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Gebraucht-Kultur

Keiner beschwert sich, wenn der Picasso „gebraucht“ verkauft wird.

Ich mag den Gebrauchthandel mit Spielen aus verschiedensten Gründen. Einer davon war für lange finanziell eher magere Jahre, dass ich mir ein paar Spiele leisten konnte, die zwar noch nicht gebraucht waren, aber von denen ich wusste, dass ich sie ein paar Wochen später verkaufen konnte, um neue Spiele zu kaufen. Oder weil ich mir selbst das eine oder andere Spiel, für das ich niemals 100 oder mehr Mark bezahlt hätte, dann für ein Drittel oder weniger doch holte und Spaß damit hatte. Vor allem aber, weil er es mir erlaubt auch Jahrzehnte später noch Schätze aufzutun, die sich einfach nett in der Sammlung machen. Denn Sammlungen und Schätze war schon immer ein Teil einer jeden Kulturschaffung.

Ich erlebte als PC-Frühzeitler bis heute mit, wie der Lebenszyklus eines Spiels aussieht, er hat sich praktisch nicht verändert. Von der Geburt in der Entwicklung und dem Neukauf bis hin zum 3-Euro-Marketplace-Label, wenn keiner es mehr will, was mitunter Jahre dauern kann. Darin liegt das Problem für die Hersteller. Zwei Millionen Stück in den ersten zwei Wochen zu verkaufen ist super, aber danach sind potenzielle zwei Millionen Stück unterwegs, die nach einer Weile einen Besitzer suchen. Die reale Zahl liegt natürlich bei einem winzigen Bruchteil dessen, wie hoch sie ist, ist angesichts der vielfältigen Möglichkeiten, Spiele gebraucht zu veräußern und kaufen, sehr schwer zu ermitteln. Und diese Zahl potenzieller Umsatz-Killer steigt mit jedem weiteren Stück Umsatz, das gemacht wird. Der eigene Erfolg vergrößert das Problem.

Von der Geburt in der Entwicklung und dem Neukauf bis hin zum 3-Euro-Marketplace-Label, wenn keiner es mehr will, was mitunter Jahre dauern kann.

Nach 25 Jahren noch problemlos spielbar…

Als Nebenzug dessen wird zum einen gegen Raubkopierer aber auch gegen den Gebrauchtmarkt eine komplexe DRM-Wirtschaft geschaffen, aktuell mit Sonys Patentanmeldung für eine Lizenzpflicht bei physischen Datenträgern. Diese bedroht jedoch nicht nur den Gebrauchtmarkt. Das ist eher ein aktuelles Problem, dass sich im Großen betrachtet aber am Rand bewegt. Das Langfristige, bei dem es egal ist, ob das Spiel neu oder gebraucht gekauft wurde, ist das Erbe, was eine Generation von Spielentwicklern hinterlässt, welches ohne die Lizenzen unbrauchbar zu werden droht.

"Prinz, die Kunst geht nach Brot"

Ja, ich sehe die Probleme der "Gegenseite", die immer höhere Umsätze generieren muss, um immer aufwändigere Spiele entwickeln zu können. Die Kosten für eine AAA-Produktion sind auf enorme Zahlen angewachsen und mit steigenden Ansprüchen der Kunden und der technischen Leistungsfähigkeit der Plattformen werden diese noch steigen. Filme haben es da etwas einfacher als Spiele. Sofern man jetzt keine Hobbit-Technik-Schlacht veranstaltet oder teure Stars im Dutzend heuert, lassen sich die Produktionskosten übersichtlich halten, mit kleinen Budgets auch technisch hochwertige Werke produzieren - den Inhalt mal außen vor gelassen -, die nicht im obersten Verkaufsfeld landen müssen, um sich nicht nur künstlerisch zu rechnen.

Ein Spiel dagegen, will es in der immer neu definierten aktuellen Oberklasse mitspielen, hat im Augenblick wenig Möglichkeiten, ernsthaft Geld einzusparen und muss daher immer höhere Umsätze generieren. Ich kann in diesem Zusammenhang sogar den Online-Pass gutheißen, denn wenn der Hersteller eine fortlaufende Leistung erbringen soll - das ist ein Online-Angebot ja, Server müssen in Betrieb gehalten werden - muss er auch diese Kosten für die Zukunft decken. Ob 10 Euro die richtige Summe sind, 10 Dollar oder eine ganz andere Zahl, will ich gar nicht diskutieren, es dürfte eine quer übers Feld und alle Spiele des jeweiligen Publishers kalkulierte Zahl sein und bei der am Ende noch der eine oder andere Dollar Umsatz hängenbleibt.

Vor allem aber ändert der Online-Pass nichts daran, dass das Spiel ge- oder verkauft werden kann und das, solange der Datenträger noch lesbar ist. Disketten, Laserdiscs und DVDs halten lange, BluRays scheinbar auch. Ewig ist sicher was anderes, aber ich habe hier ein Rebel Assault aus den 90ern, das noch problemlos eingelesen wird, sowie einige der ersten verkauften DVD-Filme, die auch noch keine Abnutzungs- oder Verwesungsspuren zeigen. Viele ihrer kontemporären Kollegen, die meine Sammlung kreuzten, verkaufte ich über die Jahre und wahrscheinlich sind sie die unterschiedlichsten Wege gegangen. Manche sicher in den Müll, ein Platz, den sie von Anfang an verdienten, andere als geliebte Stücke in irgendeine Sammlung. Genauso stehen hier ein paar Schätze, die ich nicht neu kaufte.

Das Spiel von heute ist der Rembrandt von gestern? Nicht ganz, aber…

Sammlungen und Antikes sind seit jeher Teil einer jeden Kultur, seien es Bücher, Bilder, Kunst oder Kitsch. Das lässt sich weit zurückverfolgen, so weit es halt Personen gab, die genug Geld oder Gold übrig hatten, um etwas zu sammeln. Es ist eine Weile her, dass ein Picasso neu gekauft wurde oder eine Ottomane aus dem 18. Jahrhundert. Kunst und Gebrauchthandel sind automatisch miteinander verbunden, Sothebys ist nichts anders als ein glorifizierter Gebrauchthändler. Nur, dass sie eine weit schickere Fassade zu bieten haben als eBay, der Amazon-Marketplace oder eine Kleinanzeige in der Zweiten Hand.

Sammlungen und Antikes sind seit jeher Teil einer jeden Kultur, seien es Bücher, Bilder, Kunst oder Kitsch.

… in 25 Jahren noch problemlos spielbar?

Was für hohe Kunst und schöne Einrichtung das Natürlichste aus der Welt zu sein scheint, womit wohl auch kein aktueller Möbellieferant Probleme hat - ich habe noch nie gehört, dass sich Ikea über eBay oder den Stadtreinigungs-Reste-Hof beschwerte - beginnt nun im Spielebereich für den Untergang des Abendlandes zu sorgen. Mal mehr, mal weniger, mal wortgewaltig, mal mit Patenten.

Es scheint nicht mal unbedingt ein Problem des gesamten digitalen Marktes. Bei Musik hat sich der Markt inzwischen wieder eingependelt, auch wenn Künstler noch durchaus damit zu kämpfen haben, dass die modernen Vertriebswege nicht ganz so viel abwerfen, wie es die alten taten. Das hat jedoch mit der Piraterie zu tun und nicht damit, dass gebrauchte CDs oder davor Schallplatten ein Problem waren. Bei Büchern sieht es genauso aus. Wahrscheinlich werden auf Amazon weit mehr gebrauchte als neue Bücher angeboten, aber kein Autor oder Verlag klagt wirklich darüber.

Immer mehr gleichzeitig erscheinende Spiele jedoch haben mit dem Problem immer höhere Budgets, immer größerer Konkurrenz, aber einer bei Weitem nicht so schnell wachsenden potenziellen Zielgruppe zu kämpfen. Es ist schön, dass die Entwicklungskosten auf dem Niveau eines Spielfilms ankamen und das Produkt am Ende auch meist eine derartige Produktionsqualität aufweist, aber die mögliche Verkaufsmenge liegt halt doch unter den anderen Medien, schlicht, weil die Zahl der Spieler nicht im gleichen Zuge mitwuchs.

Der Preis ist ein weiteres Problem, das angesprochen werden muss. 60 Euro sind mehr als selbst die 20 einer ganz aktuellen BluRay oder eines neuen Hardcover-Buches. Bei Letzteren ist man eher bereit den vollen Preis lockerzumachen. Bei 60 Euro, gerade angesichts einer Zielgruppe, die nur zum (stark ansteigenden An-)Teil eigenes Geld verdient, ist die Hemmschwelle höher, der potenzielle Zyklus für Wiederverkäufe weit höher, das eine Medium zirkuliert länger, bevor sich es sich einer endgültig ins Regal stellt oder es entsorgt.

iTunes und Co. sind nicht anders, ein Account und alle meine Sachen wandern mit einem Log-in auf den nächsten Laptop oder PC.

Als Kunst sich noch selbst ohne Aktivierungslizenz abbilden konnte (The Gallery of the Louvre - 1832, Samuel Morse)

Das alles erklärt den Willen der Hersteller, den Wiederverkauf einzuschränken oder auch gleich ganz aus der Welt zu schaffen und mit Steam und den darauf folgenden Online-Plattformen ist ein guter Schritt dazu getan worden. Gut auch für die Spieler, denn es wird zwar eine zuvor gegebene Möglichkeit genommen - eben ein Spiel weiterverkaufen zu können -, aber im Gegenzug Komfort geboten. iTunes und Co. sind da nicht anders, ein Account und alle meine Sachen wandern mit einem Log-in auf den nächsten Laptop oder PC. Ich genieße diesen Komfort zu sehr, als dass ich ihn verdammen könnte, ohne als Heuchler dazustehen.

Das Erbe dem Komfort geopfert

Was ich jedoch vermissen werde - noch nicht jetzt, aber sicher in den kommenden Jahrzehnten - ist das Ende der Sammel-Kultur in der Spiele-Welt. Ich könnte das gesamte Steam-Angebot kaufen und alle Spiele in dieser Liste haben, es wäre nicht das Gleiche, wie das Regal, in denen die Titel aus vergangenen Jahrzehnten stehen. Viele davon würden dort nicht stehen, wenn es sie nicht gebraucht gegeben hätte. Einige kaufte ich Jahrzehnte später, zuletzt einige Infocom-Spiele und ein paar andere Schätze. Sie können, Pflege der Datenträger vorausgesetzt, auch nach meinem Ableben wieder weiterwandern als (zumindest teilweise) kulturell relevante Zeugnisse einer vergangenen Zeit, so wie es meine Bücher können oder, falls die Gehälter in der Spiele-Redakteurs-Branche drastisch ansteigen sollten, meine wertvollen Gemälde.

Dieser sowohl persönliche wie allgemeine Rückblick auf eine andere Zeit der Spiele-Geschichte - nach mehr als drei dort versammelten Jahrzehnten darf man das inzwischen wohl so nennen - wird wohl irgendwann im Laufe der 2010er-Jahre abflauen, stark ausdünnen und schließlich enden. Denn alles, was danach folgt, ist Account-gebunden, selbst wenn es physikalisch auf einem Medium vorhanden ist. Es ist damit nicht mehr Teil der Allgemeinheit, bereit weitergehandelt und woanders gewürdigt oder ignoriert zu werden, sondern bestenfalls auf meine Erben reduziert, sofern denn Accounts dann übertragen werden können und noch nicht an Retina-Scans gebunden sind.

Das setzt sogar noch mehr voraus, nämlich dass Firmen nicht pleitegehen. Steam oder Origin, Microsoft oder Sony, die sind doch groß, die werden doch nicht gleich verschwinden? Das hat man auch schon von weit größeren Banken und Industrie-Firmen gesagt, die es heute längst nicht mehr gibt. Was passiert denn mit meiner Sammlung, wenn Valve sich aus welchen Gründen auch immer irgendwann mal in einem finanziell verhobenen Debakel verabschiedet? Oder Microsoft nicht mehr ist? Oder Sony? Am Markt gegen die Wand gefahren, ohne Interessenten in den tiefst roten Zahlen gestrandet, Rettung unmöglich. Soll vorkommen. Dann hat es sich was mit den Sammlungen, viel Spaß mit den Log-in-Daten, sie sind alles, was dann noch übrig ist. Gleiches gilt, sollten die Lizenz-Modelle auch auf physische Datenträger angewandt werden, für Discs oder andere Speichermedien. Sie wären von einem Tag auf den nächsten unbrauchbar. Es ist im Moment nicht wahrscheinlich, aber ich spreche hier auch über Jahrzehnte und kommende Generationen.

Bisher hat das Videospielemuseum in Berlin höchstens mechanisch/elektronische Probleme, ein Spiel zum Laufen zu bekommen.

Für das Videospiel als kontemporäres Unterhaltungsmedium ist der Wechsel zu Online-Plattformen absolut richtig und sinnvoll und auch sicher noch nicht ganz technisch dort angekommen, wo er hinmuss, aber auf dem besten Weg. Für das Unterhaltungsmedium als solches ist die Idee des Verkaufs- eines Nutzungsrechtes statt eines eigenständigen Produktes absolut legitim - auch wenn hier bei Kommunikation mit dem Kunden, was er eigentlich kauft, noch viel getan werden muss. Für das Spiel als eben nicht nur reines Gegenwarts-Kulturgut, sondern kulturelles Erbe jedoch - bewusst keine Anführungsstriche gesetzt - ist das Verschwinden der frei zu tauschenden physikalischen Medien über die nächsten Jahre keine Katastrophe, sondern schlicht das Ende.

Wenn Spieler in 200 Jahren zurückblicken, werden sie sich vielleicht kurz wundern, warum es ein paar Relikte aus den 1980ern bis 2010ern gibt und danach scheinbar nichts mehr. Hoffentlich gibt es dann noch einen Wikipedia-Eintrag über das unglückliche Ende von Steam im großen Rezessionsjahr 2087, sodass die Leute wenigstens wissen, wo wir unser Geld und unsere Spiele gelassen haben. Vielleicht ist es ganz gut, dass es Kindle noch nicht im 18. Jahrhundert gab. So haben wir wenigstens noch die Bücher aus den folgenden Jahrhunderten, um sie nun zu digitalisieren und an Accounts zu binden. Vielleicht sollten die Entwickler doch einen Weg finden, den physikalischen Vertrieb ohne Account-Bindung zu erhalten. Sei es nur, um ihr Erbe weitergeben zu können.

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Martin Woger

Chefredakteur

Chefredakteur seit 2011, Gamer seit 1984, Mensch seit 1975, mag PC-Engines und alles sonst, was nicht FIFA oder RTS heißt.

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