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The Walking Dead - Episode 4: Around Every Corner - Test

Telltales Tour de Force - für Erzählspiele der Glücksfall des Jahres.

Ich will nicht lange eure Zeit verschwenden, denn was ihr eigentlich tun solltet, anstatt im Internet zu surfen, ist, die vierte Episode dieses außergewöhnlichen Spiels zu genießen. Außergewöhnlich deshalb, weil es ihm zum vierten Mal gelingt, nicht einen Fuß in den landläufigen Definitionsbereich von "Spaß" zu setzen und dabei doch nicht auf der Stelle zu treten. Ein Genuss ist es trotzdem, denn noch nie kam einem eine interaktive Geschichte unter, die sich derart im Regelbruch ergeht wie The Walking Dead.

Emotional verbringt man auch in Teil vier wieder eine ganze Weile auf dem Hosenboden und hat Probleme, zu erfassen, was da gerade mit einem passiert ist. Und im Grunde wundert man sich doch arg darüber. Immerhin hat man auch die elende Zugfahrt durchs Tal der Tränen überstanden, die Episode 3 war. Warum ist man nicht darauf vorbereitet, wo man doch weiß, dass die Feder dieser Autoren schärfer ist als jedes Schwert?

Vornehmlich liegt es sicher an oben schon erwähnten Regelbrüchen oder zumindest -beugungen, die Telltale unentwegt unternimmt. Die vorletzte Episode unterstreicht nun mit dem dicksten aller Marker, dass sie von Heldenklischees, klassischen Rollenbildern oder konstruierten Plot-Vehikeln nichts wissen will. Es gibt keinen Boss zu killen, kein Mädchen zu retten - nun, technisch gesehen schon, aber nicht die gewohnte Art von Mädchen. Aber vor allem gibt es nichts zu gewinnen. Und das ist ein Kloß, den man als Videospieler erstmal schlucken muss.

Nahtlos setzt Telltale dort an, wo wir die Figuren zum Ende der letzten Folge ließen. Am Ortseingang von Savannah, Georgia. Vom Fleck weg geht es um die Klärung einiger dringender Fragen, die Long Road Ahead aufwarf. Folglich fühlt sich Around Every Corner noch viel mehr als Fortsetzung oder zweite Hälfte der Vorgängerepisode an, als das im bisherigen Verlauf der Staffel der Fall war. Die neuen Figuren, die beim letzten Mal eingeführt wurden, haben dabei reichlich Gelegenheit, sich in Szene zu setzen, auch wenn es eher im Kleinen geschieht, über die Dinge, die gesagt werden und die Art, wie die Schauspieler sie vermitteln. Es ist eine ausgewogene Folge, mit Ruhephasen, viel Erkundung, aber auch voller Gewalt-Entladungen nach gewohnt routiniertem Spannungsaufbau.

Wem die Schießerei des letzten Teils allerdings nicht gefiel, der muss sich noch einmal zusammenreißen, denn als größere Stadt ist Savannah nicht gerade ein Ort, den man frei von Zombies wähnen würde. Davon abgesehen nehmen die Autoren einen langen, oft quälenden und wirklich mutigen Anlauf auf das große Finale, der klar macht, dass es nie darum ging, dem Spieler unendlich viele Freiheiten bei der Gestaltung der Handlung zu geben. Nicht, dass dies jetzt den falschen Eindruck vermittelt, Episode vier zieht am Ende tatsächlich erstmals gewissermaßen erzählerisch umfassend Bilanz aus euren Entscheidungen und stellt euch mal wieder vor einige wirklich gemeine Brocken. Trotzdem dienten alle Wahlmöglichkeiten eher dem Zweck, euch zu fragen, "wer willst du sein in dieser Situation?", "was bist du bereit zu tun?" Obwohl es weiß, dass es auf diese Fragen meist keine Antwort gibt, die sich gut anfühlt.

The Walking Dead - Episode 4: Around Every Corner - Trailer

Doch wen würde das interessieren, wenn die Figuren nicht berührten? Lee und Clementine sind weiter die Stars, die mit ihrer Chemie absolut verblüffen, aber auch kleine Randcharaktere sind so lebhaft gezeichnet und gesprochen, dass jeder Tod betroffen macht. Wo die viel gesehene Fernsehserie den Zuschauer mit über die Maßen fehlerbehafteten Charakteren auf Distanz hält - mit selbstgerechten, willensschwachen, unnützen oder schlichtweg wahnsinnigen -, ist das Spiel zum selben Stoff voll von ausgezeichneten Figuren. Auch die haben ihre Makel, aber in einem Umfang, der nicht regelmäßig verhindert, dass man sie noch ins Herz schließt. Diese Typen will man einfach vor dem dem Unvermeidlichen bewahren. Vielleicht liegt es daran, dass man jetzt einer von ihnen ist. Es schmerzt, zu wissen, dass es nicht alle schaffen werden.

Überleben - und was dann? Diese spielbare Geschichte will einmal mehr die inhaltlichen Fragen des Survival-Motivs diskutiert wissen, das Spieler einst hauptsächlich über Munitionsmangel im Angesicht einer Übermacht definierten. Wie Telltale mit dem Thema umgeht, verläuft nicht ohne Überraschungen, für dieses Medium zumindest, und ist jeden Applaus wert. Selten legte man so viel Selbstreflexion beim Spielen an den Tag, selten hallten Fragen, Bilder und Eindrücke so lange und unbequem nach. Ich würde zwar lügen, wenn ich behauptete, das hier machte noch Spaß im traditionellen Sinne, doch in diesem Fall ist das ein großes Kompliment.

The Walking Dead bleibt auch im vierten Gang eines der interessantesten, aufwühlendsten und bleibendsten Erlebnisse der letzten Jahre. Mir graut es, mit diesen wandelnden Toten die letzten Schritte zu gehen. Und doch würde ich es um nichts in der Welt verpassen wollen.

9 / 10

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Alexander Bohn-Elias

Stellv. Chefredakteur

Alex schreibt seit über 20 Jahren über Spiele und war von Beginn an bei Eurogamer.de dabei. Er mag Highsmith-Romane, seinen Amiga 1200 und Tier-Dokus ohne Vögel.

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