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Warum Yakuza 6 Ende und Neuanfang der Serie zugleich ist

Streets of Age.

Viel sprichwörtlicher als Kazuma Kiryu kann man nicht von seiner Vergangenheit eingeholt werden. In sechs Spielen und 28 (Ingame-)Jahren war viel Zeit für schwerwiegende Entscheidungen und bereuenswerte Fehler, von beidem hat der inzwischen 48-jährige Yakuza-Cover"boy" mehr als genug angehäuft. Das Gesicht des graumelierten Mitvierzigers ist von ähnlich tiefen Furchen durchzogen wie seine Biographie, und obwohl Yakuza 6 vordergründig die Geschichte von Familie, Loyalität und Menschlichkeit erzählt, dreht es sich im Kern doch um die Katharsis eines Mannes, der endlich seinen Frieden finden möchte - wie immer der auch aussehen mag.

Auch auf weniger romantisierte Weise wird der Abschluss dieser Reihe (deren eigene Geschichte kaum minder durchwachsen ist als die ihres Protagonisten) mit seiner Vergangenheit konfrontiert. Neben dem eher wortkargen Kazuma selbst bevölkern etliche redselige Gestalten diesen komplexen Mikrokosmos. Dutzenden von ihnen schüttelte der Ex-Knacki bereits die Hand, noch mehr begrüßte er mit ausgestreckter Faust. Nicht alle Weggefährten haben den wilden Ritt überlebt, doch jeder der Übriggebliebenen ist nach wie vor ein wichtiger Knotenpunkt in diesem engmaschig vernetzten Charaktergefüge.

Eine der vielen möglichen Antworten auf die Frage, was eurem Leben ohne Yakuza fehlt.

Als endgültiger Schlussstrich unter dieser Saga müsste Yakuza 6 nun möglichst jedem von ihnen zumindest einen kurzen Abschiedsgruß einräumen und für weniger erfahrene Spieler zugleich in mundgerechten Stücken rekapitulieren, wer all die grimmig dreinblickenden Männer mit den riesigen Rückentattoos sind. Vor dem Abarbeiten gilt es also erst einiges aufzufrischen - ganz anders als im vom inhaltlichen Ballast befreiten und angenehm verplauderten Yakuza 0. Das im Vorjahr erschienene Prequel musste sich nicht ins Korsett seiner Vorgänger schnüren lassen, erzählte daher die womöglich eigenständigste Geschichte eines Yakuzas überhaupt und bot als Vorgeplänkel den idealen Einstieg in dieses wunderbar verdichtete Universum. Nicht ganz umsonst beschäftigten sich seither ganze Artikel mit der Frage, welchen Teil man als Neueinsteiger nach 0 spielen sollte, und ich behaupte mal, dass Yakuza 6 wenig auf solchen Liste zu suchen hätte.

Gefühlt zwei der ersten vier Spielstunden bestehen aus aneinandergereihten Rückblicken und Zwischensequenzen, sodass ich leise Zweifel hege, wie elegant Segas ohnehin nicht gerade kurz angebundene Schreiber das über die Jahre angehäufte Gewirr entfitzen. Japanischen Spielern nach zu urteilen (die bereits seit Dezember 2016 losziehen) behandeln die Autoren derlei Probleme jedoch, wie es in jeder guten Familie gehabt wird: Sie tun so, als gäbe es sie nicht. Viele alte Bekannte sind gar nicht erst in der Glorie der neuen Dragon-Engine zu sehen, andere viel zu kurz. Ohnehin sei Teil 6 dem Vernehmen nach inhaltlich etwas weniger gut genähert als seine Vorgänger, nicht zuletzt gemessen am zum Bersten mit Beschäftigungen vollgestopften Yakuza 0. Ob das bei einer Spielzeit von 30 bis 130 Stunden nun unbedingt ein Nachteil sein muss, sei mal dahingestellt. Mutmaßlich handelt es sich hierbei aber schlicht um jenen Preis, den ein Studio notgedrungen zahlen muss, wenn es von einer bis zur Perfektion ausgereizten, hochbetagten Engine auf eine völlig neue wechselt.

Ich habe keine Ahnung von Baseball und sehe mich trotzdem viel zu viel Lebenszeit in dieses und weitere (Mini-)Spiele versenken.

Unterm Strich ein guter Deal, wenn ihr mich fragt. Ich für meinen Teil möchte jedenfalls nicht zurück in ein von Ladebildschirmen zerstückeltes Kamurocho. Die Dragon-Engine schaufelt nun den gesamten Rotlichtbezirk am Stück in den Speicher der PS4 - oder zumindest genug, dass die Konsole keine Verschnaufpause einlegen muss, sobald ihr dahergelaufene Schläger von ihren Schneidezähnen befreit oder eines der zahlreichen Geschäfte betretet, die bereits aus der Ferne mit neonfarbener Leuchtreklame und schmissigem J-Pop um eure Aufmerksamkeit buhlen. Sega ist nach wie vor nicht an Open-World-Schwanzvergleichen interessiert, danke dafür, fühlt sich stattdessen einzig der Prämisse verpflichtet, den hierfür Pate stehenden japanischen Stadtteil Kabukicho in all seinem audiovisuellen Overkill abzubilden. Wenn selbst Schrittgeschwindigkeit noch zu schnell ist, um auch nur annähernd alle Reize verarbeiten zu können, scheinen sie damit nicht allzu weit von der Realität entfernt zu sein (in zwei Monaten kann ich euch diesbezüglich Genaueres sagen).

Angesichts einer vor Leben, Verbrechen und konstanter Reizüberflutung vibrierenden Stadt ausgerechnet von einem "stillen" Protagonisten zu sprechen, mag ein wenig weit hergeholt scheinen. Doch genau das ist Kamurocho: einer stummer Begleiter, der Kazuma maßgeblich prägte und vice versa. Dieses Yakuza wäre ohne einen von beiden undenkbar und gewissermaßen haben sie sich zu diesem Anlass noch ein letztes Mal herausgeputzt, bevor Kazuma-Nachfolger Kazuga Ichiban den Yakuza-Begriff demnächst mit einer neuen Bedeutung füllen wird.

Reizüberflutung (Symbolbild)

Onomichi Jingaicho ist der scharfe Kontrast zur schnelllebigen, oberflächlichen Großstadt. Das verschlafene Fischerstädtchen im Osten Hiroshimas steht ein Stück weit stellvertretend für Kazumas verletzliche Seite und könnte dem Treiben Tokyos nicht nur geographisch kaum weiter entfernt sein. Auch unter den schrulligen, sonnengegerbten Bewohnern des Örtchens gibt es weniger angenehme Zeitgenossen, doch hat der 48-Jährige zumindest während seiner Ankunft wortwörtlich keine Hand frei: in der einen hält er ein Bild seiner komatösen Ziehtochter Haruka, in der anderen ihren drolligen Säugling. Abseits seiner Suche nach dem Fahrer des Wagens, der die junge Mutter auf offener Straße lebensbedrohlich angefahren hat, bietet das Plätzchen reichlich Zerstreuung. Während ihr 800 Kilometer weiter östlich nächtelang durch Arcade-Hallen (mit Virtua-Fighter-5- und Puyo-Puyo-Automaten!), versiffte Seitenstraßen und Etablissements mit leichtbekleideten Damen zieht, verlebt ihr eure ersten Tage in Onomichi Jingaicho weitaus friedlicher. Ihr beruhigt den plärrenden Haruto, sucht spätnachts nach frischen Windeln für den Knirps oder geht bei schönem Wetter, nun, Speerfischen. Wir reden hier schließlich immer noch von Yakuza.

Obwohl oder gerade weil Kazuma erst aus einer mehrjährigen Haftstrafe entlassen wurde und nach Jahren exzessiver Gewalt endlich einen friedlichen Lebensabend verbringen möchte, kann Sega erneut virtuos auf der Klaviatur der absurden Tonalitätswechsel spielen. Sein zutiefst persönliches Anliegen peitscht ihn haarscharf bis an die Grenze der Belastbarkeit, doch schon eine Zwischensequenz später entlädt sich all die angestaute Anspannung in einem maßlos überdrehten Karaoke-Minispiel. Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt - es ist nach wie vor schwer, einen konkreten Grund dafür zu benennen, warum Yakuza mit derartigen Stimmungsschwankungen nicht nur durchkommt, sondern dadurch überhaupt erst funktioniert. Doch wichtig ist nur: Trotz der bedrohlich aufziehenden Gewitterfront hat Teil 6 seine skurrile Unschuld nicht verloren.

Weder, wenn Kazuma von einem sich selbst bewussten Smartphone-Sprachassistenten verkohlt wird, und schon gar nicht, wenn er dem nächstbesten Großmaul ein wenig Demut einprügelt. Seinen dezent eingerosteten Knochen zum Trotz tänzelt er bei letztgenannter Aktivität leichtfüßiger als je zuvor um die mit Menschenhaut überzogenen Boxsäcke. Zu gleichen Teilen angetrieben von jahrelanger Kampferfahrung und der taufrischen Dragon-Engine fügen sich seine Einzelaktionen nun nahtloser ineinander, bis hin zu anmutigen Choreographien des Verderbens. Schmeißt einer Meute ein klappriges Fahrrad entgegen und lasst die herrlich wuchtigen Ragdoll-Effekte (ein Novum der Serie) den Rest übernehmen. Das dezent überarbeitete, natürlichere Kampfsystem passt ideal zur anarchischen "Alles ist möglich"-Natur der Prügeleien, auch wenn die vier Kampfstile aus Yakuza 0 auf einen einzigen zusammengedampft wurden. Fortschritt hat seien Preis, wie gesagt.

Die Küstenstadt Onomichi Jingaicho ist der zweite große Hub des Spiels und ein verflucht idyllisches Fleckchen Erde (wenn wir von den andauernden Schlägereien mal absehen).

Es war ein weiter Weg, in jedem nur denkbaren Sinne. Die Jahre sind an niemanden hier spurlos vorbeigegangen, weder an Kamurocho noch an Kazuma - und am wenigsten vielleicht an Yakuza selbst, einer Reihe, die gemeinsam mit ihrem Protagonisten merklich in die Jahre gekommen ist. Mit routinemäßig abgespultem Know-how und selbstsicherem Charme dürfte Sega diese Epoche im April noch aufrechten Ganges über die Ziellinie hieven. Danach wird es allerdings Zeit für die Staffelübergabe.

Doch Yakuza 6 ist Abschied und Neuanfang gleichermaßen. Befeuert von der taufrischen Dragon-Engine legt Sega hiermit zugleich das Fundament für alles, was uns in der Post-Kazuma-Ära erwarten mag. Aktuell scheinen sie von den Möglichkeiten ihrer noch unbekannten Arbeitsumgebung ein wenig erschlagen, gehen hier Kompromisse ein, wo seit Jahren keine mehr waren. Yakuza Kiwami 2, das ebenfalls von der neuen Engine angetriebene Remake des zweiten Teils, scheint dahingehend bereits jetzt weniger zurückhaltend zu sein, sofern die ersten Szenen nicht täuschen.

Wenn das Remake irgendwann einmal auch bei uns aufschlägt, ist Kazumas Vergangenheit jedoch längst nur noch eines: Geschichte.


Entwickler/Publisher: Sega - Erscheint für: PS4 - Geplante Veröffentlichung: 17. April 2018 - Angespielt auf Plattform: PS4 Pro

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Yakuza 6

PS4

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Gregor Thomanek Avatar

Gregor Thomanek

Freier Redakteur

Trinkt gern Kaffee und liebt Videospiele, im Idealfall beides auf einmal. Ist für alles zu haben, was aus Japan kommt. Hat nie Herr der Ringe gesehen und findet, das sollte auch so bleiben. Gründet irgendwann einen Ryan-Gosling-Fanclub. Hat seine Katze "Yoshi" genannt, bereut nichts. Konsolenkind.
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