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Indie Game: The Movie - Filmkritik

"Es ist kein Spiel, das ich für andere Leute gemacht habe. Ich habe es für mich selbst gemacht." - Edmund McMillen

Erst vor einem Monat kam in einem Gespräch mit Bekannten die Frage auf, welche Spiel- oder Filmszene einen ehrlich zu Tränen rührte. Dabei war ich der einzige am Tisch, der darauf keine Antwort wusste. Während ich bei Spielen wirklich nicht einen Moment ernsthafter, emotionaler Bindung in meiner Gedankenkiste ausgraben kann, gibt es zumindest bei Filmen einige Stellen, bei denen ich ein wenig rührselig wurde. Doch meine Fähigkeit, meine Tränendrüsen unter Kontrolle zu halten, stellte bislang nichts so wirklich auf die Probe.

Und dann kam sie. Die finale Szene von Indie Game: The Movie. Es war nicht der große Zusammenbruch vor dem Bildschirm, doch ein bisschen Feuchtigkeit musste ich mir in meiner Freude schon aus den Augen wischen. Obwohl ich durch diese innerliche Neuerkenntnis die nächsten zehn Absätze im Grunde allein über diesen Moment reden möchte, will ich ihn nicht vorwegnehmen. Mein emotionaler Ausbruch soll nur eines verdeutlichen: Dieser Film hat es in weniger als zwei Stunden geschafft, mir die Persönlichkeiten, Erfahrungen, Ängste und Freuden mehrerer Personen zu offenbaren, verbunden mit einer Leidenschaft, die wir hier sicherlich alle teilen.

Wer vor dem Lesen dieser Zeilen nichts über das Projekt wusste oder die Thematik aus dem Titel nicht filtern kann, hier ein kurzer Überblick. Die Filmemacher Lisanne Pajot und James Swirsky haben mehrere unabhängige Entwickler interviewt und ein paar davon über einen längeren Zeitpunkt verfolgt. Das fertige Produkt befasst sich hauptsächlich mit vier Personen, um einen klareren Fokus zu erzielen. Es zeigt Phil Fish, wie er sein Spiel Fez das erste Mal auf PAX East der Öffentlichkeit zeigen will, Team Meat bei der Veröffentlichung ihres Plattformers Super Meat Boy und Jonathan Blow, der über seine Erlebnisse mit Braid reflektiert.

Indie Game: The Movie - Trailer

Letzterer erhält eindeutig die geringste Aufmerksamkeit. Blow erzählt ein paar interessante Dinge von der Entstehung und seiner sehr seltsamen Reaktion auf die Veröffentlichung des Spiels. Doch man wird das Gefühl nicht los, dass er nur wegen Braids Beliebtheit im Film zu sehen ist. Jetzt nagelt mich deswegen bitte nicht fest, das Schaffen dieses Kerls fasziniert mich. Aber wenn ich ihn im Trailer groß anpreise und dann nach der Hälfte des Films ausblende, wirkt das schon ein wenig seltsam.

Dieser Aspekt mindert die Qualität von Indie Game: The Movie allerdings nur in Form einer kleiner Delle, die dem ansonsten hervorragend geformten Konstrukt nicht schadet. Nachdem die einzelnen Standpunkte, Hintergründe und philosophischen Ansätze der Protagonisten erörtert werden, wechselt der Ablauf gekonnt zwischen den Geschichten und zeigt Tiefpunkte sowie Triumphe nebeneinander, ohne dass sie sich vom Ton oder der Gewichtung her in die Quere kommen. Stets auf einer Ebene, für die man kein Insider-Wissen benötigt.

Die verschiedenen Kameraeinstellungen sind passend zur Stimmung gewählt

Man kann den Film daher auch Leuten empfehlen, die sich nicht so sehr mit dem Medium befassen oder keinen persönlichen Bezug zu den Figuren haben. Ich gehöre dagegen zur perfekten Zielgruppe, da mir die behandelten Spiele sehr am Herzen liegen und wie die Darsteller mit Videospielen aufgewachsen bin. So zeigt Tommy Refenes an einer Stelle sein altes Kinderzimmer, die Wände zugepflastert mit Postern von Mega Man, Zelda und zahlreichen anderen Titeln. Sofort wandern meine Gedanken an mein eigenes Zimmer zurück und wie ich es als Achtjähriger dekorierte.

Die wahre Glanzleistung des Films liegt hingegen in der Motivation der Personen und wie sie dem Zuschauer näher gebracht werden. Während Edmund McMillen seine Verarbeitung von persönlichen Erfahrungen in seinen Spielen verdeutlicht, spielt Phil Fish alte Programme, die sein Vater für ihn auf einem Apple II entwickelte. Genauso beleuchtet man die Ängste und Probleme. Sowohl Refenes als auch McMillen setzen alles auf Super Meat Boy, von dem sie bis zuletzt nicht wussten, wie die Spielerschaft es aufnimmt. Kurz vor der Veröffentlichung sieht man sie mit tiefen Augenrändern und besorgten Gesichtern. Ein komplettes Gegenteil zu den fröhlichen, teils naiven Gesichtern, in die man sieben Monate zuvor blickte.

Phil Fish steuerte derweil immer weiter auf den persönlichen Ruin hin. Nachdem er 2008 für eine kurze Demo den IGF-Award gewann, überarbeitete er Fez mehrere Male, während ein Tiefschlag auf den nächsten folgte und sein ehemaliger Geschäftspartner wegen eines Rechtsstreits sogar die öffentliche Präsentation verhinderte. Natürlich mit gleichzeitigem Druck von Microsoft und dem Internet, das Fez bereits als das "Duke Nukem Forever der digitalen Distribution" belächelte.

Edmund McMillen wenige Tage vor der Veröffentlichung von Super Meat Boy.

Zu diesem Zeitpunkt antwortet er auf die Frage, was passieren würde, falls er Fez nicht fertig stellen könne. "Ich würde mich umbringen. Ich meine es todernst. Ich würde mich umbringen. Darum ist es mein Ansporn es fertig zu stellen, damit ich mich nicht umbringen muss."

Die Aussage scheint stark übertrieben und glaubhaft zugleich. Die kalten Worte entweichen seiner starren Mimik mit dramatischer Eindringlichkeit. Sie zeigen den wahren Phil Fish, der seine oft ungefilterten Gedanken zu schnell und zu lautstark verkündet. So geschehen im Film und so passierte es ebenfalls auf der diesjährigen GDC, bei der er sich durch seine gewagte These zu japanischen Spielen sogar Morddrohungen einfing und diese eher weniger elegant auf Twitter kommentierte. Man muss ihn als Person nicht gleich mögen, doch versteht man seine Handlungsweise zum Abspann hin und kann sogar Sympathie für ihn entwickeln.

Am Ende bleiben natürlich ein paar Wünsche offen, die in der kurzen Zeit nicht alle behandelt werden konnten. Ich hätte mir einen genaueren Blick auf den Entstehungsprozess und Entscheidungen im Bezug auf das Gameplay gewünscht. Eine kurze Szene, in der McMillen eine Einführung zum Level Design gibt, bei der sich wirklich jeder Entwickler Notizen machen sollte, erzeugt einen eindeutigen Wunsch nach mehr. Auch ein wenig mehr Vergleiche mit Erfahrungen anderer Personen fehlen zum Schluss. Diese werden dann wohl in der Special Edition nachgeliefert, die noch weitere Geschichten anderer Projekte beinhalten wird.

Jonathan Blow kommt leider viel zu knapp.

Letztendlich kann ich die schwere Entscheidung, sich hauptsächlich auf Fez und Super Meat Boy zu konzentrieren, jedoch nur unterstützen. Man kann kritisieren, dass die dunkle Seite, in der Entwickler wirklich unter dem Druck untergehen, nicht gezeigt wird. Genauso könnte man wegen jedem weiteren fehlenden Aspekt der Industrie meckern. Irgendwo muss jedoch der Strich gezogen werden und ein vierstündiges Epos mit sämtlichen Blickwinkeln würde sicherlich den Fokus zerreißen sowie die einzelnen Personen unergründet zurücklassen.

Ja, ihr habt die obige Einleitung sicherlich schon mehrfach in Verbindung mit anderen Werken gesehen und vielleicht konntet ihr euch ein gewisses Augenrollen nicht verkneifen. Kein Problem, erging mir in anderen Fällen genauso und ich sage nicht, dass jeder oder gar viele die gleiche Reaktion haben. Davon abgesehen bleibt es dennoch ein kraftvoller Moment, den für mich wahrscheinlich keine fiktionale Geschichte jemals übertreffen kann. Die echten Emotionen einer Person zu sehen, die man ansonsten nur über spaßige Twitter-Einträge und normale Interviews kennt, bleibt eine Besonderheit.

Aber egal, denn was ich eigentlich damit sagen will: Seht euch diesen Film an. Es kostet euch den normalen Preis eines Kinobesuchs und selbst wenn ihr mit Freunden dafür zusammenlegt, solltet ihr euch diesen Einblick in die Reise einer Spieleentwicklung und die damit verbundenen Konsequenzen nicht entgehen lassen.

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Björn Balg

Freier Redakteur

Freier Autor und wahrscheinlich der letzte Mensch ohne einen Facebook-Account. Liebt Trash und verbringt zu viel Zeit mit dem Ansehen von Katzenvideos.

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