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Fargo, Season 2

Wie viel besser können Serien noch werden?

Creator: Noah Hawley
Darsteller: Patrick Wilson, Kirsten Dunst, Jesse Plemons, Bokeem Woodbine, Ted Danson

Die nächste unwahre "wahre Geschichte": Jetzt mit etwas mehr Bodenhaftung, aber mindestens genauso gut wie Staffel eins.

Ich war damals kein besonders großer Fan des Films der Coen-Brüder. Genau genommen kann ich mit einem Großteil ihrer Filme eher weniger anfangen, auch wenn ich ihren Sinn für Humor und ihr handwerkliches Geschick niemals leugnen würde. Am Ende gehöre ich wohl einfach zu der Menschheitshälfte, die ihrem Output eher mit kinohistorischem Interesse begegnet als mit echtem Zuschauvergnügen. Da war es für mich umso überraschender, wie wahnsinnig gut mir Noah Hawleys TV-Weiterführung gefiel.

Hawley baut einen für sich stehenden Krimi in der fröstelnden Provinzialität North Dakotas und Teilen Minnesotas zu einem großem, schrägen Thriller-Universum aus. Fargo, Duluth und Bemidji, wie die Schauplätze in der ersten Staffel heißen, bilden eine Art Bermuda-Dreieck, in dem das Gesetz dem Verbrechen beinahe Wild-West-artig hinterherlahmt. Immer wieder stolpern finstere Syndikate im Vollgalopp über unbescholtene, aber nordisch verquere Bürger, die hier und da eine überraschende Art an den Tag legen, die Kollision zu verarbeiten. Im Spannungsfeld zwischen tiefgefrorenem Spießertum und kompromissloser Gesetzlosigkeit reißen sich immer wieder tiefste menschliche Abgründe auf, die genauso oft sprachlos zurücklassen wie sie herzhafte Lacher provozieren.

Sechs von zehn Folgen von Staffel zwei liefen bisher auf Netflix, jeweils Mittwochs kommt eine neue. Und ich muss sagen, mir gefällt sie bislang noch besser. Die Handlung flüchtet sich nicht so sehr in Absurditäten, wirkt insgesamt etwas geerdeter und daher spannender und gefährlicher. Alles ist ein wenig plausibler, auch wenn die mächtige Bildsprache immer noch reichlich finsteren Humor mitbringt. Nicht falsch verstehen, ich liebte in Staffel eins Lesters gerissene Wandlung vom grotesk vom Leben geprügelten Verlierer zum schäbigen Überlebenskünstler. Aber Staffel zwei setzt noch etwas mehr auf das stille Thriller-Brodeln und ist daher darauf angewiesen, dass seine Akteure auf demselben Boden wandeln wie die Zuschauer. Das bedeutet nicht, dass das hier nicht immer noch eine Reihe von seltsam entrückten Figuren wäre. Nur ist der Wahnsinn ein wenig gleichmäßiger verteilt, anstatt sich auf nur zwei Charaktere wie eben Lester und Lorne zu konzentrieren.

In Sachen Handlung geht 1979 die Erpressung einer Richterin schief, mit einem ungeahnten Dominoeffekt, der niemals vorhersehbar, aber immer ungemein spannend ist. Wegen des Zeitsprungs sehen wir nur einen Charakter aus Staffel eins wieder, Molly Solversons Vater Lou, letztes Jahr noch als liebevoll verknöcherter Diner-Besitzer von Keith Carradine verkörpert. Ende der Siebziger ist er noch Polizist und wird souverän vom enorm formbaren Patrick Wilson (The Conjuring, Watchmen) gespielt. Wer die erste Staffel sah, erinnert sich sicherlich an Billy Bob Thorntons (als Lorne Malvo) und Colin Hanks' (als Polizist Gus Grimly) erste Begegnung, diese stille, unterschwellige Angst, "hier wird gleich jemand über den Haufen geschossen", die nur aus Worten und eindringlichem Schauspiel resultiert? In Staffel zwei gibt es in jeder Folge so einen Moment, manchmal zwei. Viele kleine Proto-Schießereien zwischen den Guten und den Bösen. Nervenspiele zweier sich respektierender Antagonisten und Lebensgefahrsituationen, derer sich manches Mal nur eine von beiden Parteien bewusst ist.

Cover image for YouTube videoFX - Fargo Season 2

Erneut ist das Ensemble bis in die kleinen Nebenrollen spitzenmäßig besetzt. Ted Danson gibt Solversons väterlichen Boss und Schwiegervater, Kirsten Dunst eine verhuschte Frisörin mit schlechtem Fahrstil, Matt Damons weniger attraktiver kleiner Bruder Jesse Plemons (Breaking Bad, The Master) ihren Mann, den Fleischer der Stadt. Nick Offerman ist als trinkfreudiger Anwalt ebenfalls mit dabei wie Bruce Campbell als - und das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen - Präsidentschaftsanwärter Ronald Reagan. Jean Smart gibt die resolute Gangsterfamilienmutter mit einer Mischung aus Wärme und Eiseskälte, die einen bisweilen erschaudern lässt. Leider ist vom großartigen Michael Hogan (Colonel Saul Tigh aus Battlestar Galactica) weniger zu sehen, als ich es mir gewünscht hätte.

Was bleibt mir noch zu sagen: Wer immer noch nicht Staffel eins von Fargo begonnen hat, sollte schleunigst damit anfangen. Tatsächlich könnte man sogar, denke ich, mit Staffel zwei einsetzen, um es in chronologischer Reihenfolge zu erleben. Viel spricht nicht dagegen -Staffel zwei eignet sich als Einleitung in dieses nur auf den ersten Blick so normal-banale Eckchen der USA vielleicht sogar besser, bevor man sich der schier irrsinnigen Eskalation der ersten hingibt. Wie ihr es auch angeht: An Fargo führt kein Weg vorbei. Wundervoll geschrieben, kunstvoll gefilmt und einfallsreich im Handlungsverlauf und bei der Figurenzeichnung. Schon jetzt eine der bemerkenswertesten Serien überhaupt.

Fargo Staffel 2 ist in Deutschland auf Netflix zu sehen, wo einmal wöchentlich eine neue Folge erscheint.


Was ist Freitagskino?

Jeder Mensch braucht mal Abwechslung. Wir alle mögen Kino, also schreiben wir (fast) immer freitags über Filme oder Serien. Keine Sorge, wir versuchen nicht, etablierten Filmkritikern große Konkurrenz zu machen, sondern einfach nur zu berichten, wie ein Film auf uns wirkte und ob wir dazu raten würden, ihm eine Chance zu geben. Welche Filme oder Serien das sind, hängt davon ab, was derjenige Autor in den letzten Wochen sah. Wir unterwerfen uns jedenfalls nicht vollends dem Diktat der Aktualität.

Es können aktuelle Blockbuster, ausgemachtes Genre-Kino, aber auch Arthouse-Geheimtipps sein, die noch im Filmspielhaus um die Ecke laufen. Die neueste Netflix-Serie kommt ebenso unter die subjektive Lupe wie ein alter HBO-Liebling, der sich nach Jahren unserem unter Umständen veränderten Geschmack stellen muss. Ebenso werden immer wieder nach Ewigkeiten wiederentdeckte Schätze zur Sprache kommen, überbewertete Klassiker oder unterschätzte Perlen. Wie gesagt, wir wollen euch damit nur ein wenig Diskussionsstoff über das zweitbeste Geek-Hobby liefern - und ein paar Inspirationen, was sich vielleicht lohnen könnte. Wir hoffen, euch macht die Rubrik genau so viel Spaß wie uns, auch wenn diese Sorte Unterhaltung zur Abwechslung mal nur bedingt interaktiv ist.

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Alexander Bohn-Elias Avatar

Alexander Bohn-Elias

Stellv. Chefredakteur

Alex schreibt seit über 20 Jahren über Spiele und war von Beginn an bei Eurogamer.de dabei. Er mag Highsmith-Romane, seinen Amiga 1200 und Tier-Dokus ohne Vögel.

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