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Journey - Test

Der Weg ist das Ziel

Erlaubt mir bitte, hier ein wenig auszuholen und euch eine kleine, aber wahre Geschichte zu erzählen. Stellt euch folgende Situation vor. Für gut 35 Studenten geht eine lange, lange Woche voller Klausuren zu Ende. Alle sind vollkommen erschöpft und ausgelaugt, sitzen aber noch für das ein oder andere Bierchen am Abend zusammen, bevor sie sich für die kurzen Semesterferien in alle Winde zerstreuen. Jemand schaltet die PS3 und einen doch beeindruckend großen Projektor an und startet Journey, das neue Spiel von Flower-Entwickler Thatgamecompany. Einer der Studenten nimmt den Controller, um es einfach mal auszuprobieren und schnell ändert sich die Stimmung.

Es wird ruhig im Raum, immer mehr Leute scharen sich um den Spieler und schauen gebannt auf die Leinwand. Je weiter der Spieler vorankommt, desto stiller werden die Zuschauer um ihn herum. Als er nach etwa zwei Stunden das Ende seiner Reise erreicht hat und der Abspann läuft, da wird nicht etwa das Licht angemacht und weiter gefeiert. Nein, der nächste Spieler nimmt sich den PS3-Controller und fängt von vorne an um Journey erneut durchzuspielen. Und ich sage es mal so - es wurde noch eine lange Nacht.

Im Grunde fasst der Titel "Journey" das Spielerlebnis wunderbar zusammen. Es geht eben um die Reise einer fast vollständig verhüllten Figur. Zu Beginn steht diese in einer Wüste voller seltsamer Stein-Monumente und verfallener Ruinen, in ganz, ganz weiter Ferne erhebt sich ein Berg. Dort wollen wir hin. Wir wollen dort hin, weil wir wissen möchten, was dort ist, nicht weil das Spiel es uns sagt. Genau genommen sagt uns Journey nämlich gar nichts. Es gibt mit kleinen Piktogrammen kurz Auskunft darüber, was die Knöpfe des Controllers tun, mehr aber nicht. Alles andere soll der Spieler alleine herausfinden,

Strahlend schön: Den glitzernden Wüstensand muss man in Aktion gesehen haben.

Was hast es mit den wehenden Stoffbahnen auf sich? Was sind die kleinen, fliegenden Karten? Wie funktioniert das mit dem Springen? Kann ich etwa fliegen? All das wird vom Spiel angedeutet und vom Spieler selbst herausgefunden und fühlt sich dabei gleich viel besser an, als wenn man es vorher erst in einem langen Tutorial vorgebetet und vorgemacht bekommt.

Und so reist ihr dann. Durch Wüsten, durch Höhlen, durch geheimnisvolle Gemäuer und habt dann schließlich, wenn ihr den Berg erreicht, wohl eines der intensivsten Spielerlebnisse eurer Konsolen-Karriere hinter euch - ein Erlebnis, über das ich euch hier gar nichts erzählen will, würde ich euch doch sonst den ganzen Spaß und einen großen Teil der Wirkung nehmen. Lasst euch nur eins gesagt sein: Habt ihr schließlich mit zitternden Händen das Ende eurer Reise erreicht, dann fühlt sich die spielerische Belohnung für die letzten Strapazen einfach herrlich frei an... man muss es erlebt haben. Kein Wunder, dass die oben erwähnten Game-Design-Studenten die Journey-Reise gleich wieder von vorne angefangen haben.

Und dabei haben sie einen der zentralen Punkte des Spiels noch gar nicht ausprobiert: Journey ist ein Erlebnis, das man unbedingt mal mit einem anderen Spieler über das Internet geteilt haben sollte. Dabei bietet Journey aber keinen klassischen Coop-Modus mit Voice- oder Tastatur-Chat, auch eine Mitspielersuche gibt es nicht. Ist eure PS3 mit dem PlayStation Network verbunden, dann sucht Journey auf eigene Faust einen möglichen Mitspieler und ihr trefft ihn unterwegs.

Man fühlt sich wahlweise wehrlos und verlassen oder zieht - gemeinsam stark - Trost aus der Anwesenheit eines Mitreisenden.

Kommunikation ist bis auf generische Ausrufe komplett unterbunden, unterstützen könnt ihr euch aber trotzdem gegenseitig. Nicht nur, indem ein vielleicht schon erfahrenerer Spieler dem anderen wichtige Orte zeigt oder ihn vor Gefahren warnt, auch dadurch, dass ihr euch durch gegenseitige Nähe tatsächlich unterstützen könnt, ist Kooperation eine gute Idee. Das führt mit der Zeit zu interessanten Dynamiken. Bleiben zwei Spieler tatsächlich über die ganze Reise hinweg beieinander, dann bildet sich tatsächlich eine Art Band zwischen ihnen. Man fiebert mit seinem neuen, unbekannten Freund an dramatischen Stellen mit, wartet auf ihn, wenn man bereits voraus ist, und hat tatsächlich das Gefühl, gemeinsam etwas Einmaliges erlebt zu haben.

Da bleibt dann natürlich die Frage nach dem tatsächlichen Gehalt. Welches Spiel bietet nun mehr Tiefgang, welches spricht den Spieler mehr emotional an? Journey oder Flower? Tja, das tut mir jetzt leid, da kann ich euch beim besten Willen keine klare Antwort bieten. Die liegt gerade bei diesen beiden Meisterwerken im Auge des Betrachters und in dessen individueller Interpretation. Genau wie Flower bietet auch Journey keine eindeutige Lesart. Geht es um das Leben? Geht es vielleicht um Religion? Oder doch um etwas ganz Anderes? Das entscheidet jeder Spieler für sich im Verlauf seiner Reise. Das Schöne dabei: Das Spiel regt zum Nachdenken und zum Hinterfragen an, aber es stößt den Spieler nicht darauf. Wer Journey einfach nur als grafisch eindrucksvolle Reise durch beeindruckende Landschaften genießen will, der kann das tun. Journey ist extrem clever, aber es reibt dem Spieler seine Cleverness nicht unter die Nase.

Wer sich für tiefere Botschaften oder Reflexion über das erlebte nicht interessiert, der findet immer noch eine ganze Menge erstklassiges Gameplay, feine Musik und hervorragende Grafik. Die Spielfigur steuert sich von der ersten Sekunde an herrlich intuitiv und flüssig, die hervorragende Umgebungsphysik trägt dazu noch ihren Teil bei. Wenn ihr sandige Hügel erklimmt, dann fühlt sich das beschwerlich an, dagegen ist es eine einzige Freude, sanft geschwungene Abhänge hinab zu rutschen. Dabei leitet euch das Spiel ganz mühelos immer auf den rechten Weg. Ganz ohne Wegweiser, aufdringlich blinkende Pfeile oder KI-Kollegen, die euch lautstark antreiben. Hier erweckt eine interessante Baustruktur eure Aufmerksamkeit, da wollt ihr eine interessante Felsspalte erforschen... durch diese klug gesetzten Markierungen werdet ihr ganz elegant durch die weitläufigen Szenarien geleitet.

Journey - Trailer

Aber nicht immer will man tatsächlich vorangehen. Immer wieder kam es vor, dass ich staunend an einem Ort verweilte und nur die raue Schönheit der Umgebung bewunderte. Wind-umwehte Felsen, geheimnisvoll leuchtende Höhlen oder im Licht der untergehenden Sonne schimmernder Sand... selten war eine Spielwelt von einer solchen Schönheit erfüllt - der einzige Vergleich, der sich hier ziehen lässt, ist der zu Sonys in Sachen Stimmung ganz ähnlichem Shadow of the Colossus.

Manchmal packt mich als Spieler der alten Schule schon der Frust - irgendwie sehen ja doch viele moderne Spiele wahnsinnig gleich aus, viel zu viele Titel gehen einfach nur dröge auf Nummer sicher, anstatt mal ein wenig von den etablierten Normen abzuweichen und die Spieler zu überraschen. Dann sind es Spiele wie Journey, die mir den Glauben an das ganze Spiele-Medium zurückgeben. Journey weckt wieder diesen Sinn für Wunder, den man als Zehnjähriger verspürt hat, als man die ersten in virtuelle Sphären abgetaucht ist und sich dabei eine völlig neue Welt voller Überraschungen und Wunder erschlossen hat.

Dieses Gefühl ist es auch, das mich immer wieder zu Journey zurück bringt. Durch seinen angenehm überschaubaren Umfang, das entspannte Spielgefühl und das weitgehend von Gefahren freie Abenteuer lockt immer wieder für eine ganz entspannte Reise vor die PS3. Wen mag ich dieses Mal treffen? Entdecke ich vielleicht etwas Neues? So oder so - Journey ist kein Spiel, das man einfach einmal durchholzt und dann zu den Akten liegt. Hier ist der Weg das Ziel. Ein Weg, den jeder Spieler unbedingt einmal gegangen sein sollte.

9 / 10

In unserer Test-Philosophie findest du mehr darüber, wie wir testen.

In diesem artikel

Journey

PS4, PS3, PC

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Thomas Nickel

Autor

Fest in der 16Bit-Ära verwurzelt, lehrt der freie Autor Spielegeschichte an der Frankfurter Games Academy. Wird eher selten vor Ego-Shootern gesichtet.

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