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Die Säulen der Erde - Schnellschuss mit großem Namen? Von wegen!

Der moderne Klassiker als Adventure-Prestigeprojekt.

Als Daedalic und Bastei Lübbe ihre Zusammenarbeit zu Die Säulen der Erde bekanntgaben, ergab das Sinn. In einem Telltale-Sinne. Keiner erwartete, dass da endloser Aufwand betrieben würde. Nicht ein "Cash-in" an der Media-Markt-Kasse, aber eben auch nicht das mit großem händischen Aufwand gezeichnete Adventure eher klassischer Point-and-Click-Art.

Nun, über das mit dem "klassischen" Point-and-Click müssen noch ein paar Worte mehr verloren werden. Was es auf jeden Fall werden wird: eines der schönsten Spiele, das je aus den Federn und Photoshop-Tablets des Hamburger Hauses floss. Mehr als 200 große Screens und Locations, drei lange Episoden, die sich über einen Handlungszeitraum von mehr als 40 Jahren spannen und ziemlich nah am Verlauf eines der erfolg- und für das Genre einflussreichsten historischen Romane bleiben. Dazu die Ambition, nicht einfach nur die Geschichte nachzuerzählen, sondern hier und da eigene Inspirationen einzuflechten und möglichst für alle etwas bieten zu können. Fans des Buches, erfahrenere Adventure-Liebhaber, an der Materie interessierte Gelegenheitsspieler. Nein, es wurde kein simples, kleines "Wir stecken mal was in die Packung, der Name ist eh das Wichtigste". Die Säulen der Erde hat die Ambition, Daedalics Magnum Opus zu werden.

Lebendiges Kunsthandwerk aus Hamburg.

Aussehen tut es danach. Sollte es noch jemanden geben, der behauptet, handgemalte Computerspiele hätten keine Zukunft, darf er sich gerne an dieses Spiel halten und seine Meinung überdenken. Jede Location, die im Voraus zu sehen war, wurde mit offensichtlicher Hingabe kreiert, um Stimmung und Details der Buchszenen einzufangen und die ungesagt gebliebenen Dinge mit Farbe und Leben auszufüllen, die der Leser zwischen den Zeilen wahrnahm. Eine szenische Prosa-Beschreibung in ein konkretes, Pixel für Pixel analysierbares Bild umzusetzen, ist eine Kunst, der man sich hingeben kann oder auch nicht. Hier wird dieser Kunst in fast - 200 einzelne Locations sind eine Menge - jeder Szene gehuldigt und das Ergebnis ist auf seine Weise lebendiger als die mit nicht gerade kleinem Aufwand produzierte Verfilmung. Es liegt eine Kraft in der Ruhe der interaktiven Erzählung eines Adventures, die man auf sich wirken lassen muss. Hier dürfte es am Ende mehr als genug Gelegenheiten dafür geben.

Man muss natürlich dazusagen, dass Die Säulen der Erde in diesem Punkt eine dankbare Grundlage darstellen. Ken Follett lag es am Herzen, so viel wie möglich historisch akkurat zu halten und diese Dinge auch detailliert zu beschreiben. Die Künstler haben also viel, mit dem sie arbeiten können. Neben diesen 1000 Seiten stapeln sich noch ein paar zehntausend zu Themen wie "Dachkonstruktionen der Kirchen des Mittelalters für Profis", "Tragende Säulen des Mittelalters - wie baue ich sie richtig" und "Das Dekor der Aussätzigenhöhlen des englischen Mittelalters für Dummies und Fortgeschrittene". Nicht, dass am Ende noch einer sagt, dass das mit der einen Querstrebe so ja wohl mal nicht sein kann.

In vielen Gesprächen habt ihr Optionen. Wie sehr sich diese später auswirken bleibt noch abzuwarten

Das eigentliche Spiel macht vom Start weg klar, dass es nicht auf niedlich geht, sondern sich an das Material hält, auf dem es basiert. Und so lenkt ihr Jack, der fern der Gesellschaft mit seiner Mutter im Wald lebt, nicht durch Bambi-Land. Euer erster Akt besteht darin, Bambi zu erlegen, um durch den Winter zu kommen. Diese kleine Jagd und die Szene in der Höhle, in der ihr das Reh häutet und räuchert, bietet keine wirklichen Rätsel. Es scheint mehr eine Einführung für Leute, die mit dem Konzept des Point-and-Click noch nicht so vertraut sind. Ein paar Minuten später jedoch nimmt es Fahrt auf, denn die Familie des Tom Builder kommt hinzu, und wie sich zeigt, habt ihr in der NPC-Interaktion weit mehr Möglichkeiten als (zumindest zu diesem Zeitpunkt) mit der Umgebung. Ihr könnt in euren Antworten und Reaktionen eher neugierig, abweisend oder auch stumm bleiben. Kleine Umgebungsinteraktionen fließen immer mit ein, wenn ihr die Spur des zukünftigen Priors von Kingsbridge Philip verfolgt. Wie sehr sich euer Verhalten den anderen Figuren gegenüber später auswirken wird, muss sich zeigen. Aber es ist schon einmal beachtlich, dass anscheinend eine gewisse Nichtlinearität in der Versoftung einer Buchvorlage steckt und dann ausgerechnet noch in den Handlungen der Figuren. Man sollte meinen, es wäre simpler gewesen, einfach Interaktionen in die Umwelt zu setzen und sie Rätsel zu nennen, sonst aber klar der Linie und den Dialogen des Buchs zu folgen. Wie gesagt, "ambitionslos" ist so ziemlich das Letzte, was mir nach der Präsentation eingefallen wäre.

Kennern des Buches dürften einige Passagen und Beschreibungen der Umgebung bekannt vorkommen, einige Schlüsseldialoge auch. Vieles musste jedoch neu geschrieben werden, um die Interaktivität zu berücksichtigen. Hier entscheidet ihr schließlich zu einem gewissen Grad mit, was ihr seht, tut und sagt, und dafür hält die Vorlage nicht so viel parat. Follett selbst sitzt natürlich nicht ständig dabei, hat aber durchaus ein Auge auf das Projekt, gibt gelegentlichen Input und verfolgt die Entwicklung. In diesem Sinne kann man wohl sagen, dass diese Neuzugänge zur Prosa der Geschichte mit dem Autor abgestimmt sind.

Manche Aktionen wie das Ende von Bambi beinhalten kleine-Quick-Time-Ereignisse.

Wie detailliert ihr die Umgebung lesen könnt, sowohl in den Details der schönen Bilder als auch den vielen Textzeilen - alle natürlich professionell eingesprochen -, wird noch besser in Kingsbridge deutlich. In der Rolle von Philip erreicht ihr die schlecht erhaltene Abtei und versucht herauszufinden, was in den letzten Jahren hier geschah, wie es dazu kam, dass alles verfallen wirkt, und wo ihr einige alte Bekannte aufstöbern könnt. Es gibt zahlreiche Dinge, über die Philip nicht nur sagt "Dies ist eine eingefallene Mauer", sondern auch Hinweise aus seiner Vergangenheit - über Zusammenhänge am Ort und die Personen, auf die ihr trefft. Es wird definitiv ein Spiel, bei dem ihr auf jedem der Screens ein wenig mehr Zeit zum Erkunden einplanen solltet, um all diese Dinge zu erfahren, und sie scheinen wirklich gut geschrieben. Es machte Spaß, schon diese wenigen Abschnitte zu erkunden.

Aber machte es auch Spaß, sie zu "errätseln"? Nun, das ist ein Punkt, an dem sich die Geister scheiden könnten. Die Säulen der Erde wird in keinem Fall ein Adventure, bei dem ihr zehn Items auf drei Screens findet, um sie an acht Orten zu kombinieren. Ein paar Rätsel in dieser Richtung deuteten sich an, aber es wird definitiv mehr ein von der Erzählung getriebenes Spiel. Mehr Substanz an klassischen Elementen als Telltale, weniger als Deponia. Der Fokus liegt auf der über Jahrzehnte gespannten Geschichte und den Charakteren, ihren Konflikten und Dialogen, ohne dass gerade das Erkunden zu kurz kommen soll. Dieses wird dann auch das eine oder andere Rätsel parat haben. Aber nein, wenn ihr ganz wie früher unterwegs sein wollt: Im Jahr 2018 kommt endlich doch noch das hervorragend aussehende The Devil's Men, dessen Personal zwischendurch mal für Die Säulen der Erde rekrutiert werden musste. Bis dahin habt ihr ja Thimbleweed Park oder - ganz gewagt - könnt doch mal Memoria spielen.

Viel zu erkunden? Ja. Viel zu rätseln? Nicht unbedingt...

Die Säulen der Erde hat sich nicht als das befürchtete Projekt entpuppt, das den großen Namen irgendwie in ein kleines Spiel werfen will, sondern als veritables Prestigeprojekt für Daedalic. Sie geben ihm augenscheinlich all ihre Liebe in Form von Ressourcen und all der Erfahrung, die sie im Bereich der handgezeichneten Visualisierung sammelten, und wagen spielerisch den Bruch mit dem althergebrachten Rätseldesign. Persönlich denke ich, dass ein mehr handlungsgetriebener Ansatz für so eine Geschichte genau passt. Ein wenig puzzeln hier und da, viel reden, ein großer narrativer Bogen, der dem Buch entspricht. Was keine leichte Aufgabe in diesem Fall ist, wenn sich eine Geschichte mit sich wandelnden Figuren über ein halbes Jahrhundert spannt. Handwerklich habe ich dabei nicht die geringsten Zweifel. Wenn das Gezeigte ein erster Blick auf das ist, was noch kommt, wird es fantastisch. Und das Wenige, was ich vom Kommenden schon sehen konnte, sieht hervorragend aus. Spielerisch? Ich denke, es kann gut funktionieren und dass Daedalics Ansatz für dieses Projekt der richtige ist. Ob es dann für viele Spielstunden und über die erzählerischen Jahrzehnte hält, das kann am Ende nur das Spiel selbst beantworten.


Entwickler/Publisher: Daedalic / Daedalic - Erscheint für: PS4, Xbox One, PC, Mobile - Geplante Veröffentlichung: 2017 - Angespielt auf Plattform: PC

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The Pillars of the Earth Adventure (Daedalic)

iOS, PS4, Xbox One, PC, Mac

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Martin Woger

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Chefredakteur seit 2011, Gamer seit 1984, Mensch seit 1975, mag PC-Engines und alles sonst, was nicht FIFA oder RTS heißt.

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