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Shovel Knight - Test

Der Remix unserer Jugend.

Ausgezeichnete Spielbarkeit plus Forscherdrang kombiniert mit ganz viel 8-Bit-Grafik ergeben das beste NES-Spiel seit zwei Jahrzehnten.

Letztes Frühjahr übertraf eine bescheidene, aber feine Kickstarter-Kampagne ihr Ziel um das Vierfache. Aus 75.000 geforderten Dollar wurden deutlich über 300.000 von fast 15.000 Unterstützern, die ein kleines Spielchen namens Shovel Knight durch Mundpropaganda schnell ins öffentliche Bewusstsein brachten. Yacht Club Games - ehemalige leitende Designer bei WayForward Games, der wohl besten Auftragsarbeiter der Branche (A Boy and his Blob, Shantae, DuckTales Remastered) - hatten einen Nerv getroffen.

Noch bevor Keiji Inafune mit Mighty No. 9 offerierte, sich mehr oder weniger schamlos bei seiner eigenen Mega-Man-Historie zu bedienen - und damit fast vier Millionen Dollar einfuhr -, sahen die Kalifornier die Zeit für ein Spiel gekommen, das all den Nintendo-Kindern der Achtziger und frühen Neunziger einen neuen Helden geben sollte. Nach einem Wochenende immer tiefer durchhängender Augenringe ist für mich klar, es ist ihnen mit Bravour gelungen.

War Volgärr the Viking noch eine bluttriefende Ode an die schönsten der seitwärts scrollenden adoleszenten Klopper des Super Nintendos, feiert Shovel Knight das NES in all seiner Entdeckungsfreude und verspielter Unschuld. Als Ritter mit einer Schaufel anstatt eines Schwertes stürzt ihr euch in ein Abenteuer, das zu gleichen Teilen Mega Man, Castlevania und Super Mario Land 3 zitiert. Von ersterem lieh es sich eine illustre Bosskartei sowie die sauberen und hochcharakteristischen Designs von Welt und Sprites. Die großpixeligen Umgebungen blättern wie bei Capcom in der Regel bildschirmweise um - jede Einstellung ist ein Puzzle für sich, hält Verstecke und Schätze bereit.

Eine Prämisse aus einer einfacheren Zeit: Shovel Knight gräbt in Erdhaufen nach Juwelen und Truthahnbraten.

Aus dem vampirjagenden Konami-Spiel lieh man sich den Einsatz diverser Items gegen Mana-Punkte. Jederzeit kann nur eines ausgerüstet sein und die Bandbreite von Feuerball bis hin zum Unberührbarkeitszauber ist recht gewaltig und verändert nachhaltig die Art, wie man bestimmte Level angeht. Einen neuen Gegenstand zu finden, bereichert das Geschehen jedes einzelne Mal. Die klar strukturierte Weltkarte borgte man sich unterdessen von Nintendos womöglich bestem Klempnertitel. Hier stellt ihr mit einiger Eigeninitiative acht verschiedenen bösen Rittern nach, die sich um die böse Enchantress versammelt haben und jetzt das Land terrorisieren.

Die so deutlich auszumachenden Versatzstücke anderer, viel älterer Spiele führen bezeichnenderweise nie dazu, dass sich Shovel Knight wie ein offensichtliches Sammelsurium vieler nicht zueinander gehöriger Ideen anfühlt. Ich kann mir keinen besseren Beweis dafür vorstellen, dass Yacht Club Games diese vergangene Ära versteht wie wenige andere. Während man auf seiner Schaufel wie mit einem Pogostab Gegner zerhüpft, so an zuvor unerreichbar hohen Orten zerstörbare Blöcke erreicht und bildschirmfüllende Endgegner ihren Angriffsschemata entsprechend auseinandernimmt, ist Shovel Knight doch immer irgendwo auch sein eigenes Ding. Eher eine Hommage, ein Remix der Vergangenheit, als eine Kopie davon, die mit zunehmender Vervielfältigung an Schärfe und Qualität eingebüßt hätte.

Die Endgegner verfügen über ausgefeilte Angriffsmuster, die zu verinnerlichen Pflicht ist, will man an ihnen vorbei.

Zumal Yacht Club Games auch die Augen vor aktuellen Entwicklungen nicht verschloss. Überall verstecktes Gold und Edelsteine erzeugen einen gewaltigen Sog, in diesen so clever gestalteten und schön vor sich hinfließenden Stages jeden einzelnen Stein umzudrehen. Gefundenen Zaster investiert ihr im Hub-Dorf zu Beginn der Karte fast wie in einem Rollenspiel in neues Werkzeug oder die Verbesserung eurer Werte. Oder ihr klickt euch einfach nur durch die lustig geschriebenen Dialoge mit den schrägen Vögeln, die dort wohnen. Und wenn ihr sterbt, könnt ihr einen Teil eurer Beute mit dem nächsten Leben fast wie in Dark Souls wieder bergen - vorausgesetzt, ihr erreicht sie auch. Auch hier ist es fast ein Wunder, dass derartige Elemente dem Spiel zwar Breite verleihen, die ungezügelte Retro-Exkursion aber keinesfalls verwässern. Alles passt und greift ineinander, um ein Abenteuer zu erschaffen, dass circa 1990 wohl als Klassiker in die Geschichte eingegangen wäre.

"Es fast ein Wunder, dass derartige Elemente dem Spiel zwar Breite verleihen, die ungezügelte Retro-Exkursion aber keinesfalls verwässern."

In Sachen Aufmachung ist das hier wohl das Spiel, das den alten Zeiten mit Abstand am nächsten kommt. Da einen die Erinnerung an alte Perlen aber fast immer trügt, fügten die Entwickler mit spitzen Fingern Details und Animationen ein, die auf dem vergilbten Brotkasten so wohl nicht möglich gewesen wären. So scrollt etwa der Hintergrund in mehreren Ebenen und schimmert Shovel Knights Rüstung deutlich eindrucksvoller, als es die tendenziell flacheren und mehr dem Monochromen verhafteten Sprites Ende der Achtziger taten. Auch die Anzahl beweglicher Objekte verrät regelmäßig: wir haben es hier mit einem neuen Spiel zu tun. Gleiches gilt für den fantastischen Chiptune-Soundtrack, der deutlich mehr Kanäle befeuert, als damals machbar waren. Wenn ich so darüber nachdenke, gefällt mir das Spiel klanglich fast noch besser als in der Gestaltung. Ich habe einige Themen noch immer im Ohr - Mega Man Komponisten Manami Matsumae lieferte ebenfalls einen Track - und kann kaum erwarten, nach dem Tippen dieses Textes wieder den Controller in die Hand zu nehmen.

Die Weltkarte lädt zur Erkundung und zum erneuten Besuch bereits erledigter Stages ein.

Wenn ich meckern müsste, dann würde ich zweifellos anführen, wie sich Shovel Knights Trägheit am Boden ein bisschen mit dem beinahe akrobatischen Luftikus-Sprungverhalten beißt. Wann immer die Spielfigur in einem Titel in der Luft an Gewicht verliert, wird das Landen für mich etwas schwieriger als es sein müsste. Damit muss man sich schon arrangieren. Und dann ist da die Sache mit dem Schwierigkeitsgrad. Die verhältnismäßig großzügige Lebensleiste sorgt dafür, dass man zügig vorankommt - und dann wird man unvorsichtig und erlebt unweigerlich vereinzelte Frustmomente.

Alle gegnerischen Treffer schleudern den kleinen Ritter nämlich wehrlos zurück, was häufig in einer tödlichen Grube endet - oder in den ebenfalls ein unverzügliches, vorläufiges Game Over verursachenden Stacheln. Fast immer sind diese Situationen dank der fairen Feindplatzierung zu vermeiden, der Wutausbruch wegen der eng gesteckten Checkpunkte kurz. Aber man sieht sie häufig nicht kommen, weil diese Instant-Tode im Kontrast stehen zu dem eigentlich recht machbaren restlichen Ablauf. Hier und da gibt es sie also auch, diese Schwierigkeitsspitzen, die damals dafür sorgten, dass man in 16 Leveln auf vier Welten bei zwei Stunden Nettolaufzeit viele, viele Nachmittage verbrannte. Man nimmt die Herausforderung gerne an - den Drang, den Controller an die Wand zu pfeffern, verspürt man trotzdem das eine oder andere Mal.

Sei es drum! Shovel Knight ist trotzdem das reinste Destillat allen, was uns damals lieb und heilig war, ein Spiel, das weiß, wo es herkommt, aber auch eine genaue Vorstellung davon hat, wo es hin will. Mich würde nicht wundern, wenn das hier nicht das letzte Mal bliebe, dass wir den Schaufelritter zu sehen bekommen. Wenn sich ein solches Spiel selbst während des Steam Summer Sales noch eine ganze Weile unter den 20 bestverkauften Titeln hält, dann hat es eine Menge richtig gemacht.

Also, wer seine ersten Gaming-Schritte Ende der Achtziger machte - oder diese Titel später nachholte -, kommt um Shovel Knight nicht herum. Und selbst, wer diese Ära aus welchem finsteren Grund auch immer aussetzte, muss hier nicht tief buddeln, um für 15 Euro eine Menge herausfordernder, humorvoller und handwerklich makelloser Unterhaltung zu finden.

8 / 10

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