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Neverwinter Nights 2: Storm of Zehir

Güter statt Güte

Verstärkt wird diese gefühlte Distanz durch das bedeutendste neue Feature in Storm of Zehir, der Überlandkarte. Auf dieser könnt Ihr mit Eurer Party in vereinfachter Darstellung frei zwischen Städten reisen, geheime Dungeons entdecken und Euch von etlichen Zufallsbegegnungen den Nerv rauben lassen. Monsterbanden und Banditen tummeln sich auf der großzügigen Landkarte nämlich wie die Fliegen auf einem ebenso großzügigen Haufen... Ihr wisst schon! Ausgeprägte Kenntnisse in Bereichen wie Suchen, Verstecken oder Überleben können das Stromern in der Wildnis aber erheblich erleichtern. Endlich haben derartige Fähigkeiten einen wirklichen Nutzen und sind nun maßgeblich dafür, ob Ihr Bösewichte und verborgene Schätze überhaupt bemerkt, Euch vor Konflikten drücken könnt und wie schnell Ihr bei der Reise unterwegs seid.

Vor allem die Tarnung ist enorm wichtig, wenn man sich keine fließbandartige Monsterabfertigung mit eingeschobenen Ladezeiten antun möchte. Ganz zu schweigen, von den unangenehmen Bestien, die Euer Trüppchen sonst schneller Verschlingen, als Ihr einen alten Spielstand laden könnt. Allerdings ist ein häufiges Verweilen vor Ladebildschirmen selbst für wahre Mimikry-Meister unvermeidbar. Jeder Übergang von der Weltkarte in eine Örtlichkeit ist schließlich mit lästiger Wartezeit verbunden. Und da Ihr im Sinne der arg vorhersehbaren und wenig epischen Storyline einer aufstrebenden Handelsmacht unter die Arme greift, ist das Betreten von Städten und den dortigen Handelsposten wahrlich keine Seltenheit.

Immerhin hat man bei Obsidian Entertainment versucht, diese Zwangspausen ein wenig einzuschränken, indem man dem Betreten einer Stadt stets ein kleines Kontextmenü voranstellt, das Euch direkt die wichtigsten Optionen zur Verfügung stellt. Das sind neben dem Rasten in der Taverne und dem Besuchen des örtlichen Tempels vor allem der Gütertausch und das Einrichten von Karawanen. Letztere tingeln nach dem Startschuss fröhlich über die Landkarte und bescheren Euch auf diese Weise ein halbwegs geregeltes Einkommen.

Ein kurzes Päuschen hilft bei der Übersicht.

Doch trotz der Einbindung des Handels in einige Hauptquests, ist der Güterverkehr eher überflüssiges Beiwerk. So viel Freude macht das Stiefeln auf der Landkarte nun auch wieder nicht, dass man glatt Lust hat, permanent zwischen den verschiedenen Metropolen zu pendeln. Um wirklich motivieren zu können, müsste das System schon eine ganze Ecke komplexer sein und weitaus mehr Belohnungen parat halten. Immerhin ein nettes Detail: Immer wieder werden die Handelszüge von Monstern oder Banditen überfallen, während Patrouillen gegebenenfalls Schutz bieten. Die resultierenden Schäden können die Händler darüber hinaus immobil machen. Wenn zum Beispiel ein Wagen schwer beschädigt ist, helfen handwerkliche Fähigkeiten eines Party-Mitglieds dabei, die Karawane wieder flott zu machen.

Ein wenig mehr von derartigen Feinheiten hätte auch an anderer Stelle nicht geschadet. Dungeons, Gruften und Minen sind in Storm of Zehir etwa so klein ausgefallen, dass sie in wenigen Minuten zu durchforsten sind und die meisten Städte sind kaum mehr als ihre vereinfachten Abbilder auf der Überlandkarte. Nur eine Handvoll wichtiger Ortschaften ist begehbar, und selbst das nur in begrenzten Teilen. Im prächtigen Niewinter sind abgesehen vom kleinen Schwarzseeviertel mit kaum mehr als einer Taverne und ein paar Handelsposten beispielsweise sämtliche Stadtteile gesperrt.

Ha! Wenn sie die Karawane haben wollen, müssen sie erst an sechs beinharten Helden vorbei!

Einzige, aber dafür löbliche Ausnahme ist die aus dem Hauptspiel bekannte Kreuzwegfeste. Die ehrwürdige Trutzburg dient Euch nach Eurer zwischenzeitlichen Rückkehr aus Samarach auch hier als Hauptquartier und kann mit den nötigen Ressourcen durch ein Portal, stärkere Patrouillen oder gar einen hübschen Tempel aufgerüstet werden. Wer sich mit dem Handel möglichst wenig aufhalten möchte, zieht aus diesen kleinen Extras aber so gut wie keinen Nutzen. Ebenfalls wieder mit von der Partie sind im Übrigen einige altbekannte Ungeheuer. Darunter sind vornehmlich die Sprach-Vertauscher, der KI-Vernebler und die Stablitätsbrecher. Im Ernst: Dass selbst das zweite Addon zu einem Spiel aus dem Jahr 2006 noch mit gelegentlichen Abstürzen und Aussetzern der künstlichen Intelligenz zu kämpfen hat, ist eine Frechheit.

Selbst wenn Ihr ganz genau hinhört und in jede Gasse lauscht, werdet Ihr weder Bierkrüge klirren noch Siegeshymnen aus den Tavernen hallen hören. In den vergessenen Reichen wird sich dieser Tage höchstens verhalten zugeprostet. Leise wird Obisidian Entertainment dafür gelobt, etwas Experimentierfreude bewiesen zu haben und laut wird darüber geflucht, warum man sich dabei von einigen der alten Tugenden abgekehrt hat, die die Schwertküste zu ihrem Ruhm gebracht haben. Protagonisten, die die Bezeichnung „Charaktere“ kaum verdient haben und eine Story, die in Sachen Tiefgang in etwa einem Planschbecken gleicht, sind jedenfalls nicht das, was man von einem Spiel in den Forgotten Realms erwartet. Nichtsdestotrotz hat Storm of Zehir auch seine Stärken.

Die komplexen Kämpfe sind noch immer ein echter Genuss und verlangen Euch nun mit der vergrößerten Party noch mehr Taktik ab. Echte Rollenspiel-Fans dürften sich außerdem über die Einführung der Überlandkarte freuen. Nicht nur, dass die Aspekte des Reisens und Erkundens mit ihr anschaulich zum Tragen kommen, sie verpasst etlichen Fertigkeiten auch endlich mal einen konkreten Nutzen. Ein bisschen Feintuning und weniger streckende Monsterbegegnungen könnten die Karte jedenfalls zu einem wunderbaren Feature zukünftiger Rollenspiele machen. Nur das Handelssystem sollte vielleicht wieder gestrichen werden. Die Mühe, die es brauchte, um die Tauschgeschäfte wahrhaft interessant zu gestalten, kann man doch tatsächlich besser wieder in die Kerntugenden stecken.

Der im Sturm nächtlichen Niewinter ist bereits angebrochen.

6 / 10

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Steffen Salomon

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