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The Chant – Test: Erschreckend finde ich nur, wie spannungsarm dieser Horrortrip ist

Wir gehen mit dem Salbei, dem Salbei voran...

Der interessante Ansatz wird erzählerisch verschenkt, während das spielerische Potential bei der geradlinigen Schlüsselsuche kaum genutzt wird.

Ich weiß gar nicht so recht, wo ich anfangen soll, denn The Chant hat mich mit einem leeren Gefühl zurückgelassen. Weil nichts irgendwie besonders und schon gar nicht besonders gut war. Weil selbst die Geschichte eine recht belanglose Mär von Kristallen und Kreaturen war, die ich mit, nun, Salbei verprügelt habe. Dabei hatte ich im Vorfeld den Eindruck, The Chant solle etwas Spezielles sein. Als würde eine kreative Idee dahinterstehen. Aber falls es die gibt, habe ich zumindest sie abseits von ein paar guten Ideen nicht gefunden.

Der Plot wird sogar ausgesprochen holprig erzählt, weil man eingangs zwar erfährt, dass Jess auf eine einsame Insel fährt, um sich von einem traumatischen Erlebnis zu erholen. Sobald sie dort ankommt, geht aber alles viel zu schnell. Rein zweckmäßig wird dort nur umrissen, wie das Spiel funktioniert, weshalb man von Maya, einer wichtigen Person, die man gerade neu kennenlernt, nach buchstäblich zwei Sätzen schon auf die Suche nach Kräutern geschickt wird. Dass da gerade ein später wichtiger Charakter eingeführt wurde, geht völlig unter.

The Chant ist klassischer Survival-Horror: Per Schulterblick steuert man Jess durch dunkle Pfade und enge Räume.

Man kann dann noch ein wenig in dem Camp der Gruppe herumlaufen, die sich auf der Insel als eine Art spirituelle Gemeinde zusammengefunden hat – kurz darauf beginnt aber schon ein Ritual, das selbstverständlich aus dem Ruder läuft und eine Reihe angriffslustiger Wesen auf den Plan ruft. Fortan sind die Mitglieder der Gruppe besessen oder anderweitig benebelt, weshalb man sie nacheinander aus dem Weg räumt. Dafür läuft man durch enge Pfade von Schlüssel zu Schlüssel, um versperrte Eingänge zu öffnen, kämpft gegen die Kreaturen und ihre Bosse beziehungsweise bald auch die anderen Menschen.

Entwickler Brass Token will ein „kosmisches Horror-Action-Adventure“ erzählen, das auf der Grenze zwischen eingebildetem Irrsinn und tatsächlichem Grauen balanciert. Deshalb kann Jess durch bestimmte Ereignisse sowie an bestimmten Orten in Panik verfallen und dann nur noch davonlaufen, bis sich die Lage wieder beruhigt hat. Tatsächlich wird bis zum Ende nicht endgültig klar, ob das alles nur in ihrem Kopf oder in Wirklichkeit stattgefunden hat, und diese Ungewissheit ist die größte Stärke der Geschichte. Sie besteht von Beginn an und wirft große Fragen auf.

Tyler, der Führer der Gruppe, spielt gefühlt sogar nur eine Nebenrolle. Hier taucht er kurz auf und zieht sich sofort wieder zurück.

Aber erinnert euch an Maya, von der man lange nichts erfährt, außer dass sie für die Gruppe kocht und dafür Kräuter braucht. Die trifft man später wieder und da redet sie auf einmal über das, was sie belastet – nur um direkt im Anschluss genau davon zu halluzinieren und so das nächste Kapitel mit ihr als zentralem Charakter einzuleiten. Geht es denn wirklich nur dermaßen funktional? Man spürt überdeutlich, dass Charaktere ausschließlich dazu dienen, eine spielerische Notwendigkeit zu etablieren. Die wenigen Filmszenen und eine Handvoll Multiple-Choice-Dialoge tragen wenig dazu bei, sie als eigenständige Figuren einzubeziehen.

Es muss wahrlich nicht immer The Last of Us sein. Mir sind greifbare Charaktere und ihr Tun sowie glaubwürdige Gespräche und nachvollziehbare Entwicklungen aber nun mal wichtig – gerade in einem Spiel, das zur Hälfte „charakter- und geschichtenbasierte Erzählung“ sein will. Doch ausgerechnet unter diesem Gesichtspunkt ist The Chant nicht mehr als ein flacher B-Movie.

Ärgerlicherweise setzt sich das ja im eigentlichen Spiel fort, wo man große Poster aller Kreaturen entdeckt, die als Nächstes auftauchen werden. Klasse: So wird dann auch das letzte Stück Spannung geradezu mutwillig zerstört. Die ist nämlich schon vorher nicht der Rede wert, weil die Gegner selten überraschend auftauchen und das Kämpfen nicht besonders aufregend ist. Dazu spulen sie ein viel zu einförmiges Programm aus wenigen, meist vorhersehbaren Angriffen ab.

Rätsel gibt es in The Chant übrigens so gut wie keine. Schlüssel bzw. Schlüsselteile erhält man, indem man alle verfügbaren Wege abklappert. Nur wenn man ein Teil wie dieses hier übersieht, dauert die Suche schon mal länger als sie sollte.

Symptomatisch für diese oberflächliche Herausforderung ist eine Figur, von der Jess gelegentlich verfolgt wird, der man aber so einfach ausweichen kann, dass ich mich irgendwann kaum noch um sie geschert habe und stattdessen direkt an ihr vorbeigelaufen bin, um nur kurz die Taste zum Ausweichen zu drücken. Das kann’s in einem Horror-Abenteuer doch echt nicht sein.

Der Witz daran: Das Kampfsystem ist eigentlich sogar recht komplex – komplex genug, um in der Theorie eine behutsame Hinführung an die verschiedenen Elemente zu rechtfertigen. Aber nicht einmal dafür ist hier Zeit, weshalb man sich anfangs ziemlich schnell in eine Reihe an Kräutern hineindenken muss, die als Ressourcen zum Herstellen von, nun, Waffen dienen und gleichzeitig Jess‘ Geist, Psyche und Körper heilen. Wobei der Geist auch die Psyche heilen kann und als Energiequelle für Spezialangriffe dient. Salz und ein bestimmtes Öl kann man außerdem nicht nur auf Feinde werfen, um sie aufzuhalten oder ihnen Schaden zuzufügen, sondern auch als Fallen auf dem Boden ausbreiten.

Erklär mir mal jemand, warum man mit Salbei und Dornenzweigen gegen Kreaturen aus einer anderen Welt kämpft? Selbst wenn man sich die nur einbildet, hält man einen Dübel aus Tee oder Gestrüpp doch nicht für „grausame Waffen“.

Abgesehen davon gibt es auf der Insel bunten Nebel (in einem Horrorspiel...), in dem Jess ständig psychische Energie verliert und wie erwähnt in Panik geraten kann. Dort muss man also immer ihren Zustand im Auge behalten, um ihn bei Bedarf zu heilen. Und kämpft man dann noch gegen Kreaturen, die ihr nicht nur körperlich, sondern auch mit psychischen Angriffen zusetzen, für die es einen separaten Konter gibt, dann ist spielerisch natürlich interessant, gerade auf den ersten Metern aber schlicht eine Idee zu viel.

Zwei Sachen stören mich zusätzlich daran. Zum einen ist der Nebel nichts, was organisch in die Umgebung passt oder das sich gar aus dem Spielverlauf heraus ergibt. Da sind halt rote, blaue, gelbe und grüne Dunstfelder, die sich durch harte Übergänge von der restlichen Umgebung abgrenzen und damit denkbar schlecht ins Bild passen. Zum anderen braucht man die martialische Komplexität gegen die einfältigen Gegner überhaupt nicht.

Fließende Übergänge vom Normalzustand in psychisch angespannte Situationen gibt es leider nicht. Jess läuft einfach in farbigen Nebel herein und muss dort aufpassen, nicht in Panik zu geraten.

Dabei kann man Jess‘ Fähigkeiten sogar in jeweils drei Stufen entwickeln, sodass man eine Zeitlupe einleitet, falls man im richtigen Moment ausweicht, oder die Wesen ein paar Sekunden lang kampfunfähig macht, wenn man rechtzeitig kontert. Nur wofür? Versteht mich nicht falsch: Ich fand die Charakterentwicklung durchaus motivierend. Einen spürbaren Unterschied hat sie im Endeffekt aber nicht gemacht.

Test zu The Chant – Fazit:

Brass Token bringt also ein paar gute Ideen ins Spiel und was man The Chant lassen muss: Es ist trotz seiner Schwächen kein sperriges Abenteuer. So profan die Kämpfe gegen die Kreaturen auch sind, so befriedigend fühlt es sich an sie zurückzustoßen, weil das Kampfsystem im Gegensatz zur KI grundsätzlich etwas auf dem Kasten hat. Und wenn die Musik in einigen Situationen wie ein 50 Jahre alter Carpenter-Film klingt, dann punktet der Horrortrip sogar mit seiner Atmosphäre. Aber solche Momente sind eben selten. Den Großteil der Zeit sucht man hingegen eine spielerische Herausforderung und damit eine Tiefe, die in dem holprigen B-Movie auch erzählerisch leider nur angerissen wird.

The Chant - Wertung: 5/10

Pro und Contra

Pro:

  • Interessanter Aufhänger um realen oder eingebildeten Horror
  • An manchen Stellen stimmungsvoller Elektro-Soundtrack mit Anleihen bei John Carpenter
  • Einigermaßen motivierende Charakterentwicklung
  • Relativ komplexes Kampfsystem...

Contra

  • ... das man überhaupt nicht ausreizen muss
  • Das Gleiche gilt für die Charakterentwicklung
  • Insgesamt enttäuschend spannungsarmer Horrortrip
  • Knapp erzählte Handlung und Charaktere ohne echte Tiefe
  • Stures Abrennen aller Wege – keine Rätsel, keine nennenswerten Geheimnisse
  • Bunte Gefahrenzonen als Stimmungskiller
  • Aktuelles Ziel gelegentlich schwer auffindbar

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Benjamin Schmädig Avatar
Benjamin Schmädig: Für ihn ist WipEout 2097 der Grund, aus dem es Videospiele gibt – aber auch Indiesachen, Shooter sowie fast alles, das mit Weltraum zu tun hat. Sucht gute Storys, knackige Herausforderungen und freut sich, wenn die grauen Zellen nicht unterfordert werden.

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