Versteck den Controller fester greift und im Kopf gestresst die Möglichkeiten von Täuschung über Flucht bis hin zu den diversen gewalthaltigen Maßnahmen durchgeht, ist aufs Neue ein kleiner Höhepunkt.

Der Preis für die offene Welt war freilich, dass sich im Gegensatz zu den größeren Anlagen und Außenposten, die durch ungezählte denkbare Lösungsansätze glänzen, nicht jeder aus zwei Zelten und einem Turm bestehende Kontrollposten an einer staubigen afghanischen Canyonstraße wie ein handgemachter Level anfühlt. Und hier und da ist der Ablauf nicht ganz selbstsicher gewählt, denn die Unterteilung in Haupt- und Nebenmissionen ist bisweilen sehr eigen. Gut die Hälfte der sogenannten "Hauptmissionen" zwischen Nummer 33 und 50 bestehen aus besonders harten und noch dazu optionalen Remixes bereits gespielter Episoden, während einige "Nebenoperationen" verpflichtend sind oder einem zumindest wichtige Spielaspekte durch die Lappen gehen, wenn man sie nicht in Angriff nimmt. Das ist nicht per se schlecht, aber doch ein wenig seltsam.

Ja. Wirklich. Die PC-Version ist übrigens außerordentlich gut gelungen und läuft auf meinem i5 3570K mit Geforce 980 im DSR-Modus (2715x1527) mit 60 Bildern pro Sekunde.

Die letzte Woche noch als potenzielles Problem identifizierte schmal abgesteckte Bandbreite an Missionstypen fiel mir im zweiten Durchgang nicht noch einmal auf. Durch all die Rettungen, Eliminierungen und Suchaktionen hindurch mögen die Ziele zwar die gleichen geblieben sein, die Art, wie man sie angeht, wann und unter welchen Wetterbedingungen, war es aber nie. Jedwedes Gefühl von Wiederholung wird unter unendlichen taktischen Möglichkeiten begraben, die auszuprobieren eine wahre Freude ist. Alle Nase lang schafft man seine eigenen Höhepunkte, in Augenblicken spontanen Genies oder irrsinniger rettender Zufälle oder Momenten, in denen man das erste Mal etwas ausprobiert, das einen anderen (Neben-)Effekt hatte, als man zunächst dachte.

Womit wir wieder bei der wichtigsten Frage wären - der, die uns letzte Woche Montag noch davon abhielt, ein abschließendes Urteil zu fällen, wie passt The Phantom Pain als letztes Kojima-MGS in den großen Kanon, welche Art von Brücke schlägt es zu Solid Snakes Geschichte? Fakt ist, Kojima hält sich der Erzählung in der ersten Hälfte oft zurück, vielleicht zu oft, und langweilt mit den gröbsten Zügen der Haupthandlung von Big Boss' Rache an Skull Face beinahe sogar. Ich hätte zudem auf die etwas schmierige Waifu-Köderei verzichten können, die ein so cooler Charakter wie Quiet gar nicht nötig gehabt hätte. Und auch die Faszination gewisser befreundeter Figuren für Folter ist ein Element, das ich nur schwer ertrage. Aber - und das ist wichtig - auf der Meta-Ebene entfaltet The Phantom Pain selbst in der redefaulen Darbietung Big Bosses eine unglaublich starke Wirkung. Alles an der Geschichte und dem Spiel dazu, alles an der Art, wie sich Kojima zurücknimmt, gegen seinen Typ gestaltet und strukturiert - es schreit einfach: Hier geht es nicht um mich und mein letztes Metal Gear, sondern um unseres.

Skull Face' Geschichte bleibt über die gesamte Spiel hinweg etwas blass.

Im Gegensatz zu MGS 4, das jedermann eine befriedigende Antwort auf alle Fragen liefern wollte, und dabei fast streberhaft übers Ziel hinausschoss, beweist The Phantom Pain Mut zur Lücke oder viel mehr "Unschärfe". Das dürfte einige Spieler gegen den Strich bürsten und das ist schade. Eigentlich sie sollten sie sich geschmeichelt fühlen. Wie Kojima seine beachtlichen Mittel aus dem Werkzeugkoffer mit der Aufschrift "Genie und allgemeiner Wahnsinn" ausgerechnet dazu einsetzt, sein Ego zurückzufahren, um seinen Verehrern einen geradezu poetischen letzten Salut zu schicken - das ist vielleicht der größte, rührendste Coup einer langen, denkwürdigen Laufbahn.

Es ist komisch, aber dass das Spiel dazu noch der verquere, endlose, alberne, aufrichtige Knaller des Jahres ist, ist da fast nur die Kirsche oben drauf.


Solltet ihr MGS5: The Phantom Pain bereits spielen und Hilfe benötigen, oder seid ihr einfach nur neugierig auf Geheimnisse und versteckte Features, werft doch einen Blick in unsere Metal Gear Solid 5: The Phantom Pain - Komplettlösung.

In unserer Test-Philosophie findest du mehr darüber, wie wir testen.

In diesem artikel
Verwandte Themen
Über den Autor
Alexander Bohn-Elias Avatar

Alexander Bohn-Elias

Stellv. Chefredakteur

Alex schreibt seit über 20 Jahren über Spiele und war von Beginn an bei Eurogamer.de dabei. Er mag Highsmith-Romane, seinen Amiga 1200 und Tier-Dokus ohne Vögel.
Kommentare