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Wir brauchen keine neuen Gears-of-War-Teile

Außer es kommt einer, der den zweiten schlägt.

Gears of War 2 gilt bei vielen Fans als bester Teil der Reihe. Da ich es nur einmal zu seinem Erscheinen vor acht Jahren zu Ende spielte, konnte ich irgendwann nicht mehr mit dem Finger darauf deuten, wieso eigentlich. Größte Erinnerung: Sprachlosigkeit nach dem Höhlenfinale. In erster Linie aus Achtung gegenüber dem Gesamtwerk, danach dann, weil mir diese letzte Helikoptersequenz banal und als Schlusspunkt sehr unbefriedigend vorkam. Aus Jugendschutzgründen blieb das mit dem "sprachlos" eine ganze Zeit so, jedenfalls im buchstäblichen Sinn hier im deutschen Eurogamer-Kosmos. Das Thema ist seit Anfang dieses Jahres vom Tisch, die Indizierung aufgehoben.

Einen besseren Anlass, noch einmal längst vergangenes Zeug aufblühen lassen zu wollen, kann man sich unterhalb von sechs Bier nicht einreden. Also Disc rein. 7 Gigabyte ziehen. Oha, eine "Goldene Hammerburst" und das "Gold-Plated Lancer Assault Rifle" werden auch mitgeladen, wenn man das Spiel auf der Xbox One installiert. Whatever und los.

Bürger auf Trapouille: Mit dem Rookie führt Epic absichtlich jemand unterhalb von Fenix' Fertigkeiten und denen seiner Kollegen ein. Er bleibt genauso entbehrlich und gesichtslos, wie er es mit seiner Maske tatsächlich ist.

Erst noch ein Geständnis: Ich hatte nicht mit einer so verlustfrei über die Jahre konservierten Kraft gerechnet. Vor allem ein Deckungs-Shooter wie Gears of War, von denen allein in der letzten Generation mehr in Vergessenheit gerieten, als ich insgesamt an Titeln aufzählen könnte - wie soll der heute noch beeindrucken, dachte ich. Zumal wir emotional besonders an "unseren" Spielen hängen, weil wir mit ihnen die Zeit verbinden, in der wir sie kennenlernten. Das Zimmer, die Lebenssituation, den nach heutigen Gewohnheiten lächerlich kleinen und gar nicht so "flachen" TV oder den schrägen Pizzamann im Wedding, der seine verschwenderisch mit Spaghetti und Bratkartoffeln (!) belegten Konstruktionen schnaufend in den vierten Stock schleppte und sich trotzdem immer freute.

Schwärmen wir von unseren exzessiven Dauersessions mit Secret of Mana, Ocarina of Time oder Dark Souls, schwingen solche Verbindungen unterbewusst mit. So etwas kann man nicht einfach aufheben, um neun Jahre nach vorn umtopfen und alles ist gut. Man kann aber Gears of War 2 aufheben, nach neun Jahren in die Konsole legen und alles ist gut. Der damit ausgelöste Erdrutsch fetzt immer noch die Bohnen aus der Dose. Der mit Abstand beste Teil einer von simpelsten Versatzstücken zusammengehaltenen Reihe.

Der Vorgänger war eine Art Meisterstück gewinnender Einfachheit. Eine Gewaltshow aufgepumpter Soldatentypen, die hinter Deckungen auf Hüfthöhe klemmen und "Locust" genannte Aliens mit Schrotflinte, Bajonett und Kettensäge zerfleischen. Der vom Spieler geforderte Durchsatz erschöpft sich praktisch im Rennen, Schießen und Kauern. Ebenso stumpfsinnig wie treibend, banal und überzeichnet in der Darstellung handelnder Figuren und genau deswegen passend. Sie bedienen, was im Action-Genre der kleinste gemeinsame Nenner ist: den Stereotyp des brachialen Helden, so abgebrüht, dass er vor nichts zurückschreckt. Diesen Typus gibt es in vier nahezu identischen Ausfertigungen, egal ob sie Marcus Fenix heißen, Dom oder Cole, der im besten Fall als Comic-Relief oder als nervender Hampelmann auftritt, je nach Einstellung gegenüber schmierigen, selbstverliebten Onelinern.

Das hat Gears mit Uncharted gemein: Nahezu jede Szene soll für sich genommen Wirkung entfalten und aus einem Guss erscheinen. Auf der Xbox One (S) ist es beeindruckend, wie gut der zweite Teil noch im Detail aussieht.

Sie sind echte Videospielfiguren und funktionieren nur innerhalb der Action. Ich hätte keine Lust, sie anderweitig kennenzulernen, will mir gar nicht erst vorstellen, wie sie daheim die Weihnachtsgans anschneiden (vor allem bei Cole nicht). Ihre Geschichte ist egal. Es ist, als wären sie schon mit der Granate im Mund geboren worden. Mir ist kein einziger von ihnen sonderlich sympathisch, aber wen juckt's in dem Fall?

Gears 2 landet seinen Triumph bei dem, was gemeinhin "Pacing" heißt und im weitesten Sinne die Gestaltung des Spielflusses beschreibt. Wo beginnt ein Abschnitt und wo geht er in welcher Form in den nächsten über? Wie platziert man Gegner? Wann muss einer von ihnen wie ein Berserker durch die Höhlenwand brechen und wann erzielt das die größte Wirkung? Wo setzt ein kleiner Dialog ein, wo legt man dem Spieler das Scharfschützengewehr vor die Füße und wo dreht eine Zwischensequenz die Geschehnisse auf den Kopf? Solche und ähnliche Dinge. Von sorgsamen Studios in eine clevere Abfolge gesetzt sind sie verantwortlich dafür, dass man sich nicht langweilt, nie zu lange am Stück dasselbe tut. Und wie sorgsam Epic in dem Fall war! Noch dazu in einem Unter-Genre, das nicht für Ideenreichtum in Sachen Spielgestaltung bekannt ist.

Wieder sind es außerirdische Aggressoren und wieder sind die spielergesteuerten Arschtreter so hoch wie ihr Kreuz breit. Eine Jungsfantasie so seicht wie eine Pfütze, niedergelassen am anderen Ende der von sexy Doppel-X-Polygonen abgesteckten Skala und ins Bild gerückt von bulliger Über-die-Schulter-Action. Diese beginnt in einem Krankenhaus und verlagert sich schnell nach draußen auf die Straßen Jacinto Citys, einer Stadt, die uns Gears 2 quasi als letzte Bastion der Menschheit verkaufen will. Es ist hier oben, wo der menschliche Wohnraum noch intakt scheint, jedenfalls in einem sehr losen architektonischen Sinn. Auf dem Rücken eines bollernden Kriegsgefährts geht es durch Felslandschaften, während Dutzende Aliens aus ihren Löchern kriechen. Die Mühle verreckt natürlich und in einer ersten Belagerungsschlacht steht man einem Ansturm gegenüber, während der Fahrer das Gefährt, seine Betty, wieder flottmacht.

Dann ein Höhlensystem, woanders gern der Spielzeitstreckung unterstellt, in Gears 2 ein Schaubild, wie pingelig Entwickler Epic Games seine Kampagne ausgestaltete. Beispielsweise entdeckt ihr Felswürmer in den Tiefen, die sich aus ihren Löchern locken lassen, wenn ihr leuchtende Früchte von der Decke schießt. Gleichzeitig geben ihre steinernen Panzer prima Deckungen für Marcus Fenix und seine Leute ab, ohne dass plakativ platzierte Sandsäcke nötig wären. An einer Klippe liegt ein Scharfschützengewehr und es ist kein Zufall, dass unterhalb gerade ein halbes Dutzend Locust von rechts nach links durchs Bild wandert. Fenix kommentiert jeden in Reihe gelandeten Abschuss, indem er sich beim Zählen selbst hochschaukelt.

Hier geschieht noch einiges mehr, aber erst der Moment der Rückkehr unter freien Himmel ist es, als sich das Ausmaß dieses Krieges erfassen lässt. Ganze Städte versinken in einer bis zur Unkenntlichkeit zerfurchten Felslandschaft. Mauer- und Stützwerk hängt auf Kante, Straßenzüge liegen da wie angefressen und wieder ausgespuckt. Könnte an dem gigantischen Felswurm liegen, der sich wie eine Naturgewalt durch den Planeten gräbt und Fenix' Truppe mitsamt des rettenden Helikopters wegfuttert. Woraufhin man seinen Körper durchquert, unter malmenden Zähnen hindurch, flüchtend vor einer frisch in die wurmige Verdauung gerutschten Schuttlawine oder mit trübem Blick durch giftige Eingeweide.

Es passiert nicht oft, dass ein Shooter szenisch so durchgeplant ist. Fast jeder Level hat eine eigene kleine Idee, ohne sie zu Tode zu reiten - hier das Innere des Wurms.

All das passiert in drei, vier Stunden. Andere Spiele hätten vielleicht eine Prise dieses Zunders in zehn Stunden verpuffen lassen. In direkter Gegenüberstellung merkt man das spätestens an dem Eifer, mit dem ich die erste Hälfte am Stück absolvierte. Man fühlt sich nie ausgebremst, nie oberhalb des gesunden Maßes an eine sich totlaufende Idee gefesselt. Gears 2 mag sich mit seiner Erzählung tarnen als Spiel über gefühlsduselig eingeschworene Brüderlichkeit und den Kampf um heimatlichen Erhalt. Dahinter ist es ein Spiel über das Vermögen, leisten zu können, wo anderen ganz einfach die Mittel fehlen. Meine Güte, ist das ein zuweilen großspurig anmutender Auftritt, für ein Videospiel auf die beste erdenkliche Weise.

Anteil daran haben auch kleine, scheinbar unwichtige Dinge, die meines Wissens kein Entwickler übernahm, obwohl sie so einfach wie genial sind: das aktive Nachladen zum Beispiel. Ein korrekt getimter zweiter Druck auf die Nachladetaste beschleunigt die Animation merklich, verschafft kurzzeitig stärkere Munition, und das ist es. Man muss das vielleicht betonen, so simpel gerät das Prinzip. Es klingt nach nichts. Aber seht es mal so: Nachladen ist eine selbstablaufende Notwendigkeit, nervende Unterbrechung dessen, woraus sich 99 Prozent aller Shooter zu 99 Prozent zusammensetzen. Epic verwandelt die Pflicht unter Ausübung leichten Drucks in etwas Rituelles. So blöd es klingt, ich freute mich in Gears of War jedes Mal über den Magazinwechsel. Zumal der Moment der Verwundbarkeit dank einsetzender Nachladehemmungen deutlich länger besteht, verpasst man den zweiten Tastendruck.

An Mauern klemmen und wie blöde in die Masse feuern. Gern, wenn es so abwechslungsreich inszeniert ist wie hier.

So schiebt man sich nicht nur von Deckung zu Deckung, sondern auch durch ruhige Passagen in einem Wechsel, an dem Epic alles gelegen war. Jeder Abschnitt reißt euch aus dem zuvor etablierten Umfeld. Dies gelingt in einem Rhythmus, wie ihn höchstens Uncharted 2 toppen kann. Mit den Geschütztürmen im dritten Akt kommt sogar ein Anflug räumlicher Rätselei ins Spiel, bevor das Abklatschen für die nächste Schießerei ansteht oder Fenix und Begleiter auf einem Floß ins Maul eines Riesenfisches schippern. Und trotz aller gestelzter Leichtigkeit, die sich unsere Space-Marines zu bewahren mühen, ist es immer noch ein satter Shooter. Grunzende und wie ein Bollwerk aufs Schlachtfeld stampfende Boomer vollzupumpen, bis die eigene Trefferanzeige zum Deckungsuchen mahnt, das wird so schnell nicht alt. Man spürt die zu Felde ziehende Masse, erst akustisch anhand des dumpfen Trampelns, dann ballistisch und schließlich körperlich, wenn sie nach einem Abschuss neckische Pirouetten drehen. Das könnte ich ewig tun.

Letztlich erinnert Gears 2 auch an die Bedauerlichkeit, dass wenige andere Shooter dem Spieler und der eigenen Kampagne gegenüber so hingebungsvoll sind. Vanquish und Bulletstorm, beide getragen durch einen Twist in der Spielmechanik, sollen hier als positive Ausnahmen genügen. Vergangenes Jahr hatten Doom und Titanfall 2 schöne Ideen für ihre Kampagnen. Was die Breitschulter-Freakshow angeht und bis The Coalition mit einem Jacinto in den Schatten stellenden Teil um die Ecke kommt, bleibe ich dabei: Wir brauchen keine neuen Gears-Spiele. Epic hat im zweiten alles Wichtige gesagt.

In diesem artikel

Gears of War

Xbox 360, PC

Gears of War 2

Xbox 360

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Gears of War 3

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Xbox One, PC

Gears of War: Judgment

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Sebastian Thor

Freier Redakteur - Eurogamer.de

Steht auf Bier und Bloodsport. Mag weiche Sofas und verliert sich gern in Gedanken an dies und das. Seit 2014 bei Eurogamer dabei, aktuell als freier Redakteur.
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