Skip to main content
Wenn du auf einen Link klickst und etwas kaufst, können wir eine kleine Provision erhalten. Zu unseren Richtlinien.

The Last of Us 2: Der Zorn über die Story zeigt vor allem eines: Naughty Dog hat alles richtig gemacht

Alles für die Wirkung!

Vorsicht, SPOILER: Wir empfehlen, diesen Artikel nur zu lesen, wenn ihr The Last of Us 2 durchgespielt habt, über den Verlauf der Geschichte schon im Bilde seid oder euch Spoiler egal sind. Hier werden zentrale Plot-Geschehnisse diskutiert.


Es war mehr als nur ein bisschen ekelig, was vor etwas mehr als einem Monat in bestimmten Bereichen des Internets als Reaktion auf die frühen Story-Leaks so zu hören war. "Joel stirbt durch die Hand einer Transsexuellen schon früh im Spiel!?" Die Netzkoalition konservativer "Alphamänner"- und rechter Incels sah das als "woken" Faustschlag ins Gesicht, als beispielhaften SJW-Angriff auf den christlichen, weißen Mann. Weil Creative Director Neil Druckman irgendwann mal was davon gesagt hatte, dass ihm an Repräsentation in seinen Spielen viel gelegen war und dabei in erster Linie vom traditionell schon mal etwas schlüpfrigen Games-Frauenbild sprach.

Von da ausgehend, von einer Zwischensequenz, in der eine unwahrscheinlich muskulöse Frau dem (Anti)Helden des letzten Teils den Schädel einschlägt, verselbstständigte sich der Rest. Eine "christliche Sekte", die "natürlich böse" ist, als Zeichen des Feldzugs eines Studios gegen konservative Werte. Dazu Teile des Spiels, die man als Joels Mörderin spielt!? "Sie könnte Krebs heilen und ich würde sie immer noch hassen," schrieb jemand und offenbarte damit eine ungesunde Heldenverehrung für Joel. "Dieses Spiel wird dem Medium schaden" und "das hier muss die schlechteste Videospielgeschichte aller Zeiten sein", vermuteten andere. Oder sagten, Druckmann und Co. demonstrierten "Abscheu für ihre Zielgruppe". Die Recherche für diesen Artikel war keine Freude.

The Last of Us 2 ist kein politisches Spiel - sofern ihr bloße Repräsentation nicht schon als politisch empfindet.

Die schlechte Stimmung in bestimmten Kreisen eskalierte am Freitagmorgen nach dem Release - und dem bestätigten Tod Joels durch Abby - zu einem Review-Bombardement auf Metacritic (aktueller Stand 3,9 User-Bewertung bei einem Metascore von 95 Punkten, unseren The Last of Us 2 Test lest ihr hier). Natürlich hat sich einiges von den Leaks letzten Endes als Quatsch herausgestellt, den die Fantasie der Anti-SJW-Fraktion aus den groben Pinselstrichen der Handlung herbei fabulierte. Vor allem der Fakt, dass Abby eben weder trans noch der Bösewicht der Geschichte ist, der alle Protagonisten foltert oder tötet, entblößt viel der Bigotterie, die sich im Vorfeld abgespielt hat. Fairerweise muss man sagen, viele Leute haben nichts gegen die Inklusion diverser Sexualitäten, Gender und Frauenbilder in The Last of Us 2, hassen aber dennoch eine Reihe erzählerischer Entscheidungen abgrundtief und reagierten auf den frühen Tod Joels durch Abbys Hand, als hätte Neil Druckmann höchstpersönlich ihren Hund getötet. Nicht mit dem Auto angefahren, sondern mit der Leine erdrosselt.

Lassen wir das Schneeflöckchengeweine derjenigen, die nicht hören wollen, dass Transmenschen existieren, aber mal außen vor - je weniger wir über sie sprechen, desto besser: So leid es mir tut, Hass auf Abby ist genau die beabsichtigte Reaktion der Autoren. Wir sollen Abby verachten, nicht wegen ihres Erscheinungsbildes, aber in jedem Fall wegen ihrer Tat. Wir wollen sie tot sehen, weil sie in Ellies und unser Leben ein Loch gerissen hat. Und dann, als unsere Heldin den Rubicon überschritten hat - zeigen sie uns Abby als im Grunde rechtschaffenen, aber von Rache zerfressenen Menschen, der sich um seine Freunde sorgt und dessen Familie, Hoffnung für die Menschheit und ihre gesamte Lebensweise durch Joel ein jähes Ende fand. Abby hat allen Grund, Joel zu hassen und hätten wir von Anfang an nur ihre Seite gesehen, wir hätten ihr vermutlich sogar den Golfschläger gereicht.

Ist es zu viel verlangt, Abbys Seite der Geschichte zu sehen?

Insofern ist der Hass auf Abby unbedingte Voraussetzung für die Existenz eines Spiels über den Kreislauf der Gewalt, von einfacher, den Schmerz betäubender Rache und unmöglich scheinender Vergebung. Offenbar hat Naughty Dog aber seinen Job ein wenig zu gut gemacht. Viele Spieler liebten Joel so sehr, dass sie sich außer Stande sehen, mit Abby zu spielen oder irgendeinen Draht zu ihr aufzubauen. Sie relativieren seine Tat am Ende von Teil eins, wollen nicht sehen, dass er auf den letzten Metern aus nachvollziehbaren Motiven zum Bösewicht dieser Geschichte wird. Joel weiß es selbst am besten und lügt Ellie genau deshalb am Schluss ins Gesicht. Dass wir ihn verstehen, ändert an der Schuld nichts, die er auf sich geladen hat. Genau das macht ihn zu einem guten Charakter - und genau das besiegelt auch sein Schicksal, nicht einmal auf unverdiente Weise. Trotzdem wird man das Gefühl nicht los, dass er nicht wollen würde, dass Ellie auf diesen Rachefeldzug geht. Auch in Abwesenheit, Joels Präsenz im Spiel ist stets fühlbar.

Es stimmt allerdings, dass dieses Spiel in seiner Erzählstruktur nicht unproblematisch ist. Der Schwenk zu Abby ist wichtig, effektvoll und am Ende lohnend. Ihre Abschnitte bauen aber aufgrund des gespiegelten Aufbaus der Geschichte in Sachen Spannung spürbar ab, weil wir vom Höhepunkt der A-Story an den Anfang der B-Handlung versetzt werden. Ich liebte diesen Kniff, verlor in Abbys Mittelteil aber auch zeitweise das Interesse, bevor die Geschichte im Anlauf aufs unbarmherzige Finale dankenswerterweise noch gut die Kurve bekam. Ich verstehe Abby und schätze ihre gegenläufige Entwicklung zu Ellie - vom rachegetriebenen Überlebenden zum Menschen, der sich für andere einsetzt. Aber streng genommen hätte man diese Spiegelung vermutlich auch anders lösen können. Nicht, dass wir so von Dutzenden Abby-Todesmontagen auf Youtube verschont geblieben wären, aber naja.

The Last of Us 2 ist dennoch voller fabelhafter, teilweise auch schöner und zärtlicher Momente.

Der Eindruck, den das Spiel bei mir hinterlässt, ist in jedem Fall ein tiefer. Es ist kein Titel für jedermann und ich gebe zu, ich kann den Schmerz der Fangemeinde darüber durchaus nachempfinden. Aber aus kreativer Sicht ist es schlicht beeindruckend, wie wenig dieses Spiel mit Trost oder Lektionen bei der Hand ist und sich in seinem großen Handlungsbogen jeglicher Poesie und großer Gesten verweigert. Es ist per Design - nicht durch Unfähigkeit, wie vielerorts attestiert wird - unbefriedigend in seiner Erzählung, weil es sich nicht in erster Linie als Geschichte mit klassischer Heldenreise mit Anfang Mitte und Ende versteht.


Im PlayStation Store bekommt ihr The Last of Us 2 als Standard Edition (69,99 Euro) und Digital Deluxe Edition (79,99 Euro).


Auf mich wirkt The Last of Us 2 eher wie ein Werkzeug, ein Instrument, um Prozesse beim Spieler in Gang zu setzen. Die Wirkung zählte, weshalb hier niemand nur über das Wesen von Gewalt, Vergeltung und Vergebung sprechen wollte. Die meisten Menschen wissen schließlich, wie sie rational zu diesen Themen stehen. Naughty Dog will aber, dass ihr den Hass, die Wut, die Ratlosigkeit und die Abscheu selbst spürt und dazu brauchte es das denkbar grausamste Verbrechen am Spieler, Joels Tod. Das ist der Treibstoff für den furchterregend klappernden Worst-Case-Szenario-Generator, den Naughty Dog hier konstruierte und dessen infernalisches Getöse gegen Schluss kaum noch auszuhalten ist. Beinahe meint man, das hier dürfte fast kein Spiel sein. Unfassbar eigentlich bei einem Projekt dieser Größe. The Last of Us 2 ist kein Erlebnis, das man mögen muss. Aber ein imponierend waghalsiger, erwachsener und kostbarer Beitrag zu diesem Medium.


Tipps zu Last of Us 2 findet ihr in unserer The Last of Us 2 Komplettlösung.

In diesem artikel
Verwandte Themen
Über den Autor
Alexander Bohn-Elias Avatar

Alexander Bohn-Elias

Stellv. Chefredakteur

Alex schreibt seit über 20 Jahren über Spiele und war von Beginn an bei Eurogamer.de dabei. Er mag Highsmith-Romane, seinen Amiga 1200 und Tier-Dokus ohne Vögel.
Kommentare