Hell is Us nimmt sich das beste Spiel aller Zeiten als Vorbild
Keine Marker, keine Maps. Einfach mit offenen Augen durch die Welt...
Ich musste erst ein wenig nachdenken, bis ich verstand, was der Entwickler meinte, der mich auf meine Gameplay-Session mit Hell is Us vorbereitete. Er beschrieb den Ansatz des Quest- und Rätseldesigns, eigentlich den gesamten Aufbau dieses Spiels, als “Player-plattering”. Ein Begriff, der im konkreten Gegensatz zum sprichwörtlichen Silbertablett erdacht worden ist, auf dem Games den Spielenden ansonsten die maßgeblichen Informationen überdeutlich präsentieren. In Hell is Us seid ihr also das Tablett.
Ich finde die Beschreibung immer noch reichlich abstrakt, aber gemeint ist, dass ihr euch anhand von Informationen und Notizen durch dieses Third-Person-Abenteuer in einer abgeschotteten südosteuropäischen Diktatur der frühen 90er Jahre schlagt. Keine Zielmarkierung weist euch den Weg, während ihr nach eurer lange verlorenen Eltern sucht, von der ihr nur den Heimatort und den Beruf eures Vaters kennt. Einen Kompass habt ihr ebenso wenig, und Marker heben für euch nur subtil Interaktionselemente hervor. Und keine präzise Karte vermittelt euch ein exaktes Bild von eurer Umgebung. Ihr sollt aus Beschreibungen und Erkenntnissen selbst ableiten, was zu tun ist, und den richtigen Leuten zielführende Fragen stellen.
Ein digitales Tagebuch sammelt unterdessen Begriffe und Akteure und zieht Linien zwischen ihnen. So soll alles schön anschaulich bleiben. Spätestens als ich meine Drohne das erste Mal eine alte Inschrift aus einer fremden Sprache übersetzen lasse, ist mir klar, dass all das schwer an Outer Wilds erinnert – das verblüffendste, beeindruckendste Spiel, das ich je genießen durfte. Der anwesende Entwickler gibt mir auch zu verstehen, dass das kein Zufall ist. Offenbar hat das erstaunliche Weltraumspiel beim Design Pate gestanden. Aufbau und Struktur kommen mir also sehr entgegen. Nur, dass es sich bei Hell is Us eben um ein Action-Adventure handelt, das in einem vom Bürgerkrieg zerrütteten Land Sci-Fi-Elemente mit einem technisierten Schwertkampf gegen unwirkliche Monster vereint. Es ist ein wilder Mix, rein konzeptionell, und allein deshalb schon interessant.
Ich spielte ein Stückchen vom Anfang, erkundete ein Waldgebiet mit pittoreskem Flusslauf, nur um nach kurzer Zeit zu einer Farm zu kommen. Im Keller raucht ein alter Mann neben einem geschmückten Schrein für seinen Sohn eine Zigarette und liefert in einem Fallout-artigen Dialog eine Wegbeschreibung zu einem Punkt von Interesse: Ich soll den Windspielen folgen, die er in die Bäume gehängt hat, damit sich seine Kinder nicht im Wald verlaufen, dann würde ich die Stelle zu dem Truppentransporter einer der Bürgerkriegsparteien schon finden.
Anstatt also von einem leuchtenden Pfeil oder einem blinkenden Punkt auf einer Minimap durch die Gegend geschickt zu werden, wie das sonst der Fall ist, muss man mit offenen Augen durch die Welt gehen. Beobachten, erfassen. Es ist simpel – in diesem Fall sehr simpel –, aber es verfehlt seine Wirkung nicht. Ich habe das Gefühl, mehr von der Umgebung zu sehen, sie anders wahrzunehmen. Kein Tunnelblick auf das HUD-Element am Horizont. Die Augen im Hier.
Außerdem sprach der Alte von seinem Sohn und als ich später tatsächlich über persönliche Hinterlassenschaften von jemandem stolpere, die von ihm stammen könnten, mache ich es mir zum Ziel, sie dem Alten zurückzubringen. Auch das, ohne dass es mir das Spiel eine unmittelbare Richtung oder Belohnung in Aussicht stellt. Ich liebe diesen Ansatz und bin direkt mehr da, wenngleich ich sagen muss, dass wirklich alles, was in dieser ersten Stunde passiert, dann doch recht offensichtlich aufgezogen ist. Als hätte Entwickler Rogue Factor Sorge, ich würde mich andernfalls hier verlieren. Ich gehe mit der Hoffnung aus der Session, dass es später etwas anspruchsvoller wird.
Hell is Us ist kein Soulslike
Gut 50 Prozent sollen Erkundung und Rätseln in den halboffenen Arealen ausmachen. Die andere Hälfte entfällt auf die Kämpfe, die nur in Sachen Tempo an Soulslikes erinnern. Die Schläge fühlen sich kraftvoll an, einige Attacken lassen sich aufladen. Aber insgesamt ist das Spiel durchaus verzeihend, auch wenn ihr es an einem faulen Abend auf der Couch ohne 100-prozentige Konzentration angeht. Nicht anspruchslos, aber es weigert sich, sich über seinen Anspruch zu definieren. Ganz cool fand ich, dass allein schon das Design der Gegner dafür sorgt, dass man mit Vorsicht bei der Sache ist. Oft ist man sich nicht einmal sicher, womit man es da gerade zu tun hat. Vage humanoide, kreidebleiche Kreaturen, mit ausgehölten Gesichtern und Burstkörben, rote Energie, die aus ihnen herausbricht. Ziemlich seltsam, das alles, als steckte ein spannendes Geheimnis dahinter.
Sowohl die Gestaltung der Umgebungen als auch die mal ominöse, mal dröhnende Synth-Musik haben mir ziemlich gut gefallen. Man erlebt das gefallene Hadea als durch und durch fremden Ort, mit gerade genug Bezug zu unserer Welt, dass es nicht zu weit hergeholt wirkt. Und obwohl das “Player-Plattering” zumindest in dieser eröffnenden Sequenz noch dazu führte, dass die Welt selbst ein bisschen zu auffällig mit Zaunpfählen winkte, habe ich Hell is Us als einen der interessanten Titel der letzten Zeit in mein Herz geschlossen.