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Die Schere im Kopf

Mehr Provokation, bitte!

Aktuellen Entwicklungen zufolge darf Manhunt 2 über den Daumen gepeilt nirgendwo erscheinen; hat mich nicht besonders interessiert. Aufgehorcht habe ich hingegen, als Constantine Hantzopoulos, Produzent von Condemned 2, zugegeben hat, er müsse sein Spiel entschärfen – wegen Manhunt 2. In dem Statement deutet sich an, dass einige Entwickler offenbar verunsichert sind wegen dem Manhunt 2-Debakel. Mich hat das überrascht.

Nach der Schere kommt die Axt.

Was ist passiert? Zur Erinnerung: Manhunt 1 hat eine große Kontroverse angeschoben, und das nicht ganz zu Unrecht. Belohnungen für möglichst brutales Töten? Eine ganze Stadt voll menschlichem Abschaum, den es aus dem Wege zu räumen gilt? So etwas muss ja Streit geben, zumindest, wenn es von einem vielbeachteten Publisher wie Rockstar kommt. Dann gab es noch das übliche Sündenbock-Szenario in England, wo die Mutter eines Straftäters angeblich behauptete, ihr Sohn sei von Manhunt „besessen“ gewesen. Das hat sich zwar als gründlich falsch herausgestellt, aber in den Medien war das Spiel gebrandmarkt.

Dann kam Manhunt 2 – offenbar ohne einen Überbau, der dem möglichst brutalen Töten irgend eine Rechtfertigung gibt. Hier wird man nicht mehr vom kranken Mann im Ohr zum Töten getrieben. Man spielt einen psychisch Kranken. Aber warum der auf der Suche nach möglichst unappetitlichen Wegen ist, andere Menschen zu töten, ist bisher völlig unklar.

Richtig böse

Akkupunktur ohne Genesungseffekt.

Auf keinen Fall will ich hier Zensur gutheißen. Die üblichen Beispiele aus Buch und Film wurden oft genug wiederholt: Derartiger Schund ist überall anzutreffen, frei erhältlich, ist nicht etwas spezifisch Neues in der Welt der Videospiele und markiert nicht den Untergang des Abendlandes. Meiner Überzeugung nach helfen Verbote schon lange nicht mehr. Kinder haben (hoffentlich!) Zugang zum Internet und können damit (hoffentlich nicht!) vom Folterporno bis zum authentischen Unfallvideo jeden Mist bekommen. Wird ein Spiel verboten, das anderswo auf dem PC erhältlich ist, qualmen die Tauschbörsen erst recht. Wozu also die Gratispublicity durch ein Verbot, das man nicht umsetzen kann?

Anders verhält es sich beim Nicht-Erscheinen von Manhunt 2. Denn allem Zensur-Geschrei zum Trotz ist das Spiel in den USA aus einem ganz einfachen Grund nicht erschienen: Es hat das Adults-Only-Rating bekommen, das in der Praxis bisher eher pornographischen Inhalten vorbehalten war. Wenn eine große Handelskette wie WalMart so etwas nicht in die Regale stellen will, darf sich keiner wundern.

Das alles bereitet mir also keine Probleme. Aber die Krise bekomme ich, wenn Entwickler sich selbst beschränken und ihrer Kreativität nicht mehr vollen Ausdruck verleihen. Übrigens – was wird eigentlich aus Condemned 2 entfernt? Auch darüber hat Hantzopoulos Auskunft gegeben: Herausgeschnitten wird etwa die Möglichkeit, gegnerische Köpfe in einen Schraubstock zu spannen. Auch 'einige Enthauptungen' gehen verloren.

Ist das jetzt schlimm? Ich bin nicht sicher. Bestimmt will ich nicht irgendwelche Moralprediger nachäffen und pauschal behaupten, Enthauptungen oder zerdrückte Köpfe hätten in Spielen nichts verloren. Gewalt gehört grundsätzlich zu jedem Medium! Aber ich finde es ermüdend, immer Spiele verteidigen zu müssen, die dumm und geschmacklos sind.

Provozierend gut

Was würde ich lieber verteidigen? Ganz einfach: Spiele, die nicht aus platten, sondern aus guten Gründen provozieren. Gibt es so etwas überhaupt? Bestimmt. Aber wenn man die Bestsellerlisten durchforstet, springen sie nicht gerade ins Auge. Ich habe mal genauer nachgeschaut.

Killer7

Mehr Tarantino als Tagesschau

Viele haben Killer7 in die böse Ecke gestellt. Spritzendes Blut! Nihilismus! Wahnsinn! Ganz sicher greift das Spiel in die Vollen und ist exzessiv gewalttätig. Aber es besitzt eine sehr eigene Perspektive. Man identifiziert sich nicht mit einem Charakter in einer möglichst realistischen Spielwelt, sondern entdeckt etwas Neues und Unklares. Die einfachsten Konventionen, selbst, was eine sinnvolle Steuerung angeht, werden ignoriert. Auch die Gewalt ist nicht wörtlich zu nehmen. Das begreift man schnell, wenn man Killer7 spielt. Und dann beginnt das große Rätselraten um die verschachtelte Symbolik des Titels.

Killer7 ist ein Spiel für Erwachsene. Welchen Sinn ergeben sonst Anspielungen auf Songs von den Smiths? Kennt die heute noch jemand? Man kann sich in verschiedene Killer verwandeln. Alle verkörpern Klischees, die schon lange durch Filme und Spiele geistern. Mit Realismus hat hier nichts etwas zu tun. Und schon deshalb sind Beschwerden über die vermeintliche Brutalität des Spiels völlig daneben.

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Jan Bojaryn

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