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Leben & Spielen südlich des 38. Breitengrads

Ein Blick auf Stadt und Spiel in Südkorea

Wenn man die meiste Zeit seines Lebens auf einem Kontinent oder sogar in einem Land verbringt, geht man relativ schnell davon aus, dass der Rest der Welt so ähnlich funktioniert, zumindest fast. Insoweit ist es eines der großen Bonus-Features des Redakteurs-Jobs, dass man von Zeit zu Zeit auch mal rauskommt und aktiv auf andere Kulturen gestoßen wird. Zugegeben, in erster Linie Spielekulturen und selbst das nur in den wirklich guten Jahren, aber letzte Woche ergab sich die wunderbare Gelegenheit, mit Südkorea ein Land zu besuchen, das - mal abgesehen von Samsung & Hyundai - mehr oder weniger Terra incognita für zumindest mich war. Der Norden von Korea bekommt in der Presse halt mehr Aufmerksamkeit. Es zahlt sich in dieser Richtung aus, ein wahnsinniger Diktator mit Vielleicht-Atombomben zu sein. Ich bekam aber die Chance, mich aus erster Hand über die Gaming-Kultur von Südkorea aufzuschlauen, den Entwickler Smilegate und die World-Cyber-Games zu besuchen. Kulturschock? Geht so. Aber eines nach dem anderen.

Bevor es zur Gaming-Culture geht, gibt es einen kleinen Reisebericht. Ihr seid ja hier, um was zu lernen und es sind ein paar echte Need-to-knows dabei, mit denen man auf Partys glänzen oder seine nächste Reise planen kann.

Merry Christmas, Baby!

Jahreszeitlich bedingt findet ihr auch in Seoul derzeit keinen Laden, kein Büro oder Quadratmeter öffentlicher Fläche, der nicht ein klein wenig an wundervoll kitschiger Weihnacht zu bieten hätte. Meist mit ein klein wenig englischen Holiday-Grüßen verziert, leuchtet jeder größere Baum mit Tausenden von LED-Lämpchen erhellt, bunte Kugeln und alles sonst, was wir hier auch an Geschmacklosigkeiten strategisch günstig plazieren, findet sich auch dort. Ich für meinen Teil liebe diesen Weihnachtskitsch, und da das Wetter auch passte - erster Schneetag in Seoul - kam das richtige Feeling auf. Nur, wie sich herausstellte, ist es ein komplett anderes Feeling, als die jungen Koreaner zu dieser Jahreszeit bekommen.

Die Hochhäuser dominieren klar, denn Koreaner lieben Appartmentblocks mehr als kleine Häuschen.

Die nämlich leben in aller Regel - auch, weil die Wohnungspreise wie in jeder Großstadt dieser Welt abenteuerlich ausfallen - bei ihren Eltern, bis sie geheiratet haben. Da sie, wie die meisten von uns aber gerne schon mal vorher ein wenig antesten wollen und vielleicht der ersten Liebe nicht sofort den Ring reichen wollen, ist es angesichts meist übersichtlicher Apartments nicht einfach, ein wenig Privatsphäre zu bekommen. Dafür ist Weihnachten da. Oh ja, Weihnachten ist das Fest, wo die Next Generation Süd-Koreas in die Nacht zieht, ein Zimmer in einem Hotel mietet - die Preise steigen um das Dreifache, trotz jeder Menge Champagner-plus-Rosen-Angebote - und das erste Mal "Oh Du Fröhliche" in unterschiedlichen Tonlagen stöhnt. Andere Länder, andere Sitten und als ich das wusste, hab ich irgendwie die ganzen Weihnachts-Werbesprüche mit einem Unterton gelesen. Very Special Christmas indeed, Best Western...

Die Straßen der Großstadt

In der Weihnachtsnacht werden dann auch die Straßen noch voller sein als sonst schon und das heißt in Seoul einiges. Die bis zu siebenspurigen Asphalt-Züge - in jede Richtung wohlgemerkt - ziehen über endlose Kilometer an Bürohochhäusern und Appartementblocks, selten unter 20 Stockwerke, vorbei, gesäumt von mehr als nur großzügigen Bürgersteigen. Das Einzige, was komplett zu fehlen scheint, sind Fahrrad-Wege. Ich kann mich an kaum ein Fahrrad erinnern, selbst in den kleineren Straßen hinter den Betonriesen, die mehr Zulieferwege als alles andere sind. Überhaupt: das Auto. In den Städten Südkoreas gilt ganz klar "Das Auto eines Mannes ist wichtig wie sein...". Nicht mal auf dem Mercedes-Werksgelände kann man so viele S500 und S600 bewundern, alle asiatischen Marken, insbesondere Huyndai, SsangYong oder Samsung sind fast ausschließlich mit ihren Großraumlimousinen - Equus, Chairman, SW7 - vertreten, nur der gelegentliche, exzentrische Mini unterbricht von Zeit zu Zeit das Bild.

Mut ist gefragt im Straßenverkehr. Nicht so wie in China, wo ein gewisser Selbstmordwunsch bei jeder Straßenüberquerung mitschwingt, aber als Fußgänger sollte man die Vorsicht einer scheuen Katze und gleichzeitig die Selbstsicherheit eines Wall-Street-Brokers mitbringen, wenn man sich einem Zebrastreifen oder einer Ampel nähert. Im Auto... Hupen, gucken, fahren. Vor allem fahren. Wer stehen bleibt und wartet, verliert. Meist das aktuelle Versicherungsrating. Aber ärgert euch dann nicht stillschweigend, sondern lasst es verbal an einem Polizisten aus. Solange ihr nicht handgreiflich werdet, sind diese gebeutelten Staatsdiener nicht unbedingt die großen Respektspersonen und ein paar deftige Sprüche haben noch keine Strafzettel explodieren lassen.

Ein besonderes Kuriosum hier sind die Taxifahrer. Nicht unbedingt bei dem, was sie so normalerweise tun, das machen sie sehr professionell für Ausrichter eines Abenteuerkurzurlaubes im Stadtverkehr Seouls, sondern, wenn sie ihr karges Gehalt als Verkehrspolizisten aufbessern. Steht mal wieder alles und sind Ampeln ausgefallen, verdienen sie ein paar Won - so die lokale Währung - extra, indem sie Löwenbändiger im Verkehrszirkus spielen. Mutig, aber was soll man machen, wenn man sich für weniger als 10 Euro durch die ganze Stadt kutschieren lassen kann. Da kommt halt nicht viel rum. Gut aber für den Shopping-Touristen, denn was es praktisch nicht gibt - oder zumindest nicht in dem Maß, das wir hier kennen - sind Einkaufsstraßen. Shoppingzentren sind natürlich das Ding und sie liegen durchaus taxiweit auseinander.

Shop und ing

Die normale Shoppingkultur scheint auf den ersten Blick aus einer Mischung aus Starbucks, Starbucks-Klonen, 24-Stunden-Mini-Markets und Bankfilialen zu bestehen. Man kann damit überleben, wach bleiben und neues Geld für diese beiden Zwecke holen. Was aber, wenn der Laptop den Geist aufgibt oder man ein neues Xbox-Game haben will? Man fährt in eines der beiden Technik-Viertel. Hier sollte man als Videospieler jetzt nicht ein Akihabara-Mekka erwarten, was an der allgemeinen Gaming-Kultur in Korea liegt. Vor allem jedoch sind die Shopping-Center, insbesondere die Technik-Viertel keine homogenen Media-Markt-Wüsten, sondern eine Mall voller kleiner Einzelhändler, jeder mit seinem etwas eigenen Angebot, Preisen und Charme. Praktisch versammelt auf einem Fleck.

PC-Einzelteile treiben das auf die Spitze. Kommt ihr aus der U-Bahn - ein extrem wertvolles Fortbewegungsmittel in einer Stadt, die die Hauptverkehrszeit locker bis nach 22 Uhr drücken kann - steht ihr vor mehr als einem Dutzend kleiner Läden. Der eine verkauft Mainboards, der nächste Grafikkarten, der dritte Gehäuse und so weiter. Was aussieht wie ein Umschlagplatz für China-"Importe" sind ganz normale, legale Läden. Die Stände mit den raubkopierten Porno-DVDs gegenüber, anderes Thema. Die Spiele zur Hardware gibt es eine Straßenseite weiter in einer eigenen kleinen Untergrund-Mall, Schrägstrich, Schutz-Bunker. Zumindest was den Charme der schlichten Gänge, simplen Stände und der niedrigen Deckenhöhe angeht. Die Auswahl ist weniger exotisch, als man meinen sollte. Xbox, PS3, DS, PSP, vieles in US- und Japan-Fassungen, das meiste als Korea-Ausgabe. Spiele, die man nicht kennen oder wiedererkennen würde sind nur wenige dabei. Ein paar Japan-Titel, aber das war es auch schon. Es gibt ein paar Orte, wo man die Klassiker bekommen kann, aber erwartet kein Überangebot in Korea, wenn es älter als das N64 werden soll. Dafür ist Japan der Anlaufort.

Wesentlich besser sieht es interessanterweise mit der PC-Auswahl aus. Ganz prominent stehen da natürlich alle möglichen Editionen praktisch aller Blizzard-Titel, aber auch vieles andere, was teilweise weit zurückreicht. Man muss hierzulande schon in spezielle Läden gehen. Beim Gamestop jedenfalls ist die Palette weit weniger elaboriert. Schätze für wenig Geld sind darunter - spontan hab ich Erstausgaben von Magic Carpet und Civilization 2 auf dem Erstbesten der Tische entdeckt - und ein wenig Feilschen geht auch immer an diesen Orten.

Der Gamer in Südkorea

Es gibt natürlich ebensowenig DEN südkoreanischen Gamer, wie es DEN deutschen Gamer gibt, aber die starke Präsenz der PC-Games kommt nicht von ungefähr. Obwohl natürlich immer noch recht verbreitet haben die Heimkonsolen hier nicht das Standing, das sie in den USA, Japan oder auch in Europa genießen. Man bekommt die Spiele, aber es gibt keine nennenswerten Entwicklungen in diesem Bereich innerhalb des Landes. Gelegentlich mal ein obskures RPG, hier oder da ein kleineres Team, aber von einer echten Industrie zu sprechen, hieße diesen Begriff sehr klein zu halten. Der PC ist das Ding, was auch an den Vorlieben für MMO-Titel aller Art liegen dürfte. Ein Teil des Erfolges des PCs, und sicher kein kleiner, dürfte jedoch auch historisch begründet sein.

Die Stadt Busan im Süd-Osten der Halbinsel - Eine Mischung aus Ferienstrandidylle und Deus Ex.

Japan hielt die koreanische Halbinsel seit 1910 als eigene Provinz Chosen besetzt, natürlich nicht mit Zustimmung des koreanischen Volkes. Als die Besetzung dann nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges endete, erließ Südkorea wenig später ein komplettes Importverbot von japanischen Elektronik-Artikeln, das weit bis in die 90er gültig war. Und nicht nur das, überhaupt erste diplomatische Annäherungen fanden erst 1965 in Form eines Grundlagenvertrages statt. Gleichzeitig gab und gibt es weitreichende Fördergesetze, die die heimischen Branchen stärken sollen und den Import vieler Fertigprodukte stark einschränkten oder auch ganz verbieten.

Während der Rest der Welt mit dem NES seine Erfolge feierte, der US-Konsolen-Markt in den 80ern und 90ern praktisch nicht existierte, bleiben in Südkorea nur ein paar Nischenmärkte übrig, für die Hyundai und Samsung lizenzierte Klone von Saturn, N64 oder Mega Drive produzierten. Der PC blieb recht lange also konkurrenzlos.

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Martin Woger

Chefredakteur

Chefredakteur seit 2011, Gamer seit 1984, Mensch seit 1975, mag PC-Engines und alles sonst, was nicht FIFA oder RTS heißt.

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