Wenn du auf einen Link klickst und etwas kaufst, können wir eine kleine Provision erhalten. Zu unseren Richtlinien.

Elite: Dangerous - Prozedurale Generierung vs. handgemachte Welten

"Man darf die Muster nicht erkennen" - David Braben

Prozedural generierten Inhalten haftet oft der Mief der Beliebigkeit an. Gerade in Spielen mit Erkundungselementen fühlt man sich häufig alles andere als abenteuerlich, wenn man mal wieder etwas Neues entdeckt hat, das sichtlich von einem Computer erdacht wurde und hinter dem wenig mehr als ein paar Zahlen- und Nummernkolonnen steckt. Keine Geschichte, kein Sinn, keine Gedanken, die darüber hinausgingen, einen leeren Platz auf der Karte zu füllen.

Es gibt viele Beispiele dafür, das anschaulichste ist aber wohl das erste Elite, das von nur einem Mann, David Braben, entwickelt wurde. Es ist in vielerlei Hinsicht ein revolutionäres Spiel in einem im Grunde unendlichen Universum. Aber es ist heute auch etwas krude in seinem Drang, Sternenreisen so authentisch wie möglich zu simulieren. Je weiter man sich aus der Milchstraße entfernte, desto leerer und toter wurden die Sonnensysteme, die man entdeckte. Hatte man einen roten Gasriesen gesehen, kannte man alle. Und wenn dann mal ein Grüner dabei ist, erzeugt das auch nicht unbedingt ein neues Hochgefühl.

David Braben, Frontier Developments

Nun, das ist 30 Jahre her und die Systeme, mit denen heutzutage Inhalte prozedural generiert werden, sind bedeutend ausgereifter. Als wir uns am vergangenen Donnerstag lange mit David Braben unterhielten, machte er keinen Hehl daraus, dass für ihn prozedurale Generierung (auch "Prozedurale Synthese") mittlerweile eines der wichtigsten Werkzeuge der Spielentwicklung sind. Und doch geht es niemals ganz ohne Artists - jene Designer, die der Maschine vorgeben, was wie generiert wird.

"Es muss eine gesunde Mischung sein", erklärt der 50-Jährige im Skype, bevor er darauf hinweist, dass es auch eine Einstellungssache ist, das empfundene Stigma langweiliger prozedural erstellter Inhalte abzustreifen. "Man muss prozedurale Generierung als Werkzeug begreifen. Wenn ein Künstler, ein Maler beispielsweise, etwa zur Airbrush greift, nutzt er ebenfalls gewissermaßen eine Art prozedurale Generierung. Er setzt ja nicht selbst die einzelnen kleinen Punkte aufs Papier. Die Maschine macht das zufallsbasiert für ihn. Das ist wirklich kein so großer Unterschied. Es geht darum, diesen Vorgang zu beherrschen, darum, dass der Künstler die Kontrolle darüber hat."

Wie Mensch und Maschine Hand in Hand arbeiten, veranschaulicht er anhand des Alterungsvorgangs der Raumschiffe und -stationen von Elite: Dangerous: "Nimm beispielsweise eine prozedurale Textur für etwa Rost. Es hat keinerlei Vorteil für den Künstler, jede einzelne Rostflocke zu malen." Stattdessen komme es nur darauf auf, dass der verantwortliche Designer den Grad und die Verteilung des Rostes zu bestimmen in der Lage ist. "Das Auge des Künstlers ist also immer noch ein entscheidender Faktor. Prozedurale Synthese vergrößert nur, was sie zu leisten imstande sind."

"Ein anderes Beispiel, das ich gerne anführe, ist das einer alten viktorianischen Fabrik. Wenn man die am Computer malen würde - fünf Fenster hoch, 30 Fenster breit -, dann würde ein Künstler nicht jedes einzelne Fenster zeichnen, sondern eines und das dann per Cut and Paste vervielfältigen. Letzten Endes ist das Resultat ein 150-mal gespeichertes Fenster", beeindruckt er diesen Mathe-Abwähler ohne Redepause und erkennbares Nachdenken mit seinen Kopfrechenkünsten. "Das Tool weiß, was zu tun ist, merkt sich, wo jede Version des Fensters hingehört - das ist die Art und Weise, wie wir es handhaben. Es ist sehr regelbasiert."

"Prozedurale Synthese vergrößert, was die Artists zu leisten imstande sind." - David Braben

Das bedeute allerdings nicht, dass die Artists und Designer überdurchschnittlich häufig die Beine hochlegen könnten. "Tatsächlich erfordert das sogar mehr Arbeit vom Designer, aber das Resultat ist deutlich größer und variabler. Wieder das Beispiel mit der Fabrik: Ich hätte gerne rote Fenster oder kaputte. Aber es ist immer noch dasselbe Modell." Ein Vergleich aus dem Spiel wären die riesigen Orbis-Raumstationen, die der Premium-Beta mit dem letzten Patch hinzugefügt wurden. "Diese Stationen bestehen aus unterschiedlichen Modulen. In der Zukunft wird es deutlich mehr Variation dahingehend geben, wie ihre Zusammensetzung ist, wie groß und reichhaltig sie sind. Hier hat kein Artist sich hingesetzt und jede einzelne Raumstation gebaut, er hat die Komponenten gemacht und definiert, welchen Regeln sie gehorchen. Das vergrößert in gewisser Weise die Anstrengungen eines Designers."

"Ich glaube, wir beobachten gerade eine Entwicklung, bei der mehr und mehr Leute prozedurale Generierung wie ein Werkzeug nutzen. Und während sich diese Dinge entwickeln, entwickelt sich auch, was die Artists zu leisten imstande sind", findet Braben. "Wir geben ihnen einfach mehr und mehr Munition und sie entscheiden, wie sie sie einsetzen."

Aber was läuft falsch, wenn ein Spiel mit prozeduralen Welten mal wieder langweilig, leblos und synthetisch wirkt? "Das kann passieren und passiert auch häufig, doch das sollte es eigentlich nicht." In diesen Fällen hätten einfach die Designer versagt. "Wenn sich Dinge stark wiederholen, wenn man beginnt, die Muster zu erkennen, dann hat man es mit schlechter prozeduraler Grafik zu tun. Wie eine Tapete - die ultimative Form der wiederholungsanfälligen prozeduralen Grafik", lacht er sein bubenhaftes Lachen.

"Ich wollte nicht, dass jeder Planet bloß eine neue Map mit anderen Höheninformationen und unterschiedlicher Farbe ist." - David Braben

"Tatsächlich gibt uns prozedurale Generierung eine größere Chance, dass die Dinge einzigartiger sind. Das wird noch sehr viel deutlicher werden, wenn wir in Zukunft Planetenoberflächen bieten, Schiffe, die auf diesen Planeten landen, und Leute, die sich darauf umherbewegen." Bis wir das erleben, ist das Spiel in seiner ersten Version allerdings schon zu kaufen, denn Braben, der bereits durchblicken ließ, dass Elite: Dangerous niemals wirklich fertig sein wird, befürchtete, für eine anständige Implementierung dieses Features sei die Zeit zu knapp.

"Ich wollte nicht, dass jeder Planet bloß eine neue Map mit anderen Höheninformationen und unterschiedlicher Farbe ist. Planeten sollten nicht etwas sein, auf dem es nicht wirklich etwas zu sehen gibt. Das würde sich sinnlos anfühlen", beschreibt er einen Knackpunkt seiner alten Spiele, die bereits Planetenlandungen boten. "Ich will, dass die Planetenkomponente sehr viel reichhaltiger ist. Man soll in ein Fahrzeug umsteigen können und herumfahren. Dinge tun können. Vielleicht irgendwas auf einem Planeten verstecken oder es einfach nur absetzen, weil die schiere Größe des Planeten es unwahrscheinlich macht, dass es je irgendjemand anderes findet."

Zurück in der aktuellen Realität eines Elite: Dangerous, das Ende 2014 vorerst ohne bunte Horizonte auskommen muss, muss sich Braben aber noch dem Problem stellen, auf das er trotz aller einleuchtenden Antworten auf die technisch-künstlerische Seite prozeduraler Welten noch nicht eingegangen ist: Irgendwo wollten die Leute bei aller Größe und Freiheit auch Orte mit Bedeutung, Geschichte und Vergangenheit entdecken. Dinge, die mit Absicht und Bestimmung irgendwo platziert wurden und die mehr sind als nur optisch einzigartig. "Auch diese Dinge können zum Teil prozedural entstehen. Dann geht es nur noch um die Reichhaltigkeit der Geschichte." Dies ist der Punkt, an dem Künstler und Autoren mit chirurgischer Präzision in die Welt eingreifen, gewissermaßen die Airbrush zur Seite legen und zu Stift und Pinsel greifen.

"Bei vielen anderen Sachen ergibt es keinen Sinn, wenn sie von Menschen in Handarbeit gemacht werden." - David Braben

"Wir werden gewisse Dinge überschreiben und umbenennen, ihnen Geschichte und Fiktion verleihen. So kommt viel Reichhaltigkeit ins Spiel. Ob das nun architektonische Stile sind, Geschichte und so weiter - viel davon ist bereits von Menschen generiert. So erhält man Konstanz, interessante Dinge zu entdecken, und einfach eine gewisse Fülle. Doch bei vielen anderen Sachen ergibt es keinen Sinn, wenn sie von Menschen in Handarbeit gemacht werden."

Dann ist da noch die Frage, was man als Handarbeit begreift: Die menschliche Komponente kommt auch über die Spieler in dieses so gewaltige Universum, denn es liegt an ihnen, es zu erschließen, es zu bevölkern und seine Geschichte mitzuschreiben. Im menschlichen Raum wird es etwa 100.000 erschlossene, bevölkerte Welten geben, in denen Handel und Verkehr verhältnismäßig sicher sind. Dann - drumherum - wartet der deutlich gesetzlosere Raum. "Diese Zone ist zu einem gewissen Grad bewohnt, hat aber noch keine etablierte Geschichte. Es ist wie ein Gürtel aus Wildweststädten im Goldrausch. Die wenigen Leute dort leben vor sich hin, betreiben Bergbau oder bringen sich gegenseitig um. Das ist einer der interessantesten Bereiche des Universums. Und im Laufe der Zeit wird sich das erweitern, während sich immer mehr Leute dorthin bewegen", beschreibt er die dynamische Entwicklung seiner eigenen Milchstraße.

Schließlich gibt es noch den komplett unerschlossenen Raum, in dem sich Spieler einen Namen machen können. "Ich glaube, das ist die Art Spieler, zu der auch ich gehöre", so Braben. "Ich will einfach nur ein wirklich großes Schiff mit Ersatzteilen füllen, auch mit Treibstoff, und dann ins Unbekannte fliegen." Das ist der Moment, in dem man sich als Sternengucker und Kartograph betätigt. "Bist du weit genug draußen, wird deine Karte dir nicht mehr die Systeme zeigen können, bevor du sie scannst oder dort ankommst. Du wirst den Stern vor dem Nachthimmel sehen und erahnen können, was für einer es ist. Dadurch kannst du in etwa darauf schließen, wie das System beschaffen sein könnte und was es dort unter Umständen gibt. Wenn du willst, fliegst du dann einfach hin."

"Es wird Leute geben, die nach Goldrausch-Planeten suchen." - David Braben

Und das geschieht nicht zum Selbstzweck, denn dann wären wir wieder bei der Entdeckung um der Entdeckung Willen. "Es wird Leute geben, die nach Goldrausch-Planeten suchen, Ausrüstung und Sonden mitbringen, die ihnen sagen, was es auf diesem Planeten oder in jenem Asteroidengürtel zu finden gibt". Wird man fündig, beginnt ein Wettlauf mit der Zeit - jedenfalls, wenn man Pech hat und jemand anderes vor einem hier war. "Du kannst die Schürfrechte über diesen Planeten für dich beanspruchen, wenn es nicht schon vor dir jemand getan hat. Um diesen Anspruch jedoch auch zu registrieren, musst du dich auf die Reise zurück machen, um ihn behördlich zu vermerken. Daraus können regelrechte Wettrennen entstehen", hofft Braben.

Überhaupt nimmt die externe menschliche Komponente Elite: Dangerous imposanten prozeduralen Systemen viel Last von den Schultern. War es damals noch unvorstellbar, in den Universen Frontiers oder des ersten Elites den Weg anderer Abenteurer zu kreuzen, erzählen sich die besten Geschichten schon bald in der Interaktion mit Mit- und Gegenspielern fast wie von selbst. Dass dem so ist, beweisen Spiele wie DayZ, ein Titel ohne Lore, Vorgeschichte oder Zielsetzung. Man macht sich seine eigenen Missionen, schließt Freundschaften und Feindschaften, erfährt Betrug und große Glücksmomente allein aus dem Handeln aller Beteiligten heraus. Elite: Dangerous' erster Schritt dorthin ist die Einführung des Sprach-Chats mit der nächsten Phase der Beta Ende Juli.

Gewissermaßen sind die Spieler so selbst eine prozedurale Komponente von Elite: Dangerous. Jeder einzelne von ihnen wird zu einem kleinen Regler dieses gigantischen Universumsapparates und hat es in der Hand, ihn ein bisschen zu verändern. Ich kann kaum erwarten, dass es endlich losgeht.

In diesem artikel

Elite: Dangerous

PS4, Xbox One, PC, Mac

Verwandte Themen
Über den Autor
Alexander Bohn-Elias Avatar

Alexander Bohn-Elias

Stellv. Chefredakteur

Alex schreibt seit über 20 Jahren über Spiele und war von Beginn an bei Eurogamer.de dabei. Er mag Highsmith-Romane, seinen Amiga 1200 und Tier-Dokus ohne Vögel.

Kommentare