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Through the Darkest of Times und der Widerstand in Nazi-Deutschland: "Es fühlt sich unglaublich richtig an, dieses Spiel zu machen"

Im Gespräch mit Jörg Friedrich von Entwickler Paintbucket Games.

Die wenigsten Spiele, denen der Zweite Weltkrieg als Schauplatz zugrunde liegt, beschäftigen sich mit der Realität des täglichen Lebens im damaligen Nazi-Deutschland. Das Berliner Entwicklerstudio Paintbucket Games, bestehend aus Jörg Friedrich und Sebastian Schulz, hat die Absicht, das zu ändern. In ihrem Projekt Through the Darkest of Times, einem Strategiespiel, lenkt ihr die Geschicke einer Widerstandsgruppe im Berlin der Jahre 1933 bis 1945.

Beide arbeiteten zuvor bei dem ebenfalls in Berlin ansässigen Studio Yager und kennen sich zeit rund zehn Jahren. Beteiligt waren sie an Spielen wie dem für seine Story hochgelobten Spec Ops: The Line, Dead Island 2 (bevor Sumo Digital die Entwicklung übernahm) oder Dreadnought. Die Idee für Through the Darkest of Times kam Friedrich vor ein paar Jahren, wie er im Gespräch mit Eurogamer.de verrät.

"Ich wollte gerne ein Spiel über das Organisieren einer kleinen Gruppe von Menschen machen und las ein Buch über unbekannte zivile Widerstandsgruppen", sagt er. "Das faszinierte mich und ich fand, dass es ein spannendes Spiel ergeben könnte. Damals baute ich einen kleinen Prototyp, der dann aber in der Schublade verschwand."

Als er sich Ende 2016 Gedanken über ein neues Projekt machte, kam ihm dieser Prototyp in den Sinn. Diesen zeigte er Schulz und hatte sich davon nicht mehr als Feedback erhofft. Er bekam mehr als das, denn sein Freund fand das Spiel gut und erklärte sich zugleich bereit, die Art-Direktion zu übernehmen. "Das war perfekt", merkt Friedrich an.

Die beiden Entwickler des Spiels.

Aufgrund der aktuellen politischen Landschaft und Stimmung in Deutschland ist es ein wichtiges Thema. Die Idee dazu entstand vor dieser Entwicklung, doch die politische Lage habe den Entschluss befeuert, dieses Spiel zu machen. "Natürlich wiederholt sich Geschichte nicht eins zu eins, aber es gibt Parallelen", erzählt er. "Das Berlin der 1920er Jahre war fortschrittlich und liberal. Kunst, Sexualität, Wissenschaft waren modern und vielfältig. Niemand glaubte, diese Freiheiten verlieren zu können, aber genau das geschah mit der Machtergreifung [der NSDAP]. Und der gesellschaftliche Rückschritt überdauerte die Nazizeit bei Weitem."

"Heute glaubt niemand ernsthaft, dass unsere bürgerlichen Freiheiten in Gefahr sein könnten und doch ist das der Fall. Sieh dir nur die Entwicklung in Ungarn an und wie dort mit der freien Presse umgegangen wird. Die Meinungsfreiheit und die freie Presse sind immer die ersten Opfer autoritärer Kräfte, daran erkennst du sie gut. 'Lügenpresse' ist ein Begriff, den die Nazis gerne und viel verwendeten."

Der zivile Widerstand im Zweiten Weltkrieg kam in Spielen bislang kaum zur Geltung. Friedrich sieht zwei Gründe dafür, warum das so ist. Einer davon sei, dass die Geschichte des zivilen Widerstands erst seit Kurzem erzählt werde. "Jetzt stöhnen die Deutschen auf und sagen: 'Aber wir hatten das doch ständig in der Schule!'. Das stimmt, aber eben nur zum Teil", erklärt er. "In der Schule sprichst du über Stauffenberg, die Geschwister Scholl und Bonhoeffer und stellt sie als absolute Ausnahmen dar - zumindest zu meiner Schulzeit war das noch so. Die vielen anderen Gruppen, die es gab, werden meist ignoriert."

Als Beispiel nennt er die Schulze-Boyen/Harnack-Gruppe, die zugleich eines der Vorbilder für die Gruppen im Spiel sei. In Berlin hatte sie über 100 Mitglieder, von christlich-konservativ bis kommunistisch war alles vertreten. Das Alter der Widerständler reichte von 18 bis 80 Jahren und nahezu die Hälfte von ihnen war Frauen. Die Bundesrepublik Deutschland habe die Gruppe erst 2006 als Widerstandsgruppe anerkannt, Bücher und Dokumentationen über diese und andere Vereinigungen erschienen erst in den letzten Jahren.

Im Untergrund plant ihr den Widerstand.

"Der zweite Grund ist, dass die meisten Spiele den Zweiten Weltkrieg aus rein militärischer Sicht darstellen. Das ist verständlich, denn er lässt sich so leicht in etablierten Genres wie Shooter oder Echtzeitstrategiespielen darstellen. In TtDoT zeigen wir den Kampf gegen die Nazis aus einer menschlichen, zivilen Perspektive", betont Friedrich. "Was der Spieler und seiner Gruppe beim Spielen erlebt, ist fiktiv, aber es hätte sich so ereignen können."

Historische Ereignisse finden an den realen Daten statt und haben Auswirkungen auf das weitere Spielgeschehen. Nach dem Reichstagsbrand entwickelt sich Berlin zum Beispiel zu einem gefährlichen Ort. Das gilt vor allem für Kommunisten, denen eine Verhaftung droht. Bis sich die Aufregung gelegt hat, empfiehlt es sich, mit ihnen lieber nicht für Aufmerksamkeit zu sorgen. Wer die Geschichte gut kennt oder den Titel mehrmals spielt, könne sich auf solche Ereignisse vorbereiten. "Gerade das finden wir aber spielerisch sehr interessant", bemerkt er.

Für verschiedene spielerische Aspekte setzen die beiden Entwickler auf die prozedurale Generierung. Ausschlaggebend dafür sei, dass die Spieler häufig scheitern, weil alle verhaftet sind, Mitglieder die Gruppe verlassen oder sie sich auflöst. Unter diesem Gesichtspunkt ähnele es einem Rogue-like, bei denen ein variierender Spielverlauf interessanter sei. Bei jedem Durchgang erstelle das Spiel so viele unerwartete und interessante Geschichten.

Das alles beeinflusse im Moment vor allem die Figuren des Spiels und ihre Eigenschaften. Dazu zählen zum Beispiel Dinge wie die politische Einstellung und der Beruf, ob eine Figur jüdisch ist oder homosexuell, ob sie Kinder hat, depressiv ist und mehr. Daraus resultieren Situationen innerhalb der Gruppe, die den Spieler zu Entscheidungen zwingen.

Stilistisch geht man in eine Richtung, die 'die Nazis verboten hätten'.

"Wenn zum Beispiel eine Frau, die eine wichtige Rolle in der Gruppe einnimmt, dir mitteilt, dass sie schwanger ist und aufhören möchte. Was machst du?", fragt er. "Lässt du sie gehen oder überredest du sie zum Weitermachen? Oder wenn dir ein Mitglied erzählt, dass es einem anderen nicht mehr traut, dieser andere aber den, der ihn angeschwärzt hat, als paranoid bezeichnet. Wem glaubst du?"

Die Entwickler möchten hervorheben, dass die Widerständler keine Soldaten sind, die ihr wie in einem Strategiespiel herumkommandiert. Vielmehr handelt es sich um normale Menschen, die aus freien Stücken für die richtige Sache kämpfen. Das bedeute zugleich, dass ein Rückzieher möglich sei, wenn sie der Mut verlasse oder sie Probleme mit den getroffenen Entscheidungen haben.

Weiterhin ist die Rede davon, die Geschichte zu verändern. Wie sich das darstellt? Geschichte sei mehr als die Entscheidungen von Politikern oder der Verlauf von Schlachten, sagt Friedrich. Jeder schreibe an jedem einzelnen Tag Geschichte. Zum Beispiel, indem ihr einen Gesuchten über die Grenze schmuggelt und so sein Leben spürbar verändert. Es zähle, was jeder Einzelne tut, weswegen ihr im Spiel häufig auf dieser persönlichen Ebene Einfluss nehmt.

"Wir experimentieren aber auch mit alternativen Geschichtsverläufen, zum Beispiel gab es rund 20 erfolglose Anschläge auf Hitler", ergänzt er. "Was, wenn du und deine Gruppe erfolgreich sind? Was, wenn du vor dem Überfall auf Polen an geheime Informationen kommst und diese frühzeitig einer ausländischen Macht zuspielst? Kannst du den Krieg verhindern? Diese Ideen existieren im Moment noch hauptsächlich in unseren Köpfen und wir werden die nächsten Monate nutzen, um zu testen, was davon wirklich gut ist."

Ende des Jahres soll das Spiel in den Early Access starten.

Das Spiel laufe in Runden ab, von denen jede eine historische Woche repräsentiere. Zum Wochenstart stehe eine Lagebesprechung in kurzen Dialogsequenzen auf dem Programm, wobei politische Ereignisse und persönliche Situationen von Mitgliedern eine Rolle spielen. Danach folge die Planung von Aktionen - unter anderem Flugblätter, Sabotageakte oder Anschläge - auf einer Stadtkarte von Berlin. Je mehr Aktionen ihr durchführt, desto mehr Unterstützer bekommt ihr. Gleichzeitig steige das Risiko, in die Fänge der Gestapo zu geraten, und der psychische Druck auf die Personen nehme zu.

Wichtig sei, immer die Moral der Gruppe zu heben, wenn es nötig ist. Das geschieht unter anderem durch eine Party mit verbotener Musik. Jeder habe seine eigenen Interessen. "Ich vergleiche TtDoT immer mit einem Rogue-like, nur dass du mit deiner 'Party' nicht durch einen dunklen Dungeon reist, sondern durch dunkle Zeiten - durch 'the Darkest of Times'", sagt Friedrich. Größere Probleme habe es bei der Entwicklung des Spiels nicht gegeben, was der zehnjährigen Zusammenarbeit des aufeinander eingespielten Duos zu verdanken sei. "Außerdem liegt uns das Thema", fügt er hinzu. "Es fühlt sich unglaublich richtig an, dieses Spiel zu machen.

An anderen Spielen zur Nazi-Zeit gefalle beiden nicht, wie der Stil der Nazis kopiert und zelebriert werde. Aus diesem Grund gehen sie bewusst in eine andere Richtung und orientieren sich an Künstlern wie Käthe Kollwitz, Otto Dix oder John Heartfield, deren Werke die Nazis hassten und verboten. "Er [Schulz] wollte für Through the Darkest of Times einen Grafikstil schaffen, den die Nazis verboten hätten", betont Friedrich.

Durch ihre Arbeit an Spec Ops: The Line haben sie gelernt, ohne das Ausleben von Allmachtsfantasien durch den Spieler ein unterhaltsames Spiel zu erschaffen. Ein Spiel könne ebenso ein emotionaler Tiefschlag in die Magengrube sein wie ein Film, Theaterstück oder Buch. Das gab den Entwicklern das Selbstvertrauen, mit Videospielen kritische Themen anzufassen. Von Through the Darkest of Times erhoffen sich beide, neue Wege zu finden, wie Spiele mit den Verbrechen des Nationalsozialismus umgehen.

'Wir weigern uns, mit Fantasie-Symbolen oder -Namen zu arbeiten.'

Im Zusammenhang mit einem Spiel wie diesem ist natürlich die Debatte rund um die Verwendung von Hakenkreuzen und NS-Symbolen in Spielen ein interessantes Thema. Für Friedrich macht ein striktes Verbot keinen Sinn: "Ich kann nur schwer nachzuvollziehen, dass sich die Landesjugendbehörden auf ein Einzelurteil aus den 90ern berufen, welches gegen Neonazis gefällt wurde, und dann deshalb Spiele wie Attentat 1942 - die eindeutig anti-faschistisch und kulturell wertvoll sind - in Deutschland nicht erscheinen können", sagt er.

Er wünscht sich, dass die Sozialadäquanzregel in Deutschland endlich bei Spielen Anwendung findet. Da gegen Bundesfighter 2 Turbo nicht ermittelt werde, scheine ein wenig Bewegung in die Sache zu kommen. "Das war allerdings auch eine Öffentlich-Rechtliche Produktion und brauchte als Browserspiel keine USK-Freigabe", merkt er an. "Das Problem für uns 'normale' Spieleentwickler sind ja weniger die Staatsanwaltschaften, sondern vielmehr die USK beziehungsweise die Landesjugendbehörden, die bei verfassungsfeindlichen Symbolen sofort die Altersfreigabe verweigern."

"Damit bist du aus allen öffentlichen Veranstaltungen wie zum Beispiel der gamescom raus und hast in der Presse einen schlechteren Stand. Wer weiß, vielleicht tut sich da ja bald was. Bis dahin gilt für uns: In Through the Darkest of Times leistest du Widerstand gegen Nazis, die heißen auch so. Und solange wir keine Hakenkreuze verwenden dürfen, bleibt der weiße Kreis in der roten Fahne leer. Wir weigern uns, mit Fantasie-Symbolen oder -Namen zu arbeiten."

Through the Darkest of Times ist für Windows, Linux und Mac in Arbeit, spätere Umsetzungen für Konsolen schließt Friedrich nicht aus. Derzeit befindet sich das Projekt in der Pre-Alpha-Phase. Ein Early-Access-Start auf Steam ist für dieses Jahr geplant, die finale Version für 2019.

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Benjamin Jakobs

Leitender Redakteur News

Benjamin Jakobs ist Leitender Redakteur, seit 2006 bei Eurogamer.de und schreibt News, Reviews, Meinungen, Artikel und Tipps.
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