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Vollpreis, Fortsetzungen und Spieleflut - jedes Spiel braucht eine Demo!

Und mehr Preisstabilität.

Ihr habt es unter Umständen mitbekommen, dass John Garvin, Autor und Creative Director von Days Gone, in den letzten Tagen sagte, die Leute hätten den Titel zum Launch mehr unterstützen sollen - durch Vollpreiskäufe. Dann würden sie sich jetzt nicht darüber beschweren, dass Sony allem Anschein nach das Risiko einer (teureren) Fortsetzung scheut.

Oberflächlich betrachtet klingt das nachvollziehbar und logisch. Je mehr Spieler und Spielerinnen ein Spiel zum Launch kaufen, desto mehr Einnahmen haben Publisher und Entwicklerstudio. Dass er das so einfach sieht, ist verständlich. Aber als Branchenkenner sollte er es zugleich besser wissen, denn so einfach ist es beileibe nicht.

Spielen ist und war ein teures Hobby, Vollpreisspiele kosten häufig 50 bis 70 Euro, mit dem Launch von Xbox Series X/S und PlayStation 5 gut und gerne nochmal 10 Euro mehr. Hinzu kommt eine schiere Flut an Titeln, die es in der Masse vor 20, 25 Jahren einfach nicht gab. Es gibt so viel Konkurrenz, so viele interessante Spiele, die um die Gunst der Menschen buhlen. Alles zu haben und die Zeit zu finden, alles zu spielen, ist abhängig davon, wie weit eure Interessengebiete reichen, fast unmöglich. Warum in einer solchen Situation also zum Vollpreistitel greifen, wenn man ihn vielleicht nicht direkt spielt und das Budget eher knapp bemessen ist?

Hättet ihr eine Fortsetzung von Days Gone gewollt, hättet ihr es zu einem höheren Preis kaufen müssen, sagt dessen Autor.

Vor allem in Anbetracht dessen, dass in Videos und Blogeinträgen heute zwar viel über einzelne Titel verraten wird - ab und an fast zu viel -, aber dann weiß trotz allem noch keiner, wie es sich spielt, wenn der Controller in den eigenen Händen liegt. Ein Spiel kann noch so geil aussehen oder mich in puncto Thematik ansprechen, aber wenn ich beim Anspielen nicht damit zurechtkomme, dann passt's einfach nicht. Und es wäre cool, wenn ich das vor einem Kauf in Erfahrung bringen könnte.

Und das ist ebenso ein Problem vieler Spiele: Der Kauf ist mit einem Risiko verbunden. Und je höher der Preis, desto höher das Risiko. Klar, bei einem neuen FIFA oder F1 weiß ich, was ich bekomme, aber das ist eher die Ausnahme. Es bräuchte vielmehr Demos. Und nicht einmal speziell programmierte Demos im eigentlichen Sinne. Wir haben heute zum Beispiel die Free Play Days für Xbox-Live-Goldmitglieder, EA lässt EA-Play-Abonnenten seine neuen Titel bis zu zehn Stunden lang ausprobieren.

So was bräuchte jedes Spiel! Einfach die Vollversion mit einem Zeitlimit spielbar machen, da kann jeder seine ersten Eindrücke zum Anfang des Spiels sammeln, lernt die Feinheiten kennen und nach einer gewissen Spielzeit weiß ich einfach, ob ich daran Gefallen finden könnte, oder ob das gar nichts für mich ist. Ist allemal besser als ein Blindkauf eines Spiels, von dem ich nicht 100 Prozent überzeugt bin, ob es mir spielerisch zusagt oder nicht. Und nein, ein Let's Play verrät mir exakt das nicht. Es zeigt es mir, aber ich habe dabei nicht das gleiche Gefühl, als würde ich es eigenhändig spielen.

Die Unschlüssigkeit führt uns zu einem weiteren Punkt: die Preisstabilität. Warum Spiele, bei denen ich mir nicht sicher bin, ob sie mir gefallen, zum Vollpreis kaufen? Häufig sinken sie nach ein paar Wochen im Preis und ich komme viel günstiger weg. Vor allem dann, wenn der Launch schlechter verläuft als erwartet. Wie schnell zum Beispiel Ubisofts Immortals Fenyx Rising um die 20 Euro günstiger zu haben war... Es ist definitiv ein Faktor, vor allem für Leute mit einem geringen Budget - und erst recht in schwierigen Pandemie-Zeiten. Bei Nintendo-Spielen weiß ich indes, dass sie enorm preisstabil sind. Da habe ich auch keine Bedenken, zum Vollpreis zuzugreifen. Zum Verkaufsstart finden sie sich hier und da mal 10 Euro günstiger als der sonst veranschlagte Preis, aber selbst Jahre später bietet Nintendo keine riesengroßen Rabatte an.

Immortals Fenyx Rising wurde schnell günstiger.

Klar, Nintendo kann sich das leisten, weil sie wissen, dass sich ihre Spiele trotzdem verkaufen. Nehmt Mario Kart 8 Deluxe auf der Switch. Ist im Grunde die Wii-U-Version mit allen Inhalten, kostet um die 50 Euro im Handel, 60 Euro als Download. Und hat sich allein auf der aktuellen Konsole über 33 Millionen(!) Mal verkauft. Irre. Nintendo wäre ganz schön blöd, hier den Preis massiv zu senken.

Das funktioniert mit Sicherheit nicht bei jedem Spiel, aber bei vielen von ihnen drängt sich ein bestimmter Gedanke auf: Wenn ich nicht so scharf auf einen Titel bin, dass ich ihn unbedingt zum Launch spielen muss, dann warte ich eben und bekomme ihn später günstiger, in manchen Fällen schon nach wenigen Wochen. Ich verliere somit nichts, spare Geld und zu zocken hab ich ja sowieso noch mehr als genug zuhause.

Insofern: Ja, wenn ein Spiel zum Launch ein großer Erfolg ist, dann ist es wahrscheinlich, dass es später eine Fortsetzung bekommt. Logisch. Nur tun die Unternehmen nicht so viel, wie sie könnten, um dafür zu sorgen, dass sich die Mentalität der Kundschaft ändert. Am Angebot von Spielen wird sich nichts mehr ändern, es werden in Zukunft eher noch mehr erscheinen. Also braucht es Überzeugungsarbeit. Lasst die Leute jedes Spiel ausprobieren. Wie lange? Das hängt von der Länge des Spiels ab. Das klappt bei den Free Play Days oder auf EA Play wunderbar. Und verramscht die Spiele nicht zu schnell, denn wenn nach ein paar Wochen schon die Aussicht besteht, um die 20 Euro zu sparen, dann warte ich lieber.

Und von fehlerfreien Spielen habe ich noch gar nicht gesprochen. Der Frust ist groß, wenn viel Geld in ein Spiel gesteckt wird und es dann - wie Cyberpunk 2077 auf den Konsolen - Probleme macht, wenn durch einen Patch - wie bei Outriders - die Leistungen dutzender Spielstunden verloren gehen. "Nobody is perfect", Spiele sind heute weit komplexer als auf dem NES, was keine übereilt veröffentlichten Titel entschuldigt. Aber an der Skepsis, die in Bezug auf den Kauf zum Vollpreis vorherrscht, trägt die Industrie einen nicht gerade kleinen Anteil. Und es liegt in den Händen der Branche, dafür zu sorgen, diese Mentalität zu kippen: durch mehr Anspielmöglichkeiten, mehr Preisstabilität, weniger Fehler, mehr kunden- und weniger gierige Mechanismen zur Monetarisierung, mehr Kreativität, frische Ideen. Man muss es nur wollen.

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Benjamin Jakobs

Leitender Redakteur News

Benjamin Jakobs ist Leitender Redakteur, seit 2006 bei Eurogamer.de und schreibt News, Reviews, Meinungen, Artikel und Tipps.

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