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Die Story von Metal Gear Solid 5 ist nicht gut - aber das ist okay...

Wenn der Gruß zum Abschied wichtiger ist als eine Geschichte, an der fast 30 Jahre geschrieben wurde.

Wer Metal Gear Solid 5 noch nicht beendet hat, sollte von einer Lektüre dieses Kommentars absehen. Ich werde gute 1000 Worte über das Ende und seine Bedeutung sprechen, weshalb nur diejenigen weiterlesen sollten, die sich hier und heute spoilern lassen wollen. Sucht ihr unseren Test zu Metal Gear Solid 5: The Phantom Pain, klickt ihr auf den Link.

Nun... mh... also... tja... hng... - das wird wohl der Gedankengang gewesen sein, der vielen ungelenk durch den Kopf purzelte, die The Phantom Pains sagenumwobene 46. Mission erlebten. Es ist ein Twist, wie ihn wohl nur Kojima wagt. In einer Neuauflage des Prologs erfahren wir, dass wir seit gut 60 Stunden nicht Big Boss spielten, sondern nur einen engen Vertrauten, der sich durch Suggestion und Hypnose für den legendären Helden hält. In Wirklichkeit ist man nur ein Doppelgänger, wie ihn sich gewisse Diktatoren so gerne halten, eine gewaltige Zielscheibe für diejenigen, die den echten Boss tot sehen wollen.

Wir wissen seit dem zweiten Teil, dass Hideo Kojima keine Probleme damit hat, Hauptfiguren auszutauschen, egal wie groß der Shitstorm der Fangemeinde zunächst sein dürfte. Mit ein paar Jahren Abstand hat man für derartige erzählerische Finten nur noch Verehrung übrig. Es braucht Mumm, Durchsetzungsvermögen und eine unumstößliche Vision.

Das Problem mit MGS 5 jedoch ist, dass es sich im Gegensatz zum zweiten Teil nicht in den Dienst eines klugen, wenn auch etwas wirren Meta-Kommentars über Videospiele an sich stellt. Niemand wird seitenlange Abhandlungen über die Bedeutung dieser Narrative verfassen, sie bis in ihre Einzelteile auf geheime Botschaften zerrupfen, die dem großen Ganzen im Nachhinein noch mehr Gewicht verleihen.

Auf der anderen Seite schlägt MGS 5 noch nicht einmal den entscheidenden Bogen zwischen Big Boss' und Solid Snakes Geschichte. Eine Andeutung in der finalen Filmsequenz ist nicht genug, um die Transformation des legendären Soldaten zur Dauer-Nemesis in Gänze zu vollziehen, und nicht wenige sehen genau darin das zentrale Versagen von Hideo Kojimas letztem Metal Gear. Und erst, wie dieser Twist überhaupt dargereicht wird. Er wird vom Spieler nicht verdient, es ist keine Erkenntnis, die die Hauptfigur im Rahmen einer Mission ereilt. Sicher, es gibt schon früh einige Hinweise darauf, dass das Spiel vor den Augen des Rezipienten eine Helden-Rochade vollführt: das bandagierte Original im Krankenhaus, die "Big-Boss-Blumen" am Bett neben eurem. Millers Probleme, Snake auf den ersten Blick zu erkennen, und schließlich der negative DNA-Abgleich mit Liquid Puberty.

Überhaupt ist es ein Spiel über Identität im Großen wie im Kleinen. Aber es ist eben alles auch Stückwerk, wie man es von Kojima sonst nicht oder zumindest nicht in dem Ausmaß gewohnt ist. Die sehr standardmäßige Bedrohung durch eine Biowaffe. Die ebenso generische Abwicklung eines Bösewichts, der mehr schlecht als recht retroaktiv in die Fiktion integriert wurde. Die Missionsaufgüsse in Kapitel 2. Dazu ein seltsam unbeteiligter, stummer Venom Snake und wilde, unangekündigte Wechsel in der Marschrichtung in Bezug auf die Behandlung gewisser Gäste auf Mother Base.

Der groß aufgebauschte Konflikt zwischen diesen beiden verläuft leider flach und einseitig.

Und dann, sobald eine Reihe Voraussetzungen erfüllt wurde, erscheint ein kläglicherweise fast ungekürzter Flashback der ohnehin nicht gerade spannenden Krankenhaussequenz (mitsamt Tutorial-Tastenerklärungen!) als "Mission 46: Wahrheit" im Menü. Dass direkt im Anschluss eine kurze Zwischensequenz das Schleifchen an die Handlung machen will, als Big Boss den Gehörnten mittels einer Tonbandaufzeichnung aufklärt, ist zwar eine Überraschung, bringt aber die Serie im Ganzen nicht wirklich zusammen.

Und doch ist genau das ein großer Moment der Spielgeschichte, denn man muss ihn im Kontext der Entwicklung betrachten. Es ist die Stelle, an der man merkt, wie "meta" diese eigentlich so geradlinige und schlimmstenfalls sogar ein bisschen langweilig aufgezogene Geschichte eben doch ist. Der scheidende Meister stellt die Vollendung einer Erzählung, an der er seit 28 Jahren schreibt, einem anderen Bedürfnis hintenan: sich von seinen Fans und Wegbegleitern zu verabschieden. Denkt mal so darüber nach: Es ist nicht Big Boss, der am Ende durch den Spiegel mit Venom Snake spricht, sondern Kojima, der durch die Mattscheibe direkt den Spieler adressiert.

"Erinnerst Du dich jetzt, wer Du bist, was Du tun sollst? Ich bin dank Dir dem Tod von der Schippe gesprungen. Und dank Dir habe ich meine Spur hinterlassen. Auch Du hast das. Du hast Deine eigene Geschichte geschrieben, bist Dein eigener Mann. Ich bin Big Boss, und Du bist es auch. Nein, er ist wir beide zusammen. Wo wir heute stehen, wir haben es zusammen aufgebaut. Diese Geschichte, diese Legende. Sie gehört uns." Es ist unmöglich, diese Worte vor dem Hintergrund des Rauswurfs Kojimas anders zu verstehen als einen direkten Schulterschluss des Designers mit den Leuten, denen er seinen Erfolg zu verdanken hat. Mehr noch. "Wir können die Welt verändern und damit die Zukunft. Ich bin Du und Du bist ich. Trage dies mit Dir, wohin auch immer Du gehst. Danke, mein Freund."

Hier im Bild: Hideo Kojima, du und ich.

All das, perfekt vorgetragen von einem Kiefer Sutherland, dessen Verpflichtung man in diesem Moment erst zum zweiten Mal in 60 Stunden gut nachvollziehen kann, vor einem Spiegel, in dem sich hörbar Solid Snakes Angriff auf Outer Heaven ("Operation Intrude N313") abspielt und sich Big Boss' Wandlung zum "Dämon" bereits vollzogen hat. Doch wir, als Snake, zerschlagen den Spiegel, diese Zukunft, machen kehrt und spazieren stattdessen in den Nebel eines ungewissen Schicksals. Ich gehe nicht so weit, das als Aufruf zum Boykott kommender MGS-Entwicklungen ohne Kojima zu interpretieren, aber das Bild ist nach dieser direkten Ansprache schon ein sehr starkes. Manche mögen das anbiedernd finden, gefährlich sentimental vielleicht sogar. Und es ist in jedem Fall ein Ende, das so große Aktualität besitzt, dass es die Zeit vermutlich nicht überdauern, nicht auf ewig die Diskussion bestimmen wird, wenn man über die Serie spricht.

Aber in der übergeordneten Dramaturgie dieses Universums nimmt es dadurch einen Platz ein, der ihm durch bloßes Füllen der Lücken auf dem Kalender dieses Kanons verwehrt geblieben wäre. Begreift man MGS 5 - dieses brillante, riesige, spannende und so wahnsinnig spielfreudige Erlebnis - als den schönsten Bogen Briefpapier, auf dem Kojima seinen Fans einen letzten Gruß zukommen ließ, dann ist klar, man wurde Zeuge von etwas ganz Großem.

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Alexander Bohn-Elias

Stellv. Chefredakteur

Alex schreibt seit über 20 Jahren über Spiele und war von Beginn an bei Eurogamer.de dabei. Er mag Highsmith-Romane, seinen Amiga 1200 und Tier-Dokus ohne Vögel.

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