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Erstkontakt – Clive Barker’s Undying

Was wir bräuchten, wäre ein Sam Raimi’s Undying.

Ich hasse Quicksaves. Ernsthaft, ich bin für diese Art von Speichersystem einfach nicht geschaffen. Anstatt die Vorteile eines freien Speicherns zu begrüßen, drücke ich wie ein Idiot alle zehn Sekunden auf die Taste. Neuen Raum erreicht. Speichern. Gegner erledigt. Speichern. Gegenstand gefunden. Speichern. Vor, während sowie nach dem Bosskampf. Speichern, speichern, speichern. Es ist wie eine Zwangsneurose, die sich natürlich direkt auf unnötige Schnellgriffe zur Quickload-Taste ausdehnt. Jeder kleinste Fehler muss sofort durch Neuladen korrigiert werden. Selbst wenn ich nur einen Schuss danebensetze, wiederhole ich den, bis er perfekt absolviert ist. Ich weiß selbst, wie schrecklich dämlich dieses Verhalten ist, aber ich bin nun einmal darauf getrimmt, jede Speichermöglichkeit zu nutzen. Man schickt auch schließlich keinen Alkoholiker zur offenen Bar.

Warum müssen es immer Herrenhäuser sein?

Was hat diese leidige Störung nun mit Clive Barker's Undying zu tun? Nun ja, es hat auf gewisse Weise meiner Erfahrung geschadet. Immerhin soll ich bei einem Horror-Spiel Angst oder wenigstens ein beklemmendes Gefühl bekommen. Wenn ich allerdings an jeder Ecke meinen Spielstand sichere und keinen Fehler befürchten muss, mindert es die Wirksamkeit eines Kampfes, vor dem ich mich eigentlich fürchten sollte. Ja, ja, bin ich schön selbst Schuld. Trotzdem verstehe ich nicht, warum es unbedingt ein Quicksave-Feature geben musste, nur weil es ein PC-Titel ist.

Das beste an Patrick ist sein wobbelndes Haar.

Irgendwie schade, denn die Atmosphäre zog mich in den ersten Minuten problemlos in ihren Bann. Nach einer kurzen Eröffnungssequenz, in der Protagonist Patrick Galloway seine Vorgeschichte erzählt, landet der Irishman auf dem Grundstück seines alten Kriegsfreundes Jeremiah Covenant, um dessen Familie von einem Fluch zu befreien. Während ihr in jedem Kapitel zu einem anderen Ort auf der verfluchten Insel reist, kehrt ihr zwischendurch immer in das riesige Anwesen der Familie zurück.

Trotz der stark gealterten Optik fühlte ich mich in den langen Gängen und leeren Hallen auf Anhieb auf die gute Art unwohl. Besonders wenn man zwischendurch leise Stimmen tuscheln hört oder ein Monster hinter einem durch ein Fenster springt, weiß man, dass das Spiel auch heute noch funktioniert. Da man die erste Stunde nur mit einer lausigen Pistole ausgerüstet durch die Villa streift, erweckt Undying kompetent den Eindruck eines Survival-Horror-Spiels, selbst wenn man das eigentliche Überleben durch häufiges Speichern ziemlich einfach sicherstellt.

Auf Talfahrt

Zu wirklichen Problemen kommt es erst, sobald ihr die Villa verlasst und die weiten Landschaften der Insel besucht. Offene Gebiete wirken durch einfarbige und leblose Felder recht trostlos. Hier zeigt sich auch das Alter am deutlichsten, da die matschigen Texturen mittlerweile einfach unschön wirken. Die zuvor aufgebaute Horror-Atmosphäre beginnt ihren Abstieg und wird auch später nur selten wieder eingefangen. Zwar taucht ihr mehrmals in eine alternative Realität ab - es ist nun einmal Clive Barker -, doch auch diese leidet unter der fehlenden Abwechslung und erzielt lang nicht mehr den schaurigen Effekt früherer Tage.

Offene Gebiete wirken durch einfarbige und leblose Felder recht trostlos. Hier zeigt sich auch das Alter am deutlichsten.

Der alternative Blick auf Bilder wird auch nur in den ersten Minuten genutzt.

Die einzige Szene, die mich sogar heute noch faszinierte, war ein netter Perspektivenwechsel, bei dem ihr zunächst durch die Ruinen eines Klosters marschiert, nur um später in die Vergangenheit zu reisen. Es geschieht vollkommen unerwartet und wechselt sogar die Jahreszeit zu der eines eisigen Winters. Ihr seht das Gebäude in einem neuen Licht und erhaltet ein Gefühl von Vertrautheit und Neugier. Leider war es für mich aber auch der verfrühte Höhepunkt des Spiels. Spätere Gebiete wie eine Piratenhöhle oder weitere Zimmer im Herrenhaus erreichten die einstige Mixtur aus Überraschung und ängstlicher Freude nicht einmal im Ansatz. Ich weiß auch ehrlich gesagt nicht, was eine Piratenhöhle jetzt unbedingt mit Horror zu tun hätte.

Generell erschreckte mich das Spiel nach dem gelungenen Start nicht mehr und erzeugte auch nicht länger dieselbe unangenehme Atmosphäre. Es machte mehr den Eindruck eines Projekts, dessen Ziele nicht endgültig feststanden und bei dem neben Clive Barker noch andere Personen ihre Hände im Skript hatten. Denn neben einem offensichtlichen Fokus auf puren Horror wechselt der Ton für kurze Augenblicke urplötzlich in den Slapstick-Bereich. Zum Beispiel schnappt sich Patrick im Anschluss an den ersten Bosskampf den kreischenden Kopf der Bestie, um ihn zu verbrennen.

Father, I'm coming home, gehört zu besseren Sprüchen nach dem Ableben eines Feindes.

Als schlechten Verlierer beschimpft euch der Kopf und kreischt wild um sich, was Patrick schnell mit einer gut platzierten Backpfeife kontert. An und für sich perfekt ausgeführt, brachte mich dieser Moment zwar zum Lachen, verwirrte gleichzeitig aber auch. Der Titel hängt damit irgendwo zwischen einem Hellraiser und Army of Darkness, ohne sich für eine Seite entscheiden zu können oder den Wechsel unbemerkt zu schaffen.

Hätte, hätte, Fahrradkette

Vor allem in Anbetracht des Gameplays hätte sich eine Verlagerung auf Army of Darkness besser bezahlt gemacht. Denn als Ego-Shooter, der euch eine Reihe mächtiger Waffen und Zauber zur Verfügung stellt, geht durch fehlendes Balancing der Horror ab der zweiten Hälfte sowieso flöten. Nachdem ihr den Schild-Zauber erhaltet und aufwertet, kann euch kein Gegner mehr schaden, solange er euch nicht von hinten attackiert. Um diesen unfairen Vorteil zu beseitigen, schickt man später fliegende Zauberer in die Gefechte, die explodierende Totenköpfe oder Blitze schleudern, was wieder neue Probleme schafft. Darum drückt man euch diese Zauber auch in die Hand, als wollten die Entwickler damit sagen: "Wir haben auch keinen Plan mehr. Hier, nimm einfach die verdammten Zauber, schmeiß damit um dich und lass uns in Ruhe. Wir wollen bloß das Spiel zu Ende bringen."

Zusammen mit meiner krankhaften Speicher-Zwangsstörung und der Tatsache, dass Medipacks wie Sand am Meer verstreut liegen, bin ich nicht ein einziges Mal im Kampf gestorben. Ab und zu fiel ich durch unachtsame Sprünge in einen Abgrund, das war es dann aber auch. Schwierigkeiten hatte ich eher mit dem Leveldesign, das allergisch auf das Wort übersichtlich reagiert. Anstatt euch eine Karte zu geben oder den richtigen Weg besser hervorzuheben, schließt man lieber alle Türen, durch die ihr nicht gehen müsst. Die Ausrufe "Jammed", "Stuck" und "Won't budge" setzen sich für alle Zeit in eurem Gehörgang fest. Ich bin einfach immer dorthin gerannt, wo ich einen Durchgang erkennen konnte, ohne mir auch nur ein einziges Mal sicher zu sein. An ein paar Stellen half mit das Internet weiter, weil die leidige Suche nach dem Ausgang zu sehr nervte.

Zusammen mit meiner krankhaften Speicher-Zwangsstörung und der Tatsache, dass Medipacks wie Sand am Meer verstreut liegen, bin ich nicht nur ein einziges Mal im Kampf gestorben.

Willkommen zum besten Teil des Spiels.

Ein wenig traurig ist es schon, weil ich abseits solcher Probleme trotzdem meinen Spaß hatte. Zwar heben euch die Zauber schnell auf Gott-Status, doch ihr Einsatz fühlt sich dabei umso gewaltiger an. Besonders die vielen Kleinigkeiten im Design haben mir gefallen. So erscheinen die brennenden Totenköpfe beim Einsatz des Zaubers und schweben mit Flammen im Mund solange vor euch, bis ihr sie abfeuert. Eure tibetanische Kriegskanone besitzt vorne einen Drachenkopf, der sich ständig bewegt. Man verpasst diesen eigentlich leblosen Waffen eine Persönlichkeit, weshalb ihr sie noch lieber benutzen wollt.

Im Gegensatz zu System Shock 2 kann ich nicht recht beurteilen, ob Clive Barker's Undying zu seiner Veröffentlichung wirklich so gut war, als dass man es zwölf Jahre später zu den Horror-Klassikern zählen sollte. Denn vom Horror bleibt nach einem unheimlichen Anfang nicht mehr viel übrig. Seltsam und eigenartig ist es auf jeden Fall. Das sogar noch heute. Aber ich wage zu bezweifeln, ob es jemals wirklichen Horror erzeugte, es sei denn, man erlebte es relativ früh in seiner Spieler-Laufbahn.

Darin sehe ich allerdings nicht das Problem des Spiels. Der Fehler lag vermutlich schon damals eher an einem mangelnden Fokus und einer fragwürdigen Zielsetzung. Aus Undying hätte das wohl beste - oder einzig brauchbare - Evil-Dead-Spiel werden können, wenn man die Essenz des Gameplays weiter auf die restliche Erfahrung ausgedehnt hätte. Kleine Szenen zwischendurch zeigen dies immer wieder. Clive Barker's Undying bietet viele gute Ideen und Momente, weshalb sich ein Durchgang auf jeden Fall lohnt. Nur einen "Klassiker" solltet ihr nicht erwarten.

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Björn Balg

Freier Redakteur

Freier Autor und wahrscheinlich der letzte Mensch ohne einen Facebook-Account. Liebt Trash und verbringt zu viel Zeit mit dem Ansehen von Katzenvideos.
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