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The Long Journey Home: Von der seltsamen Reise der HMS Clusterfuck

Ein Prozent des Weges hätten wir schon mal geschafft…

Vor etwas mehr als zwei Jahren: Ihr wollt also ein modernes Crossover aus Star Control 2, Starflight und der Story von Star Trek Voyager machen, alles mit drei bis vier Leuten und einem Budget, das deutlich unter einer Folge dieser Serie liegen dürfte? Ähh, ja, klar doch. Viel Spaß.

Nun, gestern hatte ich meinen ersten Kontakt mit The Long Journey Home seit diesem unwahrscheinlichen Kickoff in einer kalten Hamburger Nacht und ich muss sagen: Sie hatten scheinbar viel Spaß - oder zumindest viel Hingabe, Leidenschaft und einen guten Schuss Können und Talent -, denn das, was ich hier spielen durfte, entsprach genau dem, was versprochen wurde. Das und es ist das unzugänglichste, unfairste, brutalste Spiel, das mir seit einem Weilchen unterkam. Und es hat alles, was es braucht, um in Kürze - Release schon Ende des Monats - großartig zu werden.

Star Control. In hübsch.

Aber ja, The Long Journey Home ist Anti-Mainstream, mehr noch als Prey, das letzte Spiel, das ich so betitelte. Trial, Error und erneutes Versuchen ist in die DNS dieses Spiels geschrieben. Ihr wählt - in der ersten Runde per Definition der Prämisse ahnungslos - vier aus zwölf Figuren aus, jede mit absolut grundlegend anderen Fertigkeiten. Ihr habt keine Ahnung, wer für euch richtig ist. Der Wissenschaftler, die Sprach-Expertin, der Mechaniker oder einer der anderen mit teilweise komplett weltraumfremden Berufen? Welches der drei Schiffe ist für euch geeignet? Das Schnelle, das Stabile, das in der Mitte? Wie auch immer ihr entscheidet, ein unzulängliches Tutorial später beginnt ein Weltraumsprung als Standardmanöver und endet gestrandet auf der anderen Seite der Galaxie.

Und hier begann mein knapp einstündiger Flug der "HMS Clusterfuck". Es begann schon mit dem Rammen des ersten Planeten, denn die Steuerung will simulieren, wie lange eine Beschleunigung auf einem Vektor anhält, bevor ihr diesen komplett ändern konntet. Anflüge in den Orbit den nächsten Planeten, etwas, das andere Spiele per Knopfdruck abhandeln, werden hier erstmal zur intergalaktischen Schlingerpartie. Mein Schiff und seine vier dauernörgeligen Situationsgefangenen, die sich je nach Moral und Lage freuen, fluchen oder beklagen - bei mir vor allem Letzteres -, trudeln in den ersten Orbit, schaffen es sich nach dreieinhalb Umkreisungen des Sonnensystems dort zu stabilisieren und scannen, was es zu holen geben könnte.

Lunar Lander. In hübsch.

Starke Winde, aber Rohstoffe für Treibstoff - das Allerwichtigste, da ohne das weder Heimreise noch Lebenserhaltungssysteme funktionieren - und zur Reparatur des Schiffes. Wunderbar. Erster Offizier "Dead Meat" steigt in die Landungsfähre "Faceplant" und senkt sich sachte zur unbekannten Oberfläche hinab. Wobei sachte ein relativer Begriff ist. Im freien Fall rauscht er nach unten, wird von starken atmosphärischen Winden abgetrieben und dotzt die Faceplant gemäß ihres Namens Kopf voran in den gefrorenen Methan-Ozean. Ihr spielt das Ganze als eines der ältesten Konzepte der Gaming-Welt: Lunar Lander. Mit zwei Schubdüsen müsst ihr es allen atmosphärischen Bewegungen und geographischen Widrigkeiten zum Trotz schaffen, auf einer 2D-Ebene dort zu landen - und das richtig herum -, wo die Rohstoffe liegen. Zu viele heftige Unfälle zehren an der Integrität der Fähre und zu viel Manövrieren verbraucht den wenigen Sprit. Es ist haarig, die Steuerung vorsichtig gesagt feinfühlig und hart gesagt zickig hoch drei, aber nach ein paar weiteren Crashs lande ich sinnvoll, hole meine Rohstoffe und trudele nur mittelmäßig angeschlagen zurück, Dead Meat lebt immerhin noch, sein gebrochenes Bein hat ihn nicht umgebracht.

Dass wir da draußen nicht allein sind, merke ich schon beim ersten Sprung in das nächste Sonnensystem. Ein paar verdächtig überfreundliche Aliens kommen in einem gewaltigen Kreuzer des Weges und bringen Geschenke. Die, wie sich später herausstellt, mit Alien-Sporen verseucht sind, die nach und nach meine Crew infizieren. Diese kann sich damit trösten, dass sie nicht lange genug leben wird, dass dies zu einem Problem wird. Nur weiß sie das noch nicht.

Die Konversation über Multiple Choice mit zig Optionen läuft freundlich genug, aber es ist schon verdächtig, dass sie mich von da an überall hin begleiten. Super, ich habe mir ein paar intergalaktische Stalker angelacht. Wusste ja noch nicht, dass sie auf das Schlüpfen der heimlichen Fracht bei mir an Bord warten. Sprit wird knapp, ich muss mir einen weiteren Planeten suchen. Der zweite Orbit klappte schon etwas besser als der erste, aber die Scans lesen sich nicht hoffnungsvoll: tödliche Umgebung, massive Stürme. Aber auch Rohstoffe. Okay, keine Wahl, Atmen ist nicht optional.

Starflight. Mit Momentum. Viel Momentum. Pass auf, die Sonne...!!

Wenn ich dachte, der erste Planet wäre unvergebend, lehrt mich der zweite eine harte Lektion: Es geht noch mal ganz anders. Der interessanteste Landepunkt ist so positioniert, dass es einfacher wäre, mit einem Fallschirm eine Punktlandung in einem Orkan zu absolvieren. Das wird nichts, der Lander ist fast Schrott, Dead Meat auch, Zeit den Rückzug anzutreten. In einem Verzweiflungsakt steuere ich den zweiten Planeten des Systems an, der schon von weitem nicht vielversprechend wirkt und sich aus der Nähe als Gasgigant ohne Oberfläche herausstellt. Trotzdem, ihr könnt aus der schweren Atmosphäre, die konstant an der Hülle des Landers frisst, Treibstoffe abgreifen und ich habe keine weiteren Optionen. Faceplant und Dead Meat werden so gut geflickt, wie es die wenigen Startressourcen noch erlauben. Dead Meat schafft es mit der Schleudersitz-Kapsel gerade noch zurück, Faceplant hat seine letzte Reise angetreten und verglüht.

Wie gerufen kommen ein paar freundliche Roboter an, die mir einen Bauplan für einen neuen Lander schenken. Dass sie dabei einen so vertrauenswürdigen Eindruck hinterlassen wie ein Typ auf dem Time Square in einem Ferengi-Kostüm, der sich in einen Trenchcoat hüllt, dessen Taschen mit losen Dollars zugestopft sind und was von "First one's for free..." murmelt... Was soll's, ohne Lander keine Rohstoffe, ich schulde euch wohl was. Es sollte aber nicht sein. Der Sauerstoff geht zur Neige und halluzinierend greift meine Crew die freundlichen Alien-Stalker meines Erstkontakts an, was sehr direkte Parallelen zu Star Control zeigt. Auf einer 2D-Ebene seht ihr beide Schiffe von oben, mit viel Trägheitsmoment umkreisen und beharken sie sich. Da sich der Gegner zwar als riesig, aber schlecht bewaffnet entpuppt, vertreibe ich ihn sogar, aber es ist ein sinnloser Sieg. Eine Minute später endet die Reise der ehemals so stolzen HMS Clusterfuck. Gerade mal zwei Sonnensysteme weit kam sie. Von mehreren Dutzend, die auch nur eine Reise dauert, bevor sie in die Nähe heimischer Gefilde kommt.

Lass mich an Bord? Du mich auch, was auch immer du bist!

Solltet ihr jetzt denken, ich hatte ob der Frustration dieser kläglich gescheiteren Runde genug von The Log Journey Home... NEIN! Das Spiel ist großartig. Sicher, es ist manchmal unfair, insoweit, als dass es euch nichts schenkt. Wenn ihr Pech habt, dann seid ihr zu spät damit dran, das zu suchen, was ihr braucht. Und wenn es dann soweit ist, gibt es nicht den perfekten Planeten. Die Steuerung ist haarig, aber ich halte sie für absolut zu meistern und ich hatte den Eindruck, dass ich Spaß dabei haben werde, das zu tun. Und die schrulligen Aliens und schonungslosen Welten, ich will mehr von ihnen.

Die schiere Menge sollte dabei kein Problem sein. Zwischen meinem Ableben und dem Ziel liegen fast ein Dutzend Spiralnebel, in jedem zig Sonnensysteme mit noch viel mehr Planeten. Es gibt 15 Alien-Rassen mit sehr unterschiedlichen Ansichten, Verhaltensweisen und Interessen. Planeten kommen in zig Arten vor. Das ist genug Abwechslung für eine Runde, die, wenn sie Erfolg hat, zehn bis zwölf Stunden dauern soll. Und dann sollt ihr eine neue starten. Jedes Universum wird auf Basis eine Codes generiert, den ihr wiederholen oder immer neu auswürfeln könnt. In jeder Runde könnt ihr eine neue Konstellation von vier aus zwölf Besatzungsmitgliedern wählen. Und in jeder Runde trefft ihr auf maximal vier der Alien-Rassen, sodass euch eine neue Runde auch neue fremde Gesichter zeigen kann.

Du bist groß und hast dicke Kanonen? Na und! Ich bin klein, wendig und hatte einen echt nicht so guten Tag!

Ich für meinen Teil werde trotz all der Hindernisse, seien sie steuerungstechnischer oder andere Natur, alles daran setzen, zumindest einmal die Erde zu sehen. The Long Journey Home kreuzt seine einfachen Elemente aus Erkundung, Diplomatie und Kampf so geschickt, dass sich selbst das Scheitern noch nach Spaß anfühlte. Ob das auch nach zehn Anläufen noch der Fall ist und das Spiel dann doch etwas zu zufällig agiert, wird sich zeigen müssen. Das Potential, wenn es darauf verzichtet, ist jedenfalls gewaltig. Bezaubernd surreale Wesen, die euch bestenfalls nur ausnutzen wollen, fremde Welten, die gemeistert werden wollen, und eine Reise von vier dem Tode geweihten Ahnungslosen, die eben doch zu einem glücklichen Ende führen kann, das ist der Stoff, aus dem lange Nächte sind. Kein Spiel für einen leichten Start, kein Spiel, das einen mit offenen Armen willkommen heißt oder seine Geheimnisse verschenkt. Aber eines, das auch, aber nicht nur deshalb mein Interesse massiv geweckt hat. Eine spannende und reizvolle Herausforderung wurde ausgesprochen. Ich werde sie gerne annehmen und sehen, zu welchem Ende sie mich führt.


Entwickler/Publisher: Daedalic Studio West / Daedalic - Erscheint für: PS4, Xbox One, PC - Geplante Veröffentlichung: 30. Mai - Angespielt auf Plattform: PC

In diesem artikel

The Long Journey Home

PS4, Xbox One, PC

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Martin Woger

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Chefredakteur seit 2011, Gamer seit 1984, Mensch seit 1975, mag PC-Engines und alles sonst, was nicht FIFA oder RTS heißt.

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