Tausendundein Absturz in Cloudbuilt
Parcours im Wolkenkuckucksheim mit Jetpack und Megaman-Anzug.
Megaman-Speedruns haben etwas Magisches. Es gehört zu meinen heimlichen Youtube-Sünden, diesen Wunderkindern dabei zuzusehen, wie sie den blauen Roboter mit traumwandlerischer Sicherheit von Level zu Level peitschen. In einem Rutsch zocken sie die Klassiker meiner Kindheit durch, ohne ein einziges Mal in einen Abgrund zu stürzen, stachelige Wände zu berühren oder im Geschosshagel draufzugehen. In Sekunden huschen sie durch schwierige Abschnitte, derentwegen ich mein Pad damals am liebsten im Garten vergraben hätte. Wie kann man da nicht staunen?
So ähnlich geht es mir nun, wenn ich erste Videos zu Cloudbuilt ansehe und mit meinen eigenen Testrunden in der Betaversion vergleiche. Auf der einen Seite meisterhafte Parcours-Manöver und flüssige Läufe; bei mir subjektiv ein einziges Gestolpere und Gestürze, für das ich mich in Grund und Boden schämen sollte.
Was will Cloudbuilt sein? Ein Blick auf die Heldin genügt. Der schwedische Indie-Entwickler Coilworks präsentiert uns: eine Chibi-Version von Samus Aran, die man in einen Megaman-Anzug mit Jetpack gesteckt, in die dritte Cel-Shading-Dimension aufgeblasen und mit den Moves aus Mirror's Edge gefüttert hat. Ihre Hintergrundgeschichte bleibt zunächst recht nebulös. Offenbar wurde die Dame in einem Kampf verletzt und liegt nun komatös in einem Krankenhausbett. Als blaues Geistwesen lauft ihr im Zimmer herum, lest ihre E-Mails und wählt den nächsten Level aus, indem ihr ans Krankenbett tretet. Metapher much? Alles nur ein Traum? Wenn ja, dann nur für schwindelfreie Zeitgenossen.
Optisch gesehen leistet die Engine von Coilworks solide Arbeit. Die Level bestehen zum größten Teil aus schwebenden Mauerresten, Plattformen und Rampen. Noch ist das Spiel in der Beta-Phase, da sind flackernde Texturen oder Clipping-Fehler hier und da kein Beinbruch. Gut gefallen hat mir der allgemeine Buntstiftschraffur-Look, der den Manga-Stil des Spiels schön unterstreicht.
Chibi-Samus in der Matrix
Die Steuerung ist Shooter-Standard. Maus und Tastatur. Erfahrene Trick-Jumper müssen sich also nicht groß einarbeiten. Ihr dürft an Wänden entlanglaufen, Doppelsprünge vollführen, euch an Kanten festhalten und per Jetpack-Dash über den Boden flitzen, senkrecht Wände hochlaufen oder euch über Abgründe katapultieren. Damit die Sache nicht zu einfach wird, haben die Entwickler den Gebrauch des Jetpacks eingeschränkt. Ist die Leiste am unteren Bildrand leer, müsst ihr ein paar Sekunden innehalten, bevor ihr weiter jetten dürft. Mit der Munition für eure Knarre verhält es sich ähnlich.
Es gibt nicht viele Gegner in den Leveln, doch was ihnen an Quantität fehlt, machen sie durch eine fiese Platzierung wett. Als ob es nicht schon haarig genug wäre, über schwebende Plattformen und an Wänden entlangzuturnen - nein, ihr müsst auch noch Geschütztürme, Drohnen und Energiefelder aufs Korn nehmen, die an eurer Lebensleiste knabbern. Schlimmer noch: Die Gegner bringen euch aus dem Rhythmus und stoßen euch von Plattformen. Immerhin zielt eure Kanone von selbst und feuert bei Bedarf aufgeladene Schüsse - wer die Positionen der Feinde verinnerlicht, kann sie also während seiner Läufe ausschalten, ohne lange stehen zu bleiben.
Es gibt nicht viele Gegner in den Leveln, doch was ihnen an Quantität fehlt, machen sie durch eine fiese Platzierung wett.
Die Hinderniskurse sind anspruchsvoll und lassen euch erfreulich viele Freiheiten. Rechts an der Mauer entlang? Links über ein paar Plattformen und per Walljump ans Ziel? Geradeaus durch ein Labyrinth aus hochexplosiven Minen und Laserfallen? Eure Entscheidung. Wenn man an einem Abschnitt verzweifelt, lohnt es sich, nach alternativen Wegen zu suchen. Oft könnt ihr abseits der offensichtlichen Routen abkürzen, sofern ihr euer Jetpack perfekt einsetzt. Mir gelangen solche Manöver sehr selten - meist aus Zufall und schierer Verzweiflung, weil ich gerade eh am Abstürzen war. Zwei Jetpack-Schübe und vier instinktive Mauersprünge später stand ich dann überraschend auf einer Plattform, die ich vorher für unerreichbar hielt. Könner dürften hier wahre akrobatische Wunder vollbringen. Allerdings reimt sich "Abkürzen" nicht umsonst auf "Abstürzen". In neun von zehn Fällen endeten solche Experimente bei mir im Abgrund. Neustart an der letzten Wegmarke und herzhaftes Fluchen inklusive. Sechs Fehlversuche sind drin, dann müsst ihr die Welt neu beginnen.
Eine Gamepad-Unterstützung fehlt bislang. Auch wenn ich ein bekennender Verfechter von Shootern am PC bin, könnte das einige happige Parcour-Momente entschärfen, bei denen ich auf der Tastatur fast meine Finger verknotet hätte. Immerhin darf man die Tasten frei belegen. Trotzdem ist die Lernkurve für meinen Geschmack zu steil. Ein Tutorial-Einsatz und ein leichter Level - mehr wird euch nicht an die Hand gegeben. Da hätte ich mir ein paar zusätzliche Level gewünscht, die sich auf ein einziges Manöver konzentrieren, bis es in Fleisch und Blut übergeht. Aber ich picke Rosinen. Noch ist das Spiel ja nicht fertig...
Wie heißt es so schön? Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Der Spruch gäbe einen prima Untertitel zu Cloudbuilt ab. Mein Ersteindruck der Betafassung ist vielversprechend. Der Look ist erfrischend anders, das Spielprinzip wurde solide und schnörkellos umgesetzt. Ich bin schon sehr gespannt auf die Youtube-Videos, die uns das Erstlingswerk der schwedischen Spieleschmiede Coilworks bescheren wird. Ob ich selbst eines Tages sehenswerte Shooter-Akrobatik zustande bringe? Ich werde auf jeden Fall üben müssen.