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Sniper Elite 4 - Test

So weit dürft ihr also und so lange braucht ihr, um zu vergessen. Dann warte ich mal.

Eurogamer.de - Empfehlenswert Badge
Sniper Elite 4 glänzt mit hervorragend entworfenen und riesigen Leveln voller Aufgaben, leidet aber unter einer etwas zu berechenbaren KI.

Am Ende dreht sich immer vieles um die Immersion und den Willen des Spielers, es dem Spiel zu erlauben, ihn hineinzuziehen oder nicht. Die Figur, die da irgendwo ein Munitionslager der deutschen Besatzer von einer Anhöhe aus überblickt, sollte eigentlich beunruhigt sein. Den letzten Schuss hat da unten jeder gehört, auch wenn sie noch nicht genau wissen, wo er steckt. Ihre neue trianguläre Ortung würde bei jedem weiteren Geräusch immer genauer den Standort des Schützen preisgeben. Wenn auch nur einer in die falsche Richtung gucken kommt und er sich verteidigen muss, wäre es das vielleicht. Der Scharfschütze dürfte wohl sein Gewehr fester greifen, die Hand an der schlaggedämpften Pistole, eine Perle kalten Schweißes rollt herunter.

Der Couch-Potato vor dem Screen verhält sich da etwas anders. Ich weiß, was jetzt passiert. Alle Soldaten rennen ein wenig umher, suchen im Radius von etwa 60 bis 70 Metern durchaus gründlich alles ab, dann springt der Ring um die Minikarte von gelb zurück auf grau und ein paar Sekunden später gehen alle wieder auf Position. Als etwas vorsichtiger waren sie eh schon seit einer Weile eingestuft und verhalten sich daher etwas unruhiger, aber doch vorhersehbar. Woher ich das alles weiß? Weil das nicht der erste Schuss, sondern der zwölfte war. Jeder ein Volltreffer - sorry, Soldat Nummer sieben, ich wollte einen Blattschuss, keinen Crotch-Shot. Das ist keine Art zu gehen, mein Fehler.

Irgendwo gibt es immer eine geheime Nazi-Festung in den Bergen.

In der Mitte der ersten Mission sind die Regeln klar wie Klößchenbrühe, um eine mir seit meiner Kindheit unverständliche Analogie zu bemühen (wie klar ist Klößchenbrühe eigentlich?). Wenn ich mich in Distanz X befinde, darauf achte, dass ich einen Sichtschutz in alle Richtungen habe, und in kürzerer Distanz Y keine herumwandernden Wachen stromern, kann ich dieses Spiel endlos wiederholen. In aller Ruhe zielen, Atem anhalten und selbst auf 350 Meter mit einem eigentlich nicht so tollen Gewehr einen sicheren Treffer landen. Es gibt keine Variable, die mir dabei in den Weg käme, außer vielleicht meine eigene Ungeduld. Schnell mal noch einen Zweiten mitnehmen, zu weit aus der Deckung raus - Dinge in der Art sind es dann, die einen immer noch nicht umbringen. Einfach weit genug zurückrennen, denn schließlich gehört es dazu, hinter sich einen Rückzugskorridor zu schaffen. Spiele haben Regeln und selten sind sie klarer als in Sniper Elite 4.

Das ist der Grund, warum ich nicht nervös um mich gucke, sondern selbst auf den höheren Schwierigkeitsgraden - ohne Minikarte, Zielhilfe und Feind-Tagging - mit Geduld und Methodik die Regelgrenzen austeste und mich an sie halte. Selbst die letzten, harten Stages haben dann keine großen Überraschungen mehr für den Scharfschützen und eigentlich sollte es auch so sein, wenn ihr dieses Spiel gemeistert habt. Ihr seid schließlich der Jäger und Elite 4 sieht in der Kampagne wenig Grund, diesen Spieß umzudrehen, solange ihr euch nicht zu doof oder ungeduldig anstellt. Eine Immersion, in der Aufregung entdeckt zu werden, kann ich hier nicht erkennen. Vielleicht prallt das Spiel einfach an einem Schutzwall aus zu vielen anderen gespielten Titeln ab. Aber so ist es nun mal. Und vor allem heißt das nicht, dass ich nicht richtig viel Spaß mit Sniper Elite 4 hatte - wie ja das silberne Logo zart andeutet.

So ist es am schwierigsten, vor allem auf den Härtegraden ohne Hilfsmittel: Schlechte Sichtverhältnisse und wenig Deckung.

Das liegt daran, dass sich Rebellion im vierten Anlauf wirklich Mühe mit den Leveln gab. War Teil 2 noch praktisch linear, wurde Teil 3 schon etwas großzügiger, aber Nummer 4 dreht nun richtig auf. Es ist keine Open-World, sondern eine Reihe durch und durch bewusst entworfener Level. Diese haben es zur Kunst erklärt, dass ihr euch nicht nur auf zig Weisen praktisch jedem Ziel nähern könnt und dabei auch alle Freiheiten genießt, zu tun und zu lassen, was ihr möchtet. Die Level sind auch der weit effektivere Feind als dieser selbst.

Der Weg der Gegner und ihrer Reaktionen mag festgelegt sein - egal, wie viel Freiheit sie in diesem Radius genießen, sie werden ihn nicht verlassen, und das ist für einen Fernkämpfer alles, was zählt. Was aber gegen euch spielt, das ist das Denken, keiner sei in der Nähe. In Wahrheit steht ein versteckter Hochposten nicht einsehbar in eurer Nähe, unter euch ist der bewachte Ausgang aus einer Höhle, die eine Verbindung zu einem Fahrzeuglager ist - und alles, was ihr erst mal seht, sind diese praktische Deckung und das feindliche Lager etwa 100 Meter dahinter. Wer sich jetzt nicht mit der Umgebung beschäftigt und den Level kennenlernt, bevor er anlegt, wird ganz schnell aus Richtungen überrascht, an die er gar nicht gedacht hatte. Oder sogar für sicher hielt. Es sind einige der besten Level, die ich in einem Shooter sah, und eine gesunde Evolution weg vom linearen Leveldesign, ohne sich in dabei in den Stolperfallen einer zu großen, vielleicht sogar belanglosen offenen Welt zu verheddern.

Der rote Schattenriss zeigt eure letzte Sichtung durch den Feind, was sich natürlich auch ausnutzen lässt. Meist solltet ihr ihm aber den Rücken zudrehen und schnell weiter weg verschwinden.

Wichtig bei all dem ist natürlich ein gutes Stealth-System, schließlich sollt ihr ja die Möglichkeit haben, eure Ziele auch ohne einen dreistelligen Bodycount zu erreichen - zumindest theoretisch. Ein wichtiger Punkt ist die relativ rare, weil wertvolle Lautlosmunition für das Gewehr. Ihr habt nun praktisch ein paar Schüsse frei und wenn ihr die Distanz einhaltet, damit ihr nicht gesehen werdet, haben die Wachen keine Chance. Ansonsten läuft das Schleichen wieder mal aufs Gebüsch hinaus, das anhand weißer Blüten gut zu erkennen ist. Hockt ihr hier drin, sieht euch keiner, was sich wie immer ausnutzen lässt. Schmeißt ihr kleine Steinchen, lassen sich unvorsichtige Wachen direkt hineinlocken und lautlos ausschalten. Hier zeigt sich die etwas bessere KI. So irgend möglich ruft der Interessierte erst mal, dass er was gehört hat, und wenn auch nur vage ein Kollege in Rufweite ist, folgt er in sicherem Abstand. Das Problem für euch ist nun, dass auch eine Stealth-Attacke aus dem Gebüsch heraus gut zu sehen ist und die Wachen keine Hemmungen haben, durch das Gebüsch zu schreiten. Finden sie eine Leiche, werden mehr Wachen gerufen und plötzlich beginnt der Tumult. Immer wenn ihr von den zuerst genannten Regeln abweicht und jenseits dieser Grenzen von etwa 100 Metern Sicherheitsabstand spielt, wird es doch aufregend.

Sniper Elite 4 ist selbst in dem Fall noch relativ gnädig, denn das MG, das ihr als Drittwaffe dabeihabt, ist durchaus in der Lage, eure Haut zu retten, die ein oder zwei Kugeln - selten mehr - aushält. Wisst ihr, dass da nur die beiden Wachen sind, könnt ihr auch schon mal den Frontalangriff nutzen und euch dann wieder zurückziehen, um die Wunden zu lecken. Aber keine Sorge, alle Ähnlichkeiten mit Call of Duty sind rein zufällig. Wer mit dem MG eine Basis voller Gegner stürmt, wird das sehr oft machen müssen, es ist nämlich fast unmöglich. Die Action in Elite 4 ist mehr eine - spielerisch gelungene - Notlösung, um sich kurz der eigenen Haut zu erwehren und diese zurück in die Schatten zu retten. Und als solche funktioniert sie ausgezeichnet.

Weiße Blumen sind euer bester Freund und das Zeichen, welche Büsche euch Deckung geben.

Ein weiteres Highlight, ganz im Gegensatz zu der Story selbst, die sich irgendjemand wohl an einem kurzen Abend mit eineinhalb Bier nebenbei ausdachte, ist die Vielzahl an Missionszielen. In jedem der riesigen Level habt ihr über ein Dutzend grobe Marker verteilt. Suchscheinwerfer, geheime Dokumente, bestimmte Offiziere, zu sprengende Anlagen, alles Mögliche liegt da gleichmäßig verteilt. Da es keinen vorgegebenen Weg gibt, liegt es an euch, wie ihr vorgeht, was das Gefühl des einsamen Kämpfers hinter den Linien fern aller direkten Befehle verstärkt und die in rauen Mengen vorhandene spielerische Freiheit unterstreicht. Selbst die Verbündeten vor Ort lassen euch in Ruhe arbeiten und dienen eigentlich nur als weitere Zielmarkergeber in miserabel vertonten Einlagen zwischen den Stages.

Abgesehen von dieser in allen Sprachen grausigen Synchro machte Rebellion auch bei der Technik deutliche Fortschritte. Sicher, hier und da werden Gebäude und andere Elemente fröhlich recycelt, aber nicht in einem kritischen Maß. Außerdem hat jede Stage ihren ganz individuellen Look und präsentiert ihn schön genug, um immer wieder mal das Auge zu erfreuen. Weite Landschaften, stabile Framerates selbst auf der Xbox One und Nicht-Pro-PS4, satte Schussgeräusche. Es ist vielleicht kein technischer Showcase, aber ein hübsches Spiel allemal.

Was fehlt noch? Ach ja, Multiplayer. Weit besser als gedacht, wobei ihr die normalen Team-Deathmatch-Geschichten vergessen solltet. Das Spiel wurde nie für den Call-of-Duty-Stil gemacht und funktioniert so auch nicht. Weit besser sind die Modi, in denen ihr entweder Punkte für die Schussdistanzen bekommt oder gleich weit von den Gegnern getrennt seid. Kann man durchaus mal eine Runde spielen. Das gilt auch für den nach wie vor unterhaltsamen Horde-Modus, in dem sich vier Spieler verschanzen und Wellen von Gegnern aufhalten. Wenn ihr euch ein wenig koordiniert und die Rollen verteilt, klappt das erstaunlich gut. Die Kampagne lässt sich übrigens auch komplett im Zweier-Koop spielen, was das Spiel bei einem guten Gespann natürlich deutlich einfacher macht. Wenn ihr dagegen in unterschiedliche Richtungen abhaut, euch erschießen lasst und der andere die Wiederbelebung nicht in 60 Sekunden schafft, wird es schwerer. Ist also super mit einem Freund, weniger toll mit einem Fremden.

Natürlich gibt es die spielerisch sinnlosen Animationen. Tradition muss sein.

Und zum Schluss, einfach weil es zur Serie dazugehört: Natürlich gibt es die Röntgentreffer-Animationen. Schüsse gehen in Zeitlupe durch Schädel und Eingeweide, so wie auch in den drei Teilen davor. Ich habe es abgeschaltet. Nicht, weil mich der Gore-Porn übermäßig stören würde, aber ein Fan bin ich auch nicht. Vor allem ist es eine sinnlose mehrsekündige Pause im Spielablauf, und das kann ich ja gar nicht haben. Kann man ausschalten, jedem seins und alle sind glücklich.

Sniper Elite 4 setzt konsequent auf Weiterentwicklung. Seit dem ersten Teil lässt sich eine klare Linie ziehen. Jeder Teil war ein deutlicher Sprung gegenüber dem Vorgänger und nun ist Teil 4 so gut, dass es an die Substanz gehen muss, wenn es besser werden soll. Die neue Größe in den Leveln, die mehr Auslauf bieten als die ersten drei Spiele zusammen, die geschickt verteilten Aufgaben, all das ist klasse, aber die größten Verbesserungen finden sich wohl in der KI. Sie geben sich Mühe, sie lassen sich nicht gleich aus den Augen, nur damit ihr sie einzeln herauspicken könnt. Sie durchforsten Gebüsche und variieren selbst einfache Patrouillenrouten, von hektischen Suchwegen ganz zu schweigen. Trotzdem unterliegen sie immer noch starren Regeln, gerade was Distanzen angeht, wie weit sie suchen und wie lange sie das tun. Wenn ihr diese ausnutzt, habt ihr wenig zu befürchten, selbst mit der großen Anzahl an Wachen in einem Level. Einzelne Patrouillen, die unabhängig solcher Dinge das Gebiet absuchen, könnten etwas für die Zukunft sein, um einfach eine Idee in den Raum zu werfen. Von solchen Genre-inhärenten Problemen abgesehen, hat sich Rebellion definitiv selbst übertroffen und mit Sniper Elite 4 das bis heute beste Sniper-Spiel überhaupt abgeliefert.

Entwickler/Publisher: Rebellion Studio - Erscheint für: PC, PS4 (Pro-Features werden unterstützt), Xbox One - Preis: ca. 50 Euro - Erscheint am: 14. Februar 2017 - Getestete Version: Xbox One- Sprache: Deutsch, Englisch und mehr - Mikrotransaktionen: Nein, DLCs mit zusätzlicher Ausrüstung und Missionen sind vorhanden

In unserer Test-Philosophie findest du mehr darüber, wie wir testen.

In diesem artikel

Sniper Elite 4

PS4, Xbox One, PC, Nintendo Switch

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Martin Woger

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Chefredakteur seit 2011, Gamer seit 1984, Mensch seit 1975, mag PC-Engines und alles sonst, was nicht FIFA oder RTS heißt.
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