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Mit The Quarry kehrt Supermassive zu seinen Wurzeln zurück: Teenie-Horror, düstere Wälder und alle sterben (vielleicht)

Horror ist, wenn man trotzdem lacht.

Das klingt vielleicht intuitiv erst einmal nicht richtig, aber: Teenie-Horror ist eine Wissenschaft für sich. Das sieht man schon daran, dass die besten Filme und Spiele in dieser Unterkategorie zeitlose Meilensteine sind. Die schlechtesten langweilen bodenlos, unterfordern oder ekeln auf die schlechte Art und man fragt sich, wie es das Genre überhaupt so weit bringen konnte. Sogar bei prinzipiell unveränderter Rezeptur können zwei Werke qualitativ so weit auseinanderklaffen.

In der Welt der Videospiele sind Supermassive Games seit Until Dawn die unangefochtenen Könige dieser Art auf maximale Unterhaltung erpichter Gruselkost. Vermutlich, weil das Team aus dem englischen Guildford versteht, dass Teenager eine fabelhafte Projektionsfläche für Horrorthemen sind. Wo der billige Exploitation-Grusel der 70er und 80er vornehmlich leicht bekleidete Schülerinnen und junge Studentinnen für das männliche Auge durchs Unterholz scheuchte, versteht Supermassive, wie auch die besten Regisseure des Genre-Kinos, warum das wirklich funktionierte.

Alles Freunde. Aber das muss nicht so bleiben.

Das Teenager-Dasein markiert nämlich für jede und jeden eine vielleicht nicht immer gerne, aber in jedem Fall lebhaft erinnerte Zeit in der eigenen Biografie. Die Charakterriege und die oft in realen Jugendthemen verwurzelte Rahmenhandlung erschaffen wie von selbst ein Umfeld, in dem sich möglichst viele Zuschauer vertraut und heimisch fühlen. Denn wer hat oder hatte keinen Sport-Angeber in der Klasse, kein kreatives, tagträumendes Mauerblümchen, keine von allen Jungs angebetete Klassen-Schönheit? Den Bücherwurm mit den Stöpseln im Ohr, den heißen Austauschschüler und einen extrovertierten Witzbold, über den alle lachen, kennen ebenso die meisten.

Es klingt so einfach, aber tatsächlich registriert man rasch, wenn die Verantwortlichen hinter einem Werk keinen Bezug zu dieser Lebensrealität mehr haben (oder nie einen hatten) und nur für zynische Geldschneiderei auf die universelle Anziehungskraft dieser Gattung Horror setzen. Das ist sogar oft dann schon der feine, aber entscheidende Unterschied, noch bevor eine missratene Geschichte, schlechte Schauspieler oder miese Kreatureneffekte einen Teenager-Horrorfilm versauen können. Wie gesagt: Es ist eine Wissenschaft für sich, aber eine, die man nicht studieren kann. Man hat sie entweder einfach so verinnerlicht oder gar nicht.

Nachforschen oder wegrennen? Der junge Erwachsene wählt gerne die gefährlichere Variante. Aber sonst hätten wir auch kein Spiel.

Supermassive beherrschen die Sprache guten Teen-Grusels jedenfalls aus dem Effeff. Sie wissen, dass Jugendliche auch perfekte Horror-Avatare sind, weil viele ihre Unsicherheiten und Bedürfnisse am Revers tragen. Auch haben sie in ihrer Mischung aus Leichtsinn und einem Gefühl von Unbesiegbarkeit einen Freifahrtschein, himmelschreiende Dummheiten zu begehen. Wie etwa nach einem verdächtigen Geräusch die Treppe hinaufzugehen, anstatt schreiend aus dem Haus zu rennen. Das ist eine Weisheit (oder wahlweise Hasenfüßigkeit), die man erst mit den Jahren lernt, aber viele Horrorsituationen auf eine Weise entschärfen würde, die nicht gut für den Plot wäre.

Und letztlich weiß Supermassive, dass seine Figuren wegen ihrer Jugend einen bisweilen quälend spannenden Spagat zwischen Potenzial und Tragödie schlagen. Selten hat man schließlich mehr zu verlieren als mit 18 oder 19 Jahren (oder meint es zumindest), zugleich ist die Zukunft niemals ein so volles Buffet aus Chancen und Möglichkeiten wie in diesen Jahren. Ein finsterer Wald voller tatsächlicher oder eingebildeter blutrünstiger Kreaturen und ruchloser Hinterwäldler ist da eine Eskalation des Einsatzes an der unangenehmeren Seite des Spektrums aller möglichen Ausgänge. Denn es gibt ein Schicksal, das schlimmer ist, als seine Jugendträume nicht zu verwirklichen.

Nicht jede Entscheidung ist wahnsinnig folgenschwer. Manch unauffällige wiederum rächt sich später gnadenlos.

Gestützt wird die nach knisterndem Lagerfeuer klingende klassische Gruselgeschichte von The Quarry von einer talentierten Besetzung, die man durchweg aus anderen Filmen und Serien erkennt. Aber sie verschmelzen so exzellent mit ihren Rollen, dass man bald nur noch Kaitlyn wahrnimmt und nicht Brenda Song, Ryan anstatt Justice Smith oder Max anstelle von Skyler Gisondo. Auch das ist ein Geheimnis guten Teenie-Horrors: Das Gefüge aus Schul- oder Uni-Archetypen nicht durch Stars und entsprechende "Hey, ist das nicht…?" Effekte zu gefährden. Man sollte schon mitschwimmen können, mit dieser Gruppe. Sich als einer von ihnen fühlen.

Dabei hilft, dass die Performance-Capture-Technik von Supermassive in den letzten Jahren gewaltige Sprünge gemacht hat. Die Darsteller sind bis ins Detail perfekt – beziehungsweise auch mit all ihren Imperfektionen – eingefangen. Die Technologie bannt nicht nur extreme Gefühlsregungen wie Panik oder Schmerz auf den Bildschirm, sondern auch ganz subtile Entgleisungen der Gesichtsmuskulatur. Etwa wenn einer Figur nur langsam eine niederschmetternde Erkenntnis dämmert, oder wenn eine Zuneigungsbekundung offenbar an einem Angebeteten abperlt, wie Wasser vom Rücken einer Ente. Das beste Schauspiel wäre ohne ein Medium, das es einfängt und ohne Übersetzungsverluste ins Spiel überträgt, schließlich nichts wert – und in The Quarry treffen gut aufgelegte Akteure auf eine Technik, die ihrer Arbeit gewachsen ist.

Irgendwo zwischen väterlicher Respektsperson und undurchsichtigem Hauptverdächtigen: Camp-Aufseher Hackett (David Arquette).

Der Star aber ist die stark verzweigte Geschichte, die durch eure Entscheidungen in ruhigen oder nervenaufreibenden Momenten in 180 Variationen enden kann. Nichts münzt die "Alles-geht"-Perspektive von Jugendlichen auf das Leben so treffend in ein Videospiel um, wie die dehn- und durchtrennbaren Handlungsfäden, mit denen euch ein Spiel wie The Quarry experimentieren lässt. Sie machen euch zum Teil des Ensembles, zu Engel oder Teufel auf der Schulter von Figuren, die ihr entweder mögt, interessant findet oder für die ihr vielleicht auch Antipathie empfindet. So verleiht ihr ihnen mehr Profil – welcher Art das auch immer sein mag – und schreibt zu guten Teilen ihr Schicksal mit. Teilweise werdet ihr und eure Launen auch ihr Untergang sein, wenn euer Leichtsinn, Übermut oder Zaudern einer oder einem von ihnen buchstäblich den Kopf kostet.

Obwohl ihr die Tode auch zurückspulen dürft (was ich nicht empfehle, es sei denn, ihr habt euch auf dem Controller verdrückt), fühlen sie sich doch wunderbar wuchtig und endgültig an. Wenn der Lebensweg eines dieser im Wald gestrandeten jungen Leute mit einem einzigen abgehackten Schrei urplötzlich endet, geschieht das bei Supermassive immer mit der in Schockstarre versetzenden Präzision der besten Horrorstreifen. In den immens unterhaltsamen Koop-Runden mit FreundInnen oder der besseren Hälfte sorgt das grundsätzlich für anregende Diskussionen, wessen blöde Idee es nun war, doch nicht den Abzug der Schrotflinte zu drücken. Das ist ein Erlebnis, das einem der Film weder im Kino noch auf der vollbesetzten Couch in dieser Form geben kann. Denn dieses Kunstblut klebt auch an euren Händen!

The Quarry ist ein großer, einnehmender Horrorspaß, von Leuten, die sich ihren inneren Teenager bewahrt haben. Habt ihr das auch?

In diesem artikel

The Quarry

PS4, PS5, Xbox One, Xbox Series X/S, PC

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