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Modern Warfare Remastered: Die Zeit macht auch vor den Größten nicht halt

Trotzdem schlägt sich die Kampagne immer noch ausgezeichnet - wenn man sie vertragen kann.

Was war das ein wichtiges Spiel damals. Die schockierende Inszenierung des Kämpfens und Sterbens in modernen Konflikten, das rücksichtslose Wegholzen von Spielercharakteren und eine bedauernswert zeitlose Bildsprache machten Modern Warfare auch abseits der Neuerungen im Multiplayer-Bereich zu dem "Leider-geil"-Spiel des Jahres 2007. Nun ist eines der wichtigsten Actionspiele der vergangenen Generation bald in einem Remaster erhältlich - vorerst nur für Vorbesteller von Infinite Warfare - und ich sitze immer noch mit demselben schräg verzogenen Mund bizarr fasziniert und gleichzeitig schockiert vor der Glotze.

Dass dieses Spiel immer noch funktioniert, ist keine Selbstverständlichkeit. Die Zeit ist definitiv nicht stehen geblieben und das merkt man dieser optisch aufpolierten, spielerisch aber originalgetreuen Politur des Originals deutlich an. Zudem wirft man hier im Nahen Osten schwerstes Geschütz in den Konflikt mit einem Despoten namens "Al Asad" (hier nur ein "s", aber trotzdem...), was die Fiktion unbequem nah an der Realität entlangschrappen lässt. Ich bin nicht sicher, ob sich Infinity Ward für diese von der Geschichte nachgereichte tragische Aktualität nicht sogar auf die Schulter klopfen würde. Einem Studio, das thematisch gerne aneckte, ist das zuzutrauen.

Die technische Politur geht weit über eine erhöhte Auflösung hinaus (2:00).Auf YouTube ansehen

Aber mit oder ohne Nähe zu aktuellen Ereignissen: Krieg ist nun mal nicht schön und Infinity Ward ließ daran trotz all des "Oorah", Bummbumm und der Michael-Bay-Präsentation keinerlei Zweifel aufkommen. Modern Warfare verharmlost in der Regel nicht, traut sich zum Beispiel, schon in der ersten Mission, schlafenden und damit wehrlosen Feinden das Licht auszuknipsen. Gnadenlos, abstoßend. Aber niemals beschönigend. Man muss das nicht gut finden, und das Spiel weiß und versteht das. Zu keiner Sekunde biedert es sich in irgendeiner Weise Andersdenkenden an oder bettelt um Verständnis für das Gezeigte. Es ist nicht mehr um Rechtfertigungen bemüht, als es die Dramaturgie erfordert. Das kann man ihm als Kaltschnäuzigkeit und Militarismus auslegen oder als das nehmen, was es ist - schiere, manchmal plumpe, meistens aber entwaffnende Ehrlichkeit über die Gräuel, die tagtäglich stattfinden.

Ich weiß nicht einmal genau, welche Feinheiten dafür verantwortlich waren, dass das erste Modern Warfare so hervorsticht. Aber so stand ich nie wieder zu einem Call of Duty, auch nicht zu einem anderen Shooter, der in Szenario und Thema um annähernde Authentizität bemüht war. Der Wille, das Publikum zu schockieren, nahm in den folgenden Teilen skurrile Züge an ("No Russian"). Und mehr als einmal kippte auch Infinity Ward bei seinem Balanceakt zwischen Demaskierung bewaffneter Konflikte und ihrer Romantisierung auf die verklärte Seite, wenn sie Krieg auf einmal so inszenierten, wie ihn sich 19-jährige College Kids vorstellten, die ihn nur aus Computerspielen kannten. Vieles grenzte an eine versehentliche Parodie des ersten Modern Warfare, das folglich das erste und beste seiner Unterart blieb.

Schon damals wurde einem bei der Tod-von-oben-Mission ein bisschen anders. Gerade, weil man aus der Ferne auf den Knopf drückte.

So oder so: Diese Kampagne hat in den Herzen vieler Shooter-Spieler einen besonderen Platz und daran ändert auch nichts, dass sie trotz vieler aktueller Grafikeffekte spürbare neun Jahre auf dem Buckel hat. Dieses Spiel stammt nun mal aus einer Zeit, in der augenscheinliche Alternativrouten grundsätzlich in tödlichen Sackgassen mit spontanem Gegnerdurchfall oder an unsichtbaren Wänden endeten. Heute ist an derartigen Stellen selbst in linearen Titeln dieser Art meist die eine oder andere Flankiermöglichkeit oder sogar Alternativroute gegeben. Nie betritt man einen neuen, durch eine Tür oder sonstiges Hindernis verschlossenen Raum, ohne dass ihn nicht NPCs für einen öffneten. Und selbstverständlich steht man ihnen oft genug an Stellen, an denen das Spielskript einsetzt, im Weg und wird dann von ihnen stoisch aus dem Weg geschoben. Zudem bleibt man trotz prinzipiell vorbildlicher Steuerung noch häufig an Kanten von Umgebungsobjekten hängen.

Und doch funktioniert das Meiste einfach noch ausgezeichnet. Es gibt wenige Spiele, in denen ein gegnerischer Treffer einem dermaßen in Mark und Bein fährt wie in diesem hier. In intensiven Szenen schrickt man regelrecht auf, wenn Kugeln den Spielercharakter durchlöchern. Klar, das oft etwas zu drastische Abheben angeschossener Feinde reißt einen manches Mal ein wenig raus, aber ansonsten hatte Infinity Ward mit Modern Warfare das Gunplay vorerst perfektioniert und lieferte nach den ersten beiden Halos eines der wichtigsten Spiele, um Konsolenverächter mit Controller-geführten Spieleschießereien zu versöhnen. 2016 ist man immer noch unmittelbar drin in diesem vermeintlichen Relikt einer vergangenen Zeit, denn das Gefühl für Fortbewegung, der Schwenk der Waffen vermitteln auch heute noch eine Dynamik, die auf einer ganz niedrigen Spielebene schon direkt Spaß macht.

An diesen Moment erinnert sich wohl jeder.

Natürlich lassen auch die Animationen ihr Alter regelmäßig durchblicken, weil man merkt, dass die Motion Capture Verfahren damals noch nicht so viele Artikulationspunkte am Skelett der Stunt-Leute erfassten. Aber dennoch sieht es immer noch gut aus, weil Activision das Spiel ansonsten von Grund auf überarbeitet hat: Die komplette Beleuchtung ist neu, viele Umgebungsdetails und schärfere Texturen sowie diverse Grafikeffekte kamen hinzu. Dazu eine bewegtere Physik für Umgebungsgerümpel und schon wird aus einem Spiel, das einst für die Xbox 360 erdacht wurde, etwas, das im Gesamtbild aussieht, als hätte es deutlich weniger Lenze auf dem Buckel. Zugegebenermaßen sollte man es auch so aufpoliert nicht neben einen topaktuellen Titel stellen, dafür sind viele der Polygonmodelle auf der dezent klobigen Seite und die erwähnten betagten Animationen eine Idee zu auffällig. Aber es sieht so aus, wie man sich an das Spiel erinnert - und das ist immer das schönste Kompliment, das man einem Remake aussprechen kann.

Bei aller Ehrlichkeit, die ich an Modern Warfare 1 immer schätzte, ist das Remaster für mich trotzdem ein seltsames Erlebnis gewesen. Ein faszinierender Trip in die Zeit zurück war es in jedem Fall. Aber mich überraschte, mit welch' unverminderter Härte mich das Spiel trotz seines weit hergeholten Plots noch immer traf. Nur eben heute mit dem irgendwo im Hinterkopf rumlungernden Gedanken, dass viele der Szenen in diesem Moment echter Alltag für gewisse Menschen sein dürften. Das Spiel kann nichts dafür, aber es ist sicher kein Zufall, dass sich sowohl DICE als auch Activision gerade für die nächsten Teile ihrer Reihen in die ferne Vergangenheit beziehungsweise Zukunft flüchten, um dort etwas Eskapismus von diesen Bildern zu finden.

2016 mag nicht der beste Zeitpunkt für ein schonungslos gemeines Kriegsspiel sein, das weite Teile eines bewohnten, wenngleich fiktiven arabischen Landes in Schutt und Asche legt. Doch das macht nichts. Es kommen auch wieder bessere Zeiten und dann - mit ein bisschen Abstand - wird Modern Warfare immer noch da sein: Als Geschichtsstunde dieses Genres, als Kampagne mit einem feinfühligen Fuß auf dem Gaspedal und eine Sammlung bisweilen zermürbend packender Missionen ist dieser Shooter nach wie vor das Spiel der Reihe, das die Zeit besser als jedes andere überdauern wird.


Entwickler/Publisher: Infinity Ward, Beenox, High Moon/Activision - Erscheint für: Xbox One, PlayStation 4, PC - Geplante Veröffentlichung: Vorbesteller Spielen die Kampagne schon jetzt - Gespielt auf Plattform: PS4

In diesem artikel

Call of Duty: Modern Warfare Remastered

PS4, Xbox One, PC

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Über den Autor
Alexander Bohn-Elias Avatar

Alexander Bohn-Elias

Stellv. Chefredakteur

Alex schreibt seit über 20 Jahren über Spiele und war von Beginn an bei Eurogamer.de dabei. Er mag Highsmith-Romane, seinen Amiga 1200 und Tier-Dokus ohne Vögel.
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