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Crunch in der Industrie: 'Es wirkt wie modernes Sklaventum, nichts anderes ist es'

Was ihr zu sagen hattet.

100 Stunden Arbeit pro Woche. Arbeit bis spät in die Nacht oder Übernachtungen im Büro. Gesundheitliche Probleme, Belästigung und Diskriminierung. Es sind keine schönen Geschichten, die zum Teil aus Entwicklerstudios an die Öffentlichkeit gelangten.

Während Red Dead Redemption 2 im letzten Jahr abgefeiert wurde, äußerten sich auch Mitarbeiter zu den Arbeitsbedingungen im Studio und kamen damit in die Schlagzeilen. Zuletzt kamen sowohl Fortnite-Entwickler Epic als auch Mortal-Kombat-Entwickler NetherRealm aus diesem Grund ins Gespräch, sahen sich mit Vorwürfen konfrontiert. Und bei League-of-Legends-Entwickler Riot Games streikten in dieser Woche rund 200 Mitarbeiter.

Ist dieser Stress es wirklich wert, nur damit Spieler ein Spiel vielleicht zwei oder drei Monate früher in den Händen halten? Oder ist es gar ein notwendiges Übel in dieser Branche? Am Wochenende wollten wir von euch wissen, was ihr davon haltet.

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"Naja, es ist ein Geben und Nehmen auf beiden Seiten", findet rudi_rauschgift. "Wenn ich so etwas hören/lesen muss wie 'es ist eine Ehre, bei Rockstar zu arbeiten', dann lassen die Mitarbeiter es offensichtlich mit sich machen. Entwickler, Grafiker, Autoren... wenn sie fähig sind, werden sie in der Branche (auch außerhalb von Gaming) andere Posten finden. Und da das Thema auch nicht neu ist, sollte man zumindest schlau genug sein und sich über seinen Arbeitgeber und die Arbeitsbedingungen anhand von Erfahrungen informieren. So etwas wie Verträge sind sicherlich auch keine Erfindung der Neuzeit und auch immer eine Absicherung gegen derartige Probleme."

Dass die Leute es freiwillig mitmachen, sieht auch Frogomat als Problem. Entwickler seien leicht auszunutzen, solange sie das tun: "Für viele ist es seit ihrer Kindheit/Jugend ein Traum, als Spieleentwickler zu arbeiten. Da nehmen sie auch erst mal widrige Bedingungen in Kauf, um diesen Traum zu ermöglichen. Und das wissen die Firmen. Da wird für ein Hungerlohn und miese Arbeitszeiten ein Job angeboten (und der obligatorischen Fuß in der Tür der Branche). Auf jeden, der darauf keine Lust mehr hat, kommen hunderte andere, die auf eine Chance in der Branche hoffen."

"Es kann eigentlich nicht sein, dass wir die Gesundheit unserer Mitbürger willentlich für den Konsum gefährden", betont blablablablubb21. "Mir ist bewusst, dass Kapitalismuskritik von einem Mitglied der westlichen Welt per se heuchlerisch ist, denn wir sind fast alle Gewinner dieser globalen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. [...] Es scheint bei den großen Publishern und Entwicklern durch die Bank ein Managementproblem zu geben. Das ist in allen Artikeln zu diesem Thema der letzten Zeit der rote Faden. Ich glaube, der Grund dafür liegt in der Struktur dieser Unternehmen. Das sind alles Aktienunternehmen und deren Besitzer sind vor allem an kurzfristiger Rendite interessiert. Den Geldgebern ist das Produkt also egal. Kein Wunder also, dass die Mitarbeiter überlastet werden, um arbitrare Veröffentlichungsdaten einzuhalten."

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Ein wenig philosophisch wird indes m_coaster: "Wir arbeiten viel und oft zu lange, opfern unsere Lebenszeit für Konsum, den wir dann nicht verarbeiten können, für den andere ihre Lebenszeit geopfert haben", schreibt er. "Crunch-Time trifft Pile of Shame. Wäre Zeit, unsere wie die der Erde, wirklich Geld, würden wir anders handeln. Wir sind uns unserer Endlichkeit aber nicht in dem Maße bewusst, wie es sein müsste. Oft helfen nur harte Schicksalsschläge oder Katastrophen, um ein Umdenken zu ermöglichen."

Er sieht darin vor allem auch ein allgemeines Problem der Gesellschaft. "Das ist hochgradig unlogisch und pervers, wie der Konsum der meisten aus unserer westlichen Welt", ergänzt er. "Da können sich leider fast alle an die Nase packen - ich nehme mich da nicht aus. Wir leben tagtäglich auf Kosten der anderen. Wenn die eigenen Kinder die Jeans nähen sollten, wäre das undenkbar. Aber die Kinder in Asien, leider geil, meine Hose! Man schreibt während der Arbeitszeit in Kommentarspalten, will keine Überstunden machen und pfuscht sich was zurecht, aber wehe Mass Effect:Andromeda wird verschoben und hat mittelmäßige Augenanimationen. Da läuft der 35-Jährige bei Reddit Amok und wünscht irgendwelchen Mitarbeitern Krebs. Hohn und Spott wird gerechtfertigt, ja gefeiert, aber wehe es trifft einen selber. Wir als Konsumenten haben es in der Hand und das vergeigen wir tagtäglich in allen Lebenslagen."

Lorrn ist der Ansicht, dass niemand Überstunden abarbeiten müssen sollte. "Ich für meinen Teil lebe nicht für die Arbeit, auch wenn es der Arbeitgeber anders sieht", gibt er an. "Temporär ist es okay, ab und zu zwei bis drei Stunden mehr am Tag zu arbeiten, es sollte jedoch die Ausnahme sein und nicht die Regel. In der Softwareentwicklung/Programmierung kommt es leider noch oft zu Überstunden, meist am Projektende. Der Fehler liegt meiner Erfahrung nach meist am Projektmanagement."

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Der Grund seien neue, noch nicht erlernte Techniken, sich ändernde Anforderungen oder mangelnde Kommunikation. Am Ende bleibe alles an denen hängen, die das Projekt retten sollen. "Es kann aber auch anders laufen, dafür müssen sich die Entwickler organisieren und das Projektmanagement 'realistischer' weiterentwickeln", ergänzt er. "Das ist ein längerer Prozess und ich denke, dass die Spieleindustrie dort noch am Anfang steht. Es gibt ein paar Arbeitgeber wie Blue Byte, Piranha Bytes und Warhorse, die wohl auf ihre Mitarbeiter achten und lieber das Spiel verschieben, statt ihre Mitarbeiter auszubeuten."

Er würde immer versuchen, ein Spiel oder eine Software zu verschieben, wenn sie noch keine Marktreife hat. "Die Qualität der Software leidet unter den Überstunden, und der Kunde bekommt ein vermeintlich fertiges Tool mit einigen Bugs geliefert", sagt er. "Letztendlich ist ein reifes Tool ohne Negativpresse, Bugs und Überstunden rentabler für ein Unternehmen als ein eingehaltenes Release-Datum."

Alldieweil findet Rispin klare Worte für ein solches Verhalten: "Es wirkt wie modernes Sklaventum, nichts anderes ist es." Zum Generationswechsel werde immer erzählt, wie einfacher und schneller die Entwicklung mit neuer Hardware sei. Und dann dauert es doch mehrere Jahre bei Teams mit hunderten von Mitarbeitern.

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"Ich für meinen Teil kann auf Spiele warten, wenn sie dafür den Angestellten ein 'normales' Leben ermöglichen", ergänzt er. "Die Chefetage sollte nur mal begreifen, nicht die Titel ewig vorher anzukündigen und dann dadurch künstlich Druck aufzubauen. Jüngstes Beispiel dafür ist Anthem, was da abgelaufen ist, ist schon fast verfilmbar als Drama. Die hatten kein Plan, keine Ahnung wohin und am Ende wurde was zusammengeschustert und der kleine angestellte Entwickler ist am Ende der Loser. Völlig abgearbeitet, innerlich tot und jeder zweite Gamer schmeißt mit Kritik um sich."

DaCork: sieht die Verantwortung dafür ebenso bei den Konsumenten. Im Endeffekt trifft das auf viele Branchen zu", findet er. "Wer es nicht schafft, muss etwas in seinem Leben ändern. Firmen werden immer gewinnen. Warum? Weil die Konsumenten (wir alle) die Firmen unterstützen und alles fleißig hinnehmen. Die Gäste im Restaurant, die für ihre 8-Euro-Pizza einen exklusiven Service mit hochwertigen Produkten erwarten, von einem Kellner mit Mindestlohn und viel zu langen Schichten. Die Gamer, die ihr spiel wollen, egal wie hoch die Überstunden der Entwickler sind. Klamotten, die 1.000 Jahre halten, aber nur 4 Euro pro Stück kosten sollen. Irgendwer ist dann immer der Dumme."

"Die Gameindustrie ist eine echte Drecksbranche!", wirft Schattenlaeufer ein. "Die Gesundheit ist das höchste Gut des Menschen. [...] Kein Job der Welt ist es wert, dass man sich vielleicht jahrelang in Therapie begeben muss. Es ist schon schade, dass viele Publisher und auch andere Arbeitgeber in der heutigen Zeit die Menschen nur als 'austauschbares Vieh' betrachten. Es ist ja scheinbar unmöglich, einen Titel auch mal ein paar Monate zu verschieben und den Entwicklern etwas mehr Zeit zu geben.Warum auch? In der heutigen Zeit muss das Game zum Release ja nicht fertig, sondern nur lauffähig sein. Schließlich kann man es ja im Laufe der Zeit fertig patchen."

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Eine Unterbindung oder sogar ein Verbot von Crunch-Times fordert Sid_Burn, vor allem im Hinblick auf die Gesundheit der Mitarbeiter. "Hier treibt man die Menschen psychisch einfach in die Depression", findet er. "Wenn alle anderen länger arbeiten, nur man selber nicht, dann erzeugt es auf einen auch einen Druck, gefälligst länger zu arbeiten. Ob das nun 'optional' ist, spielt da eigentlich wenig eine Rolle. Der Druck ist trotzdem vorhanden."

"Der Wert eines Menschen bildet sich nicht darin nur wie gut er arbeiten kann", fügt er hinzu. "Was passiert eigentlich mit den Leuten die sich dann wirklich überarbeiten und krankheitsbedingt ausfallen? Werden die gefeuert? Vielleicht sollte man eher die Leute mit einem Bonus bezahlen, die pünktlich aufhören und sich nicht überarbeiten. Und die Leute bestrafen, die länger arbeiten. Gesundheitlich tut man sich damit keinen Gefallen und eine Firma sollte ebenfalls daran interessiert sein, gesunde Mitarbeiter zu haben. Letztendlich wirkt sich diese Gesundheit genauso auf die Qualität der Spiele aus."

Dass sich das ändert, betrachtet skeptisch, solange Menschen als austauschbare Ware angesehen werden und Quartalszahlen wichtiger als alles andere sind. "Da haben wir dann Activision, die trotz absurd hoher Gewinne noch tausend Leute feuern", kritisiert er. "Die Leute hätte man auch für neue Projekte einstellen können, vielleicht mal eine neue IP schaffen. Aber hey, die Gewinne sind halt wichtiger."

"Die Welt braucht mehr Praktikanten", sagt indes stipopipo. "Crunch-Times sind in vielen Branchen üblich und manchmal gibt es eben eine Deadline, die es einzuhalten gilt (in der Architekturbranche beispielsweise das Eingangsdatum eines Wettbewerbs). Mit guten Leuten, die Spaß an der Arbeit haben und sich in großen Unternehmen ein Bild vom Alltag machen, ihre Haushaltskasse aufbessern oder vermeintlich was für den Lebenslauf tun wollen, könnte man zumindest solche Phasen einigermaßen auflockern. Ich weiß nicht, inwieweit das in der Spielebranche üblich ist, aber den Praktikanten in Architekturbüros werden dann einfach die Arbeiten gegeben, die auch sie erledigen können und die einigermaßen Zeit in Anspruch nehmen - somit haben beide Seiten was davon. Geht natürlich auch ins Geld, aber deutlich weniger als beispielsweise die Anstellung vieler bereits ausgebildeter Fachkräfte."

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"Kurz gefasst: Diese Branche braucht eine Gewerkschaft", fordert KaeptnQuasar. "Ich bin der Meinung, dass man zum Projektende durchaus mehr Zeit investieren kann, allerdings kippt das dann immer ins Extreme und die Mitarbeiter werden verheizt. Psychische Erkrankungen treten laut den Kassen heutzutage immer häufiger auf. Ein gesundes Unternehmen hat eine Verantwortung für seine Mitarbeiter, daher muss man solche Crunch-Times begrenzen (maximal 60 Stunden) und Releases lieber verschieben. Diese Überstunden müssen den Arbeitgeber so viel kosten, dass er sich es zweimal überlegt."

"Verschobene Releases werden trotz allem gut aufgenommen von den Spielern", fügt er hinzu. "Außerdem werden große Namen wie BioWare immer von den Mitarbeitern getragen. Wenn diese dann aber mehr und mehr unzufrieden sind und das Unternehmen verlassen, dann sieht man das Ergebnis sehr deutlich nach ein paar Jahren. Deswegen finde ich solche Schlagzeilen gut, da geht irgendwann ein Ruck durch die Branche und die Angestellten gehen zufriedener ihrem Job nach. An Geld mangelt es bei vielen Projekten auch nicht."

"Niemand sollte unter solchen Bedingungen arbeiten müssen, auch nicht vorübergehend", schreibt player_1. "Wie heißt es so schön: Man arbeitet, um zu leben, nicht andersrum. Gerade eine Firma wie Rockstar sollte es sich leisten können, so etwas zu vermeiden. Davon abgesehen gibt es ja auch Gesetze die unter anderem die tägliche maximale Arbeitszeit vorschreiben. Warum ist es in manchen Branchen völlig normal, das zu ignorieren? Ich persönlich arbeite 35 Stunden in der Woche und mein Traum wären 30. Ich werde durch den Job nicht gerade reich, aber ich brauche einfach auch in der Woche meine Freizeit. Das macht mich deutlich glücklicher als mehr Geld und da ich eh schon immer zur Sparsamkeit neige, wird es bei mir finanziell auch nie eng."

"Nennt mich ein faules Schwein, aber für mich bleibt Arbeit ein notwendiges Übel", ergänzt er abschließend. "Eine solche Crunch-Time wie in der Games-Branche oder zum Beispiel die ganze Woche auf Montage zu sein, kämen für mich auch für viel Geld niemals infrage."

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Benjamin Jakobs

Leitender Redakteur News

Benjamin Jakobs ist Leitender Redakteur, seit 2006 bei Eurogamer.de und schreibt News, Reviews, Meinungen, Artikel und Tipps.

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