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Blackguards - Test

Fans bewerten mit 1W6+8, alle anderen machen bitte erst eine Probe auf Sinnesschärfe.

Noch ein wenig unkoordiniert und unbalanciert, aber schon mit jeder Menge Herz und einem guten Kern überzeugt dieses Taktik-RPG am Ende.

Als ich zum ersten Mal die Preview von Blackguards spielte, hatte ich das nagende Gefühl, dass etwas fehlt. Der Funke wollte und wollte nicht überspringen. Als ich nun unlängst 'The Banner Saga' ausprobierte, wurde mir die Sache klar. Stoics nordisches Abenteuer ist ein mutiges Feuerwerk zu epischem Orchestersound, Blackguards eher ein pragmatisch geschichtetes Lagerfeuer mit Gitarrensolo. So ziemlich jeder findet Feuerwerke toll, aber für lange Abende am Lagerfeuer muss man schon ein bestimmter Typ sein.

Daedalics erstes reinblütiges RPG ist spielerisch so solide wie die Steinbetten eines Zwergenhotels. Die KI der Gegner dümpelt zwar auf niedrigem Sumpfranzen-Niveau, aber die Schlachtfelder wurden immerhin gespickt mit interessanten Überraschungen. Da gibt es Bienenstöcke, die man per Pfeilschuss auf die Gegner stürzen lassen kann, Gasblasen, die beim Kontakt mit Feuer explodieren. Messerscharfe Bärenfallen, grün schwelende Giftpfeile, tiefe Sumpflöcher, Schalter für Kräne, Kistenstapel zum Umschmeißen und viele Gimmicks mehr. Mal befreit ihr Sklaven, um Chaos zu stiften, oder verhindert, dass Wachen Alarm schlagen. Dann wieder überquert ihr unter Zeitdruck Brücken oder hindert einen Adeligen daran, sich aus dem Staub zu machen. In Sachen Interaktivität übertrumpft Blackguards locker die Nordmänner von Kickstarter.

Auch die restliche Rundentaktik und Charakterentwicklung weiß zu glänzen. Eure verdienten Abenteuerpunkte (AP) werden in diverse Grundwerte, Waffentalente, Zauber, (Spezial-)Talente oder Sonderfertigkeiten gesteckt. Mit der richtigen Kombination attackieren meine Recken zum Beispiel die Bösewichte im Vorübergehen, stoßen sie zurück, parieren Pfeile, schwingen zwei Degen gleichzeitig oder zaubern und buffen aus allen Rohren.

Die Bärenfallen dürften unsere Widersacher ordentlich Blutzoll kosten - sofern sie keine erfolgreiche Probe auf Sinnesschärfe werfen.

Das DSA-Regelwerk wurde erfreulich weitreichend umgesetzt. Sinnesschärfeproben unterschiedlicher Stufen enttarnen selbst meisterlich versteckte Fallen. Mit Gassenwissen gibt es Rabatte bei den Händlern, Tierkunde und Kriegskunst verraten mir die Werte meiner Gegner und ein Held mit ein paar Punkten in Heilkunde flickt selbst übelste Wunden mit etwas Leinen und Spucke. Ob Initiative, Traglast (in "Stein"), diverse Waffengifte, offensive oder defensive Waffenhandhabung, Rüstungssets, Proviant oder Charisma-Gesprächsoptionen - die Entwickler aus Hamburg kennen ihr 'Schwarzes Auge' aus dem Effeff.

Im dritten Gang geben wir Gas!

Beim Umfang gibt es auch kaum Grund zur Klage - die Spielzeit rangiert zwischen 40 und 50 Stunden, mit einem Hauptquest-Strang über fünf Kapitel und zig Nebenmissionen, die man gelegentlich im Gespräch mit NPCs aufschnappt. Freilich hätte ich mir gewünscht, dass die Geschichte ein bisschen flotter an Tempo gewinnt. Vermutlich wäre mein erster Eindruck positiver geraten, wenn das Spiel nicht erst ab Kapitel drei seine Stärken ausspielen würde. Ab da schöpft man so richtig aus dem Vollen, kann sich in den Nebenquests austoben und die zahlreichen Wegpunkte auf der Übersichtskarte erkunden. Die ersten beiden Akte sind verglichen damit ein mittelprächtiger Tunnel. Kapitel zwei gipfelt in einem interessanten Twist - für mich der Moment, in dem mich der Titel schließlich packte.

Schade allerdings, dass sich derartige Plot-Höhepunkte durchweg als fest vorgegeben entpuppen und es - trotz entsprechender Dialogoptionen vorab - keine alternativen Pfade gibt. Ich habe mittels Spielständen mehrmals nachgehakt und landete am Ende doch wieder dort, wo mich die Entwickler haben wollten. DSA-Veteranen kennen das von gewissen Partien mit sturen Spielleitern - die lassen sich auch nicht reinreden. Freier Wille? Stört bloß ihre ausgefeilte Planung.

Richtig ernüchternd war für mich, dass viele Nebenhandlungen eine Konsequenz vorgaukeln, die später nicht eingelöst wird. Da grüble ich minutenlang, welche Dialogoptionen oder Routen wohl welche Folgen haben könnten - stelle aber hinterher fest, dass bloß ein paar Dukaten mehr ins Geldsäckel gewandert sind. Was für ein anderes Kaliber ist da im Vergleich The Banner Saga, wo jedem Klick ein Stoßgebet vorangeht, weil eine falsche Dialogoption den Tod meiner Helden bedeuten kann, oder ganze Armeen samt Vorräten nach Walhalla verfrachtet.

Richtig ernüchternd war für mich, dass viele Nebenhandlungen eine Konsequenz vorgaukeln, die später nicht eingelöst wird.

Weichzeichner und Kantenpanorama - Während der Dialogsequenzen merkt man die Unzulänglichkeiten der 3D-Engine, was quasi mittels Vaseline auf der Linse kaschiert wird.

Ein weiterer Minuspunkt: Man wird buchstäblich bestraft, wenn man bei der Charakterentwicklung zu sehr experimentiert. Der ideale Held ist Fernkämpfer mit Pfeil und Bogen und beherrscht im Nebenjob das Schwingen von Hiebwaffen. Also ein recht handelsüblicher Jäger, wie er auch vom Spiel vorgefertigt angeboten wird. Schon ein Krieger oder Magier wirkt suboptimal. Wer sich gar im "Expertenmodus" eine Hybridklasse abseits des Standards bastelt, legt sich wahrscheinlich selbst unnötig Steine in den Weg. Der Jäger passt perfekt zu den Klassen, die sich im Laufe des Abenteuers eurer Party anschließen. Auf dieser Basis kann man zur Not auch andere Waffentypen draufsatteln und ist so für alle Unbill gerüstet.

Gefreut hab ich mich, dass sich die NPC-Charaktere ihrer Herkunft gemäß verhalten - vom jähzornigen Zwerg über den notgeilen Zauberer aus Al'Anfa, einer kiffwütigen Halbelfin bis hin zum stolzen Waldmenschen mit irdener Gelassenheit wird einem so ziemlich alles geboten. Als mich ein Händler der Novadi mit arabischem Klischee-Akzent um Geleitschutz für seine Karawane bat, kamen längst verschollene Erinnerungen an launige Pen-&-Paper-Abende "Mit Mantel, Schwert und Zauberstab" hoch.

Dabei ist die deutsche Sprachausgabe alles andere als makellos. Die Performance der Sprecher pendelt hin und her zwischen "Och ja, passt" und "Prinz Valium am Mikro". Die Brüder Cadalman und Bal im ersten Akt sind ein besonders krasser Fall. Was wie ein raubeiniger Zwerg klingen soll, hört sich eher nach Grundschulreferendar mit Kamillentee im Blut an. Die Kampfgeräusche und Hintergrundmusik sind hingegen ordentliche Standardkost. Ich erwarte von einem gestandenen Studio wie Daedalic nicht weniger.

Kanten! Igitt. Nicht so nah ran, bitte!

Einen nicht minder zwiespältigen Eindruck hinterlässt die 3D-Engine. Während der taktischen Kämpfe gibt es kaum etwas an ihr auszusetzen. Licht- und Schatteneffekte kommen gut zur Geltung, die Umgebungen wirken stimmig, wenngleich vielleicht ein bisschen zu kantig hier und da. Es gibt atmosphärische Höhepunkte, wie zum Beispiel den Zombie-Angriff in einem völlig nachtschwarzen Grab, während nur sporadische Blitze und die Flammenstrahlen meines Zauberers die Szenerie erhellen. Auch sehr nett, wenn man bei Dunkelheit auf einem Friedhof oder in mückenverseuchten Sümpfen unterwegs ist und nur Fackeln etwas Licht spenden. Das alles schaut passabel aus, weil man nicht allzu nah heranzoomen kann und die Kamera allenfalls von der Seiten- in die Vogelperspektive schieben darf.

Sobald man jedoch den Protagonisten während der Zwischensequenzen auf die Pelle rückt, werden die Unzulänglichkeiten der Engine offenbar.

Das DSA-Regelwerk wurde gut umgesetzt und macht die Charakterentwicklung zum Bastelspaß für Fans und Veteranen. Bei NPCs dürft ihr zusätzlich neue Tricks lernen.

Sobald man jedoch den Protagonisten während der Zwischensequenzen auf die Pelle rückt, werden die Unzulänglichkeiten der Engine offenbar. Da wirken die Helden plötzlich extrem kantig, bewegen sich hölzern und die ganze Inszenierung wirkt alles andere als zeitgemäß. Mit Unschärfe-Effekten haben die Designer offenbar versucht, das etwas zu kaschieren. Im Ergebnis schaut es aus, als hätte man eine Tube Vaseline auf den Monitor geschmiert. Die Städte und Dörfer sind kaum mehr als gestellt wirkende Dioramen mit wenigen Interaktionsmöglichkeiten. Die Welt- und Gebietskarten schauen aus wie U-Bahn-Netzpläne, die man mit ein bisschen Fantasy-Geschnörkel aufgehübscht hat. Nicht einmal die vorab gerenderten Videos können überzeugen - die hat man offenbar mit der gleichen 3D-Engine produziert wie den Rest des Spiels, nur dass die Filmchen zusätzlich ausgebleicht und verpixelt aussehen.

Klar brauche ich keine prachtvolle Inszenierung, um mich in ein Rollenspiel hinein zu versetzen. Mit Stift, Papier, Würfeln und Fantasie baut sich unsereiner ganze Königreiche. Trotzdem erwarte ich bei Daedalic einfach ein ansprechendes Art-Design. Blackguards will für mich so gar nicht in eine Reihe mit Satinavs Ketten, Memoria, The Whispered World oder Deponia passen.

Daher riecht das ein bisschen nach verpasster Chance. Stellt euch mal das Kampfsystem und die Charakterentwicklung dieses Blackguards mit dem Look von The Banner Saga vor. Hätten die Macher mehr Mut bei der Inszenierung bewiesen (oder mehr Geld zur Hand genommen) und etwas ähnlich bemerkenswertes gezaubert - die Fachpresse müsste Daedalic mit Preisen und 90er-Wertungen zusch...ütten. Hätte man dann noch einen Editor oben draufgelegt, mit dem ich als Spielleiter meine Kumpels durch selbst gezimmerte Abenteuer lotsen könnte ... So wie zu alten Neverwinter-Nights-Zeiten oder bei munteren DSA-Runden ... Nein, ich denke lieber nicht weiter drüber nach, sonst bekomm' ich Herzflattern.

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Spielerisch macht Blackguards ein üppiges Fass auf. Reichlich Haupt- und Nebenquests, ein Plot mit Ecken und Kanten, über 180 abwechslungsreiche Kampfschauplätze und solide rundenbasierte Taktik, die von ihren Haar- bis in die Zehenspitzen das DSA-Regelwerk atmet. Mehr Argumente braucht ein Fan nicht, um seinen Geldbeutel zu zücken, und die 40 bis 60 Euro über die Ladentheke zu schieben. Otto-Normal-Rollenspieler ohne Nostalgie-Bonus tut jedoch gut daran, vorher die Demo von der offiziellen Seite zu laden.

Grottig finde ich allenfalls die Präsentation außerhalb der Kämpfe - vor allem während der Dialoge in Nahansicht stinkt die 3D-Engine wie ein Haufen Ork-Dung. Die dürftige Optik und die durchwachsene Qualität der Synchronsprecher überraschen, wenn man andere Vollpreis-Daedalic-Titel zum Vergleich heranzieht. Da haben die Entwickler offenbar am falschen Ende gespart, nach dem Motto: "Echten Rollenspielern ist das eh wurscht." Außerdem nimmt der Titel erst ab Kapitel zwo richtig Fahrt auf und bietet dann ab Kapitel drei jene Quest-Vielfalt, die man sich schon im ersten Abschnitt gewünscht hätte. Dennoch möchte ich Daedalic freundschaftlich auf die Schulter klopfen: Blackguards hat mich doch noch gepackt, auch wenn es ein bisschen gedauert hat. Wenn die Hamburger auf dieser Basis weitermachen, sehe ich für Das-Schwarze-Auge-Jünger rosige Wolken am Horizont aufziehen.

8 / 10

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