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The Long Journey Home: Warum die lange Reise nicht gescheitert ist

… und es ist doch ein gutes Spiel

The Long Journey Home wurde von Spielern und Kritikern gleichermaßen mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Die Kritikerurteile waren durchwachsen, in meinem eigenen Test war ich auch alles andere als restlos überzeugt. Und bereuen tue ich diese Entscheidung nicht. Allerdings habe ich in meinem damaligen Artikel unter Umständen nicht deutlich gemacht, dass es unter Spielern eine Zielgruppe gibt, für die The Long Journey Home ein echtes Highlight sein könnte. Ich habe noch einmal ein paar Stunden in das Spiel investiert und dabei versucht, herauszufinden, wer genau zu dieser Zielgruppe gehört.

Viel Lava. Nicht gerade ein reizvolles Reiseziel.

Die vermutlich wichtigste Erkenntnis dabei: The Long Journey Home ist ein Spiel, dass sich in vielerlei Hinsicht anfühlt wie ein Spiel der mittleren 80er bis 90er Jahre. Nicht aufgrund seiner - wirklich sehr gelungenen - Präsentation. Grafik und Sound sind für ein solches Projekt durchaus auf der Höhe der Zeit. Es sind vielmehr die Spielmechaniken. Wenn ihr mit eurem Raumschiff in die unbekannten Bereiche unseres Weltalls startet und versucht, euren Weg zurück zur Erde zu finden, wisst ihr zunächst absolut nicht, was ihr tun sollt. Ihr lernt das Spiel, indem ihr es spielt. Das Tutorial ist zwar vorhanden, aber optional und außerdem recht kurz. The Long Journey Home will von euch, dass ihr erst ein paar Mal scheitert bevor ihr versteht, worum es eigentlich geht. Was ihr machen könnt, wenn eines eurer Besatzungsmitglieder krank wird, müsst ihr ausprobieren und es kann sein, dass euer Heilungsversuch ganz furchtbar nach hinten losgeht. Das Spiel simuliert auf diese Weise nicht nur ganz gut das Gefühl, das sich breitmachen muss, wenn man tatsächlich irgendwo im Weltall gestrandet ist und nicht weiß wohin. Es fühlt sich auch angenehm an wie eines dieser auf handbeschrifteten Disketten ausgelieferten PC-Spiele, zu denen ich aus irgendeinem Grund nie ein Handbuch hatte.

Die Landefähre steuert sich nach wie vor schwierig, mit viel Übung ist sie aber beherrschbar.

Hinzu kommt die Rolle der Minispiele in The Long Journey Home. Während diese heute in der Regel nette Dreingaben zu ansonsten auf anderen Mechaniken beruhenden Spielen sind, spielen sie hier eine zentrale Rolle. Euer Raumschiff durch ein Asteroidenfeld zu navigieren oder eure Landefähre auf den Boden eines fremden Planeten zu bekommen, fühlt sich gänzlich unterschiedlich an als die Navigation von Planet zu Planet. Dass ihr trotzdem nicht darum herumkommt, das zu lernen, kann zugegeben frustrieren, insbesondere was das Landemodul angeht. Auch hier macht sich aber nach einiger Zeit ein gewisser Retro-Flair breit. Ich fühlte mich erinnert an Spiele wie Defender of the Crown oder Summer Games - Titel, bei denen teils nahezu unkontrollierbare Minispiele auch ein zentraler Bestandteil waren.

Und obwohl sie am Anfang so brutal und unfair wirken - ich habe mich daran gewöhnt, je länger ich gespielt habe. Beispiel Landemodul: Es gibt tatsächlich Planeten, auf denen es schon mit Magie zugehen müsste, wenn ihr es schaffen würdet, einigermaßen ohne größere Schäden wieder auf eurem Raumschiff anzukommen. Das sind beispielsweise sehr massereiche Gestirne oder aber solche, die ziemlich heiß sind oder auf denen starke Stürme das Wetter dominieren. Das Schöne ist aber, dass ihr irgendwann eure Fähigkeiten einzuschätzen lernt. Ihr lenkt also das Mutterschiff in die Umlaufbahn und analysiert. Und wenn ihr schlauer seid als ich bei meinen ersten paar Anläufen, lasst ihr euch dann nicht von der eventuell reichen Rohstoff-Ausbeute locken, sondern konstatiert knapp: Das ist zu hart, das kann ich nicht schaffen. Das Spiel belohnt vorsichtiges Vorgehen, gerade am Anfang, wenn eure Landefähre noch keinerlei Upgrades hat. Ein gewisser Frust bleibt allerdings - denn was hilft euch all eure Vorsicht, wenn ihr dann einfach keinen einigermaßen freundlichen Planeten findet, der euch mit Treibstoff versorgen könntet, sondern nur einen gigantischen Gasriesen, der eure Landefähre so sehr beschädigt, dass ihr für die drei gewonnenen Einheiten Gas gleich mal sechs Einheiten Metall aufwenden müsst um eure Fähre zu reparieren.

Geduld im Asteroidenfeld wird belohnt: Ihr könnt dann bestimmte Asteroiden zerschießen um so Rohstoffe einzusammeln.

Trotzdem, dieses Spiel belohnt Geduld und besonnenes Vorgehen in jeder Situation. Es ist eben nicht dazu geeignet, mal nebenbei an einem Abend weggespielt zu werden. Wenn ihr euch durch ein Asteroidenfeld navigiert müsst ihr kleine, kontrollierte Antriebsstöße abgeben - versucht ihr dabei zu schnell zu sein, rammt ihr erstens Asteroiden und verschwendet zweitens viel zu viel Treibstoff. Das ist im Übrigen ohnehin eines der Geheimnisse der Weltraumnavigation. Euer Antrieb ist nicht dazu gemacht, permanent zu laufen. Weil ihr im Weltall keinem Luftwiderstand ausgesetzt seid, müsst ihr mit euren Antriebsdüsen lediglich eure Flugrichtung festlegen und sie dann je nach den gerade wirkenden Gravitationskräften korrigieren. Habt ihr den richtigen Kurs aber einmal gefunden, bleibt eure Geschwindigkeit konstant - und zwar egal, ob ihr gerade den Antrieb benutzt oder nicht. Das sind jedoch Feinheiten, die ihr eben erst mit der Zeit lernt ... und euch dann auf einmal bewusstwerdet, warum ihr in den vorherigen Durchgängen so viel Treibstoff verschwendet habt.

In meinem Test habe ich unter anderem den großen Zufallsfaktor kritisiert, der den prozedural generierten Universen von The Long Journey Home innewohnt. Nicht zu Unrecht, dieser Zufallsfaktor besteht. Aber auf diesem Niveau ist er eben auch eine Herausforderung und tatsächlich fühlt sich bei diesem Spiel kein Durchgang an wie der zuvor. Das unterscheidet das Spiel von vielen Hack-and-Slay-Rollenspiele, bei denen sich die zufallsgenerierten Dungeons oft dann eben doch immer gleich anfühlt - einfach weil die Herausforderung immer etwa gleich hoch sein soll. Darunter leidet aber letztlich die Abwechslung.

Diese Aliens werden euch gleich ein unmoralisches Angebot unterbreiten.

Und wo wir schon bei Durchgängen sind - auch das erinnert mich an meine frühesten PC-Spiel-Erlebnisse: Es ist auf einmal nicht mehr mein primäres Ziel, den Titel durchzuspielen. Ich vielen Action-Adventures wurmt es mich schon stark, wenn ich an irgendeinem Bossgegner scheitere und es partout nicht schaffe, weiterzukommen. Bei The Long Journey Home ist mir das nahezu egal - scheitere ich in einem Durchgang, freue ich mich auf den nächsten. Komme ich in diesem dann ein bisschen weiter, ist das schön, schaffe ich das nicht, ärgere ich mich aber auch nicht. The Long Journey Home fühlt sich in dieser Hinsicht an wie ein Spiel aus einer Ära, in der es nicht wichtig war, ob ihr es tatsächlich schafft, ein Spiel bis zu seiner Endsequenz zu spielen. Wer hat schon wirklich alle Level von Lemmings gesehen, wer Battle Isle bis zum Schluss gespielt und wer wirklich das Ende von Commander Keen erlebt? (Ich bin mir fast sicher, ihr werdet es mir in den Kommentaren sagen.)

Die Ausgestaltung der unterschiedlichen Weltraum-Rassen bleibt ein Highlight von The Long Journey Home.

Wer gehört also zur zu Beginn erwähnten Zielgruppe von The Long Journey Home? Es sind vor allem solche Leute, die sich ein Spiel wünschen wie aus diesen Tagen, in denen ein Versuch noch nicht gereicht hat, in denen die Steuerung teilweise eben einfach schwer zu lernen war und in denen es nicht das größte Ziel des Tages war, eine Endsequenz zu sehen um sich dem nächsten Spiel widmen zu können. Meine Steam-Bibliothek platzt aus allen Nähten und ich weiß daher selbst, dass wir in neuen, leicht konsumierbaren Spielen, ertrinken. Und das ist eigentlich etwas Schönes. Es nimmt uns aber den Blick für die etwas komplizierteren Perlen aus dem aktuellen Spiel-Angebot und ich denke, es nimmt uns auch in gewissem Maß die Fähigkeit, uns viele Stunden mit ein und demselben Singleplayer-Spiel zu beschäftigen und so auch nach 60 Stunden noch besser zu werden. Ausnahmen wie die Civilization-Reihe bestätigen an dieser Stelle die Regel. Wer sich also mal wieder nach einem solchen Erlebnis sehnt und gewillt ist, aktuelle Neuerscheinungen mal außen vor zu lassen - der sollte sich ein schönes Glas Rotwein einschenken und es sich vor The Long Journey Home bequem machen. Es könnte sein, dass derjenige dann merkt, dass es draußen gerade wieder hell wird, wenn er seinen Rechner schließlich herunterfährt.

Entwickler/Publisher: Daedalic Studio West/Daedalic Entertainment - Erscheint für: PC, PS4, Xbox One - Preis: etwa 40 Euro - Erscheint am: erhältlich - Getestete Version: PC - Sprache: deutsch - Mikrotransaktionen: Nein

In unserer Test-Philosophie findest du mehr darüber, wie wir testen.

In diesem artikel

The Long Journey Home

PS4, Xbox One, PC

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Über den Autor
Markus Grundmann Avatar

Markus Grundmann

Freier Autor

Seine ersten Videospiele konsumierte Markus auf dem Game Boy. Heute spielt er so ziemlich alles, bei dem er auf Knöpfe drücken kann – mit besonderer Vorliebe für Nintendo und extravagante Indie-Titel.

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