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Haven zum Valentinstag oder: Dieses RPG ist für Diabetiker nicht geeignet!

Süßholz und Survival in fernen Galaxien

VALENTINSTAAAAAG... Bald ist es er da, dieser unsägliche Glitzer-Schmusetag aus der rosaroten Großkonzern-Hölle. Pärchen brauchen ihn nicht, weil sie sich auch den Rest des Jahres liebhaben und Singles wollen ihn nicht, weil sie keiner liebhat. Aber es gibt ihn trotzdem. Gut, kann man nichts machen und die Pandemie verhindert krampfhaft-aufgesetzte, romantische Abendessen im überfüllten Restaurant ohnehin. Also heißt es: zu Hause bleiben und es irgendwie hinter sich bringen, egal ob alleine oder in Gesellschaft.

Warum diesen Blinddarmfortsatz unter den Feiertagen (ja ja, ich bin nur neidisch!) also nicht mal auf andere Weise genießen, zum Beispiel mit einem Videospiel? Mit dem Indie-Rollenspiel Haven habe ich mir heldenhaft die geballte Romantik-Power reingezogen, denn das süße Sci-Fi-Abenteuer klingt einfach nach perfektem Stoff für den Tag der Liebe™©®... oder?

Das französische Indie-Studio The Game Bakers hat sich mit Haven an ein besonderes Rollenspiel-Konzept gewagt: Die Weltraum-Romanze versucht RPG, Survival und Visual Novel zu verschmelzen, mischt Slice-of-Life-Pärchenalltag mit Erkundungsflügen, Monsterkämpfen und einer Portion romantischer Rebellion. Das alles in eine spacige Valentinstags-Pralinenpackung gesteckt, die beim Aufklappen klimpernde Elektro-Sounds ausspuckt - fertig ist die Haven-Mischung. Aber gelingt es, all diese Zutaten in eine zuckersüße Schokofüllung zu packen? Und ist das Ergebnis die perfekte Beschäftigung für den 14. Februar? Lasst mich das zuerst mit einem klaren "Jein" beantworten. Doch der Reihe nach: Worum geht es eigentlich in Haven?

Vorsicht, Steuerungsturbulenzen!

Yu und Kai sind zwei Liebende in fernen Galaxien, die in einem schnuckeligen, kleinen Raumschiff - ihrem "Nest" - auf einem verlassenen Planeten zusammenleben. Das Pärchen musste aus ihrer Heimat in die Fremde fliehen, um ihrer Liebe eine Chance zu geben - hach, das ist der Stoff, aus dem Romanzen gemacht sind. Nun befinden sich Biologe Kai und Ingenieurin Yu irgendwo im Nirgendwo, wo sie Karten spielen, feiern und schmusen - was Pärchen so tun.

Dieser Alltag, Kabbeleien und Liebesgeflüster sind zwar eine schöne Sache, auf Dauer muss man das Nest aber dann doch einmal verlassen und da beginnt auch schon die Erkundung der wilden, fremden Welt vor dem Fenster. Dazu werfen die beiden ihre Hightech-Flugstiefel an und sausen - huiiiii - über den Planeten.

Als netter Pärchenausflug im Koop durch die Luft rasen, Haken schlagen und Loopings fliegen... Das Klingt vielleicht lustig, die Steuerung ist am PC aber ziemlich eigen und erste Flugversuche enden immer wieder mit Bruchlandungen (ein kurzer Blick auf die Switch-Steuerung war im Singleplayer eine kleine Geduldsprobe). Kein Problem: Nichts bricht besser das Eis auf einem Valentinsdate, als sich erst einmal herzhaft gegenseitig auszulachen, oder?

Per Knopfdruck rauscht man dann ungezügelt geradeaus und muss erst einmal versuchen, das liebesblinde Paar in die richtige Richtung zu lenken, ohne den Finger vom Gas zu nehmen. Kleiner Tipp: Ihr könnt umstellen, dass ihr den Flugknopf nicht die ganze Zeit gedrückt halten müsst. Wirklich, macht das, Leute! Alles andere ist ein Garant für Handkrämpfe und sorgt für eine kunterbunte Palette fiesester Flüche - nicht sehr romantisch... aber vielleicht kein schlechter Test, was die bessere Hälfte alles so aushält? Wer nach dem dritten Wutschrei schon panisch davonläuft... tja, der war dann vielleicht nicht der Mensch fürs Leben... Pah! Feigling!

Ein Valentinstagsgedicht: Rosen sind rot, Veilchen sind blau, die Steuerung in Haven kapiert keine Sau.

Liebe geht durch den Magen

Hat man die Steuerung dann raus, saust man begleitet von klimpernder Elektromusik über den wilden Planeten. Die Songs stammen übrigens vom (offenbar) bekannten Musiker Danger. Zugegeben: Ich habe keinerlei Ahnung von elektronischer Musik, die pulsierenden Klänge kommen bei der Planetenerkundung aber richtig gut und machen viel vom Charme des Spiels aus: Danger und Haven sind eine Liebesverbindung, die aufgeht.

Bei ihren Erkundungen kann das Pärchen frische Ressourcen, neue Strecken und geheimnisvollen Rost aufspüren, in erster Linie eiert man aber meist etwas verplant herum und sammelt Zutaten, um später wieder mehr kochen zu können. Irgendwie isst man ohnehin die ganze Zeit - aber ist der Alltag nicht eh nur ein quälendes Warten bis zum nächsten Imbiss? Nicht? Dann geht das wohl nur mir so und ich rede hier deshalb dauernd über essen... ups. Die Pralinen-Metapher bleibt aber stehen, die passt zur Romantik, basta! - denkt einfach an ein großes, spacig-verpacktes Schokoherz.

Ohne Mampf kein Kampf.

Optisch ist die verträumt-abgehobene Welt von Haven wirklich bezaubernd und besitzt einen ganz eigenen Animationsstil zwischen Comic und Aquarellgemälde, wobei die Figuren etwas an japanische Dating-Sims erinnern. Dabei sieht Haven aber nicht aus wie eines von vielen 0815-Anime-Spielen aus der Retorte, sondern steckt voller kleiner, netter Details. Hinzu kommen knuffige, fast ein wenig zu süße Pärchen-Artworks zum Schmachten in den Ladepausen und jede Menge Neon-Glitzer in der Weltraumlandschaft.

Kleiner Wermutstropfen in der Optik: Der schöne, wilde Planet sieht leider auch an allen Stellen quasi gleich aus und die Augen haben sich etwas schnell daran sattgesehen. Überall gibt es weiches Gras, einen bezaubernden Nachthimmel, den gleichen rot-leuchtende Rost und immer wieder dieselben Kreaturen. Klar, kleine Veränderungen in der Landschaft entdeckt man nach und nach, man muss dafür aber schon eine ganze Weile mit Yu und Kai herumsausen.

Yu + Kai = Yukai?

Apropos Gegner: Damit man eben diesen Pärchenalltag (oder auch die Phasen zwischen den Mahlzeiten, wie ich es nennen würde) heil übersteht, müsst ihr dann und wann für eure Liebe kämpfen - ja, diesmal buchstäblich. Denn gelegentlich greifen euch wilde Weltraum-Kreaturen an, die vom geheimnisvollen Rost durchgedreht sind und einfach nicht verstehen wollen, dass euch gerade total kuschelig-besinnlich zumute ist.

Das Kampfsystem in Haven mischt auch wieder mehrere Zutaten miteinander. In diesem Fall ist es ein Hybrid aus rundenbasiert und Echtzeit, denn Angriffe erfolgen in einem bestimmten, leider etwas undurchsichtigen Rhythmus. Man muss den besten Moment zum Gegenschlag also nach Gefühl abpassen - ist ja schließlich auch ein gefühlvolles Spiel, oder? Deshalb werden die wildgewordenen Monster der Insel auch nicht getötet, sondern nur besänftigt. Das ist echt ziemlich süß und macht Gegner zu putzigen, kleinen Teilzeit-Ungeheuern im Ruhemodus, die man sogar streicheln kann.

Bestreitet man einen Kampf erfolgreich, winken Erfahrungspunkte auf einer Beziehungsskala. Die Liebe des Pärchens ist also nicht nur Handlungselement, sondern schlägt sich auch auf das Gameplay nieder - clevere Idee, die aber mal mehr, mal weniger gut funktioniert.

Yu und Kai machen alles zusammen - süüüüß! Oder?

Kämpfe muss das Pärchen nämlich auch stets gemeinsam meistern. Man steuert also im Singleplayer Yu und Kai parallel und das kann mit der Tastatur echt anstrengend werden, vor allem wenn man keine Hand-Augen-Koordination besitzt. Sadistischerweise ist das Muster der Steuerungstasten auf dem Keyboard für Yu und Kai jeweils minimal anders - und man drückt permanent beherzt daneben.

Im Einzelspieler (oder auch im Forever-Alone-Modus, wie ich ihn liebevoll nenne) ergibt es generell weniger Sinn, dass man zwei Charaktere steuert. Yu und Kai könnten genauso gut ein amorphes Wesen namens Yukai sein, denn sowohl in der Story als auch in Sachen Spielmechanik bilden sie eine verschmelzende Liebesmasse. Herumgeflogen wird stets zuckersüß Hand in Hand und selbst wenn man mit einem beherzten Knopfdruck zwischen den Figuren wechselt, ändert sich eigentlich nichts - man macht ja ohnehin alles gemeinsam und individuelle Fähigkeiten besitzen die beiden nicht. Falls man hier wieder die Romantik-Zynikerin zu sehr heraushört: Ups. Wie sagt man so schön: Sorry, but not sorry.

Als Visual Novel kann Haven wirklich glänzen

Klar, es ist auch Teil der schnuckeligen Geborgenheit, dass die beiden Hauptfiguren einfach alles teilen, aber so ist das schon fast ein wenig gruselig. Egal ob Kochen, Heiltränke anfertigen oder Bandagen basteln - nichts davon kann einer der beiden allein. Ist es nicht eigentlich schöner, wenn man bei all der Zweisamkeit noch irgendwie eine eigenständige Person bleibt, Liebe hin oder her? Oder ist der Gedanke jetzt zu unromantisch?

Die Dialoge des Pärchens gehen trotzdem sogar mir Banausin ans Herz. Die zahlreichen Gespräche handeln von Gedanken, Gefühlen, Streitereien, Flirts und erotischen Schäkereien. Manchmal wird es nämlich auch ziemlich aufreizend bei den beiden - nur als Vorwarnung für alle, denen schnell die Ohren qualmen.

Gleich einer Visual Novel lenkt man Yus und Kais Gespräche, indem man sich für bestimmte Antworten entscheidet. Da ist scheinbar sehr viel Entwicklerliebe hineingeflossen, denn diese Unterhaltungen sind mal süß, mal sauer, mal zum Schmunzeln und vor allem stets authentisch.

Die Visual-Novel-Parts in Haven funktionieren richtig gut - man darf nur keine Süßholzallergie haben, Yu und Kai sind manchmal fast zu niedlich.

Ein Gefühl wie alkoholfreie Schnapspralinen...

Haven ist der Inbegriff einer extrem kreativen Spielidee, die aber nicht immer hundertprozentig aufgeht und mit ihrem besonderen Konzept natürlich nicht bei jeder Zielgruppe einschlagen kann. Für wirklich eingefleischte Survival-Fans könnte es etwas mehr Action sein und für Visual-Novel-Begeisterte weniger langatmige Erkundungsflüge, aber wer ist denn dann die ideale Zielgruppe?

Vielleicht sind es Pärchen, die den Valentinstag romantisch-geekig mit Pizza und Videospielen verbringen wollen (toll, jetzt bin ich doch neidisch) oder Nerds beim ersten Tinderdate, die im Moment nicht ins Restaurant können. Um das Ganze als TV-Schnulzen-Pendent für Kellerkinder mal schnell beim Rendezvous am 14. Februar anzuwerfen, ist die Steuerung aber vielleicht zu lästig - das könnte ein Stimmungskiller sein, nicht dass ihr sagt, ich wäre missgünstig und hätte euch nicht gewarnt.

Alles in allem hat Haven ein einladendes Szenario, schöne Charakterzeichnungen, einen flippigen Soundtrack und eine einzigartige Idee für romantische Koop-Stunden. Obwohl ich voyeuristisch an ihren intimsten Momenten teilhaben durfte, konnte ich mich irgendwie dennoch nicht mit ganzem Herzen in die beiden Turteltauben verlieben - ich bin wirklich nicht zynisch und verbittert, ganz echt jetzt! Vielleicht hätte ich mir bei Yu und Kai ein paar mehr Ecken und Kanten gewünscht.

Also am Valentinstag doch lieber wieder "Netflix and Chill"? Wie gesagt: Nicht unbedingt. Einen geduldigen Blick hinter die hakelige Steuerung ist das charmante Klammer-Pärchen trotzdem wert. Süß sind Yu und Kai ja und ihr Kampf für die Liebe hat in seinen besten Momenten eine beinahe poetische Strahlkraft - das hab ich doch jetzt schön rührselig formuliert, oder?

Als Single spielt sich Haven übrigens auch weniger erbärmlich mit einem großen Glas Rotwein auf der Couch und ironischem Selbstmitleid als im traurigen Schummerlicht des Arbeitsrechners. Das nur als Tipp. Wer es statt mit der hakeligen PC-Steuerung lieber einmal auf den Konsolen probieren will, bekommt das Spiel mittlerweile für die meisten Plattformen: Xbox One, Xbox Series X/S, Playstation 4 und 5 sowie Nintendo Switch

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Eine weitere Chance für die Liebe...

Falls ihr doch noch Alternativen zu Haven sucht: Wie wäre es zum Beispiel mit einem kuscheligen Trip, ohne dabei das Haus verlassen zu müssen? Putzige Parallelwelten wie in Animal Crossing: News Horizons oder in Stardew Valley, das es neuerdings als Couch-Koop gibt, verlagern den Pärchenausflug einfach auf den Bildschirm.

Wenn ihr dem gemeinsamen Restaurantbesuch nachtrauert oder auch dauernd beim Thema Essen hängen bleibt, könnt ihr eure Koop-Qualitäten zum Beispiel auch in Overcooked 2 unter Beweis stellen (auch wenn das Spiel mehr Paare auseinander als zusammengebracht hat. Ein guter Beziehungstest!) - oder in Don't Starve Together, für alle Survival-Fans, die vergessen haben, etwas für das Date einzukaufen.

Wer es etwas wilder mag: Der Early Access von Baldur's Gate 3 lässt sich zum Beispiel auch prima alleine oder gemeinsam spielen und sorgt im Singleplayer sogar für eine gewisse Portion Romantik. Ja, wirklich! Wenn man sich richtig anstellt, kann es neben Monstern und Gehirnwürmern auch in den vergessenen Reichen ganz schön heiß hergehen.

Zum Abschluss ein kleines Mantra für den 14. Februar: entspannt euch Leute, es ist auch nur irgendein Datum. Schönen Valentinstag!

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Judith Carl Avatar
Judith Carl: Judith Carl ist Volontärin für News und Social Media bei Eurogamer.de. Judith hat Medienwissenschaften studiert. Sie streamt begeistert am liebsten Rollenspiele und Adventure Games auf Twitch. Ihre weiteren Leidenschaften sind LARP, Pen and Paper, und Trash-Filme.
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Haven

PS4, PS5, Xbox One, Xbox Series X/S, PC, Nintendo Switch

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