Reality Check: Wie nah sind die Zombie-Pilze aus The Last of Us an der Wirklichkeit?
Teil 1: Alles nur erfunden? Wir haben eine Expertenmeinung über die fiktive Seuche eingeholt.
Dieser Artikel erschien erstmals im Anlauf auf die Veröffentlichung des ersten Teils von The Last of Us. Im Anlauf auf Teil 2 - man munkelt Frühjahr 2020 ist es soweit - dürfte das Thema aber wieder interessanter sein. Deshalb: Viel Spaß beim Lesen!
Film, Fernsehen, Bücher und Spiele erzählen einem viel, wenn der Tag lang ist. Mit ihnen als Katalysator bricht man problemlos in fantastische Welten auf oder geht mit flachem Atem gespenstischen Phänomenen nach. Die Freizeitzerstreuung unserer Wahl ist in der Lage, uns Dinge zu zeigen, die man in der echten Welt so nie erlebt. Doch so wild es auch wird, so wichtig ist es doch, dass unsere neuen Mythen irgendwie immer mit einem Bein in der Realität stehen und die selbst aufgestellten Regeln auch befolgen.
Wie weit es damit her ist, das findet man heraus, wenn man sich mit Experten über das jeweilige Thema eines Spiels unterhält. Natürlich liegen gewisse Dinge auf der Hand, entlarven sich selbst als Quatsch, andere wiederum sind gut recherchiert, während wieder andere im rechten Kontext in vollkommen neuem Licht erstrahlen. Deshalb haben wir uns vorgenommen, Fachleute aus der Wissenschaft zu bestimmten Titeln zu befragen. Welche kreativen Freiheiten nehmen sich die Designer, was steht außer Frage und welche Dinge sind vielleicht doch denkbar?
Den Anfang macht Sonys The Last of Us, das mit seiner an den realen Coryceps-Pilz (Video anschauen auf eigene Gefahr!) angelehnten Pandemie einmal mehr Zombie-artige Monster die Menschheit vernichten lässt. Den Naughty-Dog-Titel prüfen wir auf seinen Plausibilitätsgehalt dank der Mithilfe und des Fachwissens von Dr. med. Jörg Janne Vehreschild. An der Uniklinik Köln arbeitet er als Facharzt für Innere Medizin, Hämatologie und Onkologie mit Schwerpunkt Mykologie - ein Pilzexperte. Also, geht so etwas überhaupt? Einige der Antworten werden euch vielleicht überraschen.
Eine kleine Pilzkunde
Vehreschild macht im Gespräch keinen Hehl daraus, dass es ihn als Spieler durchaus freut, sein Forschungsgebiet nun einmal als Gegenstand eines großen Entertainmentprodukts zu sehen. In der Fiktion kämen Pilze, die neben der Tier- und Pflanzenwelt ein eigenes Reich darstellen und ohne die seiner Ansicht nach das Leben auf der Erde in der aktuellen Form wohl nicht existieren würde, seit jeher zu kurz. Woran das liegt? Nun, in erster Linie vielleicht daran, dass Pilze nicht vornehmlich Schädlinge sind. Die Berührungspunkte mit Pilzen für den Menschen sind tatsächlich häufig positiver Art: Bei der Herstellung von Penicillin sind sie unerlässlich, Backen und Brauen ist ohne sie undenkbar und auch Käse wäre ohne sie nicht das gleiche.
Viel öfter noch sind Pilze aber schlicht Destruenten, die den Menschen aus medizinischer Sicht nicht zu sehr zu interessieren haben: "Die häufigste Art sind die Destruenten, etwa Schimmelpilze, wie man sie ab und an im Kaffeefilter findet", erklärt Vehreschild. "Diese Art fliegt als Spore durch die Luft, landet irgendwo, und wenn sie dort tote Materie findet, von der sie leben kann, wächst sie dort an." Es gebe im Grunde keinen Ort auf der Welt, an dem sich nicht der gemeine Hausschimmel, der Aspergillus finden ließe. "Das sind weder Parasiten, noch bringen sie einen um, auch wenn sie durchaus allergische Reaktionen auslösen können. Im Grunde verdauen sie einfach die Reste." Die Art mit der zweithäufigsten Verbreitung sind die Mykorrhiza, die eine Symbiose mit einer Pflanzenwurzel eingehen und sich mit ihr die Nährstoffe im Boden teilen. Eine Einheit, von der beide profitieren, da der jeweilige Partner Stoffe produziert, die den anderen begünstigen, weil er sie selbst nicht herstellen kann.
"Ist man stark immungeschwächt, werden Pilze gefährlich. Darin liegt mein Interesse als Arzt an den Pilzen begründet"
Die meisten Pilze schaden also niemandem, weshalb es nicht vor allzu große Rätsel stellt, warum sie nicht öfter als Vorbilder für Horror-Schocker und Endzeit-Szenarien herhalten müssen. Doch Pilze können auch anders: "Ist man stark immungeschwächt, werden Pilze gefährlich. Darin liegt mein Interesse als Arzt an den Pilzen begründet", erläutert Vehreschild. "Funktioniert das Abwehrsystem des Menschen nur eingeschränkt, kann man auch durch einen Pilz, der normalerweise nur tote Materie befällt, krank werden. Dem Pilz selbst ist natürlich egal, was er isst." Als Beispiele für eine starke Immunschwächung nennt er etwa Chemotherapie-Patienten oder Menschen nach einer Stammzellentransplantation. Hier machen Pilze, die normalerweise keine Bedrohung darstellen, plötzlich krank und sind in Afrika und Südostasien unter HIV-Infizierten sogar für über 600.000 Todesfälle jährlich verantwortlich.
Vorbild Natur
"Für den gesunden Menschen haben Pilze - außer den unschönen, aber harmlosen Haut- und Nagelpilzen - aus medizinischer Sicht keine allzu große Bedeutung", folgert Vehreschild. "Und die wirklich gefährlichen, invasiven Pilzerkrankungen sind zum Glück sehr selten." Eine eben solche ist nun aber auch der Cordyceps unilateralis, der eine bestimmte Art Ameise befällt und deren Verhalten beeinflusst, sie beinahe zu steuern scheint, bevor er aus ihrer Schädeldecke bricht. Einen Verwandten hiervon hat sich die Menschheit in The Last of Us eingefangen. Die Befallenen streunen als Zombies mit zunächst nur gelben Augen, später mit durch groteske Pilzkronen (mit "z") verunzierten Schädeln durch die Reste der Zivilisation, um weitere Menschen zu infizieren. Zum Ende des Zyklus sucht sich ein Infizierter eine dunkle Ecke, in der er stirbt, woraufhin der Pilz vollkommen aus ihm herausbricht und seine Sporen in der Luft verteilt.
Vehreschild stellt klar, dass es bei dem Menschen keinen bekannten Pilz gibt, der so ein Verhalten zeigt. Und selbst, wie Cordyceps unilateralis die Ameisen so manipuliert, dass sie sich nach ihrer Infektion an der Unterseite eines Blattes festbeißen, von wo aus der Pilz seine Saat streuen kann, ist wissenschaftlich noch nicht abschließend geklärt. "Nervenzellen sind eine sehr komplexe Angelegenheit, selbst bei der Ameise. Dass sich ein Pilz in das Nervensystem einklinkt, um einen Gedankenprozess richtig zu beeinflussen, etwa durch einen Neurotransmitter, halte ich für unwahrscheinlich", urteilt der Arzt. "Ich denke eher, dass er die Ameise dazu bringt, ein Programm abzuspulen, das sie in irgendeiner Form schon in sich hatte."
Ein Mensch ist zudem natürlich ein noch viel höher entwickelter Organismus mit einem komplexeren Nervensystem. Ist es also vollkommener Quatsch, dass eine Krankheit ein Säugetier, wie etwa den Menschen, so beeinflusst, ihn sozusagen zum willenlosen Zombie macht, um seine eigene Verbreitung zu begünstigen? Nicht ganz. In der Welt der Viren gibt es einen Erreger, der in Ansätzen etwas Vergleichbares auslöst: die Tollwut - eine Erkrankung, die tatsächlich das Verhalten ihres Wirtes ändert, um ihre eigene Verbreitung zu begünstigen.
Zombie - das Original?
Vehreschild beschreibt den Vorgang: "Nach einem Biss durch ein infiziertes Tier befällt das Tollwut-Virus die Nervenbahnen, vermehrt sich im Rückenmark und kann von hier aus das Gehirn erreichen. Hier löst es eine schwere Entzündung aus und führt in fast 100 Prozent der Fälle letztlich zum Tode." Alleine schon die Art der Vermehrung des Virus beweise, dass sich der Erreger gut auf seinen Wirt eingestellt habe. "Sich über die Nervenbahnen auszubreiten ist ein Verhalten, das ansonsten nur wenige Erreger an den Tag legen."
"Viele Patienten bekommen panische Angst vor Wasser, bekommen Krämpfe in der Schlundmuskulatur und können demnach kein Wasser mehr zu sich nehmen."
Und dann ist da das Krankheitsbild: "Viele Patienten bekommen panische Angst vor Wasser, bekommen Krämpfe in der Schlundmuskulatur und können demnach kein Wasser mehr zu sich nehmen." Alleine der Anblick von Wasser löse schon Krämpfe aus. Der Sinn dahinter - den man hier nicht buchstäblich unterstellen sollte, immerhin ist das Virus kein rational denkendes Wesen - ist so perfide wie plausibel: Durch den Flüssigkeitsmangel im Körper des Wirts dicken dessen Körpersäfte ein, was für eine höhere Virenkonzentration im Speichel sorgt. Da selbst der eigene Speichel nicht mehr geschluckt werden kann, kommt es zur Schaumbildung am Mund. "Gleichzeitig kann die Tollwut, wie der Name schon sagt, extrem aggressiv machen", so Vehreschild. "Häufig wird auch ein Wechsel zwischen Angriffslust und Zahmheit beschrieben. Ein Tier wird zum Beispiel zunächst ganz zutraulich, lässt sich streicheln und beißt dann plötzlich zu". Die hohe Virenkonzentration im Speichel erledigt dann den Rest, damit der Zyklus weitergeht.
"Das ist ein Beispiel, das einer 'Zombie-Erkrankung' im Grunde am nächsten kommt. Der Erreger ändert das Verhalten seines Opfers in einer Form, die ihn seiner Vermehrung näherbringt. Es ist also ein Konzept, das in der Natur vorkommt, und auch bei Menschen funktioniert", erklärt der Arzt. Die Ausrede mit der "höher entwickelten Lebensform" versagt also, sobald sich der Erreger nur gut genug auf seinen Wirt eingestellt hat. Auch hierfür gibt es in der Natur mehr als genug Beispiele, etwa den Bilharziose-Parasiten, der in stehenden afrikanischen Gewässern vorkommt, in einer - und nur dieser einen - Schneckenart zu seinem nächsten Stadium heranwächst, um in neuer Form den Menschen - und nur den Menschen - zu infizieren. In ihm nimmt der Wurm einen schier endlos langen und komplizierten Weg durch diverse Organe auf sich, um sich nach Erreichen einer kritischen Masse in der Leber auf den Weg zu den Verdauungsorganen oder zur Harnblase zu machen, über die seine Eier wieder an die Außenwelt gelangen. Ein echter Menschenexperte, wenngleich ohne 'zombiefizierende' Symptome.
Überraschende Parallelen
Diese hohe Spezialisierung auf einen bestimmten Wirt verhindert aber zugleich, dass zum Beispiel der Ameisen-Cordyceps auf andere Wesen oder sogar den Menschen überspringt: "Der Erreger ist so gut an das Immunsystem, das Nervensystem und die Organe des Wirtes angepasst, dass eine komplexe Interaktion, wie wir sie bei der Ameise erleben, ziemlich ausgeschlossen ist. Es ist nicht zu erwarten, dass dieser Pilz überhaupt eine europäische Ameise infizieren könnte", so Vehreschild. "Es sind sehr komplexe Lebensformen, die sich sehr gut anpassen, aber es nimmt natürlich Hunderttausende oder sogar Millionen von Jahren in Anspruch, bis dieser Zyklus etabliert ist." Es stehe kein Design dahinter, sondern vielmehr natürliche Auslese.
Ungeachtet dessen tun sich auch beim Lebenszyklus des Spiel-Pilzes interessante Parallelen zur Realität auf, die dem Szenario schaurige Plausibilität verleihen. Vehreschild zieht den klassischen Steinpilz stellvertretend für andere Mykorrhiza, als Beispiel heran: "Seine Spore wird am Boden zu einer Pilzzelle, die ein Myzel bildet, das Pilzwurzelwerk. Es folgt die Suche nach einem Partner aus der Pflanzenwelt, mit dem er eine Symbiose eingehen kann." Gedeiht diese Partnerschaft, bildet der Pilz einen Fruchtkörper aus, der wiederum mit Sporen die Fortpflanzung sicherstellt. "Allerdings braucht der Pilz diesen Fruchtkörper und seine Sporen nicht zwingend, was ihn von vielen anderen Lebensformen unterscheidet. Alternativ könnte er sich auch einfach direkt durch Teilung vermehren."
Diese Fortpflanzungs-Dualität spiegelt in gewisser Weise auch der Last-of-Us-Cordyceps wieder: "Wenn der Wirt eine hohe Konzentration Pilzzellen im Speichel hat, könnte etwa schon der Biss ansteckend sein, gleichzeitig ergäbe es aber auch Sinn, am Ende des Lebenszyklus diesen Fruchtkörper auszubilden, um Sporen an die Luft abzugeben. Das ist ein durchaus tragbares Konzept, das im Hinblick auf das Design eines Pilzes schon plausibel wäre", fällt Vehreschilds Urteil aus. "Grundsätzlich ist ein Pilz vorstellbar, der einen tollwutähnlichen Trick nutzt, um in das Nervensystem vorzudringen und dort eine grobe Verhaltenssteuerung durchzuführen, die sich in aggressivem, beißwütigen Benehmen ausdrückt."
Den zweiten Teil dieses Gedankenspiels lest ihr hier: Es wird erklärt, wo Realität und Sonys hypothetisches Weltuntergangs-Szenario unversöhnbar auseinanderklaffen, wo - wenn überhaupt - ein derartiger Erreger herkäme und wie unser Gesundheitssystem auf eine derartige Bedrohung reagieren würde.