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Haltet mich auf! Ein Plädoyer für durchdachte Stolpersteine in Triple-A-Titeln

Wenn sie fehlen, spielt es auch kaum einer durch.

Die Frage kam zuletzt beim neuen Tomb Raider auf: Jeder wird in der Lage sein, Shadow of the Tomb Raider durchzuspielen. Zumindest jeder, der in der Lage ist, mit einem Pad in der Hand ein modernes Spiel zu bewältigen. Das ist keine so kleine Hürde. Geschick gehört schon noch dazu. Die Kämpfe spielen sich nicht von allein, gestorben wird schnell und häufig genug. Das ist bei Uncharted nicht anders, bei God of War, bei einem Call of Duty und selbst einem Assassin's Creed. Und wer zu gut dafür ist und nicht stirbt, kann den Schwierigkeitsgrad hochschrauben. Dann wird schon noch gestorben.

Was ich aber nicht hochschrauben kann, ist der gedankliche Anspruch. Sicher, jedes dieser Spiele hat hier und da ein kleines "Rätsel". Das ist dann ungefähr so komplex wie die ersten fünf Level von Sokoban - falls das noch jemand kennt. Aber alles, was ein wenig komplexer ausfällt und das auch nur minimal, ist dann nicht vorhanden oder optional. Siehe die Gräber im Spiel, das sich "Grabräuber" nennt. Diese waren jetzt nicht übertrieben komplex in den ersten beiden Spiele, aber wenn der dritte noch mal anzieht, dann dürften diese Stellen schon auf dem Niveau liegen, das das erste Tomb Raider oft genug bot. Stellen, an denen Geschick allein nicht reichte, sondern auch mal ein wenig gegrübelt werden musste. Nicht, um einen so optionalen wie irrelevanten Schatz zutage zu fördern, sondern um das Ende des zweiten Levels zu sehen.

Bei wie vielen Spielen aktuell braucht es so komplexe Anweisungen in der Lösung? (Bild von tombraidergirl.com)

Ich habe in vielen der aktuellen großen Titel - und das schon seit Xbox 360 Tagen - das Gefühl des Unausweichlichen. Ich werde das Ende des Spiels sehen. Nichts auf dem Weg wird mich groß aufhalten. Ein paar Versuche extra sind manchmal nötig, aber weit zurückgesetzt wird man eh nie und so reden wir hier von 20 Minuten Einsatz. Maximal. Aber das hat nur mit Geschick zu tun. Ich stand ewig nicht mehr da und fragte mich ob eines seltsamen Konstruktes, das ich seit einer halben Stunde ergründete und zu verinnerlichen suchte, was ich denn nun tun muss.

Die Herausforderung könnte so vielschichtig sein. Ein Gegner, bei dem Ballern nicht reicht, wäre ja schon mal ein Anfang. Ein verschrobenes Raum-Puzzle, das mehr als zwei oder drei Ankerpunkte in sehr offensichtlicher Reihenfolge zeigt. Eine inhaltlich komplexe soziale Situation - Dragon Age: Origins hatte da so seine Momente. Aber derzeit scheint sich kein Spiel in ein solches Terrain zu trauen, wenn es darum geht, das Spiel durchzuspielen. Ich verstehe das schon insoweit nicht, als dass es oft genug okay ist, einen Gegner schwieriger zu gestalten und besagtes Geschick einzufordern, aber das Gehirn darf im Leerlauf bleiben.

Wer das finale Treffen von Dragon Age: Origins mit Würde hinter sich bringen konnte, hat was geschafft, was keineswegs von vornherein feststand.

Dabei spielt das Genre fast keine Rolle. Jeder Titel, der darauf aus ist, mehr als 500k-Einheiten an den Mann zu bringen, stellt auf die eine oder andere Weise sicher, dass der Spieler den 15- bis 20-stündigen Eskapismus-Ausflug hinter sich bringen kann, jede Zwischensequenz sehen darf und zum Ende kommt. Nur: So viele tun das ohnehin nicht. Wenn ich ein Spiel spiele, dass bereits seit einem Jahr auf dem Markt ist und dann in die höheren Level komme, poppen die Achievements für das Bewältigen des so offensichtlichen wie unvermeidlichen Hauptweges auf. Da sieht man dann auch, wie viel Prozent der Spieler, die das Spiel starteten, dieses Achievement bekamen. Und das sind nicht selten erschreckende Zahlen. Oft genug 20 Prozent oder auch deutlich darunter.

Das heißt doch, dass trotz des Verzichts auf ein Hindernis kaum einer an diesen Punkt kam. Schaut mal eure Achievements durch - Trophäenjäger, für Hinweise, wo ich eingehende und übersichtlich aufgearbeitete Statistiken sehe, bin ich dankbar -, ihr werdet sehen, dass kaum ein Spiel von 30 oder gar 40 Prozent der Spieler beendet wurde. Da zu diesen grundsätzlichen Errungenschaften das Durchspielen auf dem untersten Schwierigkeitsgrad dazuzählt, weiß ich, dass es nicht dran lag, dass jemand steckenblieb. Was als Theorie bleibt: Die Spieler verloren unterwegs das Interesse und zogen weiter. Lustigerweise sind die Werte eines ungleich schwereren Spiels von Dark Souls relativ ähnlich, 20 bis 30 Prozent sahen das Ende des Spiels. Und diese 20 Prozent mussten hart arbeiten. Der Rest verlor entweder auch hier das Interesse, hatte genug oder war einfach frustriert, weil das Spiel ihn nicht durchwandern ließ.

Komm Lara, nach drei so spaßigen wie schönen Luxus-Urlauben wird es nach Shadow mal wieder Zeit für echte Gräber.

Was ist jetzt besser? Meine eigene Ansicht ist klar: Die 20 Prozent, die Dark Souls durchgespielt haben, klopften sich danach auf die Schulter. Das Spiel sprach eine Herausforderung aus, sie wurde angenommen und man hat sich durchgebissen. Man "hat was geschafft". Bei Assassin's Creed - fast egal welches - habe ich nur geschafft, nicht das Interesse zu verlieren. Das kann auch ein Verdienst für ein Spiel sein, immerhin hat es mich lange genug mit hübscher Grafik und guter Story bei der Stange gehalten, aber das Ende war unausweichlich. Ich werde mich vielleicht an einzelne Charaktere oder die Geschichte erinnern, aber an die Spielerfahrung? Nö, alles vergessen, passierte nichts, was mich aus der Ruhe gebracht hätte. Da war keine Stelle, die sich traute, zu fordern.

Es wundert mich nicht, dass so viele Spieler ihren Kick online in Fortnite, PUBG, Rainbow Six und all den anderen suchen, denn der Mensch am anderen Ende fordert und der Ausgang einer Runde ist ungewiss. Bei den großen Produktionen ist aktuell nur gewiss, dass der vor vielen Jahren eingeschlagene Weg ultimativer Zugänglichkeit bis zum Abspann an der geringen Zahl der Leute, die das Spiel beenden, nichts verschoben hat. Vielleicht ist es Zeit, wieder in die andere Richtung zu gehen, dem Spieler durchdachte Steine in den Weg zu legen und zu gucken, was dann passiert.

Ich weiß es ehrlich gesagt nicht, aber ich wäre sehr gespannt, es herauszufinden.

Über den Autor
Martin Woger Avatar

Martin Woger

Chefredakteur

Chefredakteur seit 2011, Gamer seit 1984, Mensch seit 1975, mag PC-Engines und alles sonst, was nicht FIFA oder RTS heißt.
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