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Besiege: Bauen und Zerstören so glorreich wie nie

Ein The Incredible Machine für das neue Jahrtausend.

Wer erinnert sich noch an The Incredible Machine? Das frühe MS-DOS-Spiel, bei dem man Bauteile wie Zahnräder, Planken und Bowlingbälle aneinanderreihte, um irre Kettenreaktionsmaschinen zu bauen, die am Ende hundertfach Katzen in die Luft sprengten? Ein großer Spaß, wenngleich im Zeitalter, in dem den Stubentigern das halbe Internet gehört, absolut undenkbar. Natürlich gab es auch andere, konkretere und sinnigere Aufgabenstellungen, aber am Ende kreierte man immer frei vor sich hin, um comicartig überzeichnete Samtpfoten mit monströsen Buckeln durch die Luft kreischen zu sehen.

Klar gab es reichlich neue, meistens schlechtere Versionen davon und der Create-Modus von LittleBigPlanet wäre ein vergleichbarer, jüngerer Bezugspunkt (ohne fliegende Katzen). Auch deutlich stärker auf den Hardcore-Physiknerd ausgerichtete Titeln wie Kerbal Space Program erfreuen sich momentan großer Beliebtheit. Wie schon Incredible Machine baut Besiege auf jedoch auf einzigartige Weise Berührungsängste ab. Der physikbasierte Baukasten, der mittlerweile weit über eine Millionen Käufer verzeichnen kann, schnürt ein umwerfendes Aussehen, ein fantastisches Interface und reichlich Schadenfreude zu einem potenten Bastelkoffer, der nächtelang wachhält.

Wundervoll: die Explosionen, der Rauch und die fliegenden Trümmer.

Wo andere Bautitel mitunter mit abstruser Menüführung ein bisschen einschüchtern und man oft nicht so recht weiß, wo man anfangen sollte und warum, ist Besiege einfach einladend. Die stilisierte 3D-Gestaltung mischt sterilen Designbüro-Schick mit comicartig überzeichnetem Mittelalter. Akkurate Licht- und Schattenwürfe und authentische Physik erwecken den Eindruck, hier eine Art Spieltisch vor sich zu haben, dessen Einzelteile man mit den Fingern greifen, drehen und verschieben könnte. Und dann die Einladung: Hier eine Burgmauer mit Bogenschützen drauf, auf der anderen Seite, in der Luft schwebend, der Startblock für deine mittelalterlichen Holz-LEGOs. Verarbeite die wackeren Blechköpfe zu Matsch!

Aktuell belagert ihr zwei Inseln mit jeweils 15 Leveln, baut völlig frei Belagerungsmaschinen verschiedener Arten. Die einzige Vorgabe zum Weiterkommen erfüllt ihr wie auch immer, das ist dem Spiel egal. Solange am Ende 60 Prozent der Gebäude in Trümmern liegen, vier von fünf Schafen als roter Fleck auf dem virtuellen Rauchglas-Architektentisch verbleiben oder ihr einen bestimmten Parcours bis zum Ziel durchfahrt, kommt ihr weiter, egal ob auch von eurer Kreation am Ende nur glimmende Kohlen übrig sind. Dass das nicht ganz trivial ist, wenn man sich die Reihe an Bauteilen von Holzplanken über stabilisierende Metallspangen, (Zahn-)Rädern, Gelenken ansieht, dürfte klar sein.

Wie ihr seht, übe ich noch...

Das Schöne daran ist, dass erste Erfolge sich schnell einstellen, man zum Beispiel die Drehrichtung der Räder so einstellt, dass man auf Steuergelenke (die gerne mal das komplette Gefährt auseinanderreißen, wenn sich ein Teil unter einem anderen verkantet) verzichten kann. Ruckzuck hat man sein erstes flammendes Katapult gebaut, mit dem man anfangs in erster Linie zwar sich selbst in Brand steckt, bis man die eine, entscheidende Veränderung vornimmt, und von dort aus wird man immer kreativer. Weil man jedes Gefährt jederzeit speichern oder laden kann, fängt man immer wieder von vorne an, wenn reine Anpassungen an dem Zinnsoldatenhäcksler nicht mehr den erhofften Erfolg bringen, und wird so im Laufe eines Abends zu einem durchaus kompetenten Baumeister.

Aktuell gibt es zwei Inselreiche, mit insgesamt 30 Leveln, die ihr so Stufe um Stufe erobert und dabei immer mehr über die einfache, aber tiefgreifende Bastelkunst Besieges lernt. Drei weitere kommen hinzu und aktuell arbeitet Entwickler Spiderling daran, dass ihr bald auch den Mond erobern könnt. Besiege ist unmittelbar, im Standbild der frei drehbaren Baukamera - und ja, die Screenshots sind vollkommen repräsentativ - sowie in seiner wundervoll physikverliebten Bewegung ein Traum anzuschauen und das befriedigende Ineinanderschnappen der einzelnen Bauteile macht die grundlegende Interaktion mit diesem Spieltisch schon zu einer Wonne.

... während dieser Kollege mit Hunderten autonom bewegbaren Teilchen meine CPU ganz schön ins Schwitzen bringt.

Dazu passt, dass die Integration des Steam Workshops so vorbildhaft ist. Schon jetzt habe ich ein gutes Dutzend absolut genialer Kreationen heruntergeladen, die zwar bei weitem meine eigenen Tüftelambitionen übersteigen, aber von denen ich trotzdem viel gelernt habe. Was hier für Itchy-and-Scratchy-artige Killermascheinen entstehen, spottet jeder Beschreibung. Vollkommen funktionstüchtige Düsenjäger (mit Raketen) hat ein User sogar geschaffen.

Es ist wirklich abenteuerlich, was hier entsteht. Ob ihr euch an diesem Wettbasteln beteiligen wollt, bleibt voll und ganz euch überlassen. Ich kann noch eine ganze Weile gut damit leben, dass sich mein rotierender und flammenspuckender Messerturm am Ende der meisten Stufen selbst zu einem traurigen Häufchen zerbrochener Mörderträume reduziert, wenn das Basteln von Moment zu Moment so unterhaltsam ist. Abendfüllende, einfallsreiche und teuer aussehende Unterhaltung für nur 7,99. Gibt es auch nicht alle Tage.

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Alexander Bohn-Elias Avatar
Alexander Bohn-Elias: Alex schreibt seit über 20 Jahren über Spiele und war von Beginn an bei Eurogamer.de dabei. Er mag Highsmith-Romane, seinen Amiga 1200 und Tier-Dokus ohne Vögel.
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