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Shroud of the Avatar: Forsaken Virtues - Test

Lord British will es noch einmal wissen! Nur was eigentlich?

Eurogamer.de - Finger weg! Badge
Technisch veraltetes MMO ohne offene Spielwelt mit Singleplayer-Option, einem Kampfsystem, das keines ist und langweiligen Fetch-Quests.

Die Bewohner von New Britannia haben die Gelassenheit praktisch inhaliert. Während untote Zombies langsamen Schrittes in ihre Lager schlurfen, stehen sie nur da. Zur Waffe greifen sie erst, wenn ihnen die Untoten wirklich direkt gegenüberstehen oder sie angreifen. Man kann von Glück reden, dass Shroud of the Avatar: Forsaken Virtues feindliche Kreaturen zumindest rot kennzeichnet, wenn man den Mauszeiger über sie bewegt. Sonst könnte man nämlich glatt auf die Idee kommen, dass es sich hier um ein neues Lebensmodell der friedlichen Koexistenz zwischen Menschen und Zombies handelt.

Ihr merkt: Es fällt mir schwer, ohne Zynismus von Shroud of the Avatar zu sprechen. Das hat auch damit zu tun, dass ich mich eigentlich darauf gefreut hatte. Ein neues Spiel von Richard „Lord British" Garriott, dass den Geist der alten Ultima-Spiele atmet und ihn mit MMO-Spielmechaniken mischt - das klang vielversprechend. Und jetzt sitze ich da, vor diesem Scherbenhaufen, der ein gutes Spiel hätte werden können.

Wie ihr aussehen wollt, könnt ihr bei Shroud of the Avatar zu Beginn relativ frei bestimmen. (Shroud of the Avatar: Forsaken Virtues - Test)

Eines der Grundprobleme von Shroud of the Avatar ist seine Natur als Hybrid-Titel zwischen MMO und Singleplayer-Rollenspiel. Das funktioniert schon deshalb nicht besonders gut, weil sich beide Genres grundlegend unterscheiden. Ein gutes Singleplayer-Rollenspiel lässt euch spüren, dass ihr in der Welt eine herausragende Rolle spielt. Veränderungen in der Welt sollten zumindest teilweise persistent sein. Denkt an Fallout 3, wo ihr schon zu Beginn die Option habt, eine ganze Stadt von der Landkarte zu tilgen - oder eben nicht. Ein Singleplayer-Rollenspiel kann seine Geschichte dank solcher Kniffe sehr glaubwürdig erzählen. Ein MMO nur selten, denn dort mögen euch zwar dutzende NPCs erzählen, dass ihr nun den magischen Bogen der heiligen Waldelfe errungen habt, der vor hunderttausend Jahren nur ein einziges Mal auf einem magischen Altar erschaffen wurde - unglaubwürdig wird das aber spätestens dann, wenn ihr bemerkt, dass hunderte anderer Spieler mit dem gleichen Gegenstand herumlaufen, weil sie die gleiche Questreihe abgeschlossen haben wie ihr auch.

Ultima-typisch: Euren Avatar erstellt ihr zunächst, indem ihr ein paar küchenpsychologische Fragen beantwortet. (Shroud of the Avatar: Forsaken Virtues - Test)

In Shroud of the Avatar habt ihr nun gleich zu Beginn die Wahl, ob ihr in einem Offline-Modus spielen wollt, den ihr für euch allein erleben dürft, oder ob es die Online-Welt sein soll. Im Online-Modus könnt ihr wiederum wählen, ob ihr alleine unterwegs sein wollt, aber auch die Häuser anderer Spieler sehen könnt, ob ihr kooperativ mit Freunden losziehen wollt oder ob ihr das Rollenspiel als offenes MMO bestreiten möchtet, in dem ihr viele andere Spieler trefft, die euch unter Umständen auch schon mal grundlos totschlagen. Das Problem ist nun, dass sich auch der Offline-Modus anfühlt wie ein MMO, dem die Online-Komponente abhandengekommen ist. NPCs reagieren nicht auf das, was ihr in der Welt schon vollbracht habt, ihr fühlt euch eigentlich permanent wie ein völlig anonymer Niemand, der in dieser Welt genau so viel verloren hat, wie der NPC drei Schritte weiter, dem die Entwickler noch nicht mal einen Namen spendiert haben.

Ziemlich leblos: Die Oberwelt. (Shroud of the Avatar: Forsaken Virtues - Test)

Und wo wir schon bei NPCs sind: Die haben in Shroud of the Avatar einiges zu erzählen. In Textform versteht sich, denn Sprachausgabe gibt es nicht. Die Entwickler mochten den Text sogar so sehr, dass ihr die Dialoge nicht wie üblich über verschiedene Antwort-Optionen bestreitet. Stattdessen könnt ihr bestimmte Schlüsselwörter gezielt ansprechen, die die Figur schon einmal benutzt hat. In frühen Versionen des Spiels musstet ihr das machen, indem ihr das Wort schlichtweg eingetippt habt, wie in einen alten Text-Adventure-Parser oder eben den frühsten Ultimas. Für die Release-Fassung wurde aber immerhin die Option integriert, die Wörter anklicken zu können. Das nenne ich Fortschritt. Entwickler von Text-Adventures hassen Shroud of the Avatar für diesen einfachen Trick! Die Dialoge sind dabei auch noch ziemlich roboterhaft geschrieben, wie ihr es von einem wirklich alten Rollenspiel erwarten würdet. Hey, du bist der neue Typ in unserem Lager, hm? Okay, bring mir fünf Felle. Jetzt bring mir fünf Stück Eisenerz. Dann fälle fünf Bäume für mich. Zum Schluss benötige ich noch Federn. Fünf Stück wären gerade recht. Wirklich: So und nicht anders laufen Questreihen in Shroud of the Avatar ab. Das führt dazu, dass ich es vor allem zu Spielbeginn schon als Ereignis gefeiert habe, wenn ich mal einen bestimmten Gegner töten sollte.

Dabei hat das Spiel durchaus interessante Ansätze. Eure Figur kreiert ihr, indem ihr eine Reihe von küchenpsychologischen Fragen beantwortet. Das kennt man aus vielen alten Ultima-Spielen. Und vielleicht weil die Erinnerung an den letzten Blade-Runner-Film bei mir noch relativ frisch ist, fühlt sich das irgendwie an wie ein Voigt-Kampff-Test, mit dem Unterschied, dass ich am Ende nicht fürchten muss, für meine Antworten um die Ecke gebracht zu werden. Im Gegenteil, das Spiel ist sogar so generös und präsentiert mir zwar, welche Charakterklasse ich jetzt spielen werde - bietet mir aber die Option auch eine andere zu wählen. Zur Wahl stehen Magier, Kämpfer oder Waldläufer und die Klassen sind genau das, was ihr von ihnen erwartet.

Hier geht's zur Sache. Das spielt sich allerdings weitaus weniger spektakulär als es aussieht. (Shroud of the Avatar: Forsaken Virtues - Test)

Im Grundsatz nett ist auch das Fähigkeiten-System. In eurem Skill-Tree könnt ihr eine Reihe von Fähigkeiten und Zaubersprüchen als aktiv markieren, andere als inaktiv. Löst ihr nun Quests oder haut ihr Gegner um, verdient ihr Erfahrungspunkte, mit denen dann automatisch die aktivierten Fähigkeiten gesteigert werden. Die anderen verkümmern schlichtweg mit der Zeit oder immer dann, wenn ihr sterbt. Das Kampfsystem selbst ist dafür eigentlich keins: Ihr doppelklickt auf einen Gegner und euer Avatar greift daraufhin automatisch mit der gerade aktivierten Waffe an. MMO-typisch könnt ihr zwischendurch natürlich auch Spezialfähigkeiten wählen, die jeweils einen Cooldown haben. Das verlangt keine besonderen spielerischen Fertigkeiten - entweder ihr habt eure Figur eben so gut entwickelt, dass ihr einen bestimmten Gegner jetzt schlagen könnt oder ihr müsst noch ein bisschen trainieren. Stumpfes Grinding ist die unausweichliche Konsequenz dieses Systems.

Das System der Charakterentwicklung ist nett - ihr entscheidet, auf welche Fähigkeiten eure Erfahrungspunkte aufgeteilt werden. (Shroud of the Avatar: Forsaken Virtues - Test)

Eine wirklich offene Spielwelt sucht ihr in Shroud of the Avatar übrigens vergebens. Stattdessen könnt ihr festgelegte Gebiete über eine Überlandkarte betreten. Ich würde das grundsätzlich nicht verteufeln, das kann auch seine Vorteile haben und für ein dichteres Spielerlebnis sorgen. Im Falle von Shroud of the Avatar unterstreicht es aber nur die grundsätzliche Sterilität der Spielwelt. Alles fühlt sich unheimlich leblos an, nicht zur die Zombies agieren wie Zombies, alle anderen auch. Niemand geht auch nur mal schlafen, alle NPCs laufen ziellos in einem gewissen Radius herum, ungefähr wie ich, wenn ich voller innere Unruhe auf einen Bus warte, der ohnehin schon zu spät dran ist. Die Oberweltkarte folgt dieser Leblosigkeit, sie sieht ganz und gar leer aus, von den begehbaren Schauplätzen mal abgesehen.

Ein paar Worte zum User Interface: Es erinnert frappierend an jenes von Ultima Online. Egal, ob ihr nun die Karte, euren Rucksack oder euer Ausrüstungsmenü öffnet, alles erscheint als Fenster auf dem Bildschirm und ihr könnt es frei platzieren. Das mag auf dem Papier gut klingen, führt in der Praxis aber dazu, dass ihr häufig unabsichtlich eure Fenster wieder schließt, beispielsweise einfach, weil ihr auf Escape drückt um ins Hauptmenü zurückzukommen. Zudem gibt es für keines dieser Fenster einen wirklich guten Platz, irgendwas ist immer im Weg. Langfristig jongliert ihr mit den Fenstern also herum, öffnet sie immer wieder, schließt sie wieder, verschiebt sie - und ärgert euch. Denn allein eine stets sichtbare Minimap hätte dem Spiel schon gutgetan. Auch weil die Spielwelt allzu oft ein Brei aus Grau- und Brauntönen ist, bei dem ihr nicht allzu gut den einen Felsbrocken vom anderen unterscheiden könnt.

Die Wache vorne links im Bild nimmt diesen Kampf gegen einen Zombie eher beiläufig zur Kenntnis. (Shroud of the Avatar: Forsaken Virtues - Test)

Für echte Landmarken könnt ihr schließlich auch selbst sorgen. Durch Housing. Wie in Ultima Online könnt ihr auch in Shroud of the Avatar eigene Häuser oder sogar Burgen erreichten und sie einrichten. Beispielsweise mit Schneemännern und Weihnachtsbäumen, wenn ihr das möchtet. Oder mit Musikboxen oder allem möglichen anderen Dekokram, der eigentlich nicht in die Welt passt. Für ein MMO ist dieses System erstaunlich flexibel und umfangreich. Und ihr müsst Grundsteuern bezahlen. Ja, wirklich, ihr braucht stets einen vollen Geldbeutel, den ihr euch wiederum ergrinden müsst, ansonsten kommt Vater Staat und konfisziert euch die Bude unter den Füßen weg. Auch das ist in der Theorie reizvoll, stellt euch nur mal eine Gemeinschaft von Spielern vor, die online eine Stadt unterhält, in der jeder Spieler einem individuellen Beruf nachgeht und jeder jedem hilft. Glaubt mir: Das ist Utopia! Wir sind hier schließlich im Internet, also bestehen solche Städte hauptsächlich aus knallbunten Christbaum-Stapeln und Musikboxen. Wollt ihr nicht? Dann müsst ihr schon offline spielen.

Offline zu spielen bewahrt euch im Übrigen auch von dem komplexen Wirtschaftssystem von Shroud of the Avatar. Denn wisst ihr, so ein Grundstück kostet Geld. Und der Wandel von Echtgeld zu Ingame-Währung ist in Shroud of the Avatar relativ fließend. In einem Ingame-Shop könnt ihr noch relativ harmlose kosmetische Gegenstände erstehen. Wenn ihr mögt, könnt ihr aber auch ein paar Euro für sogenannte Crowns of the Obsidians ausgeben mit denen ihr dann wiederum Tränke kaufen könnt, die wiederum bestimmte Boosts auslösen, etwa auf die Chance, bestimmte Rohstoffe abzubauen, die ihr wiederum brauchen könnt, um euer Haus auszubauen oder Gegenstände zu craften, die ihr für eure nächste Quest braucht. Und nicht nur das, ihr könnt Echtgeld auch ausgeben, damit andere Spieler euch in Quests helfen. Oder beim Hochleveln. Eine Art MMO-Escort-Service gewissermaßen.

Sterbt ihr, könnt ihr euch in der Totenwelt an so einem Ankh wiederbeleben - und verliert dabei ein paar Erfahrungspunkte. (Shroud of the Avatar: Forsaken Virtues - Test)

Zu alldem kommt hinzu, dass Shroud of the Avatar gerade zahlreiche technische Probleme hat. Spiele ich offline, stürzt das Spiel in meinem Fall aktuell immer ab, wenn ich es beenden möchte. Viele Quests lassen sich nicht lösen, weil die NPCs die fraglichen Gesprächsoptionen nicht anbieten. Und wenn ich die deutsche Sprache wähle, sind dennoch ein großer Teil der Dialoge und Gegenstandsbeschreibungen auf Englisch, was das Spiel auf Deutsch aktuell für mich nahezu unspielbar macht. Es mag sein, dass solche Probleme in Zukunft noch ausgebügelt werden, aber hey: Das Spiel wird jetzt zum Kauf angeboten. Für rund 40 Euro. Es sollte sich nicht anfühlen wie eine Beta-Version voller Ideen, von der keine wirklich bis zum Ende durchdacht ist.


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Markus Grundmann: Letzten Endes ist Shroud of the Avatar eine ziemlich große Enttäuschung. Das tut mir leid, weil ich das Spiel eigentlich mögen wollte, aber es hat mir einfach keinen Spaß gemacht. Seine Quests sind einfallslos, die Präsentation wirkt leblos und technisch veraltet. Die Möglichkeit, Häuser zu bauen und sie auszugestalten ist zwar nett, in der Praxis aber nicht viel mehr als ein gut ausgebautes Gimmick. Das Spiel ist voller Bugs, die Geschichte strotzt vor Klischees und spielt höchstens am Rand überhaupt eine Rolle. Das Kampfsystem ist nicht wirklich eines, obwohl die Charakterentwicklung über aktivierte und deaktivierte Skills ein interessanter Ansatz ist. Das Traurige ist, dass man sehen kann, dass es die Entwickler mit Shroud of the Avatar gut gemeint haben - und dann auf ganzer Linie gescheitert sind. Das Spiel könnte eine Fangemeinde ehemaliger Ultima-Freunde aufbauen, ja. Im Vergleich mit anderen MMOs wird es aber mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Randerscheinung bleiben. Und das leider zu Recht.


Martin Woger: Ich halte mich ein wenig zurück, habe ich das Spiel im Gegensatz zu Markus bisher nur ein Handvoll Stunden ertragen, aber mein Eindruck aus dieser Zeit ist all das, was er schrieb und schlimmer. Als jemand, der mit Ultima aufwuchs, ist die Geschichte nicht mal ein Rückfall in frühe Ultima-Zeiten. Die waren erstaunlich wild und manchmal auch kreativ, das hier ist generischste Fantasy-Mumpe der billigsten Art, platteste MMO-Quests der übelsten Art inklusive und das nicht zu knapp. Das Spiel stürzt praktisch stündlich ab, die MMO-Häuser-Welten sind ein fragwürdiges Gimmick, das am Ende nur dazu da scheint, den Ingame-Echtgeld-Shop zu befeuern, das Kampfsystem dümmer als das aus Ultima 7, Navigation frustrierender als in Ultima 8 ungepatched zu hüpfen und die Menüs und das Inventar ein Rückfall in einen Fehler, den Lord British vor langer Zeit als solchen hätte erkennen sollen. Er wollte hier scheinbar seine größten, unbestreitbaren Errungenschaften, eine der wichtigsten Solo-RPG-Reihen und das vielleicht einflussreichste Pre-Warcraft-MMO überhaupt, kreuzen. Es ging einfach komplett daneben, selbst wenn es sich nicht anfühlen würde, wie ein viel zu teure verkaufte Beta. Sicher. Spiele werden noch lange gepatched und entwickeln sich. Aber wenn das hier eine zumindest lose Vorstellung von "fertig" ist, die der Entwickler scheinbar hegt, dann habe ich wenig Hoffnung, dass Shroud of the Avatar auf einem Level landet, den ich "okay" nennen würde, von höheren Weihen ganz zu schweigen. Oh how the mighty have fallen...


Entwickler/Publisher: Portalarium/Portalarium, Travian Games, Black Sun Game Publishing - Erscheint für:PC - Preis: 39,99 Euro - Erscheint am: erhältlich - Getestete Version: PC - Sprache: deutsch/englisch - Mikrotransaktionen: Ja

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