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Rise of Venice - Test

Vulkan? Sturm? Seuche? Perfekt! Goldene Zeiten brechen an!

Wenn man lange genug übt, dann klappt es irgendwann. Dummerweise ist dann nur keiner mehr so richtig überrascht, wenn es passiert. Die Gaming Mind Studios, bei denen viel Know-how der verschiedenen Ascarons zu Werke geht, sind mit Patrizier und Port Royal ja nun nicht seit gestern dabei, alte Schiffe auf weite Fahrt zu schicken. Und genau das tun sie in Rise of Venice wieder. Immerhin entkommt man mit dem Szenario im Mittelmeer einmal der Hanse und der Karibik, insoweit bin ich schon dankbar, nicht Patrizier 5 vor mir zu haben, das ja eigentlich der nächste logische Schritt gewesen wäre. Weit mehr jedenfalls als das hier in die Karibik zu zerren und Port Royal 4 drauf zu schreiben.

Von Korsika bis jenseits des Bosporus kann euer Imperium reichen.

Port Royal war zuletzt nämlich extrem einsteigerfreundlich, ließ jedoch nach hinten raus ein wenig die Spieltiefe vermissen. Dieses Problem hat Rise of Venice garantiert nicht. Habt ihr noch nie ein Spiel dieser Art vor euch gehabt, kommt ihr vielleicht gar des Handelns noch jungfräulich an die mediterrane Küste und startet einfach mal so locker flockig die Kampagne, dann macht euch auf harte Zeiten im Kontor gefasst. Innerhalb von Port Royal hatte ich nach zwei Stunden mehrere gute Handelsrouten laufen, meine Kapitäne fuhren Reichtümer ein, ich setzte das Spiel in den Autopiloten und sonnte mich bei einem guten Port in der Sonne. In Venedig stand ich nach zwei Stunden kurz vor meiner zweiten Pleite. Kein Wunder, dass die alle hinter Kolumbus hersegelten.

Kein Selbstläufer mehr

Letztlich ist das kein Tadel, sondern genau das, was ich haben wollte und zuvor auch kritisierte. So ein Spiel darf eben nicht von allein laufen. Jeder auf der Welt wäre ein Händler, wenn es so leicht wäre. In Venice müsst ihr euch nicht nur um die Routen eurer Kapitäne kümmern. Das ist der einfache Teil. Schließlich gibt es in jedem Hafen etwas, das billig gekauft werden kann und sich teuer verkaufen lässt. Die Kapitäne haben nun aber leider nicht so den Überblick, was das genau sein könnte und so müsst ihr jeden Hafen zumindest in der Anfangsphase im Blick haben und durch Nachdenken und Erfahrung herausfinden, was das sein könnte. Im waldigen Norden gibt es Holz, im sonnigen Süden Zitronen und Obst. Den Rest knobelt man mit der Zeit heraus.

Durchaus beeindruckend ist dabei der noch einmal verbesserte geschlossene Warenkreislauf. Waren verschwinden nur in dem Maß, indem die Städte ihre Bedarfsgüter verbrauchen und danach richtet sich auch der Preis und die Beliebtheit, die ihr als Händler genießt. Sonst kommt nichts einfach abhanden, Angebot und Nachfrage richten sich nach den Bedürfnissen und der Verfügbarkeit. Hier war jemand an der Arbeit, der Willkür im Wirtschaftssystem überhaupt nicht leiden kann und man merkt es mit jeder Stunde mehr, dass das im Hintergrund bei Rise of Venice alles Hand und Fuß hat. Die Beliebtheit ist dabei eine alte Mechanik und eine leicht zu verstehende noch dazu. Keiner kann den Händler leiden, der nach dem Motto "Geld spielt keine Rolle" alles einsackte und in die nach einem Erdbeben gebeutelte und frisch im Wiederaufbau befindliche Nachbarstadt karrt. Investoren-Schweine nennen wir solche Leute in Berlin.

Diese Herren machen euch das Leben immer schwerer. Bis sie euch dann am Ende endlich gehorchen müssen.

Behaltet ihr diese Dinge im Blick und richtet eure Handelsrouten entsprechend aus, kauft in den Kontoren entsprechend ein und habt ein Auge auf die durch Punkte in Talenten wie Kämpfen, Diplomatie und Handel lernfähigen Kapitäne, dann beginnt der Laden auch, langsam zu laufen. Es ist weit mehr Mikromanagement, als es im letzten Port-Royal-Selbstläufer der Fall war und das ist auch durchaus genau das, was diesem Spiel fehlte und sich in Venice findet. Nach und nach erreicht ihr so im politischen Metaspiel des venezianischen Senats im Hintergrund neue Ränge, mit denen ihr neue handelbare Waren freischaltet, schönere und mehr Schiffe kaufen und ferne, lohnende Häfen anlaufen dürft. Das ist auch der Hauptgrund, warum ihr euch nie mit dem Schlachtruf "nach mir die Sintflut" auf den Lippen wortwörtlich den Hass der Leute erhandeln und Venedig vernachlässigen könnt.

Profiteure des Elends

Im Rat sitzen zehn Mitglieder, die euch zu Beginn alle gerade so nicht unfreundlich gestimmt sind. Dies bessert ihr auf, indem ihr die Stadt Venedig fördert. Nach einer Weile beginnt der Laden zu laufen, und da ihr ab dann eigentlich immer im Pause-Modus alles und zu viel verwalten müsstet, um der Herr aller Handelswege zu bleiben, gibt es neben den Kapitänen noch die Lagerverwalter, die ihr als laufende Kosten anheuern könnt. Diese sollt ihr so instruieren, dass sie die Lager günstig füllen und was mit Profit abgestoßen werden soll. Zusammen mit den Kapitänen, die dann sehen, was die Verwalter horten und entscheiden, was woanders höhere Gewinne bringen kann, beginnen dann doch gewisse Automatismen zu greifen. Zumindest solange ihr nicht im detailverliebten höchsten Schwierigkeitsgrad agiert und keine Stürme, Erdbeben, Feuersbrünste, Seuchen oder gar Vulkanausbrüche dem einen Strich durch die Rechnung machen. All diese Dinge suchen nämlich unterschiedliche Regionen verschieden oft heim und beenden die segelnde Geldmaschine. Der Reiz dabei ist nicht nur schnell auszugleichen, sondern sich direkt auf dieses Leid zu stürzen und zu sehen, wie man den Rubel rollen lassen kann. Schaut, was sie brauchen und anderer Leute Pein wird zu eurem Segen. Haben wir eigentlich für solche Leute ein Wort in Berlin?

Eigentlich gar nicht so schwierig. Nur umständlich und mitunter auch mal konfus.

Profit lässt sich auch aus den ziemlich regelmäßigen Piratenüberfällen schlagen, aber nur wenn ihr gutes Gold in schlagkräftige Begleitschiffe für eure Konvois investiert. Andernfalls ist es immer ein wenig ein Glücksspiel, wie lange das so gut geht. Seid ihr aber bereit, geht es - optional, ein vom Gefühl her faires automatisches Auswürfeln nach Wahrscheinlichkeiten gibt es auch - in die Seeschlacht. Diese sind ... nun ... so lala umgesetzt. Das ist nicht gerade Assassins Creed und nicht mal Pirates!. Dafür ist es erstens trotz niedlicher Details zu bieder und zweitens zu umständlich. Es dauert eine Weile, bis man die Koordination mehrerer Schiffe und Munitionsarten im Griff hat und selbst dann kam zumindest bei mir nie zu viel Freude auf. Aber das Ergebnis zählt und ein paar erbeutete Kähne zu verschachern ist befriedigender, als einen neuen Konvoi kaufen zu müssen.

Der Rest der Steuerung ist übrigens vorbildlich. Die hübsche aber nie sonderlich funktionelle Stadtansicht wich einer sehr hohen Zoomstufe, die auch viel Kleinkram zeigt, vor allem aber einer ausgebauten und aufgeräumten Version des Menürads aus Port Royal. Alle wichtigen Häuser und Funktionen lassen sich mit zwei Klicks erreichen und so wird die Navigation schnell zur zweiten Natur. Lediglich das Planen der Schiffrouten versprüht immer noch den Charme von Word-Makro-Programmierung, ist letztlich aber auch logisch aufgebaut, fast genauso mächtig und wird gemeistert. Mit der Zeit halt.

(Hauptsächlich) allein auf dem Weg zum Dogen

So lassen sich nach einer Weile die Grundsteine für den Handel legen. Mit ein paar lohnenden Produktionsstätten im Rücken, die die Rohstoffe zum Beispiel zu wertvollem Glas oder weniger wertvollen Holzwaren verarbeiten, seid ihr gerüstet, um durch die Ränge des Senats aufzusteigen. Bei so etwas kommen die Feinde fast von allein, und wenn ihr einem Mitglied einen Gefallen erweist, passt das oft einem anderen nicht in den Krams. Hier die Balance zu finden, die richtigen Aufträge anzunehmen - Handel mit bestimmten Gütern und Zielen, kleine Suchquests oder Strafaktionen gegen Piraten - und vor allem die dummerweise nicht konterbaren Sabotageakte der feindlichen Mitglieder gegen eure Schiffe und Güter zu verknusen, ist das Herz des Erfolges in der Kampagne. So bringt ihr es mit Geduld und einem gesunden Verständnis der Mechaniken irgendwann bis zum Dogen. Gewonnen.

Schnell! Schaut, ob es Überlebende gibt. Und wie viel Gold sie haben!

Neben der Kampagne finden sich im Hauptmenü noch das freie Spiel und die per Rangliste gewerteten Spiele. Die Abläufe unterscheiden sich kaum, das politische Spiel verliert natürlich etwas an Bedeutung, aber sonst braucht ihr hier keine großen Offenbarungen der Abwechslung zu erwarten. Es gibt einen Vierspieler-Modus, in dem ihr in zeitlich begrenzten Runden um die Wette handelt und euch mit Freunden in Lobbys zum Spielen verabreden und abstimmen könnt. Ob das alles funktioniert, ließ sich vor dem Release leider mangels Mitspieler noch nicht so richtig austesten. Ich gehe optimistisch erst mal davon aus, dass das funktioniert und weniger optimistisch davon, dass es nicht so viel Spaß machen dürfte. Trotz verkürzter Runden und schneller zu erreichender Ziele kann ich mir das Spiel ohne Turbo-Taste nicht so richtig vorstellen. Aber ich lasse mich gerne vom Gegenteil überzeugen und werde nächste Woche noch mal einen Blick darauf werfen.

Rise of Venice ist konservativ im besten Sinne. Es ist eine ganz klassische, deutsche Wirtschaftssimulation in ehrwürdiger Tradition, die sich sowohl gerne den Details hingibt, aus ihnen ihre Komplexität zieht, diese aber auch Einsteigern zugänglich macht. Das Szenario des östlichen Mittelmeers ist dabei weit reizvoller und dank grundsolider, optisch wie akustisch freundlicher Umsetzung angenehm zu erleben. Das politische Spiel im Hintergrund könnte mehr Diplomatie vertragen, die Seegefechte spielen sich von Hand etwas zu sperrig, aber das berührt das Herz des Spiels, nämlich seine durchdachten Wirtschaftskreisläufe, in keiner Weise. Das läuft einfach, nur halt - und das ist ein großer Bonus - nicht mehr ganz von allein. Es beginnt, immer schwerer und fordernder zu werden, das Imperium auf den Beinen zu halten, den gewaltigen Kosten noch gewaltigere Gewinne entgegenzusetzen und Piraten, den Naturgewalten und sogar auch mal der Kirche selbst zu trotzen. Im Mittelalter heißt das was. Schon sind auch schon wieder die Stunden in die Nacht geflossen, es ist später als man je dachte und man weiß: Rise of Venice macht alles richtig. Zumindest das, was es tun möchte.

8 / 10

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