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Dragon Age: Inquisition - Skyrim'sche Verhältnisse

Spielwelt mal 10 oder "und ob Größe wichtig ist!"

Ich mag Dragon Age. Ja, selbst den zweiten Teil, der berechtigter Kritik ausgesetzt war und die liebgewonnenen Tugenden von Dragon Age: Origins komplett ignorierte, habe ich durchgespielt. Obwohl mangelnde Individualisierung und sträflich abwechslungsarme Gebiete mir das Leben als Held nicht leicht gemacht haben. Umso mehr habe ich mich gefreut, selbst antesten zu können, ob die Reue seitens der Entwickler ernst gemeint war und der dritte Teil der Saga wieder zur alten Serienstärke zurückfindet. Gut vier Stunden habe ich in Thedas verbracht und zum Schluss musste man mich mit sanfter Gewalt vom Bildschirm entfernen. Aber der Reihe nach.

Die Führungsriege der Templer und Magi kommen zum Konklave zusammen, um ernsthaft über ihre Jahrhunderte währende Feindschaft zu beraten. Bevor es aber zu einer Einigung kommen kann, macht eine Explosion den zarten Annäherungen ein Ende und rafft die Elite beider Fraktionen dahin. Einzig ein Überlebender wird von den Soldaten der Kirche in den Trümmern aufgefunden - und das bin ich. Beziehungsweise mein Spielcharakter, den ich in dem aufwändigen Editor in der vergangenen halben Stunde akribisch zusammengebastelt habe. Zur Verfügung stehen mit Menschen, Elfen, Zwergen und Qunari vier Rassen, die nicht nur über ein unterschiedliches Aussehen, sondern auch spezielle Startboni verfügen.

Ich entscheide mich für einen Menschen, der obendrauf gleich einen zusätzlichen Fähigkeitspunkt bekommt. Nächster Schritt: Wahl der Klasse. Ein Schurke, Krieger oder Magier stehen zur Auswahl, sowie Mischklassen wie ein Schurke mit zwei Dolchen oder zusätzlichen Fertigkeiten als Bogenschütze. Vielleicht doch ein Krieger mit Schild und Schwert oder der Fähigkeit eine mächtige Zweihandwaffe zu nutzen? Kurze Texte unter den Tarotkarten-ähnlichen Symbolbildern verraten ein wenig mehr zur Auswahl. Jetzt noch den Schwierigkeitsgrad wählen, hier steht auch direkt der Modus „Nightmare" zu Verfügung, der laut Beschreibung nur für Masochisten geeignet sein soll. Wem die Dragon-Age-Spiele bislang schlicht zu einfach sind, der sollte sich herausgefordert fühlen. Ich bleibe feige bei „Normal" und schließe die Grundeinstellungen ab.

Was darf's denn sein? Mensch, Elf, Zwerg oder doch ein Qunari?

Bei der Individualisierung des Charakters bin ich das erste Mal beeindruckt. Alles, aber auch wirklich alles an der Optik lässt sich mittels Schieberegler anpassen. Nicht nur die Basics wie Geschlecht, Haarfarbe oder Kopfform. Nein, selbst der Schwung der Augenbrauen, die Position der Ohren oder die Farbe der inneren und äußeren Iris lassen sich verändern. Ich verpasse dem humanoiden Helden eine männlich-herbe Narbe, deren Tiefe und Intensität ich anpassen kann, und ein schickes Gesichts-Tattoo, gebe ihm einen Namen und stürze mich endlich ins Abenteuer. Die Charaktererstellung ist das Erste eingelöste Versprechen der Bioware-Truppe und definitiv nichts für entscheidungsschwache Menschen.

Ich finde mich gefesselt in einem dunklen Raum wieder. Meine Erinnerungen an das Massaker sind nur rudimentär, irgendwas ist seltsam. Das könnte an den giftig-grünen Flammen liegen, die aus meiner rechten Hand lodern. Meine Vermutung scheint sich zu bestätigen, als das Verhör beginnt. Durchgeführt von der dominanten Cassandra Penthaghast, einer Adeligen aus einer Familie von Drachenjägern und Sucherin der Kirche (sie hatte ihren ersten Auftritt bereits in Dragon Age 2). Ich erfahre, dass die seltsamen grünen Flammen an meiner Hand genauso aussehen wie die Farbe der Dimensionsrisse, die überall auf der Welt aufgetaucht sind und aus denen Dämonen und Monster in Massen strömen. Da kann ich verstehen, dass ich wohl als Hauptverdächtiger gelte. Aber anscheinend bin ich kein Bösewicht, denn ich verfüge über die Macht, die Risse zu versiegeln und somit die Welt zu retten. Oder so ähnlich. Die Geschichte ist hochkomplex, wird von Verrat und Twists durchzogen und eröffnet sich sicherlich nicht nach ein paar Stunden. Hier scheint das zweite Versprechen von Bioware zu greifen, eine spannende, fantastische und kaum absehbare Geschichte zu liefern.

Langsam wird es Zeit, mal die Action auszuprobieren. Ich versammele mit Cassandra, dem Elfen Solas und dem mit seiner Armbrust Bianca ausgerüsteten Zwerg Varric eine Standardtruppe aus Nah- und Fernkämpfern und stelle mich den ersten Dämonen. Das Kämpfen gestaltet sich simpel: Mit der R2-Taste teilt man Hiebe aus. Mit den Kreis-, Dreieck- und Vierecktasten nutzt man Kampffähigkeiten wie einen besonders schweren Schlag oder Betäubungsmagie. Blocken, Abrollen, elegante Seitwärtsschritte? Fehlanzeige. Selbst den ausgerüsteten Schild kann ich nicht heben, außer ich habe eine entsprechende Fähigkeit erworben.

"Das Kampfsystem hat seinen besonderen Reiz und mit jeder erlernten Fähigkeit, für die es bei jeder Rasse und Klasse stark verzweigte Talentbäume gibt, erhöht sich der Spaß an den Schlachten."

Überall in Thedas sind eklig grüne Dimensionsrisse aufgetaucht, die ich versiegeln muss.

So gestaltet sich das erste Zusammentreffen zu einer wüsten Schlägerei ohne Finessen. Simpel, aber auf jeden Fall spaßig. Allerdings kommt ein Feature des ersten Teils endlich wieder zum Einsatz. Mit einem Druck auf das PS4-Touchpad schaltet man in die Ansicht der taktischen Kamera. Die Zeit friert ein und man kann in aller Gemütsruhe seinen Mitstreitern Befehle erteilen und sich den Status der Gegner anschauen. Genial: Mit der R2-Taste kann man die Zeit verstreichen lassen und schauen, ob die strategischen Ideen auch die gewünschte Wirkung zeigen. Gerade bei knackigen Bosskämpfen bringt die taktische Kamera Ruhe und Übersicht. Gelungen.

Weiterhin kann man mit den Richtungstasten die Steuerung jedes Gruppenmitglieds übernehmen und über ein Auswahlrad manuell Befehle erteilen oder Heiltränke nutzen. Nachdem ich mich durch ein paar Horden an Kanonenfutter gemetzelt habe, darf ich mich erstmals an einem Zwischenboss versuchen. Ein monströses Vieh beharkt meine Truppe, während ein Dimensionsriss in kurzen Abständen weitere Gegner ausspuckt. Einfach losprügeln führt nicht zum Erfolg. Erst das Fußvolk beseitigen, dann mit der Aktionstaste dem Riss Energie entziehen, was den Boss anfällig für Angriffe macht, wiederholen, fertig. Das Kampfsystem hat seinen Reiz und mit jeder erlernten Fähigkeit, für die es für jede Rasse und Klasse stark verzweigte Talentbäume gibt, erhöht sich der Spaß an den Schlachten.

Der erste Ausflug in die offene Spielwelt zeigt Skyrim'sche Verhältnisse. Hinterlands ist der Name des Gebiets, in dem ich auch nach zwei Stunden Erkundung immer wieder überrascht werde. Abseits der vorgegebenen Aufgaben des Storymodus finde ich hinter jedem Hügel Quest-Geber für Nebenmissionen, Schatztruhen, Material zum Herstellen von Waffen und Tränken oder auch einfach mal ein Schloss, das einen seltsamen Kult beherbergt oder eine ganze Missionsreihe. Natürlich könnte ich nur meinen Hauptaufgaben nachgehen und Camps errichten, Risse schließen und so das Gebiet unter den Einfluss der Inquisition bringen. Aber es ist einfach viel zu interessant, auf Erkundungstour zu gehen. Cameron Lee, Produzent des Spiels, zum Umfang der Spielwelt: Allein das Gebiet der Hinterlands soll größer sein als die bespielbare Welt von Dragon Age: Origins und Dragon Age 2 zusammen. Und es soll zehn solcher Spielgebiete geben, jede mit einer anderen Landschaft. Wüste, Wälder, Schnee, Sumpf - für optische Abwechslung scheint gesorgt. Für einen optionalen exzessiven Zeitvertreib auch. Dass die Welt und die Charaktere auf dem PC und der aktuellen Konsolengeneration mehr als nur ordentlich aussehen, dafür steht die Frostbite-3-Engine ein.

Die Übersichtskarte ist ein wichtiges Instrument, denn alleine das Gebiet der Hinterlands ist größer als die Spielwelt von Dragon Age: Origins und Dragon Age 2 zusammen.

Individualisierung, Story, Kampfsystem, Umfang: Es scheint alles zu passen. Aber wenn ich ein Spiel von Bioware vor mir habe, erwarte ich mehr: clevere Dialoge, schwere Entscheidungen und natürlich eine oder zwei deftige Romanzen. Das bewährte Dialogsystem erlaubt wieder ausführliche Unterhaltungen und es ist wieder ein Genuss, den professionellen Sprechern der englischen und auch der lokalisierten Version zuzuhören. Mir bleibt die Wahl: einfach nur ein paar Standardantworten geben oder bei Bedarf im verzweigten Dialogsystem nachzufragen und so mehr zu Aufgaben und Geschichte erfahren.

Zusätzlich sind einige Antwortmöglichkeiten mit einem speziellen Symbol versehen, um eine zusätzliche Emotion vermitteln. Ich kann meine Worte aggressiv wählen. Oder kühl. Oder mitfühlend. Je nach Entscheidung stimmt mir ein Gruppenmitglied mehr oder weniger zu. Plumpe Geschenke gibt es nicht mehr, aber wenn ich gerne die gestrenge Cassandra als meine Gespielin hätte, sollte ich wohl besser ihren Wünschen zuhören und meine Entscheidungen zu ihren Gunsten fällen. So baue ich langsam ein Verhältnis zu einem Charakter auf, was wieder in einer Liebesbeziehung enden kann. Hoffentlich sieht dann die die entsprechende Szene nicht wieder aus, als ob man mit zwei mäßig gelenkigen Marionetten einen Liebesakt nachstellen würde.

In der Kürze der Zeit ist es mir nicht möglich gewesen, die vielfältigen Aspekte des Spiels genau zu untersuchen. Der schiere Umfang, die Anzahl an Missionen und natürlich die epische Geschichte, die wieder mehrere Enden haben und unangenehme Entscheidungen abverlangen wird, sprechen für ein bemerkenswertes Rollenspielerlebnis. So ist auch mit dem „War-Table" ein Managementsystem integriert, mit dem ich überall auf der Welt Agenten rekrutieren kann, die für die Inquisition Aufgaben übernehmen und mir so - beispielsweise durch den Bau einer Brücke - neue Wege eröffnen. Übrigens brauche ich auch nicht auf die Konsequenzen aus den in den Vorgängern getroffenen Entscheidungen zu verzichten. Über das Tool „Dragon Age Keep" kann ich alles noch einmal durchgehen.

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