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Wie Dead State auf den Spuren Fallouts wandelt

Mit Zombies natürlich.

Wenn Dead State von Double Bear Productions voraussichtlich im Sommer erscheint, könnte es mit Pech zum Opfer seines Umfeldes und des Marktes werden - was sehr schade wäre. Eines Marktes der Nachahmer und Trittbrettfahrer, die meinen, Zombies, Survival und irgendwas mit "Dead" im Titel reichten fürs neue "Jeder will es". Selbst unser Alex, einer der größten mir bekannten DayZ-Fans, hat die Übersicht im Dickicht drittklassiger Survival-Heuler verloren. Wer würde da etwas namens Dead State beachten? Klingt doch schon generisch. Macht bitte nicht diesen Fehler.

Mit jeder Faser seines Seins und aus tiefstem Herzen ist Dead State kein solches Spiel. Als Brian Mitsoda im Jahr 2010 mit der Entwicklung begann, war die heutige Zombie-Survival-Welle in ihrem apokalyptischen Ausmaß noch nicht abzusehen. Es gab kein DayZ, kein Rust, keine gierigen Kann-ich-auch-Brüller, nur den Willen eines etwas geknickten Mannes, ein Rollenspiel zu machen. Mit Untoten als Kulisse, für die Konturen der Geschichte, nicht als Hauptattraktion. Von Anfang an, betonte Mitsoda, wollte er die menschliche Seite vor dem Hintergrund einer Katastrophe herauskehren, zeigen, wie sich Charaktere verändern, wenn der Druck einer ist, der ihr vertrautes Gefüge bis auf die Grundmauern erschüttert. Dead State will ein Spiel über ihr Verhalten in Krisensituationen sein. Und Zombies.

Das erste Fallout von Interplay hinterließ in den Neunzigern die größten Spuren von dem, was man zu großen Teilen heute in der Early-Access-Demo von Dead State wiederfindet. Die Begeisterung für das Endzeit-RPG bescherte ihm damals einen Job bei Interplays Black Isle Studios als Designer und Autor. Leider erschien Torn nie. Einzig Vampire: Bloodlines, später dann von Troika, geschrieben zu einem Großteil von Mitsoda, schmückt sein Portfolio. Den Titel "Mann, der in seiner Karriere mit Ach und Krach nur ein Spiel veröffentlichte" sollen andere haben, und hier schließt sich der Kreis zu Double Bear und Dead State, einem Projekt so bitter wie die Gründe, aus denen es entsteht.

Die Welt ging vor die Hunde und es liegt an euch, was ihr daraus macht.

Die anfänglichen sieben Spieltage lässt euch die Early-Access-Fassung erleben, probieren und Erkenntnisse schöpfen, die so wichtig sind fürs Verstehen ihrer Welt. Wäre es vor 15 Jahren erschienen, das Handbuch wäre ein massives gewesen. Auf den ersten Blick erzählt es eine einfache Zombie-Geschichte in Texas. Euer Charakter erwacht, als die Fans der Apokalypse längst die Partyhüte aufgesetzt haben, und ist fortan Teil einer Menschengruppe in einem halbwegs gut erhaltenen Schulgebäude. Man redet, fragt und erkundigt sich, sucht und repariert. Die ersten Schritte. Das normale Programm.

Auf den zweiten Blick versteckt sich hinter all dem ein überraschend komplexes, mitunter sperrig zu bedienendes, aber höchst interessantes Rollenspiel ohne Zügel. Anhand der sieben spielbaren Tage kann man erahnen, wie die Reise verlaufen könnte: in mehrere verschiedene Richtungen, je nachdem, wohin man als Erstes geht und welche Ziele man sich setzt. Die Frühversion hat leider noch lange nicht alle Funktionen, Icons und Menüs fehlen, darunter auch etwas Tagebuchartiges als Gedankenstütze. So holpert man in den ersten Tagen ein bisschen ziellos durch die Gegend, entdeckt eher aus Zufall die Weltkarte, freut sich über die vielen Winks in Richtung Fallout, später dann über die distanzierte Spielerführung.

Dead State ist angesichts unserer heutigen Auffassung von Zugänglichkeit ein Spiel mit spröder Schale. Was man aus welchem Grund tun muss oder kann, ist vorerst nicht so richtig ersichtlich. Die Kamerasteuerung, die beliebiges Drehen und Zoomen ermöglicht, gestaltet sich holprig und mitunter mühselig, wenn Wände den Blick auf Regale blockieren. Die Menübedienung ist noch keine intuitive Sache. Es ruckelt und zuckelt. Solche Dinge eben. Ich verstehe jeden, der nicht durchdringt bis ins Herz des Spiels, wo es sich als fiktive Gesellschaftsstudie versucht und von Menschen erzählt, die sich an den letzten Rest unserer Welt klammern.

"Jeder Charakter kann sterben und die Reaktivität innerhalb der Dialoge muss diese Dynamik stützen."

Die Kämpfe gegen Untote, Gangs und Plünderer laufen rundenweise ab. Schusswaffen machen Lärm und locken wiederum weitere Zombies an - ebenso wie das Einschlagen von verschlossenen Türen.

Da ist Anita, die ihre Tochter Renee behütet und das Schlimmste androht, solltet ihr sie mitnehmen auf eine der Erkundungstouren. In die Party aufnehmen könnt ihr sie trotzdem, verlieren auch, wenn ihr in den Rundenkämpfen gegen Gangs, Plünderer oder Zombies den Kürzeren zieht. Renee kommt nach ihrem Tod nicht wieder. Sie ist endgültig weg und ihre Mutter... nicht auszudenken, was im Unterschlupf passiert mit einem Pulverfass von Frau, deren Tochter das Einzige war, was ihr blieb. Jeder kann sterben und die Reaktivität innerhalb der Dialoge muss diese Dynamik stützen.

Da sind die schluchzende Elaine, Rollstuhlfahrer Davis, der Radiosprecher, der komischerweise auf Sendung bleiben konnte und immer wieder neue Dinge zu berichten hat. Wenn er etwas von einem besonderen Gebäude in der Nähe erzählt, wollt ihr nachsehen? Obwohl ich beim besten Willen nicht behaupten kann, alles verstanden zu haben, was aus welchen Gründen passierte oder wie die zahlreichen Systeme ineinandergreifen, macht Dead State sehr neugierig. Erstens: Es lebt davon, ein Strippenzieher inmitten eines Haufens Menschen zu sein, die nicht immer miteinander können, aber irgendwie müssen. Früher oder später wird es kriseln und krachen. Zweitens: Erkundung ist noch genau das, kein Mapmarker-Jogging mit Schnellreiseausfahrt.

Dialoge mit Überlebenden nehmen einen Großteil des Spiels ein. Auch hier wieder: eure Sache, was ihr daraus macht.

Obwohl keines der ersten betretbaren Gebiete ausladend groß gerät, entsteht ein Gefühl des eigenhändigen Entdeckens. Ihr könnt Supermärkte, Gaststätten oder Hütten betreten, Schränke nach sanitären Vorräten, Baumaterialien und Essen durchsuchen, um sie in der Basis abzuladen und die Stimmung zu heben. Manche NPCs erzählen von lohnenden Orten, haben dies gehört und das gesehen - entscheidet selbst. Es scheint hier keine direkten Vorgaben zu geben, kein "Als Nächstes dorthin, weil das Spiel es so vorsieht". Ähnlich wie in den ersten beiden Fallouts gibt es ein übergeordnetes, vage definiertes... hmm, nicht mal unbedingt Ziel, eher einen anzustrebenden Zustand: Sicherheit finden, Menschen retten, die Zuflucht ausbauen, keine Kapitulation vor dem Ende der Welt, egal wie entmenschlicht vieles wirken mag.

"Ihr könnt Supermärkte, Gaststätten oder Hütten betreten, Schränke nach sanitären Vorräten, Baumaterialien und Essen durchsuchen."

Wie man das erreicht und was auf dem Weg dorthin so alles geschehen kann, liegt bei euch. Habt ihr eine Angel gefunden, könnt ihr einige am Wasser gelegene Plätze betreten. Eine Ladung Fisch würde sicher die Moral in der Schule heben. Oder ihr habt Pech, rennt in eine Straßenblockade brutaler Gangs, verliert gar einen Begleiter. Wäre schade um ihn und schlecht für die Stimmung im Unterschlupf. Am Ende jedes Tages sieht man anhand einer Statistik, wie viel Nahrung man aufgetrieben und verbraucht hat, was das Gemüt der Gruppe beeinflusste und in welche Richtung sie tendiert.

Wie in den alten Fallouts zieht ihr über die Landkarte, entdeckt Orte, rennt in Zufallsbegegnungen, ärgert euch, wenn ihr vor einer nicht gespeichert habt, und so weiter.

Die Arbeiten um die Schule herum, und davon gibt es eine ganze Menge, sind wichtig fürs effiziente Ausnutzen der Zeit und den Fortschritt in der Welt. Ihr könnt jemanden für Wartungsarbeiten einteilen, ihn Molotow-Cocktails oder robuste Kleidung mit eingearbeitetem Schutz gegen Kugeln austüfteln lassen. Ein gemütlich eingerichteter Ruheraum verleiht einen konstanten Moralbonus, eine benutzbare Turnhalle mehr Schaden im Nahkampf für Begleiter. Leute mit einem hohen "Mechanical"-Charakterwert können etwa einen Kühlschrank zum längeren Frischhalten des Essens bauen oder ein tragbares Radio, mit dem sich von unterwegs Anweisungen in Richtung der Basis funken lassen. Ihr habt eure Leute. Sie sind da. Und solange das so bleibt, kann man sie nutzen.

Dead State zeigt hier einen leichten Touch von State of Decay, und genau wie beim Debüt der Undead Labs fällt es mir schwer, mit dem Finger auf das daran so Faszinierende zu deuten. Es ist noch sperrig zu bedienen, hat Hürden, wo keine sein müssten, zuckelt und ruckelt. Aber dahinter erfolgt mit der offenen Erkundung und Mach-was-du-willst-Spielweise eine ehrliche Verbeugung in Richtung der alten Fallouts - hier rennt Double Bear offene Türen ein. Nach den ersten sieben Spieltagen bin ich gespannt, wie sich die Lage im Unterschlupf zuspitzen kann, wenn Leute in einer vor die Hunde gegangenen Welt aufeinanderprallen.

Das kleine Studio aus Seattle hat noch viel zu tun, keine Frage. Aber bisher wirkt Dead State wie ein schön altmodisches, angenehm komplexes Rollenspiel, das auch mal zickig seine Möglichkeiten verbirgt. Etwas für diejenigen, die diese Art in den Neunzigern genossen und in letzten Jahren vermissten. Hoffentlich wird es nicht übersehen in der nach wie vor ungebrochenen Zombie-Survival-Welle.

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Dead State

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Sebastian Thor

Freier Redakteur - Eurogamer.de

Steht auf Bier und Bloodsport. Mag weiche Sofas und verliert sich gern in Gedanken an dies und das. Seit 2014 bei Eurogamer dabei, aktuell als freier Redakteur.

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