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Uncharted: The Lost Legacy: Wenn das Universum aus der Serie ausbricht

Wie Naughty Dog mit Uncharted anscheinend alles richtig macht.

Nicht, dass ich es ihnen wünschen würde, aber mittlerweile bin ich doch sehr neugierig geworden: Wie sähe es wohl aus, das eine Naughty-Dog-Spiel, das irgendwie nicht wirklich funktioniert? Gut, über ludonarrative Dissonanz als Disqualifikator für Feinfühligere können wir reden. Aber diese Union aus locker-flockigem Abenteurertum, flapsigen Dialogen und einer ordentlichen Portion unreflektierter Gewalt hielt schon so lange - das gehört mittlerweile einfach zur Formel dazu. Es scheint, als gelänge den Kaliforniern einfach alles; sogar der schleichende Rücktritt vom Rücktritt, als den man The Lost Legacy zunächst begreifen konnte.

Das ist nicht selbstverständlich, denn als ich das erste Mal mitbekam, dass diese Standalone-Erweiterung beinahe so etwas wie der viereinhalbte Teil der Serie werden würde, versetzte mir das schon einen kleinen Stich. Uncharted 4 war so rund und schön in sich geschlossen, ein fabelhaft passgenauer Deckel auf der Geschichte einer späten Ikone dieses Mediums. Auch Naughty Dogs allseits zur Schau gestellter Wille, etwas mal wirklich zu beenden, wirkte mit dieser Weiterführung plötzlich nicht mehr ganz so fest entschlossen. Aber der Denkfehler lag wohl bei mir, denn mittlerweile sind mir drei Dinge klarer als noch letztes Jahr. Erstens: Uncharted 4 war nur das Ende unseres Weges mit Nathan Drake. Zweitens: Die weitere Existenz dieses Universums mit dem Abschluss dieser Heldenreise kostet die vier vorangegangenen Spiele nicht ein Gramm dramaturgisches Gewicht. Und drittens: Warum sollte es zwangsläufig schlecht sein, wenn es mit Uncharted weitergeht?

Es ist Titeln wie diesen wohl in die Wiege gelegt, dass wir sie in erster Linie über ihren Hauptcharakter definieren - Mario, Sonic, Samus -, aber so sehr Uncharted auch wegen Drakes bubenhaftem Draufgängertum zu dem wurde, was es heute ist, so lässt sich doch vieles von dem, was man hier tut und erlebt, auch problemlos ohne ihn inszenieren. Appetit für Indy-artige Abenteuer herrscht immer und die Menge bereits geborgener Schätze, erstrittener Artefakte und von vorne bis hinten durchforsteter Szenarien bereichert dieses spezielle Universum eher mit Leben und Geschichte, anstatt es um sie zu berauben. Das ist ein Unterbau, auf dem sich prima weitere Geschichten erzählen lassen, auch nachdem die Scheidung Drakes von Uncharted schon längst durch ist. Das wegzuwerfen erscheint mir fast fahrlässig.

Gerade, wenn in einer Welt Charaktere wie diese leben. Naughty Dog wurde mit den Jahren immer besser darin, seine Figuren schon mit wenigen Silben so genau zu umreißen, dass man ein gutes Bild davon bekam, mit was für einer Sorte Mensch man es zu tun hatte. Zugegebenermaßen war der harte Kern schon immer etwas blasser als das, was am Rand des Figurenpantheons passierte. Wer sich dort zunächst als vertrauter Archetyp vorstellte, deutete durch einzelne Handlungen, Äußerungen oder Charakterzüge an, hinter dieser Fassade stecken noch eine Menge anderer Geschichten, die nachzuerleben garantiert den einen oder anderen unterhaltsamen Abend füllen würden. Nadine Ross zum Beispiel, eingeführt im vierten Teil als die Toughness in Person, bewegt sich moralisch in einer der interessantesten Grauzonen der Serie. Ihre Verbissenheit, ihre Professionalität und die durchwachsene Wahl ihrer Geschäftspartner sagen ebenso viel über sie aus wie die Übernahme der Söldnertruppe Shoreline nach dem Tod ihres Vaters Tür und Tor für eine belastete Familiengeschichte öffnet.

Auf der anderen Seite ließ das pechschwarze Haar Chloes schon immer vermuten, dass sie neben Australien noch eine zweite Heimat hat. Und durch die geht es nun auf den Spuren ihres indischen Vaters und für ein Spiel dieser Sorte verhältnismäßig tief hinein in die Ursprünge ihres überlebenskünstlerischen "Ich-zuerst"-Wesens. Das wiederum bildet zu weiten Teilen von The Lost Legacy einen schönen Kontrast zu Nadines abgeklärter klarer Kante. Lässt man zwei so lebhaft definierte Figuren aufeinander los, erzählen sich die Geschichten fast wie von selbst. Die Leistung besteht darin, überhaupt erst für diese Konstellation zu sorgen. Zwischen diesem Ansatz und dem früherer Teile der Reihe liegen Welten, selten hatte der Begriff "charaktergetrieben" eine dermaßen große Bedeutung für ein Spiel.

Wo die Handlung in den früheren Titeln davon zehrte, dass die Entwickler möglichst spektakuläre Spektakelsequenzen trickreich und in einem spannungsfördernden Rhythmus miteinander verketteten, passiert nun scheinbar alles als Resultat der Taten und Entscheidungen von Figuren mit reichlich privatem Ballast. Den schultern Chloe und Nadine auf ihrem Weg durch ein Universum und einen Satz an Spielregeln, die gefühlt gerade erst begannen, wirklich ihre Grenzen auszuloten. Wäre es nicht spannend, zu ergründen, wie ein Uncharted aussähe, das den etablierten, aber manches Mal zu starren Beat aus Ballern und Erkunden noch weiter aufweicht, als es bisher schon geschehen ist? Der Weg ist längst eingeschlagen, warum also auf freier Strecke Halt machen?

So oder so, The Lost Legacy ist ein schönes Beispiel dafür, wie sehr dieses Studio erwachsen geworden ist und auch in einem gegebenen Rahmen immer wieder Chancen für Weiterentwicklung sieht. Die Trennlinie zwischen dem Naughty Dog vor The Last of Us und dem danach könnte nicht klarer gezogen sein. Seit dem harten Überlebensdrama ist das hier ein deutlich gereifter Entwickler, der seinen Figuren auf der Suche nach persönlichen und nachempfindbaren Geschichten sensibel auf den Zahn fühlt. Deshalb war der Abschied von Nathan Drake auch ein "Ade!" an das alte Naughty Dog, um Platz für die Figuren zu machen, die jenseits des prototypischen Pretty-Boy-Haudegens nur darauf warten, ihre eigenen Abenteuer zu erleben. Gerne auch in neuen, aufregenden Welten, aber sicher nicht wahnsinnig weniger gern in dem einen oder anderen weiteren Uncharted.


Entwickler/Publisher: Naughty Dog/Sony - Erscheint für: PS4Preis: 39,99 Euro - Erscheint am: 22. August - Sprache: Deutsch/Englisch - Mikrotransaktionen: Ja, Mehrspielermodus

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Alexander Bohn-Elias Avatar

Alexander Bohn-Elias

Stellv. Chefredakteur

Alex schreibt seit über 20 Jahren über Spiele und war von Beginn an bei Eurogamer.de dabei. Er mag Highsmith-Romane, seinen Amiga 1200 und Tier-Dokus ohne Vögel.
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