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Anno 1701

Immer noch Anno, aber auch sehr modern

Anno 1701 macht fromm! Nicht ganz so fromm, dass man ein Ave-Maria am Rosenkranz runterknibbelt, aber genug, um hin und wieder ein Wörtchen an den lieben Gott zu richten. Und zwar immer dann, wenn ein gewaltiger Wirbelsturm gierig über Eure Landzunge leckt und sich zunächst mit den Außenbezirken der hart erwirtschafteten Stadt vergnügt. Bei der ersten und relativ frühen Begegnung mit dem Phänomen ist es ein witziger und faszinierender Anblick: Man starrt gebannt auf den Bildschirm, verfolgt die Flugbahnen von Kühen, Bäumen und Einwohnern und lässt sich durch die nahezu realistisch simulierte Zerstörungswut und das laute Tosen aus den Boxen mitreißen. Blinkt erneut ein kleiner Punkt auf der Mini-Karte und steuert im Zickzackkurs die nun stärker bevölkerte Insel an, wendet sich das Blatt. Die Bewunderung weicht, Panik und Sorge setzen ein. Ob es jetzt die ganze Siedlung erwischt, nur einen Teil in Trümmer verwandelt oder der Wirbler vielleicht vorher noch abdriftet, weiß man erst im letzten Moment – die Naturkatastrophe tänzelt rein zufallsbedingt über das Gebiet. Da bleibt nur Stoßgebete murmeln und hoffen, das Ungeheuer schlägt beim Nachbarn ein.

Adel mal nicht edel

Solche Naturgewalten sind immer toll, wenn sie beim vermeintlichen Gegenspieler auftauchen.

Auch ohne die heiklen und kostenintensiven Zwischenfälle mit Wirbelstürmen, Erdbeben und Vulkanausbrüchen, geht es in Anno 1701 voll zur Sache. Und das sogar um einiges intensiver, peppiger und unterhaltsamer als bei den Vorgängern. Die Bevölkerung schreit wie gewohnt nach notwendigen Gütern, diesmal aus einer größeren Warenpalette. Steht das Gewünschte nicht binnen kurzer Zeit parat, prügeln sich Bürger in den Gassen und streiken lauthals auf dem Marktplatz. Mehr oder minder höflich biedern computergesteuerte Mitstreiter (Azteken, Indianer, Asiaten, hochnäsige Adle, etc.), ihr Interesse zum Handel an, verlangen gesalzene Gegenleistungen und mischen sich in bestehende Abkommen ein. Oder erklären einem schlichtweg den Krieg, wenn sie den Bündnispartner gar nicht riechen können. Der freie Händler drängt zudem auf die Erledigung seiner zeitlich angesetzten Aufträge. Wer hier zuerst die jeweilige Aufgabe erfüllt, wie einen Schiffbrüchigen retten oder eine bestimmte Menge an Waren liefern, streicht eine saftige Belohnung ein. Teilweise sogar in Kombination mit wichtigen Artikeln, die man selbst nicht anfertigen kann. Pelze beispielsweise. Und dann wären da noch die nachtragenden Piraten, die den Reparaturbedarf Eurer Schiffe enorm in die Höhe treiben, während die Königin in regelmäßigen Abständen und je nach Größe und Entwicklungsstufe der Provinz ein saftiges Steuersümmchen einfordert. Man beachte bitte das Wort „fordert“ - dass mir die holde Maid unter die Arme greift, ist bislang nicht vorgekommen. Vermutlich war ich einfach nicht arm genug?

Tiefgang vorhanden! Seegang auch

Ist die Bevölkerung glücklich, zeigt sich das auf dem Dorfplatz und die Entwicklung schreitet zügiger voran.

Die Befürchtung, der Titel büße aufgrund fehlender Kampagne an Tiefgang ein, löst sich relativ schnell in Luft auf. Denn je weiter die Zivilisation auf der Leiter nach oben steigt, desto stressiger und umfangreicher gestaltet sich der Ablauf. Bei einer Bevölkerungszahl von ca. 2.000 Bürgern oder einem Stall voller Kaufleute sollte man die Wirtschaftslage entsprechend beherrschen, sonst übersteigen die Kosten zwangsläufig die Erträge. Besonders hektisch wird es, sobald die ersten Aristokraten erscheinen. So wie die den Alkohol kippen und sich mit Parfüm eindecken, so schnell kann man gar nicht nach produzieren Wie auch in den Vorgängern steht es jedem frei, ob er die Güter selbst erwirtschaftet oder diese bei anderen Mitbewerbern für teures Geld erlangt. Und ist die Laune der Steuerzahler immer schön im grünen Bereich, sorgen spezielle Besucher für ein Stimmungshoch auf dem Dorfplatz. Unter anderem ein Forscher, der die Lernkurve der Schule (für spezielle Gebäude, Kanonen, etc.) beschleunigt oder ein Schmied, der den Lagerbestand an Werkzeugen aufstockt.

Dank der stark verbesserten Menüführung, geht die Planung und Gestaltung sehr einfach und ohne großen Aufwand von der Hand. Anstelle des grauen, hässlichen Balkens an der rechten Bildschirmseite, in dem man in 1503 oftmals wirr und hektisch durch die Produktionsstätten klickte, ist nun alles überschaubar gegliedert. Links unten die Karte mit einzelnen Menüs, links oben die einzelnen, existenziellen Waren, am unteren Rand die Bedienungsleiste. Die allgemeinen Gebäude, Betriebe und zugehörigen Farmen ordnen sich den jeweiligen Evolutionsstufen der Städter zu. Beispielsweise Fischerei und Jagdhütte bei Pionieren, Pralinen und Alkohol bei Bürgern und Schlösser für den erwünschten Unabhängigkeitsstatus bei Aristokraten. Besonders bedienerfreundlich zeigt sich die Erstellung der Handelsrouten Eurer Flotte im Menü. Jeweils ein Klick auf den entsprechenden Kontor, ein weiterer für die Waren, die Ihr ein- bzw. ausladen wollt und die Zuweisung des Schiffes – mehr braucht es nicht mehr. Ich verschweige besser einmal, dass ich selbst heute noch beim Vorgänger nach der Automatisierung suche. Aber das ist ja jetzt eh Schnee von Gestern.

Minimale Moserei

Sprengmeister gibt es mit der Schulforschung. Gesteinsbrocken sind ab sofort kein Problem mehr.

Obwohl das Entwicklerteam Related Designs richtig frischen Wind mit sich bringt und diesen überraschend gut inszeniert, gibt es trotzdem zwei Schwachpunkte zu bemängeln. Zum einen die drei Einzelszenarien des einfachen Schwierigkeitsgrades, die maximal 20 Minuten Spielzeit beinhalten. Da ist das Rätsel bzw. die Aufgabe schon gelöst, bevor man selbst in die stimmig verpackten Geschichten eintauchen kann. Mission erfüllt. Ende. Wie jetzt? Aber ich wollt doch noch, oh, das Schiff ist schon gerettet? Hm! Bei gerade einmal zehn Szenarien hätte ich mir persönlich mehr Fülle gewünscht. Selbst wenn die mittleren und schweren Missionen erheblich stärker in die Tiefe gehen. Der zweite Schwachpunkt zeigt sich beim Wirkungsradius der wichtigen Gemeindeobjekte, wie Kathedrale und Universität. Während der Positionierung ist der Bereich deutlich größer als im tatsächlich gebauten Zustand. So passiert es des Öfteren, dass teuer errichtete Institutionen nach fünf Minuten verdutztem Hingucken wieder im Boden versinken und an anderer Stelle platziert werden müssen. Ansonsten ist jedoch nach einer Spieldauer von 35 Stunden nichts zu beanstanden. Die fast schon testfähige Vorabversion lief sauber, stabil und flüssig. Und ungeachtet des nicht funktionierenden Online-Modus per Gamespy - aufgrund der Version -, wirkt die Gesamtpräsentation schon sehr gut.

Das frische Entwicklerteam Related Designs beweist, dass ein so komplexer Aufbau-Strategie-Titel wie Anno nicht unbedingt dröge sein muss. Mit einer gehörigen Portion Humor, massenhaft Unterhaltungswert und Spieltiefe, sowie der gelungenen Synchronisation und optischen Gestaltung, ist Anno 1701 nach drei Jahren Produktionszeit genau das, was man sich als eingefleischter Annoist wünscht. Und was mich besonders freut: Solange ich es mir mit den Piraten nicht verscherze, werde ich auch nicht ständig angegriffen – jetzt ist die Kriegsführung endlich mal so optional, wie ich sie immer wollte. Ich baue nämlich lieber.

Anno 1701 erscheint am 27. Oktober für den PC.

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