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Life is Strange und nehmt euch die Zeit dafür

It's the end of the world as we know it and I feel fine taking it slow.

Anscheinend kommt es manchmal doch darauf an, wie man es spielt. Dass aber mal ein High-Tech-Spielzeug, das ich zufällig falsch bediene, dafür sorgt, dass ich ein Spiel auf eine so andere Art wahrnehme... Life is manchmal wohl wirklich strange.

Nachdem ihr es zu einem der Topspiele des letzten Jahres gewählt habt - absolut zu recht und schön hoch, ich bin stolz auf euch -, musste ich es jetzt doch mal etwas weiter spielen als nur die erste Stunde. Das Spiel erzählte mir zwischendurch kurz was von „zum Rennen drücke den rechten Trigger" und ich versuchte es. Klappte nicht. Aber wie man im Teenie-Sprech der fernen Westküste wohl so sagt: „totally whatever, bro". Schon in diesem ersten kurzen Abschnitt hatte mich das Spiel in ein mir für das Medium eigentlich völlig fremdes Tempo geworfen. Und ich war glücklich damit.

Wie man jedoch in der IT manchmal auch sagt: „It's not a feature, it really is a bug". Und der lag komplett auf meiner Seite. Ich spielte auf der Xbox und dort mit dem Elite-Controller. Der hat nun mal das Feature, dass man die Trigger-Wege verkürzen kann, was besonders in Shootern sehr nützlich ist, da man dort praktisch nie den ganzen Weg braucht, um den Abzug durchzudrücken. Das Spiel davor war Black Ops 3, die kurzen Wege waren immer noch eingestellt, ohne dass ich es realisierte, und so spielte ich dann Life is Strange, ohne rennen zu können. Für immerhin drei der fünf Kapitel, bevor mir auffiel, wo das Problem lag. Und damit genau im richtigen Moment.

Die ersten drei Kapitel dieses übrigens absolut bezaubernden und sehr ungewöhnlichen Spiels haben eine Atmosphäre, deren Äquivalent man am ehesten im Film findet. Mein letzter David-Lynch-Doppel-Feature-Abend mit Lost Highway und Mullholland Drive liegt noch nicht zu lange zurück und so musste ich auch nicht lange grübeln, woran mich das alles erinnert. So wie Lynch mich langsam, betäubend und gleichzeitig unendlich aufregend durch seine Abgründe führt, jede Szene auskostet und jedem Dialog etwas seltsam Schwebendes anhaftet, während er einen unaufhaltsamen wie genussvollen Tango um den Schlund ins Schwarz führt, so schien Life is Strange mit all dem zu spielen. Die Welt geht unter, aber ich habe alle Zeit der Welt. Das Spiel scheint einen auf eine ganz eigene, alles andere als zufällige Art wissen zu lassen, dass ihr genau so viel Zeit habt, wie ihr braucht, aber auch, dass ihr euch mit Bedacht und vollem Bewusstsein dem Abgrund nähern muss.

Also schlich ich durchs unwirkliche, farblich weiche und vom langsamen Tango unterlegte - hier in so brillanter wie in jeder anderen Umgebung belangloser Indie-Pop - Arcadia Bay und nahm jedes Detail, jede Beschreibung, jeden Dialog wie durch ein Brennglas noch intensiver wahr. Wenn ich durch einen kleinen Raum navigierte, tat ich das bewusst wie ein Mensch, der einen unbekannten Ort erkundet, nicht wie eine Spielfigur, die beim Rennen an jede Kante dotzt. Davon abgesehen, dass es mich unendlich atmosphärischer durch die Julee-Cruise-Stimmung segeln ließ, war es eigentlich auch effizienter. Nachdem ich auf diese Weise einmal langsam durch den Raum ging, konnte ich mir sicher sein, dass ich alles gesehen hatte. Später rannte ich dann doch und brauchte drei Umrundungen einer ähnlichen Umgebung, weil ich einfach an vielem vorbeirannte. Aber vor allem ließ es mich das Spiel auf eine Weise erleben, die dafür sorgt, dass ich es nie vergessen werde.

Ich bin eigentlich kein Freund der erzwungenen Langsamkeit. Wenn Nathan Drake oder Lara Croft der Meinung sind, dass sie jetzt mal schleichen müssen, denke ich eigentlich nur, dass das ihr Problem ist. Ich bin Käufer, damit Gott, also renn' jetzt gefälligst. Hätte in Spielen dieser Art nicht irgendwann die Renntaste funktioniert, ich hätte nicht weitergespielt, bevor das der Fall ist. Life is Strange ist anders, auch anders als im Genre näher verwandte Spiele. Es hat mich zur Langsamkeit verführt, das hat noch kein Spiel wirklich geschafft. Es ist die Atmosphäre dieses Spiels, die es einzigartig macht. Es ist das Ende der Welt und ihr habt alle Zeit der Welt.

Und daher: Nehmt sie euch. Ihr braucht dafür keinen 150-Euro-Controller und die Unfähigkeit, ihn richtig zu bedienen. Erst einmal kann ich nur sagen, dass ihr es euch schuldig seid, Life is Strange zu spielen. Und dass ihr dabei für die mindestens ersten drei Kapitel die Finger vom rechten Trigger lasst. Danach ist es okay und auch stimmig, von Zeit zu Zeit Gas zu geben. Aber bis dahin ist die Entdeckung einer ganz eigenen Langsamkeit in einem Spiel der beste Weg, dieses ungewöhnliche Werk zu erforschen. Losgelöst von Zeit, Raum und Situation schwebt ihr durch Arcadia Bay. So, wie es sein sollte.

Der aktuelle Anlass übrigens, warum ich gerade jetzt dieses schöne Spiel erlebte: Ich gönnte mir die nett gemachte Special Edition von Life is Strange, die ihr für relativ kleines Geld - angesichts der netten Aufmachung mit Artbook bekommt.

In diesem artikel

Life is Strange

PS4, Xbox One, PS3, Xbox 360, PC

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Martin Woger Avatar

Martin Woger

Chefredakteur

Chefredakteur seit 2011, Gamer seit 1984, Mensch seit 1975, mag PC-Engines und alles sonst, was nicht FIFA oder RTS heißt.

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