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Landwirtschaftssimulator 22 - Jetzt mit dem sportlichsten Rübenroder aller Zeiten

Wie sich mir die Reize des Ackers langsam erschlossen und was es für seltsame Maschinen doch gibt. Der Landwirtschaftssimulator 22 bietet viel in Sachen entschleunigtes Spielen.

Ich bin überfordert. Hattet ihr schon mal einen Job, zu dem ihr kamt, aber ihr wusstet nicht, was von euch erwartet wird? Wo ihr sein sollt, was ihr dort tun sollt? Klar, eine generelle Idee von meiner Aufgabe habe ich. Ich habe einen Acker, ein paar Maschinen und ein paar andere Dinge, von denen ein Städter mal gehört hat, dass sie wohl auf dem Land vorkommen. Die stehen hier jetzt alle herum. Warten nur, dass ich meinen Job erledige. ABER WAS ZUR HÖLLE IST MEIN JOB GENAU?!?

Nachdem ich mir lustige E-Sport-Videos auf YouTube zum Thema Landwirtschaftssimulator 22 anguckte, dachte ich noch, alles locker, kein Thema, Heuballen kann ich auch rollen. Jetzt stehe ich hier auf dem Feld. Da ist nix zum Rollen, ich weiß nicht mal, womit genau ich was rollen soll und mich beschleicht der Verdacht, dass vor dem Rollen noch so einiges passieren muss. Eine wilde Reise durch viele Menüs, die ich nicht wirklich einordnen konnte, später dämmerte es mir, dass das hier wohl eines ist, wo ich ins Tutorial muss. NUR GIBT ES KEIN TUTORIAL!!!

Natürlich ging ich erst mal gucken, wo die Welt endet. Mitten im Dorf, wie sich herausstellte.

Halt! Was ist das! Ein Ausrufezeichen neben dem Mähdrescher. "Guided Tour". Unaufdringlicher wird es nicht, aber es klingt vielversprechend. Auf geht es. Nachdem ich die eigentlich irgendwie sinnvolle, aber doch gewöhnungsbedürftige Optionswahl bei den Gerätschaften durchschaut habe, geht es wie von selbst. Erst mähe ich ein wenig, dann übernimmt ein KI-Arbeiter. Auf zum nächsten Feld. Ich pflüge ein wenig, wieder die KI an. Hey, das wird noch was mit dem Bauerndasein hier! Gut, die KI ist ein wenig unflexibel. Ich habe mein Auto am Feldrand geparkt, wo er mit seinem Drescher lang will. Und zwar genau da lang. Das Hindernis umfahren geht nicht. Also wird der Pick-up umgesetzt. Nächste Aufgabe.

Und dann... bin ich irgendwie drin. Ich fange an, mich um meine Felder zu kümmern. Nicht zu intensiv, Hektik bricht hier nie aus, aber genug, dass ich immer was zu tun habe. Hier muss gesät werden, da gepflügt, dort geerntet. Die eigentliche Arbeit überlasse ich meist meinen KI-Erntehelfern, denn die können das viel besser als ich, der häufig wie nach drei Bier ein wenig durch die Furche eiert. Aber das ist okay, wir verstehen uns gut. Ich parke mein Auto nicht auf dem Feld und sie machen, was sie können. Läuft.

Wird er mich niedermähen? Nein, die KI weiß, dass sie den Bauern noch braucht.

Läuft. Das ist der Grundtenor hier. Ich habe null Ahnung von landwirtschaftlichen Geräten und vieles von dem, was ich hier kaufen kann, wirkt immer noch wie Alien-Technologie, aber ich taste mich ran. Mittlerweile kenne ich den Unterschied zwischen einem Pflug und einem Grubber, ahne, wann Gülle und wann Mist gefragt sind und vermutete nicht immer falsch, warum irgendeine Saat nicht so will, wie der Bauer das möchte.

Ausgehend von den komischen Landwirtschaftsserien, die mein Schwiegervater guckt, sowie dem Hochzeitsmarkt in Stardew Valley gibt es erstaunlich wenig zwischenmenschliches Drama hier. Auch fiel mir in den TV-Serien auf, dass erstaunlich wenig geackert und geerntet wird. Stattdessen ist die Kamera dabei, wenn mal was kaputtgeht oder eine Pause gemacht wird. Denn sonst wäre die Zielgruppe etwas kleiner. Es gibt sicher Leute, die vier Stunden am Stück eine monoton zuverlässig funktionierende Arbeitsmaschine bewundern können. YouTube hat da sicher zig Channels, ich würde Geld darauf wetten. Aber das ist eben als rein passive Unterhaltung schon recht speziell. Hier kommt der interaktive Aspekt von Landwirtschaftssimulator 22 rein. Man macht aktiv das, was rein objektiv betrachtet nicht sonderlich spannend anzuschauen ist. Und wenn Stardew der etwas wilde Öko-Hof für Lebenserfüllung mit Kumbaya ist, dann ist der Landwirtschaftssimulator 22 die EU-geförderte Großmaschinerie, die die Ernährung der Bevölkerung in breiter Masse sicherstellt. Das alles so clean, wie man es gerne hätte.

Muss man einfach gesehen haben. Eines Tages werde ich ihn besitzen. Nicht in der Simulation. Vor dem Haus. Auf jeden Fall. Porsche kann jeder.

Bis jetzt fasziniert mich immer noch der Einblick in eine komplett andere Welt. Irgendwann fing ich an, mir die Webseiten der Hersteller all dieser Gerätschaften anzugucken. Mein Favorit ist immer noch der Ropa Panther 2, ein Rübenroder mit Ausmaßen, die den Panther 2 Panzer überlegen lassen, ob er es mit diesem Panther 2 aufnehmen sollte. Das Ding erinnert an einen Ernter aus Command & Conquer. Das Letzte, was mir einfallen würde, wäre der Satz "DER WOHL SPORTLICHSTE RÜBENRODER", den man auf der Seite des Herstellers findet. Sportlich?!? Ein paar Flammenwerfer ran und das Ding ist eine fahrende Mad-Max-Festung! Landwirtschaft kann seltsam sein.

Die meiste Zeit ist sie aber vor allem funktional und auch der Panther 2 brüllt nicht, sondern sammelt stoisch meine Rüben ein. Da das erste Szenario eine amerikanische Kleinstadt-Idylle ist, bin ich ein wenig enttäuscht, dass meine Kleinstadt-Erfahrung aus "Ausgerechnet Alaska" hier nicht groß zum Tragen kommt. Es gibt nicht mal 'ne ordentliche Country-Bar. Zumindest gibt es Country-Sender und wie schon beim Truck Simulator verbringe ich hinter dem Steuer meiner Ungetüme viel Zeit mit seltsamen Radio-Sendern.

Ich werde leider nie an den Punkt kommen, aber... Auf dem eigenen Weingut rumeinern, eine reale Flasche Le Patron Tankensprit nebenbei und einen Chanson-Sender im vrirteullen Radio... Ich hatte schon schlechtere Mittwoch Abende.

Am Ende muss ich aber auch wieder aufgeben. Ich habe verstanden, warum Leute den Landwirtschaftssimulator 22 mit voller Hingabe spielen. Wie bei Animal Crossing und Stardew Valley gibt es immer zwei Gründe und einer der beiden unterscheidet sich immer fundamental. Bei Animal Crossing ist es der Nestbau-Aspekt und die Interaktionen mit den Figuren. Bei Stardew ist es die Landwirtschaft, gebündelt mit der Illusion von sozialem Dorfleben. Beim Landwirtschaftssimulator 22 ist es die Landwirtschaft, gebündelt mit der Faszination für teilweise absurde Maschinen, die ihr hier ins Detail nachgebaut findet. Was die drei und andere ihrer Art verbindet, ist der entschleunigte Ablauf einer Videospielunterhaltung. Selbst in dem entspanntesten Shooter ist die Aktion nicht selbstbestimmt und optional. Ihr könnt in Far Cry und Assassin's Creed mit friedlicher Absicht durch die schönsten Wälder schlendern, aber wenn euch einer mit MG oder Axt ans Leder will, ist der Spaziergang erst mal beendet.

Hier setzt man sich nach einem Tag getaner Arbeit ran, chillt auf dem Acker, pflügt ein wenig hier, erntet dort und hat nach zwei Stunden "was geschafft". Man folgt seiner eigenen Idee, was die Äcker hergeben sollen, mit welchen Maschinen man ans Werk gehen will und lebt ein alternatives Leben aus, für das man sich eben nicht entschieden hat. Oder, wenn man ein normaler Bauer ist, ergötzt man sich an den Maschinen, die man niemals haben wird. Denn der Panther 2 mag sportlich sein, billig ist das Ungetüm sicher nicht. So oder so, wenn euch der Sinn nach dieser Art von Eskapismus steht, dann bietet der Landwirtschaftssimulator 22 euch genau das in ausgereifter Form. Denn einen Eindruck hatte ich hier nie: den eines Schnellschusses für die Elektrofachmarktkasse. Diese Zeiten sind hier längst vorbei und das merkt auch der Laie. Dementsprechend, viel Spaß beim Beackern der Furche. Ich muss jetzt aber erst mal dringend was erschießen.

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Martin Woger Avatar

Martin Woger

Chefredakteur

Chefredakteur seit 2011, Gamer seit 1984, Mensch seit 1975, mag PC-Engines und alles sonst, was nicht FIFA oder RTS heißt.
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