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Need for Speed: Payback - Test

Wenn man dachte die Lootbox ist der Abgrund, dann kommt die Sammelkarte.

Fantastisches Arcade-Fahrgefühl vs. Sammelkarten-Booster-Wahnsinn. Am Ende verliert das eigentlich großartige Spiel gegen sich selbst.

Das war das, was mir dieses Jahr fehlte. Nach Simulation, Dreiviertel-Simulation und Arcade-Simulation, allesamt für Objekte mit Motor und vier Rädern, brauchte ich etwas, das es akzeptiert, wenn ich bei einer 90-Grad-Kurve nur kurz die Bremse antippe, um Motor und vier Räder sauber mit einem Slide um die Ecke zu bringen. Nix Simulation, nur Arcade und das mit dem richtigen Gefühl für Tempo und Kontrolle, alles fernab der unbedeutenden Belange der Realität und seiner nervigen Physik. Need for Speed: Payback in seinem so dermaßen zigsten Reboot bietet genau das und bei all seinen Verfehlungen, das ist es, was es kann, was dieses Spiel auszeichnet und was euch über fast alle diese Verfehlungen großzügig hinwegsehen lassen kann.

Einfach kurz die Bremse antippe und in der Kurve Spaß haben. Wenn man eine Erinnerung braucht, warum selbst Forza und GT immer noch zurecht einen gewissen Sim-Anspruch einfordern, muss man nur ein paar Minuten NfS spielen.

Wieder einmal geht es in den Untergrund, aber illegale Straßenrennen sind hier nur Mittel zum Zweck, es geht um die Kontrolle eines fiktiven Las Vegas und "der Straße", wobei letztere so oft und ehrfürchtig genannt wird, dass man "die Straße" glatt für eine Art Religion der Protagonisten halten könnte. Diese sind der übliche Cast eines leicht unterfinanzierten Fast-and-Furious-Ripoffs, der sich Vin Diesel nicht leisten konnte. Letzteres ist keine Schande, der Mann ist 2017 der drittbest-verdienende Schauspieler mit über 50 Millionen.

Helden, jung, dynamisch und mit Quoten-Schwarzen versehen, die Bösewichter, deren größter Wettstreit sich um Klischees und wer sie am besten bedient, zu drehen scheint und ergänzende Nebendarsteller aller ethnischen Mehr- und Minderheiten, um auch garantiert kein bis zu diesem Punkt verpasstes Klischee auszulassen. Nichts davon macht für Leute Sinn, die nicht an "die Straße" glauben. Jeder normale Akteur würde sagen, dass man die Kontrolle eines großen Verbrecherkartells wahrscheinlich nicht beendet, wenn man illegale Straßenrennen gewinnt oder dass nicht für jeden Nadelstich gegen "das Haus" - bekannt aus der Kasinoweisheit "das Haus gewinnt immer" - eine Stunt-Aktion sinnvoll oder nötig ist, die James Bond dazu bringen würde, zu sagen: "Okay, das ist selbst mir zu blöd. Und ich hatte Autos die flogen, schwammen und den Beifahrer in den Sternenhimmel katapultierten." Aber, und das muss auch sagen: Ich hatte eine Menge Spaß mit dem ganzen Blödsinn, nachdem ich mein Gehirn wohlig in den Leerlauf schaltete, an "die Straße" glaubte und mich ganz auf 90-Grad-Powerdrifts für eine bessere Welt konzentrierte. Das trifft auch auf die Fast-and-Furious-Filme zu und angesichts der Zuschauerzahlen dieser Reihe dürfte jedem Menschen zwei bis drei Mal klar sein, was hier zu erwarten ist. Nur mit mehr Autos.

Mit Geld kauft ihr Premium, mit Premium holt ihr Tokens, mit Tokens lasst ihr die Lotterie rotieren. Glücksspiel in Reinstkultur.

Und ganz wie diese Filme sich eher selten darum kümmern, wie Autos und Physik sonst zusammenarbeiten, setzt dieses Spiel zu einhundert Prozent darauf, wie ihr euch fühlen sollt, wenn ihr einen überzüchteten Supersportwagen durch eine leuchtende Stadt bei Nacht und um unmögliche Kurven schießen lasst. Es ist fast schon Ridge Racer. Das kurze Antippen der Bremse, das sichere Handling des Drifts und der Boost, um sofort wieder in Richtung Höchstgeschwindigkeit zu donnern, ist ein sich immer wiederholendes Hauptthema dieses Spiels, das es zu seinem eigenen Glück perfekt hinbekommt. Vielleicht ein wenig zu perfekt, denn ein klein wenig mehr Können und Übung hätte es bei diesen unmöglichen Aktionen schon einfordern dürfen. Die ersten Versuche sind noch zaghaft, aber dann merkt ihr schnell, wie einfach es ist, wie Dom persönlich um eine Kurve zu schleudern, fast egal in welchem Auto ihr sitzt

Das heißt aber nicht, dass Need for Speed generell einfach wäre. Es ist vielmehr so schwer, wie ihr es haben möchtet. Dabei schien man sich ein wenig bei Forza umzugucken, denn jedes Rennen hat eine Art Power-Level. Ist euer Auto in der Nähe davon, dürft ihr euch auf herausfordernde Gegner freuen, die euch richtig auf Trab halten, aber ihr habt eine faire Chance. Liegt euer Auto 50 oder mehr Punkte über diesem Level, dann müsst ihr euch schon Mühe beim Verlieren geben, liegt ihr so viel drunter, kann es passieren, dass ihr gewinnt, aber es gehört zu unerhörtem Können auch noch viel Glück dazu. Das Konzept ist erprobt, ihr braucht nach und nach immer bessere Tuning-Teile und Autos, um die Geschichte weiterzuverfolgen, eine effektive Art, die Progression des Spiels zu gestalten.

Das bekommt man für einen Euro: Ein paar Tokens, die erst mal noch nicht viel wert sind, ein wenig Ingame-Währung und bunten Auspuff-Rauch. Warum habe ich nur 3 Euro zum Testen ausgegeben, ich hätte gleich richtig shoppen gehen sollen...

Befremdlich ist, wie ihr an die Tuning-Teile kommt. Neue Autos sind teuer und auch wenn euch die Story hier und da eines gönnt, es bleibt durchgehend etwas Besonderes, bei einem der Händler vorbeizuschauen und sich etwas zu leisten. Das Problem ist, dass alle Autos, die ihr kauft erst mal weitestgehend nicht können. Ihr müsst immer den Fuhrpark mit Tuningteilen in diversen Kategorien aufputschen. Motorblock, Nitro-Boost, Reifen und mehr sorgen für Verbesserungen in den korrespondierenden Eigenschaften und das der Power-Level insgesamt steigt. So weit, so normal. Diese Teile sind aber keine Teile, sondern eine Art Sammelkarten, die einfach nur symbolische Werte nennen, um die Aspekte der Autos etwas verbessern. Der erste Grund, dieses sonderbare System in Frage zu stellen ist ihre zufällige Natur. Immer wieder mal zieht ihr blind eine Karte und wenn ihr lieber etwas anderes verbessert hättet, als das, was auch immer ihr gezogen habt, dann heißt es "Pech gehabt". So hatte ich zum Beispiel einen abartig ausgebauten Nitro-Boost, mein Motorblock war aber Schrott, weil einfach keine entsprechende Karte kommen wollte.

Eine oft in Free-to-Play gesehenes Feature, das ich schätze, wenn es gut gemacht ist: Kleine, täglich wechselnden Herausforderungen.

Es gibt natürlich eine Zweitwährung, die in erster Linie mit Echtgeld bezahlt werden soll und mit der ihr dann mehr Karten neu ziehen dürft. Auf der Zunge zergehen lassen: Ihr nutzt etwas, das Echtgeld in eine weitere Lotterie umwandelt. Ich denke, dass wir hier sehr nah an Glücksspiel dran sind, für das man eine entsprechende Lizenz braucht... Billig ist das Vergnügen natürlich auch nicht: Ihr zahl Minimum einen Euro für etwas Ingame-Währung, irgendeinen Vanity-Blödsinn und drei sogenannte Tokens. Das ist der Inhalt eines nennen wir es mal Lootpacks. Ihr habt also Ingame-Währung, dann Echtgeld-Premium-Währung und mit der holt ihr Packs, die Tokens, die dritte "Währung" enthalten. Für drei Tokens zieht ihr beim Tuning-Shop eine immer noch weitestgehend zufällige Karte - ihr dürft die generelle Kategorie auswählen - und wenn euch das Teil, das ihr bekommt, nicht gefällt, dürft ihr es zurückgeben und bekommt einen Token zurück. Durch die komplett zufällige Natur ist waschechtes Free-2-Play-System, durch und durch. Wer mehr Geld ausgibt, kriegt Rabatte für mehr Tokens, aber an keiner Stelle dürft ihr gezielt das kaufen, was ihr möchtet. In einem Spiel, das diese Dinge als essentiell voraussetzt und seine gesamte Progression darauf aufbaut. Und 60 Euro kostet.

Bringt dieses Karten-System Need for Speed um? Nun, jein. Es macht es auf jeden Fall zu einem sehr viel langwierigeren Spiel, denn auch wenn man annehmen sollte, dass man wenigstens die Karten von einem Auto aus- und in ein anderes einbauen kann: Nein. Ihr müsst jedes Auto einzeln tunen, was schlicht in einen Grind ausarteten muss. Ihr habt verschiedene Rennklassen - Racing, Offroad, Drag und so weiter - und schaltet in Story-Abschnitten neue Gruppen von Autos mit neuen Höchstwerten frei. Da ihr in allen Kategorien und logischerweise auch in allen Episoden mitfahren müsst, um in der Story weiterzukommen, müsst ihr immer wieder neue Autos ausrüsten, mindestens ein bis zwei Dutzend das Spiel über. Und so wenige sind es nur, wenn ihr euch wirklich auf das Minimum beschränkt. Dazu kommt, dass ihr auch noch verlorene Autos wiederfinden könnt - was als Schatzsuche wirklich Spaß macht -, die zuerst die schlimmsten Werte haben, aber wenn ihr genug Zeit und Karten reinsteckt, das Potenzial haben alles andere zu versenken. Oder Geld. Und selbst dann müsst ihr noch Glück haben.

Eine kleine Extra-Motivation für den Grind: Es gibt bei jedem Rennen zusätzliche Herausforderungen, die ihr annehmen könnt.

Die guten Nachrichten sind, dass dieses Punktesystem einen recht fairen Multiplayer erlaubt. Sicher, mit besseren Karten habt ihr schneller das bessere Auto zusammen, aber wenn die anderen in dem Rennen auch so viele Punkte in ihrem Auto stecken haben, spielt das nicht die große Rolle. Und, wichtiger noch, das Spielen macht Spaß, weil, wie oben gesagt, die Grundlagen des Arcade-Racings hervorragend umgesetzt wurden. Sicher, es ist ein Grind, in dem man immer wieder Rennen fährt, nur um neue Karten zu gewinnen und besser zu werden, aber da das Spiel ja "Rennen fahren" heißt, kommt es eigentlich nur darauf an, dass dieser Teil Spaß macht. Und das tut er.

Weniger spaßig ist das totale Chaos der Menüs und Funktionen, um alles drumherum, was außerhalb des Rennens passiert. Ihr habt die handelsübliche halboffene Welt mit Bereichen, die sehr frei und Offroad-tauglich sind, wie der großartige alte Flughafen in der Wüste oder weitestgehend auf die abgezäunten Straßen beschränkte Areale wie die ebenso großartige Bergwelt mit ihren Serpentinen. Dazwischen liegen Dinge wie eine Gegend mit vielen Canyons oder die Stadt selbst. Genug Auslauf ist definitiv vorhanden und auch wenn diese Welt wenig Chancen gegen den Branchenprimus Forza Horizon oder auch nur The Crew hat, ist es doch eine gut designte Welt, die viel Freude macht, solange ihr einfach nur durch sie hindurch cruist.

Die Schatzsuche nach seltenen Autos gehört zu den Highlights der offenen Welt.

Das Schnellreisesystem ist dagegen bestenfalls halbherzig umsetzt, mit wenigen willkürlich verteilten Punkten, von denen ihr die meisten auch erst noch finden müsst. In den ersten Stunden ist das ein echtes Problem, weil ihr noch nicht viele Rennen und Klassen freigespielt habt und die Schnellreisepunkte gefühlt immer möglichst weit weg von den Startpunkten der Rennen liegen. Das heißt, dass ihr, wenn ihr eigentlich Rennen fahren und grinden wollt, immer wieder Leerlauf habt, zumindest so lange, bis so viele Rennen auf der Karte stehen, dass ihr am Endpunkt von einem immer ein anderes schon in nächster Nähe wisst. Zumindest gibt es Blitzerfallen, Sprungschanzen und andere Dinge zur Unterhaltung zwischendurch, um euch auch in der offenen Welt ein wenig bei Laune zu halten. Schade, dass diese so geizig sind was In-Game-Belohnungen angeht, dass sie praktisch irrelevant für den Spielfortschritt sind.

Schlimm wird es dann in den Tuning- und Garagenmenüs. Es ist einfach nervig, dass ihr für Fahrzeugwechsel außerhalb der Rennen und jede Tuning-Änderung immer in die Garage müsst. Am Anfang habt ihr nur eine, weitere müssen gekauft werden, wollt ihr nicht immer in der Mitte der Karte landen, wenn ihr ein paar Kleinigkeiten ändern wollt. Manche Optionen gibt es nur in Tuning-Shops, sodass ihr dorthin springen - oder oft minutenlang fahren - müsst. Wenn ihr dann da seid, scheint alles so aufgeräumt wie Photoshop. Es gibt weit mehr Optionen als man vermutet, aber die meisten sind so angeordnet, dass man nach Stunden noch von weiteren Features überrascht wird, die sich hinter einer unintuitiven Benutzeroberfläche verstecken. Nur mit dem Unterschied, dass das eine eins der leistungsfähigsten Stücke Software überhaupt ist und das andere ein Tuning Menü in Need for Speed. Das zentrale Menü bietet jede Menge Zeuges, vom Multiplayer bis zu täglichen Herausforderungen - die ganz nett und damit ein Pluspunkt sind -, aber keine simple Struktur, um eure Fahrzeuge und all ihre komischen Karten zu verwalten. Es geht alles, man gewöhnt sich ja an vieles, aber man hat nie den Eindruck, dass hier etwas ideal gelöst wurde.

Reine Rennen und Offroad ist nun ein größerer Aspekt als sonst bei NfS üblich...

Wo ich aber nichts auf das Spiel kommen lasse, das ist die Grafik. Es ist einfach ein guter Look, mit stimmungsvollen Tages- und Nachtzeiten, sehr hohem Geschwindigkeitsgefühl selbst in langsameren Autos und relativ viel Abwechslung für ein doch recht realistisch gehaltenes Setting. Sicher, wie bei jedem Spiel mit einem solchen Tempo sollte man nicht jede Textur aus der Nähe angucken, aber das Gesamtergebnis gibt ein wirklich gutes Vorzeigespiel ab, wenn Forza Horizon 3 gerade nicht in der Nähe sein sollte. Selbst die Menschen in der Story sind okay. David Cage muss sich nicht vor ihnen fürchten, an dem Punkt ist man dann doch noch nicht, aber es gab nicht mehr Ausflüge in das Uncanny Valley als unbedingt nötig waren. Da auch der Motorensound schön satt und auch mal mit Bass daherkommt: Schon schick, kann sich sehen lassen, macht was her.

...aber natürlich gibt es noch genug Verfolgungsjagden.

Need for Speed: Payback ist ein Spiel, das mich zutiefst ärgert. Wie kann es nur sein, dass eine so dermaßen nicht nur solide, sondern für das, was es sein will, praktisch meisterhafte Grundlage, so dermaßen von einem chaotischen, entweder langatmigen oder geldgierigem Spielablauf eingeengt wird? Wenn ihr auf der Straße seid, die schöne Grafik zu sattem Sound an euch vorbeifliegt, ihr hart mit der fähigen KI ringt, dann scheint es nichts zu geben, was diesen Moment ruinieren könnte. Ihr tippt wie in guten Ridge-Racer-Tagen die Bremse an, um mit unmöglichen Geschwindigkeiten um unmögliche Kurven zu fliegen und alles passt. Und nach drei Minuten seid ihr zurück, wieder auf der Suche nach mehr ominösen Sammelkarten, in der Hoffnung die zu bekommen, die ihr braucht, um so stussige wie nette Story weiterzuspielen. Es ist ein absurdes Zufallsspiel, ein verdächtiger Zwitter zwischen direkten Free-to-play-Mechaniken und Vollpreis. Am Ende ist es die Relevanz dieser Karten für das Spiel als ein Kernelement und ihr Zufallsfaktor, der ein eigentlich großartiges Arcade-Vergnügen ruiniert und in ein oft genug unangenehmes Schleppen durch eine Wüste aus Sammelkarten mit willkürlichen Boost-Werten verwandelt.

Need for Speed: Payback ist immer noch ein gutes Spiel, vom Fahrgefühl eines der besten der Reihe und des Genres, aber da ist zu viel drumherum, was sich einfach nicht richtig anfühlt. Es hätte den ganzen Weg zum Free-to-play-Spiel gehen sollen, weil bei allem außer dem Verkaufspreis ist es praktisch dort angekommen.

Entwickler/Publisher: Ghost Games / Electronic Arts - Erscheint für: PC, PS4, Xbox One - Preis: ca. 65 Euro - Erscheint am: 10.11.17- Getestete Version: Xbox One - Sprache: Deutsch / Englisch - Mikrotransaktionen: Kann man so sagen...

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In diesem artikel

Need for Speed: Payback

PS4, Xbox One, PC

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Martin Woger

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Chefredakteur seit 2011, Gamer seit 1984, Mensch seit 1975, mag PC-Engines und alles sonst, was nicht FIFA oder RTS heißt.

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