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Killergammel aus der Stammtisch-Schublade

Wir leben im Zeitalter des plakativen Worts. Sprache wird verwendet wie ein Schlag ins Gesicht – Hauptsache es "knallt": Gammelfleisch, Wetter-Chaos, Verkehrs-Kollaps … und jetzt wieder einmal "Killerspiele". Da wird gedankenlos drauflos geplappert und die wenigsten merken, wie diese Sprache sich unmerklich in ihre Hirnwindungen hineinfrisst und die Herrschaft übernimmt. In weiten Kreisen der Bevölkerung wird es beispielsweise gegenwärtig kaum mehr möglich sein, eine sachliche Diskussion über das tatsächliche Gewaltpotenzial von Computerspielen zu führen. Zu sehr schwebt alles, was das Wort "Killerspiel" impliziert, über den Gedanken: Töten, Verstümmeln, Amok, Blutrausch und, und, und.

Wie soll man da noch differenzieren? Sind wirklich alle Spiele "Killerspiele"? Was sind überhaupt "Killerspiele" – denkt da überhaupt noch jemand drüber nach? Selbst der sonst so besonnen-kritische WDR-Moderator Frank Plasberg würfelt in “Hart aber Fair“ vom 22. November munter Ballerspiele, "Killerspiele" und Strategie durcheinander und stellt seinen Studiogästen ungewöhnlich viele einschlägig tendenziöse Suggestivfragen. Sind denn wirklich alle Ego-Shooter-Fans tickende Zeitbomben, die irgendwann ein Blutbad anrichten? Diesen Eindruck könnte man angesichts reißerischer Berichterstattung in Massenblättern wie der Münchner Abendzeitung („Killerspiele endlich verbieten!“) oder der tz („Machen Killer-Spiele gewaltätig?“) gewinnen. Aber entspricht das der Realität? Wie nach dem Amoklauf von Erfurt stehen sich auch nach Emsdetten wieder Computerspieler und die Gegner von "Killerspielen" unversöhnlich mit ihren disparaten Meinungen und Forschungsergebnissen gegenüber.

Das Kreuz mit der Verdrängung

Plakative Sprache führt dazu, dass man es sich zu leicht macht, sich mit einfachen Erklärungen zufrieden gibt, die keine echten Lösungen bieten können. Wenn Herr Stoiber pauschal nach einem "Verbot für Killerspiele" schreit und Herr Beckstein "Killerspiele" ähnlich ächten will wie Kinderpornografie, dann mag das an bierseligen Stammtischen gut ankommen. Es zeugt aber auch von einer erschreckend simplen Weltsicht, die die eigentlichen Konfliktherde in unserer Gesellschaft schlichtweg negiert. Warum wurde ein Bastian B. zum Amokläufer? Bestimmt nicht, weil er "Counterstrike" gespielt hat. Wohl eher, weil er sich jahrelang gegängelt, gemobbt, ausgelacht, ausgegrenzt und sehr einsam gefühlt hat – seine Spuren im Internet geben ausführlich Aufschluss darüber. Mag ja durchaus sein, dass sich Mitmenschen in seiner Umgebung um ihn gesorgt haben. Vielleicht hat er das vor lauter Wut, Verbitterung und Hass auf sich und die Welt einfach nicht mehr erkannt.

B. schreibt bereits im Sommer 2004 bei beratungsnetz.de von "Amoklauf". Die Reaktionen der Leser wirken sehr hilflos, auch so, als ob ihnen die Tragweite von B.s Hilferuf nicht so ganz bewusst gewesen wäre – vielleicht schreckt man bei solchen Worten auch deswegen nicht mehr hoch, weil sie aus Sensationslust heute derart inflationär gebraucht werden? Man stumpft ab. Man nimmt das, was zwischen den Zeilen steht, vor lauter fetten kapitalen Lettern gar nicht mehr wahr. Wer ein massives psychisches Problem hat, kann sein Leid mit voller Kehle herausschreien. Er wird nicht gehört. Wer wegen einer Sportverletzung seiner Arbeit nicht mehr nachgehen kann, ist ein "Held". Wer psychisch krank ist, erntet oft genug Unverständnis und ist draußen aus dem Spiel. Das ist das eigentliche "Killerspiel" in unserer nach wie vor ziemlich darwinistischen Gesellschaft.

Ellenbogen statt Empathie

Und hier beißt sich auch die Katze in den Schwanz: Christian Pfeiffer, der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, argumentiert, "Killerspiele" wie "Counterstrike" würden die Empathie-Fähigkeit des Spielers auf lange Sicht beeinträchtigen. Die Frage, die ich mir dabei stelle: Wo erfahren junge Menschen in unserer Gesellschaft Empathie? Vielleicht noch in der Familie, wenn sie Glück haben. Im so genannten "öffentlichen Leben" jedenfalls nicht. Dort gilt es, zu "funktionieren" und "Leistung" zu bringen. Wer das nicht tut, wird schon während seiner Schullaufbahn "ausgesiebt". Danach folgt der oft hürdenreiche Einstieg ins Berufsleben. Auch hier gilt es vor allem, im Wettbewerb GEGEN andere zu bestehen. Die Tugend des MITeinander, modisch mit dem dynamischen Begriff "Soft Skills" umschrieben, wird zwar überall gefordert, aber in den wenigsten Bereichen tatsächlich gelebt. Wie sollen also Jugendliche durch "Killerspiele" ihre Empathiefähigkeit verlieren, wenn Empathie in vielen Fällen erst gar nicht richtig gelernt wird und eigentlich sowieso kein taugliches Mittel ist, in unserer Gesellschaft zu überleben?

Irgendwie erinnert mich das alles ein wenig an Bret Easton Ellis´ Roman "American Psycho", in dem der Protagonist Patrick Bateman quasi öffentlich die grausamsten Morde begehen kann, ohne dass seine Umgebung Notiz davon nimmt. Zwischenmenschliche Beziehungen haben einen Grad der Oberflächlichkeit und Gleichgültigkeit erreicht, der solche Verbrechen erst möglich macht. "American Psycho" hat mir mit seinen drastischen Gewaltdarstellungen diverse Alpträume beschert und müsste nach den Maßstäben der Herren Stoiber, Beckstein, Schönbohm und Wulff eigentlich ein "Killerbuch" sein. Es ist jedoch frei verkäuflich, und das ist auch gut so. Dieses Stück Literatur hält unserer Gesellschaft erbarmungslos den Spiegel vor die Nase und ist ein Kunstwerk.

Was der Beckstein nicht kennt …

Damit wir uns nicht falsch verstehen. Bastian B.s Amoklauf soll hier nicht schöngeredet werden. Er war ein abscheuliches Verbrechen, von dem viele Unschuldige vielleicht den Rest ihres Lebens traumatisiert sein werden. Aber wenn man solche Gewalttaten in Zukunft verhindern will, muss man die Ursachen verstehen lernen. Was bringt einen Menschen so weit, voller Hass wahllos auf andere zu schießen und sich dann selbst zu richten? Die Erklärung "Killerspiele" erscheint mir da doch etwas zu simpel und dürftig.

Ein Bänderriss am Knöchel ist greifbar. Die Hintergründe einer Depression sind mysteriös und unheimlich. Fremd wie das Phänomen "Computerspiel" den meisten, die gegenwärtig lautstark in den Medien nach Verboten schreien. Man denke hier nur daran, wie unverhohlen unvorbereitet die NRW-Ministerin für Schule und Weiterbildung, Barbara Sommer, in Plasbergs oben genannte Sendung gegangen ist. Das Fremde macht von jeher Angst, löst Unbehagen aus. Das war der Hintergrund rassistisch-tumber Deutschtümelei im Dritten Reich, das galt in den 50-ern für Elvis Presleys verruchten Hüftschwung und heute für diejenigen, die mit der multikulturellen Gesellschaft nicht klar kommen. Was man nicht kennt, schiebt man am liebsten weg. So werden auch Menschen mit psychischen Problemen gern als "Psychos" oder gar "Vollidioten" abgekanzelt. Dabei haben oft gerade die, die ihre Augen am festesten vor dieser Krankheit verschließen, selbst ein massives Problem.

Und so wird auch das Phänomen "Computerspiel" von vielen verteufelt, die sich nie ernsthaft mit der Materie auseinander gesetzt haben. Auch hier zeigt sich: Was einem fremd ist, gilt zuerst einmal als böse. Das führt dazu, dass Vorurteile geschürt und bedrohliche Behauptungen in die Welt gesetzt werden – wie die, dass Computerspieler auf Grund ihres Hobbys vereinsamen und die Fähigkeit zu sozialen Kontakten verlieren würden. Da kann man noch so oft darauf hinweisen, dass Spiele wie "Counterstrike" gerade von der perfekt funktionierenden Kommunikation und Teamarbeit zwischen den Spielern leben und dem "Einzelkämpfer" langfristig eigentlich weder Spaß noch Erfolgserlebnisse bescheren. Dass "Counterstrike" in erster Linie ein Gruppenerlebnis ist, wird konsequent ignoriert, weil es nicht ins vorgefertigte Bild vom sozial verwahrlosten Nerd passt.

Scheinheiliger Zweck-Aktionismus

Sollten "Killerspiele" also verboten werden? Wie will man überhaupt etwas verbieten, das nicht einmal klar definiert ist? Das Wort "Killerspiel" ist so nichts sagend und schwammig wie Angela Merkels leutseliges Geschwätz: "Vor lauter Globalisierung und Computerisierung dürfen die schönen Dinge des Lebens wie Kartoffeln oder Eintopf kochen nicht zu kurz kommen", sprach die Kanzlerin auf einem Hessentag in Heppenheim (Handelsblatt, 24. Juni 2004). Apropos "Globalisierung": Wie soll in Deutschland ein Spiele-Verbot in Zeiten des Internets und des globalen Marktes realisiert werden? Das könnte nur über eine Kriminalisierung von Tausenden Menschen funktionieren, die gegenwärtig eigentlich nur friedlich ihrem Zocker-Hobby nachgehen und niemandem damit schaden. Wo bleibt da die Verhältnismäßigkeit? Werden künftig dann auch Fußballspiele verboten, weil es dort regelmäßig zu Gewaltausschreitungen kommt? Jüngster Fall: Polizist erschießt bei einem UEFA-Pokalspiel zwischen Paris St. Germain und Hapoel Tel Aviv nach rassistischen Ausschreitungen mit ca. 150 gewaltbereiten PSG-Hooligans einen Fan und verletzt einen zweiten schwer.

Aber wo würde nach einem Fußballverbot Stoiber in Zukunft die "Volksnähe" suggerierenden Metaphern für seine Reden hernehmen? Allein hier zeigt sich die ganze Verlogenheit der Diskussion um das Verbot von "Killerspielen".

Wir haben mit der USK bereits ein gut funktionierendes System, das Eltern und Spielern sinnvolle Hinweise gibt, welche Titel für welche Altersgruppe in etwa geeignet sind. Natürlich entbindet das den Einzelnen nicht davon, selber zu denken und kritisch zu prüfen. Hier sind Eltern gefragt, die sich mit ihren Kindern beschäftigen und sie nicht vor dem Computer oder Fernseher "ruhig stellen". Hier ist in Familie, Schule und Freizeit ein Umfeld gefordert, das Heranwachsende im Lauf ihrer Entwicklung mit genügend Medienkompetenz ausstattet, dass sie in der Lage sind, mediale Inhalte richtig einzuordnen.

Was können wir tun?

Gibt es Maßnahmen? Diese Frage wird – auch in Spielerkreisen – schnell mit Selbsthilfegruppen und Frühwarnsystemen für potentielle Amokläufer beantwortet. Das ist gut und richtig. Hat aber nichts mit Computerspielen zu tun. Solche Mechanismen wären auch notwendig, wenn niemand "Pong" erfunden hätte und wir alle nicht wüssten, was ein Joystick ist.

Es geht um das Image von Computerspielen in Deutschland. Wenn es uns gelingt, dieses aufzuwerten, dann wird bei der nächsten grausamen Tat nicht das „unbekannte Wesen aus Bits & Bytes“ herbei zitiert, sondern nach den wahren Gründen gesucht – und das hoffentlich erfolgreich. Was wir als Spieler also tun können, ist unser Hobby zu erklären. Und das geht am besten in der Praxis. Spielt mit Eurem Umfeld! Fordert Eure Eltern auf, mit Euch zu zocken. Oder eben umgekehrt, wenn Ihr schon Kinder habt.

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