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Drakensang: Am Fluss der Zeit

Das neue Manifest und die alte Liebe

Spätestens an dieser Stelle merkt man aber deutlich, wie tief die Entwickler von Am Fluss der Zeit in die Materie und das Quellenmaterial eingearbeitet sind. Der Sprachstil wird von DSA seit seinem Anbeginn gepflegt und kultiviert. Es ist ein Erbe, dessen Ursprünge sicher irgendwo auch bei der Carroux-Übersetzung des Herrn der Ringe zu suchen sind. Diese Sprache beeinflusste praktisch alle Frühfantasywerke aus Deutschland. Und dass sie nicht aus der Mode kam, lässt sich auch gut daran erkennen, dass diese Übersetzung, vorübergehend zugunsten einer etwas unglücklich modernisierten zum Sammlerstück umgewidmet, nun wieder in den Verkaufsregalen steht. Spieler, die sonst eine weniger verquere Wortwahle gewohnt sind, mögen sich daran anstoßen. Aber das ändert nichts daran, dass dies zu einhundertprozent den Geist der Vorlage des Schwarzen Auges einfängt und seine Fans glücklich macht.

Dass einen die Geschichte dabei am Ende aber dann doch weniger einnimmt oder die Figuren weniger ans Herz wachsen als es noch zuletzt bei Dragon Age er Fall war, liegt an der festen Konstellation in der Party. Gemäß der Regel, dass man früher am Spieltisch zusammenarbeitete, gibt es zwar einen guten Grund, warum man zusammen reist und kämpft, die persönliche Beziehung wird dabei aber nicht groß vertieft. Die Elfe kann ruhig die gewaltfreie Lösung bevorzugen, haut ihr trotzdem drauf, hat das keinen Einfluss auf die weiteren Gespräche mit ihr. Dieser Ansatz ist natürlich rückständiger und hätte verfeinert werden können.

Wenigstens arbeiten sich im Laufe der Zeit ein wenig die Hintergrundgeschichten heraus, wenn sich schon nicht so wahnsinnig viel bei den Persönlichkeiten tut. Der eigene Charakter bekommt seine Einführung gemäß der Profession und die erste Stunde läuft durchaus ein wenig anders ab, je nachdem ob ihr nun Streuner, Krieger oder einen anderen aus dem angebotenem Dutzend Berufe wählt. Das Ausmaß dieser Einleitungen lässt sich nicht mit Dragon Age vergleichen, aber ein paar eurer Entscheidungen haben sogar Auswirkungen auf den späteren Ablauf. Nicht auf den großen Plot, aber immerhin.

Die Küste der Eispiraten. Ohne Ron Perlman.

Bei den Questen, auch der großen Hauptgeschichte, konnte ich stellenweise den Eindruck nicht ganz abschütteln, von einem Spielleiter, - oder Meister, um in der Terminologie zu bleiben - der eines der Abenteuerbücher vor sich hat, mit einer unrealistisch kooperativen Gruppe von Spielern durch den Plot hindurchgeführt zu werden. Sehr sanft, ohne großes Schubsen und ohne dass der Meister die gesamte Welt von Aventurien auf den Kopf stellen wollte.

Ein störrisches Piratendorf, ein Drache in einer Höhle oder auch mal ein wenig Verschwörung, Verrat und Intrigen, die es aufzudecken gilt. Es ist wieder diese Unschuld, dieses ganz klassische Abenteuer im eigentlichen Sinn. Ziehe aus, erlebe Dinge und kehre lebend zurück, um davon zu erzählen. Das ist übrigens auch die Metahandlung. Eine der Figuren des ersten Drakensangs wirft einen Blick zurück, noch vor den ersten Teil. Die Verbindungspunkte sind lose und wer Drakensang nicht kennt, kann trotzdem ohne Einschränkungen Am Fluss der Zeit spielen. Damit erübrigt sich auch die Frage nach der Übernahme von alten Figuren: Es geht nicht und würde auch keinen Sinn machen. Veteranen haben allerdings einen anderen ganz klaren Vorteil. Sie haben sich schon in die Wunderwelt des viel zu komplexen Mammutregelwerkes namens Das Schwarze Auge 4 herangetastet. Als Pen&Paper ist die Überregulierung von Kampf, Zauber und Spielerklassen auf mittlerweile gut über 1.000 Seiten angeschwollen und nichts mehr für das halbherzige Zwischendurch.

Finish-Foto mit Werwolf.

Ein großer Teil dessen fand auch seinen Weg in den Unterbau von Drakensang, und zwar mit allen Würfelproben, die dazugehören. Es mag auf dem Computer archaisch erscheinen, die Wirkung einer Waffe mit 1W6+6 auszudrücken und konsequent Attacke und Parade gegeneinander würfeln zu lassen, aber es funktioniert so wenigstens weit besser als das alles von Hand selbst machen zu müssen. Schnell ist das System trotzdem nicht. Gerade niederstufige Helden mit miesen Angriffswerten landen zu Beginn sehr wenige Treffer, ganz einfach weil die Wahrscheinlichkeit gegen sie spricht. Selbst wenn ihnen ein Angriff gelingt, muss noch die Parade des Feindes misslingen und der Schaden hoch genug sein, um durch die Rüstung zu kommen. Es ist sperrig und mitunter bockig, auch mal frustrierend - die Würfel hassen mich halt -, aber so ist das nun mal im Schwarzen Auge und damit auch in Drakensang.

Das heißt nicht, dass alle Kämpfe öde wären, ganz im Gegenteil. Die Lebensenergiezahlen steigen kaum ernsthaft über 50 oder 60, und das bei den Tanks. Ein kritischer 20-Punkte-Treffer tut richtig weh, auch weil Heiltränke rar sind und Heilung über Verbände oder Magie wertvolle Zeit im Kampf braucht. Bis ihr einen Wundverband angelegt habt, hat der Angreifer schon mal vier Schläge frei, ihr könnt nicht verteidigen und auch bei der Handlung unterbrochen werden. Es ist realistisch und das macht es mitunter extrem reizvoll. Einige der Bosskämpfe reizen das System bis an die Grenze aus und an einer Stelle, wenn ihr sehr eindringlich gefragt werdet, ob ihr nicht doch noch mal einkaufen gehen wollt, kann ich nur raten, das unbedingt zu tun. Zwei oder drei der Fights gehörten zu den Besseren meines Computerspiele-Lebens und der finale Sieg lies mich aufspringen und ganz un-Aventurisch "DIE, you son of a b...ch!" ausrufen. Passender wäre wahrscheinlich "Nun bezahlt Ihr für Eure Taten, elender Schurke." gewesen.

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Martin Woger

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Chefredakteur seit 2011, Gamer seit 1984, Mensch seit 1975, mag PC-Engines und alles sonst, was nicht FIFA oder RTS heißt.
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